Diese 3 Projekte aus Berlin zeigen, wie alternatives Wohnen aussehen kann
Wie behaupten sich Bewohner einer Stadt, die vom Geld der Investoren abhängig ist? Eine Radtour durch 3 gallische Dörfer, die Widerstand leisten.
Es fällt nicht ganz leicht, den Ausführungen von Michael LaFond zu folgen. Der Mann mit den grauen Haaren und der Hornbrille spricht leise. Immer wieder wird seine Stimme von den Bässen vorbeifahrender Ausflugsboote verschluckt, dazu kommt das Quietschen der Züge und S-Bahnen, die gefühlt im Minutentakt über eine nahegelegene Brücke rauschen.
»Hier drüben entsteht der Waldgarten!« Michael LaFond zeigt auf einen kleinen Grünstreifen vor hochgewachsenen Betonfassaden. Kräuter, Gemüse und Obstbäume wachsen hier, direkt an der Spree in Berlin-Mitte. Auf dem Grundstück am Ufer entstand vor rund 10 Jahren die Genossenschaft Spreefeld, wo der gebürtige US-Amerikaner seit 5 Jahren lebt und arbeitet. In 65 Wohneinheiten wohnen hier 125 Menschen, die sich »sozial, ökologisch und demokratisch« organisieren, wie Michael LaFond sagt.
Die Genossenschaft Spreefeld an der Köpenicker Straße ist eine von 3 Stationen auf einer Radtour zum Thema »Zukunftsfähiges Wohnen«. Organisiert hat sie der Verein
Wie wollen wir in Zukunft wohnen? Für immer mehr Menschen lautet die Antwort: selbst organisiert und gemeinschaftlich! […] Wie kann zukunftsfähiges Wohnen in der Stadt in einer Postwachstumsgesellschaft aussehen? Wie zugänglich sind diese experimentellen Wohnformen und welche Chancen hat alternatives Wohnen in Berlin im Angesicht der aktuell immer weiter steigenden Mietpreise?
Julius Neu von FairBindung ist heute der Tourguide. Auch seine Stimme hat es schwer, sich gegenüber dem Umgebungslärm zu behaupten. »Wohnen müssen wir alle«, sagt er.
Und der funktioniert nach dem Prinzip Angebot und Nachfrage.
Die Szene am Spreeufer ist eine Miniatur der Auseinandersetzungen und Konflikte, die (nicht nur) in Berlin mit immer härteren Bandagen ausgetragen werden. Dabei geht es vor allem um eine Frage: Wem gehört die Stadt? Den Investoren, die in den vergangenen Jahrzehnten Geld für Grundstücke in bester Innenstadtlage ausgegeben haben? Oder den Bürgerinnen und Bürgern, die nun mal alle irgendwo wohnen müssen – und ohne die es das kreative, coole Berlin ja auch gar nicht gäbe, von dem die Investoren profitieren wollen.
»Sozial, ökologisch und demokratisch« – wohnen im »Spreefeld«
Das Wohnprojekt Spreefeld war vor 10 Jahren auch ein Versuch, Entwicklungen etwas entgegenzusetzen, die sich damals schon deutlich abzeichneten.
Seit den frühen 2000er-Jahren polarisiert das Mega-Projekt Mediaspree die Berliner Stadtgesellschaft. Nach der Wende waren die öffentlichen Kassen leer,
Wie so oft bei der Planung von Großbauprojekten fühlten sich viele Anwohnerinnen und Anwohner außen vor gelassen. Den Neubauten mussten alternative Kulturprojekte weichen, die sich seit dem Mauerfall am ehemaligen Todesstreifen angesiedelt hatten. Bürgerinitiativen wie
Vor diesem Hintergrund betrachtet ist es ein kleines Wunder, dass ein Projekt wie das Spreefeld in den letzten 10 Jahren überhaupt entstehen konnte. Das Grundstück entdeckten die Genossinnen und Genossen mehr oder weniger zufällig, erzählt Michael LaFond.
