6 Wege aus dem Mietenwahnsinn: So bleibt Wohnen bezahlbar
Mieten, kaufen, wohnen? Nix da! Heute im Podcast gegen die Weltuntergangsstimmung: Was wirklich hilft, wenn deine Wohnung zum Spekulationsobjekt wird.
Na, hast du es dir gerade auf deiner Couch gemütlich gemacht, um diesen Text zu lesen? Am Schreibtisch im Homeoffice? Mit einem Kaffee am Küchentisch?
Dann sind wir schon mittendrin im Thema. Es geht um dein Zuhause. Zumindest dann, wenn du dafür Miete bezahlst –
Mieten ist in vielen Städten Deutschlands so teuer wie noch nie. Dass Wohnen als Ware gehandelt wird, geht uns alle etwas an. Denn wer mit Lebensräumen spekuliert, verändert nicht nur Stadtbilder, sondern auch soziale Dynamiken und letztlich die ganze Gesellschaft.
14% der Bevölkerung sind durch ihre Wohnkosten überlastet – Statistisches Bundesamt
Wie stoppen wir den Mietenwahnsinn? Welche Möglichkeiten hat die Politik? Wo gibt es schon kreative Lösungen – und wie siegt Solidarität über Konzerninteressen? Darüber sprechen wir heute im vollgut-Podcast.
Weil einige von euch lieber lesen als hören, bereiten wir den Podcast hier als eigenständigen Artikel auf. Unser Podcast-Archiv mit allen bisherigen Episoden zum Nachhören findest du nach einem Klick auf diesen Link. Übrigens: Unseren Podcast kannst du auch bei Spotify, iTunes und vielen anderen Anbietern abonnieren.
Eine Stadt steht auf gegen Spekulant:innen: Was bringt der Mietendeckel?
Rund 1,5 Millionen Haushalte in Berlin hatten im Jahr 2020 wenigstens einen Grund zum Feiern. Am 23. Februar trat das
Die momentan verlangten Mieten liegen sehr oft darüber, rund 340.000 Mieter:innen, die aktuell zu viel bezahlen, könnten vom Mietendeckel profitieren,
So radikal wie die rot-rot-grüne Berliner Koalition ist in Deutschland noch niemand gegen die Immobilienlobby vorgegangen. Sie wolle der Spekulation mit Wohnraum und dem Mietenwahnsinn endlich ein Stoppschild setzen,
CDU und FDP haben auf Landesebene bereits Klage eingereicht – erfolglos. Mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird Mitte 2021 gerechnet. Mindestens so lange gilt der Mietendeckel also. Eine gute Nachricht?
Jein. Es wehren sich nicht nur die wirtschaftsliberal orientierten Parteien gegen das Gesetz, sondern auch diejenigen, die das größte Druckmittel in der Hand haben: den Wohnraum. In den vergangenen Monaten ist das Angebot auf dem Berliner Mietmarkt eingebrochen –
Aber am Ende dürften auch sie profitieren, wenn der Mietendeckel hält. In jedem Fall ist er eine gelungene Kampagne vonseiten der Politik, die signalisiert, dass sie gegenüber Spekulant:innen nicht machtlos ist.
Update: Im April 2021 hat das Bundesverfassungsgericht den Berliner Mietendeckel gekippt. In diesem Kommentar erklärt Katharina, warum sie das Experiment dennoch nicht für gescheitert hält:
Und dafür ist es höchste Zeit. Ganze 11,4 Millionen Menschen in Deutschland lebten im Jahr 2019 in Haushalten, die durch ihre Wohnkosten überlastet waren und
Blick zurück: Wie alles begann
»Wohnungsnot« herrschte eigentlich schon immer. Mit der industriellen Revolution zog es mehr und mehr Menschen vom Land in die Stadt, erste Arbeiter:innenviertel entstanden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten sich die ersten Genossenschaften, um mit gemeinsamem Kapital Siedlungen zu bauen. Ein Bauboom setzte ein: Nach der »Gründerzeit«, der die noch heute beliebten Stadtvillen mit ihren Jugendstilfassaden entstammen, entstanden ganze Stadtviertel im funktionalistischen Stil auf der grünen Wiese. Auch private Baugesellschaften bauten und vermieteten damals mit gemeinnütziger Ausrichtung, denn ein Gesetz der Weimarer Republik gewährte ihnen im Gegenzug Steuererleichterungen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde in Deutschland viel Wohnraum zerstört. Um dem entgegenzuwirken, errichtete die erste Regierung der Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Jahrzehnts rund 3,3 Millionen Wohnungen.
Im Zuge der Wiedervereinigung wurde im Jahr 1990 das aus der Weimarer Republik stammende Gesetz zur Wohnungsgemeinnützigkeit gekippt, das Mieterhöhungen und Unternehmensgewinne beschränkte. Damit war der Weg für Wohnen als Ware frei. Viele Städte verkauften in den kommenden Jahren massenhaft Wohnungen an private Unternehmen, um die Stadtkassen aufzufüllen.
In diesem Artikel von Chris Vielhaus erfährst du mehr über den großen Ausverkauf des »Betongolds«:
Besonders Berlin brauchte nach der Wiedervereinigung Geld und verkaufte Wohnungen zu Schleuderpreisen. Zehntausende davon gehören heute börsennotierten Unternehmen wie der Deutsche Wohnen, die für ihre Aktionär:innen Rendite erwirtschaften. Und wenn die Rendite steigen soll, müssen die Mieten steigen.
Was kann außer einem Mietendeckel noch helfen, bezahlbaren Wohnraum für alle zu sichern?
Bauen, enteignen, tauschen – 6 Ansätze gegen den Mietenwahnsinn
Eines ist klar: Das Thema ist hochkomplex. Es gibt jede Menge Vorschriften und Gesetze, die sich zum Teil auf Länderebene unterscheiden. Außerdem handeln verschiedene Akteur:innen mit Interessen, die sich zum Teil überschneiden, zum Teil aber auch voneinander abweichen.
Und schließlich gibt es zahlreiche Lösungsansätze, wovon manche erprobt sind, andere dagegen noch eher utopisch anmuten. Wir haben einige für euch gesammelt:
- Bauen. Wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, wird die begehrte Ware teurer – das ist ein Grundprinzip der Marktwirtschaft. Die offensichtlichste Lösung lautet in diesem Fall also: bauen, bauen, bauen und damit das Angebot erweitern. Doch so einfach ist es dann doch nicht, schließlich muss auch dafür Geld vorhanden sein. Und nicht nur Wohnungen sind ein teures Gut, sondern auch die Grundstücke, worauf sie gebaut werden. Um zu verhindern, dass damit spekuliert wird, greift beispielsweise die Stadt Ulm durch. Sie
Doch was ist, wenn in der Stadt kein Platz mehr ist? Nach oben bauen wäre eine Möglichkeit. Die Technische Universität Darmstadt und das Eduard-Pestel-Institut Hannover haben berechnet,
Ein aktuelles Vorzeigeprojekt für ein komplett neu geplantes Stadtviertel ist die - Die Stadt als Vermieterin. Auch hier ist Wien Vorbild. Im Gegensatz zu vielen deutschen Städten hat die österreichische Hauptstadt seit den 20er-Jahren an ihrem Wohnungsbestand festgehalten und nicht im großen Stil privatisiert. Die »Wiener Wohnen« gehört zu 100% der Stadt und ist Eigentümerin von mehr als 200.000 Wohnungen. Weitere 200.000 Wohnungen sind im Besitz von gemeinnützigen Genossenschaften, die durch die Stadt gefördert werden. So leben heute fast 2/3 der 1,9 Millionen Wiener:innen in Wohnungen, an denen die Stadt beteiligt ist –
- Enteignen. Dabei ist diese Möglichkeit sogar im Grundgesetz vorgesehen. Artikel 15 besagt: »Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.«
Darauf beruft sich die Berliner Initiative - Selbst kaufen – mit gemeinnützigen Stiftungen. Diese Idee kommt von einem Mann, der selbst viel Geld mit Immobilien verdient hat. Hamid Djadda heißt der Unternehmer, der mit seinem Verein
Der Vorteil am Modell Stiftung als Vermieterin: Ist sie einmal als gemeinnützig anerkannt, kann die Satzung nicht mehr verändert werden. Die darin vereinbarten Mieten sind sicher. Gezahlt werden diese weiterhin, langfristig bekommt Djadda sein Geld also wieder zurück – bzw. seine Familie, zu Lebzeiten werde das wohl nichts mehr, - Leerstand beenden. Auch Spekulant:innen entziehen dem Markt bisweilen Immobilien, die eigentlich ein schönes Zuhause für viele Menschen sein könnten. Darauf machte Ende Oktober in Berlin die Initiative »Leerstand hab ich Saath« aufmerksam, als sie für einige Stunden mit einer Gruppe von Aktivist:innen
- Tauschen. Ein Problem, das mit steigenden Mieten einhergeht: Die Menschen ziehen weniger um, auch wenn sich ihr Bedarf ändert. Warum sollte ein älteres Paar aus seiner 4-Zimmer-Wohnung ausziehen, sobald die Kinder aus dem Haus sind, wenn keine Chancen bestehen, im selben Viertel eine 2-Zimmer-Wohnung zu ähnlich guten Konditionen anzumieten? Wenn die einen zu viel Wohnraum beanspruchen, fehlt er den anderen. Landeseigene Wohnungsbaugesellschaften wie die Howoge in Berlin bieten Tauschbörsen für ihre Mieter:innen an. Der Mieter:innenverein will sich nun dafür einsetzen, dass diese Möglichkeit auch bei anderen Wohnungsunternehmen gängige Praxis wird.
»Die Stadt war wie etwas Altes, Zerknittertes, in dessen Falten Staub und Schätze zu finden waren, aber dann wurde sie glatt gestrichen, ausgefegt, und einige ihrer Bewohner:innen wurden hinausgedrängt, als wären auch sie nur Schmutz.« So erinnert sich die amerikanische Autorin und Essayistin Rebecca Solnit in ihrem neuen Buch an ihre Jahre in San Francisco, einer Stadt, die weltweit als Beispiel für Gentrifizierung dient.
Das Phänomen lässt sich auch in vielen deutschen Städten beobachten: alteingesessene Bewohner:innen müssen aus ihren Quartieren ausziehen, weil wohlhabendes Klientel einzieht. Dabei handelt es sich meist um Viertel, die überhaupt erst aufgrund der Bewohner:innen attraktiv und lebendig geworden sind. Künstler:innenviertel oder Kieze, worin sich kulturelle Vielfalt versammelt, worin sich Menschen selbst organisieren, um eine unterfinanzierte Infrastruktur auszugleichen.
Viele Städte erkennen das inzwischen, ein Umdenken hat längst eingesetzt – und auch die Solidarität untereinander wächst.
Titelbild: Cindy Tang - CC0 1.0