Diese Schizophrenie könnte Europas Populisten entzweien
Europas Populisten vereinen sich, um gemeinsam ins EU-Parlament einzuziehen. Aber in ihren Reihen tickt eine milliardenschwere Zeitbombe.
Die folgende Geschichte handelt von Widersprüchlichkeiten, die sich am besten über einen Vergleich erklären lassen. Stellen wir uns eine Wohnanlage mit gut 2 Dutzend Häusern vor. Es gibt ein starkes Gemeinschaftsgefühl unter den Nachbarn. Sie feiern gemeinsam Gartenfeste, veranstalten Flohmärkte, man hilft einander mit ein paar Eiern oder einer Tüte Milch aus, ein paar Mütter und Väter bauen gemeinsam ein Klettergerüst und so weiter. Aber in jedem einzelnen Haus gibt es einen Mieter, der darauf so gar keine Lust hat. Die Eigenbrötler wollen neue Regeln für die ganze Anlage durchsetzen: keine lauten Gartenpartys mehr, keine Nachbarschaftshilfe, keine Erwartungen, dass man sich an irgendwas beteiligt.
Dass die Einzelgänger überhaupt miteinander paktieren, ist schon ein Widerspruch in sich
Um den Rückzug ins Private durchzusetzen, gründen sie – und dass die Einzelgänger überhaupt miteinander paktieren, ist schon ein Widerspruch in sich – die Whatsapp-Gruppe »Eigenbrötler arrangieren private Nachbarschaft«, kurz EAPN. Ausgerechnet unter den Gegnern der Gemeinschaft entwickelt sich große Verbundenheit. Dann ist es aber ausgerechnet einer der Eigenbrötler, der vergisst, den Wasserhahn zuzudrehen, und damit ein komplettes Haus unter Wasser setzt. Die anderen stehen vor einer schwierigen Entscheidung – sollen sie ihre eigenen Prinzipien aufgeben und beim Aufräumen helfen, oder sollen sie den Freund, den sie schätzen, im Stich lassen?
Die Wohnanlage steht in diesem kleinen Beispiel symbolisch für die Europäische Union. In ihr übernehmen Rechtspopulisten die Rolle der Eigenbrötler, die den Nationalstaat stärken und dafür die europäische Gemeinschaft weitestmöglich aushöhlen wollen. Anfang April haben sich in Mailand die Anführer von 4 europäischen Populistenparteien getroffen,
Die Anti-Bailout-Partei
Heute vergisst man vor lauter Flüchtlings- und Islamfeindlichkeit leicht, dass der Markenkern der AfD früher mal die Kritik am Euro war. Eine Anspielung darauf steckt bis heute in ihrem Namen: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat im Zusammenhang mit der Eurokrise einmal gesagt, die Rettung des Euro sei »alternativlos«. An diese Aussage dachten Bernd Lucke und seine Mitstreiter, als sie sich bei der Parteigründung im Jahr 2013
Die Europawahl 2014 war die erste überregionale Wahl, bei der die AfD Erfolg hatte. Seitdem ist die Partei der Reihe nach in alle 16 Landesparlamente und den Bundestag eingezogen. Allerdings hat die Partei seitdem mehrere Abspaltungen hinter sich, bei denen sich Splitterparteien abgesondert haben, denen die AfD allmählich zu rechts war. So kommt es, dass von ursprünglich 7 Europaabgeordneten mittlerweile Jörg Meuthen der einzige AfDler im EU-Parlament ist.
Während die Partei mit jedem Aderlass kräftig nach rechts abgebogen ist, ist die Position zum Euro weitestgehend konstant geblieben.
Die Geschäftsgrundlage des Euro war: keine Haftung für die Schulden anderer Länder, keine Staatsschulden über 60 % des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts und kein Jahresdefizit über 3 %. Diese Regeln sind zerstört worden.
Bis heute kritisieren AfD-Politiker immer wieder, dass Griechenland auf dem Höhepunkt der Eurokrise vor der Staatspleite bewahrt worden war. Damals hatte eine europäische Troika das Mitglied der europäischen Gemeinschaftswährung mit an harte Bedingungen geknüpften Notkrediten vor dem vollständigen Kollaps bewahrt. Genauso falsch wie den Bailout, also die Rettungsaktion, von damals findet die AfD die Vorstellung, dass sich diese Geschichte in anderen Euro-Staaten wiederholen könnte. Der AfD-Abgeordnete Bruno Holznagel
Wir wollen die Einhaltung von Verträgen. Wir wollen die Einhaltung der No-Bailout-Klausel. Wir von der AfD wollen keine Transfer- und Haftungsunion in Europa. Auch wir wollen die Beibehaltung des Prinzips der Subsidiarität und der Eigenverantwortlichkeit.
Der nächste Kandidat für eine Rettungsaktion könnte Italien sein, befürchten Ökonomen, aber auch AfD-Politiker. Leif-Erik Holm äußerte im Juni 2018 im Bundestag diese Sorge vor
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily