Liebe linksgrüne Bubble: Ihr macht das falsch mit der Politik!
Du schimpfst gerne über Trump oder die AfD und gehst ab und zu auf eine Demo? Dann verschwendest du höchstwahrscheinlich deine Zeit, meint der Politologe Eitan Hersh.
Der Tag nach den US-Wahlen hat sich ein bisschen angefühlt wie ein Katersonntag. Aber nicht, weil ich zu tief ins Glas geschaut, sondern weil ich mir die Nacht um die Ohren geschlagen habe. Und ich war bei Weitem nicht die Einzige.
In sehr, sehr vielen Wohnzimmern weltweit schauten Menschen dabei zu, wie CNN-Moderator John King wild gestikulierend seine »Magic Wall« analysierte, einen Bildschirm mit einer Landkarte die sich aus rot und blau eingefärbten Flächen zusammensetzte. Stunde um Stunde redete King, in Hochgeschwindigkeit, bis zur absoluten Erschöpfung – auch des Publikums. Dabei hätte dieses getrost weiterschlafen können. Am nächsten Morgen stand der Wahlausgang noch lange nicht fest. Woher kommt das Bedürfnis, bei einer Wahl »live« mitzufiebern, sich stundenlange Kommentare dazu anzuhören? »Ich bin eben ein politischer Mensch«, würden viele vielleicht antworten.
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Eitan Hersh nennt dieses Verhalten »politisches Hobbytum« und meint: Es schadet der Demokratie mehr, als dass es ihr nützt.
Hersh hat die er »political hobbyists« nennt, Polithobbyist:innen, die lieber Nachrichten konsumieren, als sich im echten Leben zu engagieren. Dafür hat Eitan Hersh aber auch Menschen getroffen, die wirklich einen Unterschied machen – und gelernt, was das eigentlich heißt.
Katharina Wiegmann:
Als ich dein Buch gelesen habe, war ich erst mal ein bisschen beleidigt; oder vielleicht habe ich mich auch nur ertappt gefühlt. Bevor wir also über die Gefahren des »politischen Hobbytums« sprechen und darüber, wie wir ihnen begegnen – können wir bitte klären, ob ich eine Polithobbyistin bin?
Eitan Hersh:
Diese Bezeichnung kann sich tatsächlich zunächst herabwürdigend anfühlen: Wenn ich viel Zeit mit Politik verbringe, damit, mich über sie aufzuregen oder darüber zu sprechen – wie kann es jemand wagen, das als ein Hobby zu bezeichnen?
Ich will mit dem Buch niemanden an den Pranger stellen. Ich will Menschen einen Spiegel vor die Nase halten, mir inklusive. Zu Beginn des Buches gebe ich mich ja auch als Polithobbyist zu erkennen und frage mich: Wenn ich mir die Zeit vor Augen führe, in der ich mich mit Politik beschäftige – wie genau nutze ich diese Zeit? Nutze ich sie richtig? Und was wären die Alternativen?
In der Politik geht es um Machtbeziehungen, obwohl in der amerikanischen Politik, besonders bei der Linken, viele Menschen diesen Gedanken nicht mögen. Es ist komisch, davor zurückzuscheuen und so zu tun, als ginge es bei Politik um Lernerfahrungen oder darum, meiner Individualität Ausdruck zu verleihen. Es geht darum, Dinge anzupacken. Meine Definition von Politik ist es, mit anderen an Strategien zu arbeiten, um Regierungen zu beeinflussen. Wenn du das nicht tust, dann machst du keine Politik. Um deine Frage zu beantworten, musst du mir also zuerst verraten, was du machst!
Ich bin Journalistin und trage dazu bei, dass bestimmte Themen öffentlich diskutiert werden. Und ich würde gerne davon ausgehen, dass meine Art der Informationsvermittlung Menschen dazu ermutigt und befähigt, politisch zu handeln. Aber vielleicht produziere ich nur Futter für Polithobbyist:innen?
Eitan Hersh:
Manche Medienorganisationen verdienen Geld damit, dass sie Politik wie Sport behandeln. Wenn es dein Job ist, über Wahlprognosen auf eine Art zu sprechen, die Menschen das Gefühl gibt, sie sollten Wetten abschließen, dann machst du Berichterstattung für Polithobbyisten. Es gibt in den USA Journalisten, die einen ganzen Tag lang darüber reden können, dass während einer TV-Debatte Darüber wurden Artikel geschrieben. Das ist kein Journalismus, das ist Müll.
Journalismus, der sich auf Drama und Tratsch fokussiert, auch wenn es gerade um Politik geht, spielt keine konstruktive Rolle in der Gesellschaft, sondern eine destruktive. Aber es gibt natürlich jede Menge Journalismus, der versucht, Menschen über Probleme zu informieren und ihnen dabei zu helfen, informierte Wahlentscheidungen treffen zu können.
»Der typische Newsjunkie ist ein weißer Mann mit akademischem Abschluss«
Wer sind typische Polithobbyist:innen?
Eitan Hersh:
In jeder Demokratie gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich überhaupt nicht für Politik interessieren. Sie verfolgen nicht die Nachrichten und können die einfachsten Fragen nicht beantworten: Wer Vizepräsident ist oder welche Partei die Mehrheit im Kongress hat. Das sind ganz sicher keine Polithobbyisten.
Dann gibt es aber Menschen, Aber womit genau? Fast alle diese Menschen konsumieren lediglich Nachrichten, sie betätigen sich als Amateur-Experten, sie teilen Artikel oder kommentieren die Kommentare anderer zu diesem oder jenem Thema. »Für mich besteht bürgerschaftliches Engagement darin, Dinge zu tun, nicht Dinge zu wissen«
Das alles dient entweder ihrer persönlichen intellektuellen Freude oder einem emotionalen Bedürfnis, mit anderen Menschen verbunden zu sein.
Die wenigsten von ihnen arbeiten mit anderen an einem Ziel, für das sie die Regierung beeinflussen wollen. Manche Handlungen wirken politisch, wie eine Spende von 5 Dollar an einen Politiker während einer Wahlkampagne. Aber meistens steckt keine größere Strategie dahinter. Menschen sehen ein virales Video, das ihnen ein gutes Gefühl gibt, also geben sie der Person, die darin zu sehen ist, 5 Dollar.
Damit hast du beschrieben, was Polithobbyist:innen tun – oder besser gesagt: was sie nicht tun. Aber deine Forschung hat auch gezeigt, dass politisches Hobbytum überwiegend in einer bestimmten demografischen Gruppe zu finden ist …
Eitan Hersh:
Der typische Newsjunkie ist ein weißer Mann mit akademischem Abschluss. Wenn du dir in den USA dagegen Gruppen anschaust, die strategisch agieren und versuchen, Macht zu bekommen, dann findest du dort überwiegend Frauen, besonders bei der Linken. Es sind überproportional viele Angehörige von Minderheiten vertreten, besonders Afroamerikanerinnen.
Wenn du bürgerschaftliches Engagement daran misst, Menschen eine Reihe von Quizfragen über Politik zu stellen, könnten sie Weiße besser beantworten. Aber wenn du es daran misst, wer sich organisiert, dann besteht bei Afroamerikanern eine größere Wahrscheinlichkeit, dass sie es tun. Für mich besteht bürgerschaftliches Engagement darin, Dinge zu tun, nicht Dinge zu wissen.
Warum sind Frauen und Minderheiten politisch aktiver?
Eitan Hersh:
Es gibt einige Erklärungen. Eine von ihnen hat mit Privilegien bzw. einem Gefühl von Bedrohung zu tun. Besonders nach der Wahl von Donald Trump hatten viele Frauen das Gefühl, etwas tun zu müssen. Afroamerikanerinnen waren schon in den letzten 20 Jahren überdurchschnittlich aktiv. Aber ganz allgemein gesagt: Wenn sich die Regierung nicht für dich einsetzt und du den Status quo nicht für gut befindest, verspürst du wahrscheinlich eher Motivation, dich an die Arbeit zu machen. Was meine demografische Gruppe angeht: Na ja, die Umstände stehen ziemlich gut für uns. Ich kann zwar sagen, dass ich Trump hasse, aber ich habe einen Job und fühle mich nicht von der Polizei bedroht.
Du gehst ziemlich weit, indem du sagst: Politisches Hobbytum ist eine Gefahr für die Demokratie. Ich verstehe, dass es gut für die Demokratie ist, wenn Menschen gemeinsam an einem geteilten Ziel arbeiten. Aber warum ist es so schlecht, passiv zu sein?
