Nervös warte ich im Vorzimmer des Schmerzarztes auf meine Diagnose. Um mich herum sitzen ausschließlich Senioren, aus deren Unterarmen Infusionsschläuche ragen. Als mich die Arzthelferin ruft, folge ich ihr angespannt ins Sprechzimmer des Arztes. »Sie haben eine Post-Zoster-Neuralgie«, erklärt mir der Schmerzspezialist mit erschöpftem Blick. »10–20% aller Patienten entwickeln diese Komplikation nach einer durchgestandenen
Hätte ich damals in der Praxis von Theodor Dierk Petzold gesessen, wäre ich vermutlich mit einem hoffnungsvolleren Gefühl nach Hause gegangen. Petzold ist Arzt, Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover, Leiter des Zentrums für Salutogenese und Entwickler der Salutogenen Kommunikation. Im Gegensatz zur allgemein verbreiteten
»In Salutogener Kommunikation geschulte Ärzte probieren erst einmal, ein positives Ziel zu finden, auf das gemeinsam mit dem Patienten hingearbeitet werden kann«, erklärt Petzold. Zum Beispiel: »Was würden Sie tun, wenn die Schmerzen aufhören?« Mit diesem positiven Ziel vor Augen suchen Arzt und Patient nach individuellen Ressourcen, die ihn diesem Ziel näherbringen. Vielleicht hat der Patient bereits Erfahrung mit Entspannungsübungen wie Meditation und Atemtechniken gemacht oder er kennt schon schmerzstillende Techniken, die ihm helfen. Jeder Mensch kann auf andere Ressourcen zurückgreifen, und nur, weil es keine standardisierte Therapie für eine Erkrankung gibt, heißt das noch lange nicht, dass Arzt und Patient nichts tun können.
In meinem Medizinstudium habe ich gelernt, wie Krankheiten entstehen und wie man sie bekämpfen kann. Die Frage, was Menschen gesund hält, spielt in der Medizin dagegen kaum eine Rolle. Warum liegt der Fokus so sehr auf den Symptomen – und nicht auf der Frage, wie Menschen am besten gesund bleiben?
Ein wichtige Rolle spielt das Geld: Weniger als 2% der gesamten Gesundheitsausgaben fließen in
Die Menschen schwimmen in einem Fluss voller Gefahren, Strudeln, Biegungen und Stromschnellen. Der Arzt könne mit seiner pathogenetisch orientierten Medizin versuchen, den Ertrinkenden aus dem Strom zu reißen. In der Salutogenese geht es aber um mehr: Es gilt, den Menschen zu einem guten Schwimmer zu machen.
Laut Antonovsky will die salutogenetisch orientierte Therapie nicht nur »kranke Anteile des Menschen lindern, sondern zusätzlich gesunde Anteile stärken«. Anstatt Symptome nur oberflächlich zu bekämpfen, gilt es, Widerstandsressourcen des Patienten – wie Hobbys, Stressbewältigungsstrategien oder soziale Unterstützung – zu finden und zu fördern. Unterstützt wird Antonovskys Theorie heute von der Hirnforschung.
»Wir besitzen unter anderem 2 neuro-motivationale Systeme«, erklärt Theodor Dierk Petzold. »Das eine springt an, wenn wir eine Bedrohung wahrnehmen. Das ist unser Vermeidungs- und Abwendungssystem, das eng mit dem Angstzentrum verbunden ist.« Dieses Abwendungssystem erzeugt Stress. In seiner kurzfristigen Form ist Stress eine ganz natürliche Reaktion des Körpers. Er treibt uns zu höherer Leistung und ermöglicht uns in bedrohlichen Situationen – zum Beispiel bei einem Verkehrsunfall – das Überleben. Das Abwendungssystem wird uns dann zum Verhängnis, wenn es auf Dauerbetrieb läuft, und aus akutem Stress
»Das andere neuro-motivationale System ist das Annäherungssystem. Das springt an, wenn wir etwas als attraktiv oder aufbauend bewerten«, erklärt Petzold. »Es ist eng mit dem
Beide Systeme sind wichtig. Aber in unserem durchgetakteten Alltag, in dem jeder ständig erreichbar sein muss und Erholung oft zu kurz kommt, gewinnt unser Abwendungssystem immer häufiger die Oberhand. Das ist schlecht für unsere Gesundheit.
Das ging auch mir so. Das ständige
Diese Frage interessierten auch die US-amerikanische Forscherin Emmy Werner und ihr Team aus Kinderärzten und Psychologen. In den 50er-Jahren begannen sie eine
Umso erstaunlicher waren die Ergebnisse der Langzeitstudie, die Werner nach 32 Jahren der Beobachtung veröffentlichte: 1/3 der 200 Risikokinder entwickelten sich trotz aller Schwierigkeiten zu kompetenten Erwachsenen mit sicheren Jobs und stabilen Beziehungen, während die anderen 2/3 oft straffällig wurden und zum Teil selbst psychische Krankheiten entwickelten. Was war das Geheimnis der gesunden Kinder?
Das Forscherteam kam zu dem Schluss, dass vor allem eines entscheidend war: Die gesunden Kinder hatten trotz widriger Lebensumstände immerhin eine Bezugsperson, der sie vollständig vertrauen und auf die sie sich verlassen konnten. Sei es die Großmutter, ein Geschwisterkind oder die Lehrerin. Die psychische Widerstandsfähigkeit dieser Kinder bezeichnete Emmy Werner später als
»Negatives zu heilen erzeugt nicht automatisch Positives.« –
»Die Resilienzforschung ist Teil der Salutogeneseforschung«, erklärt Theodor Dierk Petzold. »Während die Salutogenese erforscht, wie sich Menschen überhaupt gesund entwickeln können, fragt die Resilienzforschung explizit: Was hält einen Menschen trotz widriger Lebensumstände gesund?« Diese Einschränkung macht es Forschern wesentlich leichter, Resilienz wissenschaftlich zu untersuchen. Und obwohl die Forschung noch jung ist, scheint eines bereits festzustehen:
Denn dabei handelt es sich nicht um eine statische Charaktereigenschaft, sondern um einen dynamischen Prozess, bei dem es vor allem auf unsere eigene Wahrnehmung ankommt: Erleben wir ein Ereignis als traumatisch oder betrachten wir es als Möglichkeit, um über uns selbst hinauszuwachsen?
Der berühmte österreichische Arzt und Psychotherapeut Viktor Frankl, der den Holocaust als Häftling im Konzentrationslager überlebte, schrieb in seinem Buch
Wenn wir nicht länger in der Lage sind, eine Situation zu ändern,
sind wir gefordert, uns selbst zu ändern.
Die folgende Liste zeigt 5 Mechanismen, die unsere Resilienz schulen können:
Krankheit ist ein Hindernis des Körpers, aber nicht des Willens.
Viele Krebspatienten berichten, dass sie nach Chemotherapie und Operationen ihr Leben sehr positiv umgestellt haben. Sie haben es geschafft, aus ihrer Erkrankung Wesentliches zu lernen, zum Beispiel, dass sie sich jetzt viel mehr über ›die kleinen Dinge im Leben‹ freuen.
Vor Infektionen und Krisen ist niemand gefeit. Aber Gesundheit ist mehr, als »nicht krank zu sein«. Resiliente Menschen schaffen es durch eine Veränderung ihrer Wahrnehmung und ihres Verhaltens, ihre Gesundheit langfristig zu erhalten und potenzielle Krankmacher erfolgreich abzuwehren.
In Krisen etwas Positives zu sehen bedeutet aber noch lange nicht, sie als den Normalzustand anzuerkennen und Katastrophen zu glorifizieren.
Resilienz kann uns widerstandsfähiger und gesünder machen, ist aber keinesfalls ein Allheilmittel gegen strukturelle Probleme.
Vor diesem Hintergrund muss gesagt werden: Resilienz ist nur ein Mosaikstein im großen Bild der Gesundheitsforschung. »Die Begriffe ›Salutogenese‹ und ›Resilienz‹ werden häufig in ihrer Bedeutung miteinander vermischt«, erläutert Petzold. »Salutogenese schließt Resilienz mit ein, geht aber noch darüber hinaus. Bei der Salutogenese geht es zum Beispiel nicht nur darum, welche Fähigkeiten Mitarbeitende eines Betriebs lernen müssen, um den Stress dort besser auszuhalten, sondern sie fragt weitergehend: Wie können die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass die Mitarbeitenden sich möglichst gesund entwickeln?«
Die Tatsache, dass
Die beste Gesundheitsversorgung ist nämlich die, in der Menschen gar nicht erst (chronisch) krank werden. Dafür braucht es aber ein System, in dem Hausärzte mehr als nur die momentan
Letztendlich hatte ich das Glück, von einer salutogenetisch orientierten Ärztin behandelt zu werden. Ein Jahr nach meiner Gürtelrose konnte ich alle Medikamente absetzen und empfinde jetzt nur noch Schmerzen, wenn ich wirklich unter Stress stehe. Mittlerweile sehe ich die Schmerzen sogar in einem positiven Licht – und betrachte sie als Frühwarnsystem meines Körpers, der mir zu verstehen gibt, schleunigst einen Gang runterzuschalten.
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily
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