Soll ich jetzt auch noch auf Fernflüge verzichten?
Zusammen sind unsere beiden Autorinnen 4-mal um die Welt geflogen. Eine will weiterfliegen, die andere nicht.
Eine Freundin hat dich zum Kaffeetrinken eingeladen. Sie hat große Neuigkeiten. »Das muss ich dir persönlich erzählen! 😉«, lautet ihre letzte Nachricht, die du noch einmal durchliest, während du mit Amarettokeks nebst Sojalatte im Café auf sie wartest. Endlich fliegt die Tür auf. Deine Freundin schmeißt sich auf den Stuhl gegenüber, grinst über beide Backen. Und? »Ich fliege für ein paar Monate nach Indien! Backpacken!«, platzt es aus ihr heraus. Jetzt bist du dran. Wie reagierst du?
»Ich würde nicht fliegen!«
»Ja, super. Guten Flug!«
Entscheide, welche Antwort du zuerst lesen willst.
Fliegen ist Luxus
von Katharina EhmannZuerst ein Geständnis: Ich habe viele Flugmeilen auf meinem Konto. Damit befinde ich mich für meine Argumentation in einer bequemen Position. Selbst wenn ich tatsächlich nie wieder eine Flugreise buche – ich habe die damit verbundenen Erfahrungen immerhin schon gemacht.
Beim Gedanken, was mir noch entgehen könnte, wenn ich nie wieder fliege, rutscht mir das Herz in die Hose. Ich werde unruhig, allein die Überlegung, kaum oder überhaupt nicht mehr zu fliegen, kommt mir gewagt vor. Ich habe Angst, etwas zu verpassen. Dabei geht es mir weniger um Likes für meine Urlaubsbilder auf Instagram als um meine Weiterentwicklung.
Was fehlt mir, wenn ich niemals durch Südamerika reise? Ist mein Blick auf die Welt ein anderer, wenn ich nie mehr in ein Flugzeug steige?
Aber es geht
Und ja, der Verzicht aufs Fliegen wird
Bedeutet Fliegen, frei zu sein?
Denn weniger zu fliegen verlangt uns etwas scheinbar Unmögliches ab: Freiheit aufzugeben. Flugreisen machen es möglich, Grenzen zu sprengen. Die Grenzen meiner eigenen Muskelkraft, indem ich Orte erreiche, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unerreichbar wären. Und auch die Grenzen meiner Zeit, indem ich Ziele schneller erreiche als mit dem Auto oder dem Zug. Meine Existenz, ein winziger Punkt auf der Weltkarte, dehnt sich per Himmelsroute über den ganzen Globus.
Tschau, ich bin raus, wer suchet, verschwindet!
Ich
Ich fühl’ mich wie zuhause / Nur zuhause will ich weg / Und wieder buch’ ich Flüge auf die Schnauze / Von zuhause in die Traufe / Denn woanders ist auch, wenn man das genau / Betrachtet, ein verkapptes Hier
Die Flugreise ist das Symbol westlicher Freiheit und einer Kultur der Selbstverwirklichung. Ich glaube, es ist zu viel Freiheit.
Denn am Ende schränkt meine Möglichkeit, mich reisend »weiterzuentwickeln«, die Freiheit anderer ein. Mein
Schaue ich ehrlich in die Welt, muss ich mir eingestehen:
Denn ich will gute Luft, ich bin naturbewusst / Ich zahle auch den Preis, Flugzeugschmutz im CO2-Fußabdruck
Oh, wie schön ist die Nachbarschaft!
Trotzdem sollten wir weiterreisen. Nur eben anders. Die Reise per Flugzeug in weite Ferne sollte nicht mehr die Standard-Option sein.
Mitten in der ökologischen Debatte um Flugreisen ist der Spruch »Das Gute liegt so nah« und Janoschs Geschichte
Ja, Zug- und Autofahrten »klauen« uns wertvolle Urlaubszeit, die wir so schnell wie möglich am Zielort verbringen wollen. Aber vielleicht bekommen wir dadurch ein anderes Gefühl für Zeit und Raum. Der Weg wird wieder zum Ziel, wenn ich die sich verändernde Landschaft an mir vorbeiziehen sehe und auf dem Weg nach Krakau einen Zwischenstopp in Leipzig und Breslau einlege.
Bei einer Fahrradtour durch Frankreich wachse ich daran, dass ich Wind, Wetter und meiner eigenen Kraft ausgeliefert bin. In Polen muss ich Sprachbarrieren überwinden, die Extremadura Spaniens zeigt mir den Sternenhimmel ohne Lichtsmog. In Dänemark kann ich auf einer ökologischen Farm mit anpacken, in der Sächsischen Schweiz Gipfel erklimmen. Das Gute liegt nah – oder zumindest näher als gedacht.
