»Sie lügen nicht!«
Wie »Bild«, »Fox News« und Co. ganz ohne Bestechung und Zensur einer Handvoll Milliardären in die Tasche spielen. Und wie ein niederländischer Historiker dieses Spiel entlarvt.
Why don’t you go fuck yourself,
Der Fox-News-Moderator Tucker Carlson ist außer sich. Dabei hat das Interview nur wenige Minuten gedauert, bis er sich nur noch mit Schimpftiraden zu verteidigen weiß.
Es wird niemals im TV ausgestrahlt.
Was hat den sonst so souveränen Medienprofi Carlson derart in Rage versetzt? Zugeschaltet war ein 30-jähriger Historiker aus den Niederlanden namens Rutger Bregman. Mit ihm wollte sich der Moderator des konservativen US-TV-Senders Fox eigentlich über die Steuertricks von Milliardären unterhalten.
Doch es kam anders. Bregman stieß den Moderator mit seiner Meinung vor den Kopf: Viele einflussreiche Medienvertreter in den USA seien kaum besser als die Superreichen, die sich vor ihrem Beitrag zum Gemeinwesen drücken: »Sie sind ein Millionär, der von Milliardären finanziert wird! Sie sind kein Teil der Lösung, Mister Carlson. Sie sind Teil des Problems.«
Damit traf Bregman offenbar einen Nerv: Der nachträglich von Bregman veröffentliche Mitschnitt sorgte weltweit für Aufsehen. Da Fox News sich weigerte, das Telefoninterview auszustrahlen, veröffentlichte Bregman dieses im Nachhinein auf dem Nachrichtenportal Now This:
Doch Bregman attackiert nicht bloß Tucker Carlson, er lenkt die Aufmerksamkeit auch auf das seiner Meinung nach grundlegende Übel: Superreiche, die mit ihrem Geld dafür sorgen, dass Mediengrößen die drängendsten Probleme unserer Zeit wie die Klimakrise oder extreme Ungleichheit verharmlosen – und stattdessen Immigranten zu den Sündenböcken erklären.
Was ist dran an Bregmans Vorwürfen? Wie beeinflussen die Superreichen über die Medien die Öffentlichkeit konkret – ganz ohne Zensur und Bestechung?
Und was können wir dagegen tun?
Niederländischer Historiker vs. Trumps »Einflüsterer«
Bregmans Vorwurf: Carlson lasse sich von Milliardären finanzieren, damit er mit seinem Programm bei Fox News die Wut der Menschen über soziale Ungleichheiten auf Minderheiten und Migranten ablenke.
Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Schließlich hat Fox News einen direkten Draht ins Weiße Haus.
Doch der gute Draht zwischen Trump und Carlson ist nur die Spitze des Eisbergs. Nachdem Bregman kritisierte, dass Menschen wie Carlson einem Mann ins Präsidentenamt verholfen hätten, der nicht einmal seine Steuererklärung offenlegen wolle, und er Korruption dahinter vermute, fragt Carlson empört: »Und ich erhalte Befehle von den Murdochs, ist es das, was Sie sagen wollen?«
»Na ja, so direkt läuft das nicht«, entgegnete Bregman.
Aber wie dann?
Wie Rupert Murdochs globaler Medienkonzern die Welt beeinflusst
Klar ist: Tucker Carlson ist keinesfalls so unabhängig, wie er sich vielleicht selbst sieht. Denn sein Arbeitgeber, der TV-Sender Fox, ist
Neben Fox gehören Rupert Murdoch noch
Und diesen Einfluss nutzte die täglich erscheinende Zeitung immer wieder, um ganz im Sinne Rupert Murdochs Einfluss auf die Politik zu nehmen: So unterstützte sie in den 1970er-Jahren im großen Stil den Wahlkampf Margret Thatchers zur Premierministerin, die Großbritannien mit ihrer Politik aus Deregulierung, Steuersenkungen und Nationalismus (»Thatcherismus«) in den Folgejahren nachhaltig prägte. Bonus für Murdoch: Nach ihrer Wahl genehmigte Thatcher, das Anti-Monopol-Gesetz des Landes ignorierend, die
Murdoch selbst macht keinen Hehl aus seinen persönlichen politischen Präferenzen.
Doch Rupert Murdoch ist laut Rutger Bregman nicht der einzige Milliardär, der Mediengrößen wie Tucker Carlson beeinflusst: Im Interview wirft Bregman Carlson vor, früher Teil des Cato Institute gewesen zu sein: »Sie haben deren schmutziges Geld angenommen!«
Das Cato Institute ist ein
Hier erfahrt ihr alles über den Einfluss des »Kochtopus« auf die US-Politik und die Klimakrise:
Es ist in vielen Fällen bereits sehr aufschlussreich, Besitzverhältnisse und Geldströme wie diese nachzuvollziehen. Doch das allein erklärt noch nicht, wie Systeme wie diese die Menschen beeinflussen, die sich in ihnen bewegen.
Das funktioniert ganz ohne direkte Bestechung und Zensur. Zumindest, wenn man einem der bedeutendsten Intellektuellen unserer Zeit Glauben schenken mag: Noam Chomsky.
Eine Zensur findet nicht statt – ist aber auch gar nicht nötig
In seinem Aufsatz
Chomskys These funktioniert über die Themensetzung: Ob bestimmte Themen wie Klimawandel oder Migration wochenlang die Schlagzeilen bestimmen oder aber nur als Randnotiz ein kurzes Aufmerksamkeitsfenster bekommen, entscheidet darüber, wie sie in der Öffentlichkeit nachhallen und als »wichtig« wahrgenommen werden. Doch im Hintergrund gibt es dafür keine geheimen Befehle, Zensur oder Bestechungen: »Wenn jemand die Medien kritisiert, werden ihre Vertreter schnell wütend. Sie sagen dann: ›Niemand sagt mir, was ich zu schreiben habe. Ich schreibe, was ich will.‹ Und das ist auch absolut wahr«, so Chomsky. Der Mechanismus der Themensetzung funktioniere anders.
Chomsky geht davon aus, dass der kritisierte Medienvertreter – in unserem Beispiel Tucker Carlson – gar nicht erst so weit auf der Karriereleiter gekommen wäre, wenn er nicht schon in der Vergangenheit bewiesen hätte, dass ihm niemand erst etwas vorschreiben muss. Und zwar, weil er ohnehin das sage, was von ihm erwartet werde. Chomsky beschreibt das so: »Wenn sie ganz unten angefangen haben und an der falschen Art von Storys gearbeitet hätten, wären sie niemals in so hohe Positionen gekommen, in denen sie wirklich sagen können, was sie wollen.«
Diese Betrachtungsweise passt auf Tucker Carlson bezogen gleich mehrfach: So war er jahrelang am Cato Institute tätig, das von Milliardären wie den Koch-Brüdern finanziert wird, die den Republikanern nahestehen. Parallel dazu steht er seit 2009 bei Fox News unter Vertrag und tritt zu dieser Zeit häufig als politischer Kommentator auf. Als Trump dann 2016 für die Republikaner als Präsident ins Weiße Haus einzog, bekam Carlson mit Tucker Carlson Tonight seine eigene Show zur besten Sendezeit – einfach weil er der Moderator ist, der zum System passt. Und dort dann die Dinge sagt, die im Interesse der Milliardäre sind, die das System um ihn herum aufgebaut haben.
Rutger Bregman scheint diese Sichtweise zu teilen. Das machte er nicht nur im Interview mit Carlson selbst klar (»Sie sind ein Millionär, der von Milliardären finanziert wird!«), sondern auch rückblickend einige Monate später:
Carlson glaubt wahrscheinlich wirklich, was er sagt. Aber der Punkt ist: Deshalb hat man ihm die Sendung gegeben. Fox News verbreitet Lügen und Hass und verdient damit viel Geld.
Genau deshalb kritisiert Chomsky seit über 20 Jahren das System der großen Massenmedien in der Hand einiger weniger. Für ihn sind sie – egal ob rechts-konservativ wie Rupert Murdochs Fox News oder eher links-progressiv – nichts anderes als Unternehmen der Privatwirtschaft und damit Spiegelbilder eines kapitalistischen Herrschaftssystems, das mit den Idealen einer Demokratie nicht viel gemein hat. Chomsky fasst es so zusammen: »Wenn dir nicht gefällt, was sie tun, dann fliegst du raus. […] Das Ganze ist eine Art Filtermechanismus, der am Ende Menschen hervorbringt, die wirklich und aufrichtig die Glaubenssätze und Verhaltensregeln der sie umgebenden Machtsysteme verinnerlicht haben. Sie lügen nicht!«
In einem solchen System sind direkte Befehle oder Zensur der Besitzer dieser Medienimperien, den Murdochs und Kochs dieser Welt, gar nicht nötig. Durch Moderatoren auf Linie kommen »die richtigen Themen« wie von selbst auf die Tagesordnung.
Doch wie tritt man gegen ein solches System an?
So verstopfen wir den Meinungsfilter
Zugegeben: Die Medienlandschaft mit der Chomsky-Brille zu betrachten hinterlässt den faden Beigeschmack von: »Und was fange ich jetzt damit an?« Doch erst die so gewonnene Sehschärfe ermöglicht es uns, Sand in das Getriebe des Filtermechanismus zu streuen.
Mit den Infos über seine Funktionsweise im Gepäck lassen sich mindestens 3 Lehren aus der Betrachtung ziehen:
- Die Konzentration der Medien in der Hand von wenigen hinterfragen: Am Beispiel Rupert Murdochs wird deutlich, wie groß der Einfluss von großen Medienkonzernen auf die globale Politik ist. Doch auch bei uns in Deutschland haben wir mit der börsennotierten Axel-Springer-Verlagsgruppe einen Medienriesen mit fast 3,2 Milliarden Euro Jahresumsatz, dessen Einfluss durch die Bild, Die Welt, Business Insider und viele weitere seit Jahrzehnten immer wieder für Diskussionen sorgt.
Und Medienmacht konzentriert sich: Erst vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass der US-amerikanische
Dazu braucht es vor allem eines: Klicks. Denn auf diese Weise steigen die Einnahmen aus der geschalteten Werbung. Durch Chomskys Brille gesehen verwundert es da kaum, dass steile Thesen und reißerische Überschriften auf dem Vormarsch sind.
Schon jetzt stimmt die Bild immer häufiger in die
Deswegen kann unabhängiger Journalismus nur werbefrei und mitgliederfinanziert funktionieren, wie David Ehl hier erklärt:
- Unabhängigkeit von Bildungseinrichtungen verteidigen: Laut Chomsky funktionieren alle unsere gesellschaftlichen Institutionen wie ein Filter, angefangen bei unseren Bildungseinrichtungen.
- Fragen, wie es weitergehen kann: Der Ansatz von Historiker und Journalist Rutger Bregman spricht dem Konstruktiven Journalismus aus dem Herzen:
Das bewies er bereits 2018 beim Weltwirtschaftsforum in Davos, als er in einer Gesprächsrunde mit den Reichen und Mächtigen dieser Welt unerwartete Töne anschlug und deren Scheinheiligkeit kritisierte:Niemand spricht darüber, dass die Reichen nicht ihren fairen Anteil an Steuern zahlen. Es kommt mir vor, als wäre ich auf einer Feuerwehr-Konferenz, auf der es verboten ist, über Wasser zu sprechen. Hört einfach auf, über Spenden und Philanthropie zu reden, und fangt endlich an, über Steuern zu sprechen. Der ganze Rest ist meiner Meinung nach Bullshit.
Wenn wir also mehr über das Wasser erfahren wollen, das die Brandherde dieser Welt zu löschen vermag, hast du soeben schon einen wichtigen Schritt gemacht: Du hast diesen Text gelesen, der bei einem mitgliederfinanzierten, werbefreien Medium erschienen ist. Denn auch für Medien gilt:Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen.
Wenn du noch mehr Argumente für Konstruktiven Journalismus suchst, findest du sie hier:
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily