Wie du jetzt deine psychische Gesundheit am besten schützen kannst
Für viele Menschen wird die Pandemie zunehmend zur Belastung. 6 Dinge, die du jetzt tun kannst, um nicht in eine Krise zu geraten.
Seit fast einem Jahr leben wir mit dem Coronavirus. Wir wissen immer mehr über die gesundheitlichen Auswirkungen der Covid-19-Erkrankung, über die Symptome und die chronischen Folgen.
In Deutschland gelten seit Anfang November
Psycholog:innen warnen, dass der zweite Lockdown für viele von uns noch belastender sein könnte.
Die Regeln sind zwar nötig,
Nun warnen Psycholog:innen, dass der zweite Lockdown für viele von uns noch belastender werden könnte als die Beschränkungen im Frühjahr. »Es kommt zu einer Art Ermüdungserscheinung. Wir hatten das alles schon einmal – und jetzt müssen wir es erneut aushalten«, erklärt Leonhard Schilbach. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat
Auch wenn die Beschränkungen tief in unser Leben eingreifen, sind wir der Situation nicht hilflos ausgeliefert. In diesem Text zeigen wir dir die 6 größten Herausforderungen, die unserer Psyche in den nächsten Wochen besonders zusetzen können – und 6 Strategien, wie wir besser damit zurechtkommen.
1. Herausforderung: Der Winter macht es unserer Psyche sowieso schon schwer
Die Lösung: Licht in die Sache bringen und den Winterblues abschütteln
Im Sommer war es leichter, sich coronakonform zu verhalten und trotzdem aktiv zu sein. Jetzt hält uns schlechtes Wetter immer häufiger davon ab rauszugehen – dabei wäre genau das jetzt für unser Wohlbefinden wichtig.
Die dunkle Jahreszeit ist auch ohne Pandemie für viele von uns ein Problem.
Künstliches Licht sorgt zudem dafür, dass unser natürlicher Schlaf- und Wachrhythmus durcheinandergerät: Wir stehen meist auf, wenn es draußen noch dunkel ist, und schlafen auch nicht ein, wenn die Sonne untergegangen ist. Dadurch schlafen wir unterm Strich meist zu wenig.
Das fehlende Licht, zu wenig Schlaf, aber auch die nachdenkliche Stimmung in den dunkleren Monaten können zu einem echten Problem werden und sich bei manchen Menschen zu einer saisonalen Depression auswachsen. Gerade in der Pandemie können sich Gedanken wie Hoffnungslosigkeit, aber auch Ängste noch einmal deutlich stärker bemerkbar machen.
Hoffen, dass die Situation bald vorbei ist, ist momentan leider keine Option – doch es gibt einige Möglichkeiten, um der schlechten Stimmung hin und wieder zu entkommen.
Raus an die frische Luft und Tageslicht tanken.
Ein geeigneter Weg, um einem Problem entgegenzuwirken, das durch Dunkelheit begünstigt wird, ist das Tageslicht. Denn Lampen in Innenräumen können uns nicht so viel Licht liefern, wie es die Sonne selbst an grauen, verregneten Tagen tut. Das günstigste und erfolgversprechendste Mittel gegen müde Wintertage: So oft wie möglich raus an die frische Luft! Zum Beispiel in der Mittagspause oder auf dem Weg zur Arbeit. Wer aktuell im Homeoffice arbeitet, sollte schon vor Arbeitsbeginn nach draußen gehen oder bewusst Pausen einlegen,
Wer sich an der frischen Luft bewegt, tut sich nicht nur mit Luft und Licht einen Gefallen, sondern auch durch die Bewegung selbst.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht Bewegung als wichtigen Bestandteil körperlicher und geistiger Gesundheit. Ein Grund dafür liegt im Gehirn: Bewegen wir uns, führt das zu einer erhöhten Produktion von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin, die auch als Glückshormone bekannt sind und bei verschiedenen psychischen Erkrankungen deutlich absinken. In einer Übersichtsarbeit zum Zusammenhang von Bewegung und psychischer Gesundheit schreibt die WHO, dass Bewegung in allen Altersklassen vor Depressionen schützen kann.
Was besonders gut hilft, ist dabei hochindividuell – herausfinden muss es jede:r letztendlich selbst. Wissen wir, was uns guttut, tut sich allerdings ein zweites Problem auf: Wie schaffen wir all das umzusetzen, besonders wenn die Tage an Struktur verlieren?
2. Herausforderung: Es fehlt Struktur, das schlägt aufs Gemüt
Die Lösung: Den grauen Tagen mit einem Plan für schöne Momente einen Strich durch die Rechnung machen
Wenn vieles davon, was unserem Alltag bisher Ordnung gegeben hat, von jetzt auf gleich wegfällt, tut sich plötzlich eine Leere auf. Verabredungen, Hobbys, Reisen, Veranstaltungen – all das fällt weg. Auch die Arbeit verlagert sich für viele Menschen wieder zunehmend ins Homeoffice. Das Leben wird ärmer und einseitiger.
Doch es gibt Wege, darauf zu reagieren. Anstatt Dinge zu tun, die schlechte Gefühle hervorrufen – etwa den ganzen Tag allein zu Hause zu verbringen –, kommt es jetzt darauf an, das eigene Verhalten anzupassen. Dann haben Gefühle wie Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit keine Chance, den Alltag zu dominieren.
Verhaltensaktivierung ist heute das Ziel vieler psychotherapeutischer Behandlungen. Menschen, die in einer depressiven Episode stecken, erleben die eigene Situation häufig als ausweglos. Sie haben keine Freude mehr an ihren Tätigkeiten, vermeiden den Kontakt zu anderen und ziehen sich immer weiter zurück. Dies führt häufig dazu, dass Betroffene irgendwann auch den Kontakt zu ihrer eigenen Gefühlswelt verlieren. Sie erstarren innerlich und äußerlich geradezu, werden sich selbst fremd. In dieser Starre gehen dann auch feste Abläufe und Routinen verloren, die dem Alltag Ordnung geben.
Das beginnt schon damit, dass es kaum noch aussichtsreich erscheint, früh aufzustehen, wenn die Arbeit ohnehin im Homeoffice stattfindet. Doch länger im Bett zu liegen bringt oft keine zusätzliche Erholung, sondern kann depressive Symptome noch verschlimmern,
Feste Strukturen zu schaffen hat sich als ein wirksames Mittel in der Verhaltenstherapie etabliert. Der Psychiater Leonhard Schilbach rät daher, das auch jetzt zu versuchen. Besonders wichtig sei es, einen Ausgleich zwischen anstrengenden und entspannenden Tätigkeiten zu finden und das in den eigenen Alltag zu integrieren. »Es kann helfen, sich zunächst eine Liste mit Dingen zu erstellen, die einem guttun. Zum Beispiel Gespräche mit Freunden zu führen, ein Buch zu lesen oder eine Runde mit dem Fahrrad zu fahren.« Auch bewusstes Essen kann eine Strategie sein: »Konzentrieren wir uns beim Essen auf das Hier und Jetzt, auf die schönen Dinge, die wir uns zum Essen zubereiten, kann das eine positive Wirkung haben«, sagt Schilbach.
Was uns hilft, ist also ganz individuell – und manche Menschen müssen vielleicht erst herausfinden, was ihnen in solchen Zeiten guttut. »In der klassischen Verhaltenstherapie erstellen wir mit Patienten eine Art Stundenplan, in dem alle Tätigkeiten eingetragen werden«, erklärt Schilbach. Der Plan müsse dabei nicht minutiös durchgetaktet sein. Wichtig sei, darüber nachzudenken, was helfen kann.
Das funktioniere auch präventiv: »Wir müssen nicht erst damit anfangen, wenn es zu spät ist und wir uns schlecht fühlen«, betont der Psychiater. Steht der Plan, sollten wir ihn regelmäßig reflektieren: Was funktioniert und was nicht?
3. Herausforderung: Wir müssen unsere sozialen Kontakte einschränken – das gefährdet unsere seelische Gesundheit
Die Lösung: Physisch distanziert bleiben, sich dafür aber umso stärker verbinden
Wie wir es schaffen, mit Freunden und Familien vernetzt zu bleiben und gleichzeitig physisch Abstand zu halten, haben wir schon im ersten Lockdown geübt. Dieses Wissen kann uns jetzt dabei helfen, die wichtigste Komponente für unsere seelische Gesundheit zu stärken: unsere sozialen Beziehungen.
»Wie gut jemand mit der Krise zurechtkommt, hängt maßgeblich davon ab, ob wir uns auf unser soziales Netz verlassen können«, sagt Leonhard Schilbach. »Erste Studien zeigen, dass Menschen mit einem guten sozialen Netzwerk sich als besonders
Wer weniger Kontakte hat, bei dem sei das genau umgekehrt. Der Psychiater rät daher dazu, auch an andere zu denken und soziale Unterstützung anzubieten. Das nützt auch uns selbst: »Anderen zu helfen kann die eigene seelische Gesundheit positiv beeinflussen. Das ist ein Punkt, den man gar nicht überbewerten kann«, sagt Schilbach.