Eitan Hersh:
Es ist einfach schlimm mitanzusehen, wie all diese Menschen ihre Zeit verschwenden. In den USA haben noch nie mehr Menschen behauptet, sich für Politik zu interessieren. Aber wir befinden uns fast in einem Allzeittief, wenn es um organisierten Aktivismus geht. Die meisten Leute, die jeden Tag Nachrichten konsumieren, gehören keiner Organisation an. Sie geben an, im letzten Jahr an keiner Versammlung teilgenommen zu haben. Sie haben kein einziges Mal mit anderen im Rahmen eines politischen oder zivilgesellschaftlichen Prozesses zusammengearbeitet. »Das Lokale interessiert niemanden, die Menschen finden es langweilig«
Ich lebe in Massachusetts, einem Bundesstaat, in dem die Demokratische Partei stark ist. Wir haben ein furchtbares öffentliches Nahverkehrssystem, wir haben eine Krise, was bezahlbaren Wohnraum angeht. Diese Probleme werden auf bundesstaatlicher Ebene gelöst, nicht von der nationalen Regierung. Aber all diese Menschen, die so sauer auf Trump sind, gehen es nicht an. Sie sagen, das Klima sei ihnen wichtig, aber wir haben hier einen Gouverneur, der sich weigert, Benzinsteuern zu erhöhen, um damit zum Beispiel einen öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren, der umweltfreundlicher wäre. Ich glaube diesen Leuten nicht, die sagen, dass Trump sie aufregt, wenn sie doch auf lokaler Ebene jede Menge Dinge bewegen könnten.
Auch in Deutschland interessieren sich wohl mehr Menschen für Bundespolitik als für das, was auf lokaler Ebene passiert.
Eitan Hersh:
Das Lokale interessiert niemanden. Innerhalb einer Generation hat sich die Aufmerksamkeit weg von den Bundesstaaten und auf die nationale Ebene verschoben. Dabei haben die Bundesstaaten eine enorme Macht. Doch wenn Journalisten darüber schreiben, interessiert das niemanden, die Menschen finden es langweilig.
Klar, der letzte Trump-Tweet ist wahrscheinlich unterhaltsamer.
Eitan Hersh:
Das Problem ist: Wenn wir politisches Hobbytum betreiben, geben wir Politikern Anreize, sich wie Idioten zu benehmen. Wenn ich jemandem jedes Mal 5 Dollar gebe, wenn er jemanden anschreit, dann ist es keine Überraschung, wenn mehr geschrien wird. Trump bekommt die meisten Kleinspenden, weil er am besten provozieren kann.
»Welche Rolle spiele ich als Bürger, wenn es darum geht, was im Jemen passiert?«
Dein Appell lautet, sich lokal einzubringen. Wenn wir das nun alle tun, aber dabei wissen, dass unsere Zeit und Aufmerksamkeit begrenzte Ressourcen sind, warum sollte sich jemand dann noch dafür interessieren, Oder mit Menschen auf der Flucht in
Eitan Hersh:
Du hast recht, unsere Zeit ist begrenzt. Aber wie lange dauert es, am Morgen in die Zeitung zu schauen und herauszufinden, was im Jemen los ist? 5 Minuten?
Ich frage mich aber auch: Welche Rolle spiele ich als Bürger, wenn es darum geht, was im Jemen passiert? Ich spiele insofern eine Rolle, als dass ich Politiker wählen kann, die das tun, was ich für richtig halte.
Im Großen und Ganzen steht Außenpolitik in den USA aber nicht sehr weit oben auf der Agenda der meisten Menschen. Wenn du dort nach großen aktuellen Herausforderungen fragst, antworten die Menschen – abgesehen von der Coronapandemie – mit Umwelt und Rassismus. Beide Themen haben damit zu tun, wie auf bundesstaatlicher Ebene Politik gemacht wird.
Für dein Buch hast du viel Zeit mit Menschen verbracht, die kein politisches Hobbytum betreiben, sondern sich wirklich politisch engagieren. Einer von ihnen ist Dave Fleischer, der mit einer Methode namens »Deep Canvassing« andere Menschen von seinen politischen Vorstellungen überzeugen möchte. Warum betrachtest du diese Methode als positives Beispiel für politisches Engagement?
Eitan Hersh:
Zunächst einmal, weil es Der Gedanke dahinter ist, sich von einer Position wegzubewegen, in der wir denken, als Einzelperson in einer Gesellschaft nichts bewegen zu können, hin zu einer Position, in der ich sage: »Ich habe eine Stimme. Wie kann ich sie multiplizieren?«
Viele Menschen sind schnell deprimiert, wenn sie im Wahlkampf von Tür zu Tür gehen und nur mit wenigen Menschen ins Gespräch kommen. Dave Fleischer sagt: Qualität statt Quantität. Wenn du wirklich empathisch bist, andere nicht vorverurteilst und du deinem Gegenüber einen Vertrauensvorschuss gibst, kann es sein, dass du ihn wirklich überzeugst und ein Leben veränderst.
Und selbst wenn das nicht passiert, du aber Werte vermitteln konntest und ein gutes Gespräch hattest – dann hast du zumindest eine menschliche Verbindung hergestellt. Die andere Person wird wahrscheinlich nicht denken, dass du böse Absichten hast, und du wirst das auch nicht von ihr denken. So sieht das Worst-Case-Szenario aus. Das ist doch ein ziemlich gutes Worst-Case-Szenario.
Hey, kann ich dich etwas fragen? Ich weiß nicht, ob du immer noch beleidigt bist wegen meiner These – aber warum warst du es eigentlich überhaupt?
Ich war nicht wirklich beleidigt. Aber ich gehe einfach gerne davon aus, dass ich eine politische Person bin. Ich habe Politikwissenschaft studiert und schon viel Zeit in meinem Leben damit verbracht, Politik zu diskutieren. Deine Argumente haben mich nachdenklich gemacht. Ich habe zum Beispiel schon ein paarmal angefangen, mich ehrenamtlich zu engagieren, aber immer schnell wieder aufgegeben. Vielleicht weil ich immer viel umgezogen bin, aber vielleicht auch weil ich zu ungeduldig und nicht mit den Ergebnissen und Strukturen zufrieden war.
Eitan Hersh:
Viele meiner Studierenden sind sehr links. Sie mögen Bernie Sanders und finden Joe Biden zu moderat. »Die andere Seite« empfinden sie als böse. Aber sie wollen nicht wirklich etwas tun.
Ich schreibe in meinem Buch vom Ku-Klux-Klan und darüber, dass er mehr tut, als nur irgendwelche Märsche zu organisieren. Diese Menschen gehen in die lokalen Communitys und helfen Wenn der Ku-Klux-Klan das macht, dann müssen wir uns fragen, wer es nicht macht. Warum mache ich das nicht? Das ist das Problem. Du kannst schon sagen, dass dich deine Nachbarschaft nicht interessierst und du dich lieber um die »großen« Dinge kümmerst. Aber schau dir auch an, wer an deiner Stelle aktiv wird.
Im Journalismus ist es so, dass du eher ernst genommen wirst, wenn du dich mit den großen Dingen beschäftigst. Lokaljournalismus ist nicht sehr prestigeträchtig.
Eitan Hersh:
Das gilt nicht nur für den Journalismus. Wenn eine meiner Studentinnen einen Job an einer öffentlichen Schule annimmt und sich dort mit strukturellem Rassismus auseinandersetzt, bekommt sie dafür nicht so viel Ansehen wie ein Kommilitone, der einen Bullshitjob in irgendeiner Denkfabrik in D.C. hat. Es gibt einen sozialen Druck, nicht Politik auf lokaler Ebene zu betreiben und damit »echte« Arbeit zu leisten. Das ist wirklich schade.
Die New York Times hat im Juni eine Studie veröffentlicht, die zeigt, Ist die Teilnahme an Massenprotesten eine effektive Art politischen Engagements?
Eitan Hersh: Aber bei Black-Lives-Matter-Protesten gibt es auch immer jemanden an der Spitze, der oder die sagt: Danke, dass ihr gekommen seid! Das ist der erste Schritt. Die nächsten Schritte sind: Wenn es im Stadtrat um die Polizei geht – geht hin. Schreibt euren und teilt ihnen mit, dass euch diese Themen wichtig sind.
Ich würde behaupten, für viele Menschen war es der erste und der letzte Schritt, dass sie zu einer Demonstration gegangen sind. Das Einzige, was sie gemacht haben. In vielen Städten im ganzen Land gibt es Gruppen, die auf Reformen hinarbeiten, um sinnlose Tode zu verhindern. Die Polizeibehörden sind sehr gut organisiert, um sicherzustellen, dass diese Reformen nicht passieren. Aber wo sind all die Leute, die zu den Protesten gegangen sind? Viele gehen nur für sich selbst zu einer Demonstration, für das Gefühl, ein guter Mensch zu sein. Wenn du wenig Zeit hast, ist die eine Sache, die du auf jeden Fall tun solltest, bei Wahlen deine Stimme abzugeben.
Vieles, was du in deinem Buch beschreibst, ist sehr spezifisch für das politische System und die politische Kultur der USA. In Deutschland sind wir weit weg davon, politische Parteien wie Sportteams anzufeuern. Aber es gibt schon Gemeinsamkeiten. Unser Medienumfeld ist ähnlich strukturiert, auch durch Facebook, Twitter und andere Plattformen, Ist politisches Hobbytum ein globales Phänomen?
Eitan Hersh:
Ich schreibe vor allem über die USA, aber es gibt durchaus Gemeinsamkeiten mit anderen Ländern. Es ist nicht sehr populär, das zu sagen, aber die Demokratie ist in mancher Hinsicht zu weit gegangen und resultiert darin, dass sich der Populismus auf gefährliche Art und Weise eingeschlichen hat. Was in den USA besonders extrem ist, im Vergleich zu eigentlich jedem anderen Land, ist das System der Vorwahlen Donald Trump konnte Präsident werden, weil jeder sich aufstellen lassen kann. Bei uns gibt es das nicht, dass Parteispitzen bestimmen, wer aufgestellt wird. Es läuft alles über die Vorwahlen – und das ist ein Fehler. Jetzt werden wohl viele denken, dass ich Demokratie ablehnend gegenüberstehe.
Ein zweites Beispiel sind Bürgerinitiativen und Volksabstimmungen. Ich meine, denk an den Brexit! Diese Abstimmung hätte niemals stattfinden dürfen. In den USA wurden Volksabstimmungen über eine lange Zeit dafür genutzt, die zu verhindern. »Politisches Hobbytum ist überall dort verbreitet, wo es nicht um Leben und Tod geht«
Und die andere Sache ist: Politisches Hobbytum ist überall dort verbreitet, wo es nicht um Leben und Tod geht. Wo Menschen sich von den Konsequenzen politischer Entscheidungen abgekoppelt fühlen, wird Politik zum Sport. Die Fliege auf dem Kopf von Mike Pence bestimmt einen Tag lang die Nachrichten. Das ist ein Witz. Journalisten erzählen dir dann vielleicht, dass es etwas Größeres zeigt, sie werden eine Rechtfertigung dafür finden, dass sie darüber berichten. Aber in Wirklichkeit ist es nur Klatsch und Tratsch.
Du hast schon gesagt, dass du dich selbst auch als Polithobbyisten identifiziert hast. Aber dann hast du dich daran gemacht, dich wirklich zu engagieren. Wie? Und was hast du dabei gelernt?
Eitan Hersh:
Ich habe immer gedacht, ein politischer Aktivist sei eine Person, die sich sehr stark von mir unterscheidet. Vielleicht eine sehr laute Person oder jemand, der sich im politischen Spektrum entweder stark links oder stark rechts verortet. Aber ich habe gelernt, dass die wirklich guten Aktivisten eher auf pastorale Art und Weise vorgehen. Sie versuchen, empathisch zu sein, und arbeiten hinter den Kulissen. Fast alle der besten Organisatoren, die ich kennengelernt habe, bezeichnen sich selbst als introvertiert. Sie führen große Organisationen, sprechen aber nicht gerne vor großem Publikum.
Im Moment beschäftige ich mich jede Woche 3 Stunden mit den Problemen, die wir mit der Polizei haben. Ich bin Teil einer offiziellen Taskforce meiner Stadt, die an Lösungen arbeitet. Außerdem beschäftige ich mich viel mit dem Problem, dass es an bezahlbarem Wohnraum mangelt. Das alles ist langsame Arbeit, die aber irgendwann Erfolge zeigen wird. Im Zeitraum von einem oder von 2 Jahren kannst du einen Unterschied in deiner Gemeinde bewirken. Wenn andere Leute das in ihrer Gemeinde angehen – dann läuft das Ganze auf einmal.
Du beschreibst Politik auf eine fast romantische Art und Weise, als etwas Befriedigendes und Dankbares. Ich stelle es mir etwas anders vor: Du arbeitest hart, um etwas zu erreichen, am Ende steht bestenfalls ein Kompromiss. Wie gehst du damit um?
Eitan Hersh:
So ist das Leben! Wie gehst du denn an deine Karriere heran: Entweder gewinne ich jetzt den oder das Ganze ist meine Zeit nicht wert? Oder arbeitest du hart, gibst dein Bestes und kannst am Ende sagen: Das war vielleicht nicht genau das, was ich mir in meinen 20ern vorgestellt habe, aber eigentlich war es doch ziemlich okay. So ist auch Politik. Am Ende ist es befriedigend, Beziehungen aufzubauen, die zu etwas führen.
Wenn du immer nur dazu bereit bist, kurzfristig Energie zu investieren, wirst du sehr viel Zeit damit verbringen, gar nichts zu tun.
Mit Illustrationen von
Mirella Kahnert
für Perspective Daily
Als Politikwissenschaftlerin interessiert sich Katharina dafür, was Gesellschaften bewegt. Sie fragt sich: Wer bestimmt die Regeln? Welche Ideen stehen im Wettstreit miteinander? Wie werden aus Konflikten Kompromisse? Einer Sache ist sie sich allerdings sicher: Nichts muss bleiben, wie es ist.