Das Recht auf Fliegen
von Juliane MetzkerWir steigen, drehen uns fast überkopf und fallen. Unter uns wirbeln Felder und Wälder. Ich lache. Aus Angst. Ich bin 21 Jahre alt und frage mich gerade ernsthaft, ob es das schon gewesen ist mit meinem Leben. Ich wollte nie fliegen. Niemals. Jetzt summt vor mir der Propeller einer kleinen Cessna. Mein Kommilitone hat mich eingeladen, von Hamburg nach Sankt Peter-Ording ans Meer zu fliegen. Stunts inklusive.
Die Cessna sollte mich auch auf meine erste große Flugreise nach Damaskus vorbereiten. Auslandsaufenthalte gehörten zu meinem Studium der Islamwissenschaft dazu. 10 Jahre ist mein erstes Mal jetzt her. Seitdem bin ich 1–3 Mal pro Jahr geflogen, vor allem in arabische Länder. Und neben meiner Flugangst, die Grund genug wäre, nie wieder Fuß in diese Höllenmaschinen zu setzen, schleichen sich zunehmend ökologische Bedenken ein. Klar,
Aber auf Fernreisen im Flieger würde ich niemals komplett verzichten. Mehr noch: Ich glaube, wenn wir das Fliegen lassen, werden wir noch unsicherer gegenüber anderen Kulturen und Menschen,
Austausch beflügelt
In Kommentaren gegen das Fliegen lese ich immer nur über
Denn Menschen, die sich Zeit und Geld nehmen können, um zu reisen, bringen vielleicht ein wichtiges Gut zurück in ihre alte Heimat – ein globales Verständnis und Toleranz. Sie haben die Chance, zu verstehen, warum Menschen auf dieser Welt unterschiedlich denken, dass Gesellschaften anders sein, aber trotzdem funktionieren können. Damit wir uns richtig verstehen: Sicher können auch Menschen, die nicht ins Ausland reisen, ähnlich tolerant sein. Aber ich glaube, dass es schwieriger ist, die Perspektive zu ändern, wenn man sein bekanntes Umfeld nie verlässt.
Fliegen ist ein Privileg
Mir ist bewusst, dass Fliegen auf vielen Ebenen ein Privileg ist. Nicht jeder kann es sich leisten, mal eben einen Langstreckenflug nach Nicaragua zu buchen. Und es geht nicht nur ums liebe Geld. Als ich das erste Mal mit gleichaltrigen Libanesen übers Fliegen ins Gespräch kam, war ich überrascht. Die meisten sind nämlich noch nie geflogen. Warum? Mit ihren Pässen können sie ohne Visum momentan in lediglich
Zum Vergleich: Ich könnte mit meinem weinroten Superpass in 127 Ländern visumfrei Erfahrungen sammeln. Wenn ein Libanese nach Deutschland fliegen will, braucht er erst einmal ein Kilo an Formularen und Nachweisen plus viel Wartezeit. Und selbst dann stehen die Chancen noch schlecht, ein Visum ausgestellt zu bekommen.
Was würde passieren, wenn sie und viele andere dasselbe Recht auf Fliegen hätten? Wäre unsere Welt eine friedlichere und fairere? Ich würde sagen: ja.
Das Recht auf Fliegen
von Juliane MetzkerWir steigen, drehen uns fast überkopf und fallen. Unter uns wirbeln Felder und Wälder. Ich lache. Aus Angst. Ich bin 21 Jahre alt und frage mich gerade ernsthaft, ob es das schon gewesen ist mit meinem Leben. Ich wollte nie fliegen. Niemals. Jetzt summt vor mir der Propeller einer kleinen Cessna. Mein Kommilitone hat mich eingeladen, von Hamburg nach Sankt Peter-Ording ans Meer zu fliegen. Stunts inklusive.
Die Cessna sollte mich auch auf meine erste große Flugreise nach Damaskus vorbereiten. Auslandsaufenthalte gehörten zu meinem Studium der Islamwissenschaft dazu. 10 Jahre ist mein erstes Mal jetzt her. Seitdem bin ich 1–3 Mal pro Jahr geflogen, vor allem in arabische Länder. Und neben meiner Flugangst, die Grund genug wäre, nie wieder Fuß in diese Höllenmaschinen zu setzen, schleichen sich zunehmend ökologische Bedenken ein. Klar,
Aber auf Fernreisen im Flieger würde ich niemals komplett verzichten. Mehr noch: Ich glaube, wenn wir das Fliegen lassen, werden wir noch unsicherer gegenüber anderen Kulturen und Menschen,
Austausch beflügelt
In Kommentaren gegen das Fliegen lese ich immer nur über
Denn Menschen, die sich Zeit und Geld nehmen können, um zu reisen, bringen vielleicht ein wichtiges Gut zurück in ihre alte Heimat – ein globales Verständnis und Toleranz. Sie haben die Chance, zu verstehen, warum Menschen auf dieser Welt unterschiedlich denken, dass Gesellschaften anders sein, aber trotzdem funktionieren können. Damit wir uns richtig verstehen: Sicher können auch Menschen, die nicht ins Ausland reisen, ähnlich tolerant sein. Aber ich glaube, dass es schwieriger ist, die Perspektive zu ändern, wenn man sein bekanntes Umfeld nie verlässt.
