Zum Beispiel an Rechtsradikale in Deutschland. Gespräche mit ihnen helfen nicht weiter, sagt der politische Aktionskünstler Philipp Ruch. Er hat eine radikal andere Idee, wie wir die Demokratie retten können.
26. September 2019
– 9 Minuten
Philipp Ruch ist alarmiert. Es ist der Abend nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. In beiden Bundesländern wurde die AfD gerade zweitstärkste Kraft, als der künstlerische Leiter des »Zentrums für Politische Schönheit« (ZPS) auf der Bühne des Berliner Gorki-Theaters über das schimpft, was er den »beschwichtigenden Zeitgeist« nennt.
Damit meint er den Reflex, auf die Mehrheit zu verweisen, die eben nicht die AfD gewählt habe – um es sich danach wieder schön kuschelig auf der Couch zu machen.
Kompromisslos sind auch die Aktionen des »Zentrums für Politische Schönheit«. Dem AfD-Politiker Björn Höcke etwa, der das Holocaust-Mahnmal als »Denkmal der Schande« bezeichnete, das sich »die Deutschen als einziges Volk der Welt in das Herz seiner Hauptstadt« gepflanzt hätten, pflanzten die Aktivistinnen und Aktivisten des ZPS
Philipp Ruch macht Kunst mit politischem Programm. Sie soll eine Gesellschaft aufrütteln, die längst in moralischer Apathie versunken ist – so lautet zumindest die Diagnose an diesem Abend.
Warum Ruch glaubt, dass Kunst im Kampf gegen Demokratiefeinde mehr leisten kann als Wissenschaft und Journalismus, er der CDU nicht über den Weg traut und die Polarisierung der Gesellschaft für ein »gefährliches Märchen« hält, erklärt er im Interview, das wir einige Wochen nach der Buchpremiere schriftlich geführt haben.
Wen würden Sie einladen, wenn Sie morgen zur besten Sendezeit eine TV-Talkshow besetzen könnten?
Philipp Ruch: und Ich will einmal mitansehen, wie intelligente Historiker einen Holocaust-Relativierer im Rudel reißen. Das würde ich mir angucken.
Eigentlich sind Sie ja der Ansicht, dass Politiker in Fernsehdebatten nichts verloren haben …
Philipp Ruch:
Ich fordere: »Politiker raus!«. Wir haben jetzt oft und lange genug die Ideenlosigkeit, Langweiligkeit und Abgestandenheit von Politikern in Talkshows gesehen.
Das Einzige, was ihnen einfällt, ist so etwas wie Jens Spahns Forderung nach der Die wollen alle irgendetwas wiedereinführen – sogar die D-Mark. Da hätten die 68er auch ausfallen können, wenn danach nur Retropolitik folgt: Das Berliner Stadtschloss wird wiederaufgebaut, die Frau am Herd prämiert und als nächstes Es scheint, als hätten wir den Zenit des Fortschritts überschritten. Wo war sie denn eigentlich, die wirklich wichtige Debatte, Wo hat sie sich versteckt? Von sich aus reden Politiker nicht über ihre mörderische Politik.
Um welches Thema würde es denn in der Talkshow mit Alexander Gauland gehen?
Philipp Ruch:
Bei »Gauland im Kreuzfeuer« ginge es darum, ihn ein für alle Mal intellektuell kaltzumachen. Wissen Sie, die meisten FAZ-Leser schätzen Götz Aly. Sie schätzen, was ein so kluger wie belesener Experte des Faschismus wie Michael Wildt sagt. Und sie schätzen Gauland. Und plötzlich müssen sie mitansehen, wie dieser Gauland auf 4 Menschen trifft, denen er politisch, intellektuell und menschlich überhaupt nicht gewachsen ist.
Die AfD könnte aus lauter Naturheilern Gauland würde sich kein bisschen anders verhalten. Ihm ist vollkommen egal, was die AfD ist oder wofür sie steht. Hauptsache, er ist auf seine alten Tage noch einmal groß in allen Zeitungen.
»Wir können diesen Konservativen, die hier so rumlaufen, nicht genug misstrauen. Die werden die Demokratie verraten, ohne mit der Wimper zu zucken.«
Es handelt sich beim Aufstieg der AfD, im Osten die zweitstärkste, bundesweit die drittstärkste Kraft, um nicht weniger als das Ende der deutschen Nachkriegsordnung. Ich habe überhaupt keine Angst vor diesen ganzen neuen Nationalsozialisten. Angst macht mir der deutsche Konservatismus. Wir können diesen Konservativen, die hier so rumlaufen, nicht genug misstrauen. Die werden die Demokratie verraten, ohne mit der Wimper zu zucken. Wer ist denn da jetzt und scharrt mit den Hufen: und Traut irgendwer diesen Ikonen des politischen Talents zu, die Demokratie zu verteidigen? Die würden sich doch alle sofort mit einer rechtsextremen Organisation, die sich als Partei tarnt, ins Bett legen, nur um dann irgendwelche Schlösser oder wiedereinzuführen.
Als Heilmittel gegen die wird von vielen Seiten gefordert: Wir müssen mehr miteinander reden, um die Ängste und Sorgen des anderen – gemeint ist damit in der Regel: des mit der AfD sympathisierenden – politischen Lagers zu verstehen. Sie halten nichts davon, mit Rechten zu reden. Kann das persönliche Gespräch denn unter manchen Umständen doch eine Lösung sein?
Philipp Ruch:
Unser dämliches »Mit Rechten reden« unterschätzt bei Weitem, welche Aufgabe Politiker in einem Diskurs für sich sehen. Haben Sie jemals einen Politiker erlebt, der in einer Talkshow seine Position geräumt und seinem Gegenüber zugestanden hätte: »Du hast recht«?
Es ist einer unserer größten Fehler zu glauben, dass eine totalitäre Partei 100% der Stimmen brauche. Es genügen 33,1%; so viele waren es für die NSDAP im November 1932, bei den letzten Reichstagswahlen, bevor Hitler Kanzler wurde.
»Die Mitte wählt ziemlich extrem«
Wir haben die ersten klugen Köpfe, die ernsthaft ein »Mit Rechten regieren« fordern. Die AfD solle doch mal »zeigen, was sie kann«. Also ich weiß, was der Faschismus beim letzten Mal in Deutschland angerichtet hat. Ich muss das nicht noch mal gezeigt bekommen. Nach allem, was die AfD angekündigt hat – von der »Entsorgung« unserer Mitbürger bis hin zur –, brauche ich keine Beweisführung, dass sie das ernst meinten. Natürlich meinen sie das ernst. Vollkommen ernst.
Die in den vergangenen Jahren viel diskutierte Polarisierung halten Sie für Was genau meinen Sie damit?
Philipp Ruch:
Wer das Klagelied darüber anstimmt, wie gespalten das Land doch sei, dem geht es im Kern darum, sich als besonders moderat zu inszenieren.
Mit diesem Märchen gibt es 2 Probleme. Erstens ist es ziemlich dreist, den Terror des Rechtsextremismus gegen die deutsche Demokratie und die zivilgesellschaftliche Verteidigung von Humanität, Aufklärung und Menschenrechten als »gesellschaftliche Polarisierung« zu erzählen.
Aber schlimmer ist, dass wir seit 1932 sehr genau wissen, von wem Hitler gewählt wurde. 60% der NSDAP-Wähler kamen aus der Mittel-, nicht aus der Arbeiterschicht. Daraus formten kluge Geister die Theorie, die sie den Wir haben das durch die ganzen Jubelfeiern auf die »Mitte« als Träger von Gesellschaft und Demokratie längst vergessen. Aber diese Mitte wählt ziemlich extrem. Die Mitte ist nicht das, wofür wir sie halten. Auch die Kunst weiß das. Sie finden das Wissen um den Extremismus der Mitte überliefert in einem der wichtigsten Werke Er nannte sein Bild sogar »Die Stützen der Gesellschaft«. Scheint mir wieder ziemlich aktuell zu sein.
Bei der Buchpremiere haben Sie gesagt: »Ich will wissen, wo und wie Kinder sterben. Wir müssen das wissen.« Nun werden wir Und es gibt Studien, die zeigen, dass dieses Dauerfeuer an Negativnachrichten Menschen mit einem Gefühl der Hilflosigkeit zurücklässt und eben nicht zu einer Einstellung beiträgt, selbst etwas verändern zu können. Das mag vielleicht zynisch klingen, aber: Was machen wir dann mit diesem Wissen um die ganzen Katastrophen?
Philipp Ruch:
Es ist klar, dass wir uns natürlicherweise von Gewalt abwenden. Im letzten Teil meines Buches decke ich auf, dass es etwas gibt, das wir einsetzen können. Etwas, das uns hilft, mit dieser Gewalt umzugehen, ohne hilflos und ohnmächtig zu werden: die Macht der Vorstellungskraft. Aber im Medium der menschlichen Fantasie, mit Fiktion, werden wir zu einer.
Wir können mit ihrer Hilfe den Schmerz anderer als unseren erkennen. Der Zusammenhang zwischen Fantasie und Humanität ist viel enger, als wir gemeinhin annehmen. Das hat auch philosophische Konsequenzen, etwa wenn es um den Gebrauch nicht nur der Vernunft, sondern der Fantasie geht. Ich wollte das Buch eigentlich »Fantasie und Humanität I« nennen, weil ich diese Entdeckungen für bahnbrechend halte. Aber da wollte der Verlag nicht mitmachen.
Was kann Kunst für den Erhalt der Demokratie leisten, was Wissenschaft und Journalismus nicht können?
Philipp Ruch:
Wir sind in der Lage, die Wirklichkeit als das zu enttarnen, was sie ist: eine gemachte Fiktion. Der Journalismus und die Wissenschaften nähern sich der Wirklichkeit im Modus der Abbildung. Aber Fiktion, ja die Lüge selbst ist ein Weg, die Wahrheit zu sagen. Erich Kästner beschreibt das so: »Wenn ich die Wahrheit sagen sollte, müßt’ ich lügen!« Mit den Mitteln der Vorstellungskraft kommen wir der Wirklichkeit manchmal viel näher als die Wissenschaften oder der Journalismus.
In Ihrem Buch ziehen Sie Parallelen zwischen dem Aufstieg der Nationalsozialisten im Jahr 1932 und dem Aufstieg der AfD heute. Stellenweise wirkt das überzeichnet; zum Beispiel, wenn Sie andeuten, die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht von 2015 könnten von Mächten orchestriert gewesen sein, die sich einen Bürgerkrieg in Deutschland wünschen. Glauben Sie das wirklich oder bedienen Sie sich der Mittel der Fiktion, um aufzurütteln?
Philipp Ruch:
Die Ängste einer Gesellschaft sind etwas Flüchtiges. Die wenigsten können sich heute daran erinnern, welche Angst sich medial zu Beginn des Jahres 2016 breit machte. Es ging um die tiefe Furcht, dass sich Köln jetzt immer wieder und überall ereignen könnte.
Ich vergesse diese fiktiven Ängste meiner Mitmenschen nicht, die viele von der Notwendigkeit einer tödlichen Flüchtlingsabwehrpolitik überzeugt haben. Seither gab es keinen zweiten ähnlich gelagerten Vorfall. Das ist merkwürdig und wirft die Frage auf: Wie sieht ein erfolgreicher Destabilisierungsversuch, eine erfolgreiche Operation psychologischer Kriegsführung in Deutschland überhaupt aus? Ich bin mit dem »Zentrum für Politische Schönheit« selbst auf diesem Gebiet tätig – allerdings für die Gegenseite, für die Moral und den radikalen Humanismus.
Sie schreiben: »Die Moral siegt. Immer.« Woher nehmen Sie diese Gewissheit?
Philipp Ruch:
Aus den Geschichtsbüchern. Man muss nur einmal sehen, aus welcher Perspektive die Herrschaft des Nationalsozialismus beurteilt wird. Hitler hatte so viel Macht über so viele Millionen Menschen. Er hatte sie alle in der Hand. Und am Ende war diese ganze Macht nichts wert. Die Moral siegte.
Ein Untertitel Ihres Buches lautet: »Jeder kann etwas bewirken«. Für diejenigen, die es nicht gelesen haben: Wie kann jede und jeder Einzelne für eine freie und menschliche Gesellschaft eintreten?
Philipp Ruch:
Das Wichtigste ist, dass sie oder er erkennt, dass es jetzt an der Zeit ist, einzuschreiten, sich einzumischen. Am Ende wird die Geschichte von Einzelnen gemacht. Ich will nicht zu viel von dem verraten, was im Buch steht. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie wir damit umgehen, wenn eine bestimmte Partei – ich nenne jetzt keine Schuldigen mehr – die AfD an der Macht beteiligen will. Wir haben uns schon an viel zu viel gewöhnt. Die AfD darf nie, niemals an einer Bundesregierung beteiligt werden.
Als Politikwissenschaftlerin interessiert sich Katharina dafür, was Gesellschaften bewegt. Sie fragt sich: Wer bestimmt die Regeln? Welche Ideen stehen im Wettstreit miteinander? Wie werden aus Konflikten Kompromisse? Einer Sache ist sie sich allerdings sicher: Nichts muss bleiben, wie es ist.