Kurzporträt der Baugruppe »Spreefeld« für die Ausstellung »Zusammen Wohnen« im Deutschen Architektur Museum Frankfurt von Jule Cramer und Tassilo Letzel (2015)
Zwischen den Häusern fühlt es sich wie eine eigene kleine, fast dörfliche Welt an.
Wer sich das Spreefeld ansehen will, kann einfach in den öffentlich zugänglichen Garten und an das Spreeufer spazieren. Im Erdgeschoss der Häuser sind Büro- und Veranstaltungsräume, in einem von ihnen bereitet eine Gruppe der Klima-Aktivisten von Extinction Rebellion gerade ein Treffen vor.
Innerhalb der Häuser gibt es Wohnungen für verschiedene Lebenssituationen. Im Spreefeld leben Singles, Paare und Familien unterschiedlichen Alters in eigenen Wohnungen mit geteilten Gemeinschaftsbereichen. Michael LaFond selbst wohnt in einer Art WG mit 23 Menschen.
Ein Projekt wie das Spreefeld wäre heute angesichts der explodierenden Grundstückspreise eigentlich nicht mehr möglich, meint Michael LaFond mit einem etwas resignierten Lächeln auf Nachfrage von Tourguide Julius Neu – »jedenfalls nicht ohne Förderungen und Unterstützung von der Stadt«.
Eine Initiative, die sich mehr Unterstützung von der Stadt wünscht, stattdessen aber über Millionenbeträge mit den Behörden im Clinch liegt, will auf der anderen Spreeseite neue Wohnwege gehen.
Wir radeln über die Michaelbrücke, rüber zum Holzmarkt.
Vom Club zum Kreativdorf zur Zukunft des Wohnens? Der »Holzmarkt« und der Kampf um das »Eckwerk«
»Wenn man in New York über Berlin spricht, dann spricht man nicht über die Staatsoper. Die Leute reden über das Nachtleben, über ›Berghain‹ und über uns.« – ›Bar 25‹-Mitbetreiber und ›Holzmarkt‹-Vorstand Juval Dieziger im Interview mit »jetzt.de« im Mai 2009
Die Bar 25 ist längst Geschichte, seit Mai 2017 ist der Holzmarkt quasi der erwachsen gewordene Nachfolger. Hier gibt es neben einem Club und dem Restaurant unter anderem eine Kita, eine Patisserie, eine Musikschule und einen Wochenmarkt. Doch die Genossenschaft hinter dem Holzmarkt wollte mehr: zukunftsfähigen Wohnraum in Berlin schaffen. Deshalb stehen wir heute hier.
An diesem sonnigen Nachmittag im August ist die Stimmung entspannt auf dem weitläufigen Gelände am Fluss. Mit den bunt zusammengewürfelten Skulpturen, Sitzgelegenheiten und einem zirkuszeltartigen Baldachin erinnert das Ganze ein wenig an einen Jahrmarkt. Touristen trinken hier ihr Bier auf Holzbänken, Kinder toben vor den bunt bemalten Gebäuden und schließlich baut sich vor unserer Gruppe ein Mitarbeiter mit weißem T-Shirt, dunkler Cap und Sonnenbrille auf. Im 20-minütigen Schnelldurchlauf prescht er mit uns durch Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Projekts,
Und es geht um das Eckwerk. Auf einem Areal neben dem heutigen Holzmarkt-Gelände sollte ein modernes Gebäude-Ensemble mit veränderbaren Grundrissen entstehen.
Wollten die Holzmarkt-Macher, die wie ihre Nachbarn von der anderen Spreeseite als Genossenschaft organisiert sind, zu viel? Jedenfalls gab es Probleme mit dem Bebauungsplan und schließlich einen Konflikt mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft und dem zuständigen Baustadtrat. Derzeit liegt das Projekt auf Eis, die Fronten scheinen verhärtet.
Der Holzmarkt-Guide eilt genauso schnell davon, wie er mit uns die Projektmappe zum Eckwerk durchgeblättert hat. Er mache dasselbe jetzt noch einmal für eine internationale Gruppe, ruft er uns noch zu. Es entsteht der Eindruck: Hier sind Profis am Werk, die einerseits keine Lust haben, sich den Verhältnissen einfach so zu ergeben – die andererseits aber ganz genau verstanden haben, wie das kapitalistische Spiel und die Verwertungslogik funktionieren.
Auch der Holzmarkt war eine Antwort auf die Mediaspree und den großen Ausverkauf der Stadt um den ehemaligen Mauerstreifen. Wer sich in all die Kämpfe einliest, die in den vergangenen Jahren hier zwischen Kapital und Kiezbewohnern ausgefochten wurden, dem kann schnell mal die Luft wegbleiben, insbesondere nach einem atemlosen Vortrag wie diesem.
Gut, dass die letzte Station unserer Tour eine kleine Oase ist, die sich jeglicher Verwertungslogik beharrlich entzieht.
Eine Zeitreise zurück in die 90er-Jahre: Die »Wagenburg Lohmühle«
Auf dem Grundstück der
Auch die Wagenburg steht auf dem ehemaligen Mauerstreifen. Im Jahr 1991 besetzte eine Mischung aus Punks, Hippies und Aussteigern das Areal, für das sich direkt nach der Wende niemand interessierte. Das änderte sich natürlich mit den Jahren. Nach einer chaotischen Anfangszeit mit ungehindertem Zuzug, Drogenexzessen und Lärm, in der »wenig Rücksicht auf die umliegende Bevölkerung genommen wurde«, wie einer der Bewohner erzählt, gab sich die Gemeinschaft ein paar Regeln: keine harten Drogen, keine Vermüllung, keine Ruhestörung. Dann klappte es auch mit den Nachbarn, die die Wagenburg mit den Jahren auch als Veranstaltungs- und Kulturort schätzen lernten. Seit den 2000er-Jahren läuft alles in rechtlich geregelten Bahnen, die Wagenburg-Bewohner haben einen Verein gegründet, der das Gelände pachtet. Bis Mitte 2021 läuft der Vertrag, wie es danach weitergeht, ist ungewiss.
Heute wohnen hier Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen. Jeden Montag ist Plenum, eine Regel, mit wie vielen Stunden man sich in das gemeinsame Projekt Wagenburg einbringen muss, gibt es nicht. Ein Bewohner der ersten Stunde führt uns herum und sagt nachdenklich: »Meine Generation hatte mehr Zeit. Eigentlich ist es erstaunlich, dass die jungen Leute das mit ihrer Belastung hier so gut stemmen.« Er schätzt die Entschleunigung, zu der ihn das Leben in der Wagenburg zwingt, wo man sich gut überlegen muss, wie viel Wasser man wofür aufwendet. Aber auch die Kreativität, die in dieser Wohnform freigesetzt wird, und
Warum Druck von unten so wichtig ist
Unabhängigkeit von
Aber wie sieht sie denn nun aus, die Zukunft des selbstbestimmten Wohnens? Nachdenklich steht unsere Gruppe im Veranstaltungsbereich der Wagenburg zusammen.
Im grünen Innenhof der Genossenschaft Spreefeld war ein Teilnehmer der Radtour mit vehementem Optimismus dazwischengefahren, als Michael LaFond über die explodierenden Preise und schrumpfende Möglichkeitsräume für ähnliche Projekte sinniert hatte. »Das kann doch nicht sein! Wir wählen doch hier mehrheitlich Parteien, die sich gegen den Mietenwahnsinn positionieren!« Und schließlich gäbe es ja noch den Druck von unten.
Der ist in Berlin tatsächlich stärker ausgeprägt als in anderen Städten. Dass hier noch keine Verhältnisse wie in Paris oder London herrschen, ist wohl auch diesem kritischen Aktivismus zu verdanken. Ein gutes Beispiel dafür ist die
Titelbild: Katharina Wiegmann - copyright