So holen wir das Beste aus unserer Erde raus
Es ist genug für alle da – vorausgesetzt, wir lassen noch etwas übrig. Halten wir inne und fragen: Was ist »genug«?
Zuerst die schlechte Nachricht: Es wird ungemütlich auf unserer Erde. Und eng. Die »planetaren Grenzen«, wie man so schön sagt, rücken immer näher – zumindest die, auf die wir nicht schon längst geprallt sind. Ob Rohstoffe, die wir verbrauchen, oder Schadstoffe, die wir in die Umwelt kippen und blasen: Der Umfang, in dem wir uns in den letzten 60 Jahren von der Erde bedient haben, ist atemberaubend. Wir haben uns stets mit großen Augen alles genommen, um uns von den Konsequenzen ein wenig kopflos abzuwenden. Wie ein Kind, das gierig nach einem Bonbon greift, das Papierchen beim Lutschen aber gern einfach fallen lässt.
Jetzt die gute Nachricht: Wir wissen, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben – und können etwas dagegen tun. Wir haben die Technik, um gut und würdig zu leben. Wenn wir sie richtig einsetzen, hält unser Planet genügend Früchte bereit, um uns alle zu versorgen. Sogar, wenn noch ein paar Milliarden Menschen hinzukommen. Die Voraussetzung: Wir müssen uns mit dem zufriedengeben, was die Erde hergibt. Das muss genug sein – und das genügt.
Die Transformation des jetzt dominanten Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturmodells geschieht unausweichlich. Die Frage ist lediglich, ob sie eher von Menschen auf Basis von zivilisatorischen Errungenschaften wie Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, sozialer Gleichheit und Solidarität gestaltet werden kann oder ob sie stärker von den Verhältnissen erzwungen wird; kurz, ob die Transformation ›by design or by disaster‹ erfolgt.
Die Frage ist also nicht, ob wir uns mit etwas weniger zufriedengeben wollen. Die Frage ist: Schwenken wir freiwillig ein? Oder laufen wir sehenden Auges in ein Desaster und lernen es auf die unangenehme Art? Also: Ändern wir unser Verhalten by design or by desaster? Noch können wir uns bücken, das Papierchen wieder aufheben und den großen Ärger vermeiden. Wie entscheiden wir uns?
Ein »weiter so« ist keine Option
Klar, wir haben einiges bekommen dafür, es geht uns prächtig auf den ersten Blick.
Wollen wir artig sein? Oder werden wir Knecht Ruprechts Rute zu spüren bekommen?
Der Preis, den die Erde für unseren Wohlstand zahlt, ist aber hoch.
Nicht umsonst haben Wissenschaftler festgelegt, dass wir bereits in das neue Erdzeitalter »Anthropozän« eingetreten sind. Das
Und diesen Preis, den die Erde für unseren Wohlstand zahlt, stellt sie uns nach und nach in Rechnung. Ganz direkt durch Ernteausfälle, Dürren, Überschwemmungen, Rohstoffknappheit, Artensterben und Versauerung der Meere. Aber auch über Umwege wie wiederkehrende Systemkrisen. Etwa, weil Umweltzerstörung viele Millionen Menschen in Asien, im Nahen Osten und in Subsahara-Afrika
Es ist kein Zufall, dass diese Kurven exponentiell ansteigen. Sie alle Wir wissen es: Wir müssen unseren Verbrauch drastisch reduzieren.
Mit dem Ziel, unsere Wirtschaft jährlich um einen gewissen Prozentsatz zu steigern, ist genau diese Kurve vorgegeben. Der Punkt, zu dem sie in wenigen Jahrzehnten führen wird, liegt irgendwo weit oberhalb deines Bildschirms, an der Decke deines Wohnzimmers oder wo auch immer du diesen Text liest. Eines ist aber sicher: Keine dieser Kurven wird dort ankommen. Die Frage ist, ob wir ihren Verlauf selbst in die Hand nehmen oder warten, bis uns der Planet in die Schranken weist.
Wir haben das alles tausendmal gehört. Und wir wissen es: Wir müssen unseren Verbrauch drastisch reduzieren. Gerade, wenn wir auch denen, die noch immer in Armut leben, ihren fairen Anteil am
Erste Stellschraube: Die Effizienz
Der erste Teil der Antwort lautet: Effizienz. Wir müssen die Rohstoffe, die wir zur Verfügung haben, so einsetzen, dass für die Menschheit möglichst viel Wohlstand daraus erwächst. Getreu der Definition:
Das gelingt vor allem mit Technik: Ein moderner Kühlschrank kühlt die Butter heute mit sehr viel weniger Strom als noch vor 30 Jahren. Ein »modernes« Schwein wandelt viel mehr der gefressenen Kalorien in Fleisch um als alte Rassen. Ein modernes Haus wird viel wärmer und bleibt es länger, wenn die Heizung 1 Stunde läuft.
Effiziente Technik führt so zu einer höheren Energieproduktivität. Die wirtschaftliche Leistung, die wir mit unserer Energie erzeugen, steigt also.
Wir holen immer mehr raus aus uns und unseren Ressourcen.
Das ist 1/5 des gesamten deutschen Energieverbrauchs – und mehr, als alle deutschen Kernkraftwerke zusammen leisten.
Im selben Maße erhöht die Effizienz unsere Produktivität an vielen Stellen: Jede Arbeitskraft erledigt mehr Aufträge, jeder Liter Öl bringt unsere Autos weiter und jedes Bit Information reist öfter um die Welt als zuvor.
Auch bessere wirtschaftliche Organisation lässt uns effizienter produzieren und arbeiten: Mithilfe des Internets sammeln wir Informationen schneller, verbreiten sie in kürzerer Zeit an mehr Menschen. Und während wir früher 1 Stunde an einem Brief gesessen haben, klicken wir heute schon nach 10 Minuten auf »E-Mail senden«. Wir holen immer mehr raus aus uns und unseren Ressourcen.
Der Rebound-Effekt hebelt die Effizienz aus
Die Sache hat nur einen kleinen Haken: Wir begnügen uns nicht mit dem, was wir haben. Vielmehr nutzen wir jede Effizienzsteigerung, um mehr zu bekommen, statt weniger zu nehmen. Unsere tägliche Mobilität zum Beispiel beschreibt die einfache Faustregel, dass die meisten Menschen unabhängig vom Transportmittel etwa bis zu 1 Stunde Reisezeit zu ihrem Arbeitgeber in Kauf nehmen. Eine schnellere Zugverbindung sorgt also dafür, dass eine Arbeitnehmerin bereit ist, von Frankfurt auch nach Köln zu pendeln, statt wie bisher nur nach Darmstadt oder Mainz. Ähnliches gilt für die Kommunikation: Schnellere Mobiltelefone bewirken kaum, dass wir früher fertig sind mit dem Scrollen durch die Apps und weniger am Handy hängen als früher. Vielmehr durchstöbern wir einfach mehr Profile in derselben Zeit, wir sind quasi dauer-online.
Dabei unterscheidet man den direkten vom indirekten Rebound-Effekt: Im ersten Fall prallen die Effizienzeinsparungen direkt an unserem Verhalten ab (englisch rebound = abprallen).
Das »immer mehr« führt nicht nur zum Kollaps um uns herum, in der Natur und in den Städten, sondern auch in unserem Innern. Trotz Digitalisierung und Automatisierung arbeiten viele Menschen mehr. Je höher die Qualifikation, desto häufiger die Überstunden und das Arbeitspensum. Und desto früher kommt der Burnout:
Die Beschleunigung setzt uns unter Druck
Tatsächlich ist die Entwicklung der Arbeitszeit ein Paradebeispiel für den Rebound-Effekt. Der Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes sagte uns 1930 in seiner Veröffentlichung
Ich glaube, wir werden in der Lage sein, alle Tätigkeiten der Agrokultur, des Bergbaus und der Produktion auszuführen mit einem Viertel des uns gewohnten menschlichen Aufwands. […] Ich schließe, […] dass das wirtschaftliche Problem innerhalb von 100 Jahren gelöst oder zumindest eine Lösung in Sicht sein wird. […] 3 Stunden Arbeit am Tag werden genug sein, um den Adam in uns zu befriedigen.
Während seine Prognosen zur Effizienz in der Wirtschaft mehr als zugetroffen haben –
Es ist ein Teufelskreis: Unsere enorme Effizienz in der Produktion gepaart mit dem Rebound-Effekt führt zu Unmengen Output, den wir überhaupt nicht konsumieren können. Die Informationen stapeln sich auf dem Schreibtisch, Wir nutzen die freigewordenen Zeit-Kapazitäten nicht, um uns den Kopf über die viele Freizeit zu zerbrechen.
in unseren Bücherregalen und auf dem Desktop.
Um überhaupt auf die Idee zu kommen, Dinge zu kaufen, die wir oft nicht brauchen, und um es niemals zu vergessen, erinnern wir uns ständig daran: Die Werbebranche in Deutschland setzte 2015 über 26 Milliarden Euro um. 325 Euro pro Person. Tendenz steigend. Schaue ich aus dem Fenster, sehe ich spontan weit über 10 verschiedene Werbebanner. Merken wir es denn nicht selbst, wenn wir frieren, Hunger oder Lust auf Gesellschaft haben?
6–8% der Deutschen
Wir müssen eine Grenze ziehen: Suffizienz
Wenn wir unseren Verbrauch natürlicher Ressourcen zurückfahren – unsere Zukunft designen statt ins disaster zu taumeln – schonen wir also nicht nur die Natur und nehmen vorweg, was uns später ohnehin wiederfahren wird. Wir gönnen auch uns selbst eine Verschnaufpause und die Möglichkeit,
Resonanz, das heißt, ein Verhältnis zu Menschen oder zu Dingen, zu Natur, zur Kunst vielleicht oder sogar zu unserem Körper oder unseren eigenen Gefühlen, so etwas wie eine Antwortbeziehung, wo wir das Gefühl haben, wir sind wirklich verbunden mit der anderen Seite, die geht uns etwas an, die können wir auch erreichen. […] Wir sollten nicht fragen, wie können wir uns an die hohe Geschwindigkeit anpassen, sondern wir sollten fragen, welche Geschwindigkeit ist eigentlich gut für uns Menschen? Was führt zu einem erfüllten und guten Leben?
Weil es die Effizienz allein nicht richten kann, braucht sie einen Partner:
Wir arbeiten also weiter an unserer Effizienz, setzen uns aber ein Limit dafür, was bei unserem Wirtschaften am Ende überhaupt herumkommen soll. Wir geben der Wirtschaft ein konkretes Ziel, die Versorgung aller Menschen mit notwendigen Gütern.
Über die Frage, wo dieses Limit genau liegt, brauchen wir uns auch nicht lange den Kopf zu zerbrechen, denn die Erde gibt uns die Antwort in jedem Bereich vor: Jedem Menschen stehen rund Die Werkzeuge liegen auf dem Tisch. Es liegt an uns, sie zu ergreifen.
und eine ganze Menge an pflanzlichen Rohstoffen wie zum Beispiel Öl-Saaten.
Innerhalb dieser Grenzen ist ein
Demnächst werde ich mich genauer damit beschäftigen, wo die Limits für uns genau liegen, wie ein Leben innerhalb dieser Limits aussieht, und wie wir dort hinkommen. Ich freue mich über eure Anregungen in der Diskussion.
Mit Illustrationen von Pia Schulzebrüdrop für Perspective Daily