Zu telefonieren, Videotreffen zu veranstalten oder Kontakt zu Menschen aufzunehmen, mit denen wir länger keinen hatten – all das kann dabei helfen, uns bewusst zu machen, dass wir nicht allein sind. »Es hilft auch, sich an schöne gemeinsame Momente zu erinnern, die wir in der Vergangenheit erlebt haben«, rät Schilbach. Fotos, Videos oder Tagebucheinträge können dabei helfen, die Erinnerung aufzufrischen.
Manchmal genügen auch schon die kleinen Begegnungen im Alltag, um unsere Stimmung zu heben. Ein freundlicher Gruß auf der Straße, ein Smalltalk in der Nachbarschaft – all das ist jetzt besonders wichtig.
4. Herausforderung: Gedanken drehen sich um die immer gleichen Sorgen
Die Lösung: Negative Gedanken akzeptieren, sinnlose Grübeleien gezielt stoppen
Das Coronavirus bestimmt unseren Alltag nun schon seit Monaten – umso wichtiger ist es, auch mal abzuschalten. Ein Warnzeichen dafür, dass wir in Grübelspiralen geraten, die uns nicht weiterbringen: Wir denken über die immer gleichen Sorgen nach statt über mögliche Lösungen für ein Problem.
Außerdem kann es helfen, feste Orte und Zeitpunkte für sich selbst zum Grübeln zu vereinbaren. Ein weiterer Trick:
Negative Gefühle zu akzeptieren ist nicht leicht – kann aber helfen
Auch wenn dieser Text dir dabei helfen soll, positiv mit der Situation umzugehen, ist eine Erkenntnis wichtig: Es ist okay, sich auch mal nicht so gut zu fühlen. Die derzeitige Situation ist schwierig und genau darauf machen uns negative Gedanken aufmerksam – sie haben also einen Zweck. Ohne sie würden wir nicht einmal merken, dass wir uns in einer Ausnahmesituation befinden. »Wir sollten uns eine Genehmigung für diese Gefühle geben. Manchen hilft es, sich einen kleinen Zettel mit dieser Botschaft aufzuhängen, um sich daran zu erinnern«, rät Schilbach.
Außerdem sei es wichtig, auch offen über seine Gefühle zu sprechen. »Ich muss nicht immer nur tolle Geschichten erzählen, es ist genauso okay zu teilen, dass es mir nicht gut geht«, sagt der Psychiater und Psychotherapeut.
Wenn negative Gefühle jedoch den ganzen Tag bestimmen und uns handlungsunfähig machen, können wir zunächst selbst dagegen angehen. Eine wichtige Erkenntnis auf diesem Weg: Es gibt Dinge, die wir tun können. Aktivitäten, Gedanken und Verhaltensweisen können dazu führen, dass wir uns wieder besser fühlen.
5. Herausforderung: Viele Menschen denken, ihre Probleme seien belanglos. Das ist falsch und gefährlich!
Die Lösung: Hilfe suchen, statt die Zähne zusammenzubeißen
So wichtig es ist, auch negative Gefühle zu akzeptieren, so wichtig ist es zu erkennen, wann diese Emotionen das eigene Leben so sehr bestimmen, dass professionelle Hilfe nötig ist. Sich das einzugestehen fällt vielleicht gerade jetzt besonders schwer. Denn wir wissen, dass viele Menschen schwer unter einer Covid-19-Erkrankung leiden. Andere kämpfen mit den wirtschaftlichen Folgen – oder kommen zu Hause nur schwer zurecht, weil die Wohnverhältnisse alles andere als komfortabel sind.
Im Vergleich dazu können die eigenen Probleme unbedeutend erscheinen, doch das sind sie nicht. Der Psychiater und Stressforscher Mazda Adli betont, dass wir uns selbst nicht gerecht werden, wenn wir glauben, anderen gehe es ja noch schlechter. »Der kleine Schmerz ist nicht harmlos, nur weil es noch einen stärkeren gibt.«
Wo unsere Schmerzgrenze liegt, ist sehr individuell. Ich erlebe genauso Menschen, die in erhebliche wirtschaftliche Nöte geraten, das aber relativ gelassen wegstecken. Das hängt auch von der emotionalen und psychischen Widerstandskraft ab. Und die ist wiederum von vielen Lebensumständen und Persönlichkeitseigenschaften abhängig. Aber das eine gegen das andere aufzurechnen geht nicht. Nicht in der Medizin, und in der Psychotherapie schon gar nicht.