Fliegen ist ein Privileg
Mir ist bewusst, dass Fliegen auf vielen Ebenen ein Privileg ist. Nicht jeder kann es sich leisten, mal eben einen Langstreckenflug nach Nicaragua zu buchen. Und es geht nicht nur ums liebe Geld. Als ich das erste Mal mit gleichaltrigen Libanesen übers Fliegen ins Gespräch kam, war ich überrascht. Die meisten sind nämlich noch nie geflogen. Warum? Mit ihren Pässen können sie ohne Visum momentan in lediglich
Zum Vergleich: Ich könnte mit meinem weinroten Superpass in 127 Ländern visumfrei Erfahrungen sammeln. Wenn ein Libanese nach Deutschland fliegen will, braucht er erst einmal ein Kilo an Formularen und Nachweisen plus viel Wartezeit. Und selbst dann stehen die Chancen noch schlecht, ein Visum ausgestellt zu bekommen.
Was würde passieren, wenn sie und viele andere dasselbe Recht auf Fliegen hätten? Wäre unsere Welt eine friedlichere und fairere? Ich würde sagen: ja.
Fliegen ist Luxus
von Katharina EhmannZuerst ein Geständnis: Ich habe viele Flugmeilen auf meinem Konto. Damit befinde ich mich für meine Argumentation in einer bequemen Position. Selbst wenn ich tatsächlich nie wieder eine Flugreise buche – ich habe die damit verbundenen Erfahrungen immerhin schon gemacht.
Beim Gedanken, was mir noch entgehen könnte, wenn ich nie wieder fliege, rutscht mir das Herz in die Hose. Ich werde unruhig, allein die Überlegung, kaum oder überhaupt nicht mehr zu fliegen, kommt mir gewagt vor. Ich habe Angst, etwas zu verpassen. Dabei geht es mir weniger um Likes für meine Urlaubsbilder auf Instagram als um meine Weiterentwicklung.
Was fehlt mir, wenn ich niemals durch Südamerika reise? Ist mein Blick auf die Welt ein anderer, wenn ich nie mehr in ein Flugzeug steige?
Aber es geht
Und ja, der Verzicht aufs Fliegen wird
Bedeutet Fliegen, frei zu sein?
Denn weniger zu fliegen verlangt uns etwas scheinbar Unmögliches ab: Freiheit aufzugeben. Flugreisen machen es möglich, Grenzen zu sprengen. Die Grenzen meiner eigenen Muskelkraft, indem ich Orte erreiche, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unerreichbar wären. Und auch die Grenzen meiner Zeit, indem ich Ziele schneller erreiche als mit dem Auto oder dem Zug. Meine Existenz, ein winziger Punkt auf der Weltkarte, dehnt sich per Himmelsroute über den ganzen Globus.
Tschau, ich bin raus, wer suchet, verschwindet!
Ich
Ich fühl’ mich wie zuhause / Nur zuhause will ich weg / Und wieder buch’ ich Flüge auf die Schnauze / Von zuhause in die Traufe / Denn woanders ist auch, wenn man das genau / Betrachtet, ein verkapptes Hier
Die Flugreise ist das Symbol westlicher Freiheit und einer Kultur der Selbstverwirklichung. Ich glaube, es ist zu viel Freiheit.
Denn am Ende schränkt meine Möglichkeit, mich reisend »weiterzuentwickeln«, die Freiheit anderer ein. Mein
Schaue ich ehrlich in die Welt, muss ich mir eingestehen:
Denn ich will gute Luft, ich bin naturbewusst / Ich zahle auch den Preis, Flugzeugschmutz im CO2-Fußabdruck
Oh, wie schön ist die Nachbarschaft!
Trotzdem sollten wir weiterreisen. Nur eben anders. Die Reise per Flugzeug in weite Ferne sollte nicht mehr die Standard-Option sein.
Mitten in der ökologischen Debatte um Flugreisen ist der Spruch »Das Gute liegt so nah« und Janoschs Geschichte
Ja, Zug- und Autofahrten »klauen« uns wertvolle Urlaubszeit, die wir so schnell wie möglich am Zielort verbringen wollen. Aber vielleicht bekommen wir dadurch ein anderes Gefühl für Zeit und Raum. Der Weg wird wieder zum Ziel, wenn ich die sich verändernde Landschaft an mir vorbeiziehen sehe und auf dem Weg nach Krakau einen Zwischenstopp in Leipzig und Breslau einlege.
Bei einer Fahrradtour durch Frankreich wachse ich daran, dass ich Wind, Wetter und meiner eigenen Kraft ausgeliefert bin. In Polen muss ich Sprachbarrieren überwinden, die Extremadura Spaniens zeigt mir den Sternenhimmel ohne Lichtsmog. In Dänemark kann ich auf einer ökologischen Farm mit anpacken, in der Sächsischen Schweiz Gipfel erklimmen. Das Gute liegt nah – oder zumindest näher als gedacht.
Mit Illustrationen von Adrian Szymanski für Perspective Daily