Wer das Gefühl hat, von der Situation überwältigt zu werden, und keine Perspektive sieht, sollte sich daher professionelle Hilfe suchen. Niemand muss die Zähne zusammenbeißen, auch das ist wichtig. Allerdings macht die Pandemie es nicht unbedingt leichter, psychologische Hilfe zu suchen. »Manche Patienten haben Angst, das Haus zu verlassen und Termine wahrzunehmen«, sagt Dietrich Munz, Präsident der
Doch die Therapeut:innen haben aus der ersten Welle gelernt, viele bieten mittlerweile Videosprechstunden an. »Es hat sich gezeigt, dass Videotherapien funktionieren können und viele Psychotherapeuten sehr offen dafür sind«, sagt Munz. Auch bei den Patient:innen werden solche Möglichkeiten bekannter.
»Für diese Menschen ist es wichtig, andere Möglichkeiten zu schaffen, etwa Gespräche per Telefon«, sagt Munz. Aktuell ist es nicht erlaubt, bisher unbekannte Patient:innen telefonisch zu betreuen. Laut Munz müsste sich das zumindest während der Pandemie ändern.
Seit der ersten Welle gebe es allerdings auch einige positive Entwicklungen: »Die meisten Praxen haben sich auf die besondere Situation eingestellt und Hygienekonzepte entwickelt. Es ist alles viel routinierter und nahezu alle bleiben weiterhin geöffnet.« Zudem haben sich mittlerweile einige Angebote entwickelt, die speziell auf die Krise abgestimmt sind – beispielsweise eine Hotline für Pflegepersonal.
Eine Liste mit Hilfsangeboten findest du hier:
- Befindest du dich in einem Notfall, hast du beispielsweise Suizidgedanken? Dann zögere nicht und wähle den Notruf (112) oder wende dich an das Krisentelefon (0800-1110111 und 0800-1110222). Ein muslimisches Seelsorgetelefon ist rund um die Uhr unter 030-443509821 erreichbar.
- Psychotherapeutische Praxen beraten und behandeln auch während der Coronapandemie. Um einen ersten Termin zu bekommen, können sich Patient:innen direkt an eine Praxis in ihrem Umkreis wenden. Außerdem hilft die bundesweite Hotline 116 117 dabei, einen freien Termin zu finden. Auch der elektronische Terminservice kann weiterhelfen.
- Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Thüringen bieten während der Coronapandemie spezielle Krisenhotlines per Telefon oder Video an. Die Bundespsychotherapeutenkammer hat hier eine Übersicht mit Angeboten in den verschiedenen Bundesländern zusammengefasst.
- Das Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Du erreichst es unter der Nummer 08000 116 016. Hier findest du außerdem eine Onlineberatung per Chat oder E-Mail.
- Kostenfreie psychotherapeutische Telefonhilfe für beruflich Pflegende gibt es hier.
- Die »Nummer gegen Kummer« hilft Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in psychischen Krisen: Kinder- und Jugendtelefon: 0800 116111, Elterntelefon: 0800 1110550
- Ein Infoportal zur psychischen Gesundheit speziell für Kinder und Jugendliche mit Erklärungen, Übungen und Ansprechpartner:innen findest du hier.
6. Herausforderung: Es scheint kein Ende in Sicht
Die Lösung: Erkennen, dass es so nicht bleiben wird
In den kommenden Wochen kommt es für uns alle darauf an, diese Zeit irgendwie durchzustehen. Niemand weiß, wann das alles vorübergeht. Doch was wir ganz sicher wissen: Irgendwann ist es vorbei – und wir werden wieder die Dinge tun können, die wir gerade so schmerzlich vermissen.
Hoffnung auf eine bessere Zeit zu entwickeln fällt Menschen dann besonders schwer, wenn sie bereits in einer depressiven Episode stecken. Die Zeit erscheint dann wie eine Zeit ohne Zukunft, müde und leer. Umso wichtiger ist es für die Betroffenen, auch in diesen Zeiten professionelle Hilfe zu suchen. Das bedeutet, den eigenen Zustand erst einmal ernst zu nehmen.
Hier findest du einen Selbsttest und weitere Informationen der Stiftung Deutsche Depressionshilfe rund um das Thema Depression.Die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, die wir hier vorgestellt haben, sind oft einfach umzusetzen – und wirken schnell. Profitieren können alle davon – auch die, die momentan besser durch den Alltag kommen. Untersuchungen zeigen, dass das Belastungsempfinden in allen Altersgruppen derzeit steigt. Laut dem aktuellen COVID-19 Snapshot-Monitoring
Doch zu erkennen, dass man dieser Situation nicht hilflos ausgeliefert ist, dass es auf gegenseitige Unterstützung ankommt und die Perspektive auf ein angenehmeres Leben da ist, trägt dazu bei, dass wir trotz allem gut durch diese Zeit kommen können.
Titelbild: Jakob Owens - CC0 1.0