Warum wir Impfungen (nicht) vertrauen
Endlich gibt es ein wirksames Mittel gegen die Pandemie. Doch viele Menschen sind unsicher, ob sie sich impfen lassen sollen. 5 Vorschläge für vertrauensbildende Maßnahmen
Im Jahr 2003 machte im Norden Nigerias ein Gerücht die Runde, das dramatische Folgen hatte. Der Polio-Impfstoff, im Wesentlichen finanziert aus westlichen Geldquellen, mache unfruchtbar und sei ein Komplott zur Ausrottung der muslimischen Bevölkerung. Die Impfbereitschaft sank daraufhin drastisch.
Dabei ist der Impfstoff bis heute das einzige wirksame Mittel gegen die Poliomyelitis, die hierzulande auch als »Kinderlähmung« bekannt
Gerüchte über Impfstoffe verbreiten sich oft so schnell wie die Erreger, die sie bekämpfen sollen. So hält sich zum Beispiel über den
Die vielen Todesfälle, die das Misstrauen in Impfstoffe noch immer nach sich zieht, machen deutlich: Zu verstehen, warum Menschen Vorbehalte gegen Impfungen haben, ist wichtig.
Zu verstehen, warum Menschen Vorbehalte gegen Impfungen haben, kann Leben retten
Die US-amerikanische
Seitdem erforscht sie mit ihrem Team, wie solche Vorbehalte entstehen und wie Wissenschaft und Regierungen ihnen begegnen können. Heute ist Larson sicher, dass sich die Gerüchte in Nigeria damals so gut verbreiten konnten, weil es vor allem an einem mangelte: Vertrauen gegenüber jenen, die den Impfstoff ins Land brachten.
Warum gab es dieses Misstrauen? Nun, es war 2003, 2 Jahre nach 9/11. Sie [diejenigen, die zum Boykott des Impfstoffes aufriefen, Anm. d. Red.] waren überzeugt, dass der Westen und insbesondere die Vereinigten Staaten Krieg gegen Muslime führten. Und sie wussten, dass der Westen und insbesondere die Vereinigten Staaten große Befürworter – und Geldgeber – der globalen Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung waren.
Das Misstrauen führte dazu, dass Helfer:innen der Impfkampagnen immer häufiger vor verschlossenen Türen standen. Weil sich weniger Menschen impfen ließen, breitete sich das Virus wieder aus, auch in anderen afrikanischen Ländern. So dauerte der Kampf gegen Polio länger als geplant – und kostete dementsprechend auch deutlich mehr. Laut Larson waren allein zusätzliche 500 Millionen Dollar nötig, um die 11 Monate des Impfboykotts wieder aufzuholen.
Was können wir für die aktuelle Coronapandemie daraus lernen? Auch hierzulande haben gerade viele Menschen
Und das ist wichtiger denn je – denn Befragungen legen nahe, dass sich heute weniger Menschen für den Impfpikser entscheiden würden als noch vor einigen Monaten.
Die Daten stammen aus dem Covid-19 Snapshot Monitoring (Cosmo), das seit Beginn der Pandemie Daten zur Stimmung in der Bevölkerung in Deutschland sammelt. Laut der letzten Erhebung von Ende Dezember
Doch warum misstrauen Menschen in Deutschland dem Impfstoff und jenen, die ihn empfehlen – Regierung, Wissenschaft und Medizin –, und wie lässt sich das ändern?
1. Polarisierung vermeiden
Wenn derzeit über Impfungen diskutiert wird, scheint es 2 Lager zu geben. Auf der einen Seite stehen diejenigen, denen es nicht schnell genug gehen kann, bis sie an der Reihe sind – auf der anderen Seite die Impfgegner:innen. Doch die meisten Menschen, die gerade noch Vorbehalte haben, lehnen Impfungen nicht grundsätzlich ab.
Das nicht zu übersehen sei wichtig, sagt der Psychologe Philipp Schmid, der am Cosmo-Projekt beteiligt ist, in einer
Wir sehen in der Forschung rund um das Thema Fake News, dass ein großer Treiber von Falschinformationen
Es ist sicher eine der schlechtesten Lösungen, Ängste mit einer Impfpflicht zu übergehen,
In Ungarn, einem Land mit 11 vorgeschriebenen Pflichtimpfungen, vertraut zum Beispiel nur knapp 1/3 der Bevölkerung darauf, dass Impfungen wichtig, sicher und effektiv sind. Auf der anderen Seite haben Menschen in Ländern ohne Impfpflicht das größte Vertrauen in Impfungen,
Statt Menschen mit Zweifeln pauschal abzustempeln oder sie gar zu einer Impfung zu zwingen, sollte es in der Kommunikation darum gehen, ihre Sorgen ernst zu nehmen. Dazu gehört auch, den Ursprung des mangelnden Vertrauens zu ergründen. Und das geht nicht, ohne das Verhältnis der Menschen zu ihren Regierungen in den Blick zu nehmen, die über die Rahmenbedingungen von Impfstoffzulassungen entscheiden, Impfungen anordnen oder empfehlen.
2. Als Vorbild vorangehen und Vertrauen schaffen
Mitte April 2020 gelang einem Reporter in der Uniklinik Gießen ein Schnappschuss mit seinem Smartphone, der in anderen Zeiten wohl kaum Aufsehen erregt hätte: 12 Menschen, die sich in einen Aufzug drängen, einige mit weißem Kittel, einige mit Anzug, alle mit Mund-Nasen-Schutz. Doch es waren besondere Zeiten: Mitte April befand sich Deutschland im ersten Lockdown. Schon seit Wochen hatten die Regierungen von Bund und Ländern an die Menschen appelliert, Kontakte zu reduzieren und Abstand zu halten. Geschäfte und Restaurants, Schulen und Kitas waren deshalb größtenteils geschlossen.
Und dann dieses Bild: Jens Spahn (CDU), der als Gesundheitsminister quasi das Gesicht der Coronamaßnahmen ist, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (ebenfalls CDU) und sein Sozialminister Kai Klose (Grüne) dicht gedrängt im Aufzug bei einem Besuch der Gießener Uniklinik.
Jens Spahn und die anderen beteiligten Politiker räumten ihren Fehler schnell und zerknirscht öffentlich ein. Aber bei vielen Menschen hatten sie Vertrauen
Für meinen Geschmack werden die Maßnahmen zu wenig vorgelebt und durchgesetzt. Das ist Futter für Verschwörungstheorien und damit baut man kein Vertrauen auf.
Politiker:innen wissen, dass sie unter Beobachtung stehen; dass die Bevölkerung ganz genau registriert, wie sie sich in Zeiten verhalten, in denen die Exekutive ihren Handlungsspielraum ausreizt. Und doch gibt es bislang weder von Angela Merkel noch von Jens Spahn oder einem anderen Kabinettsmitglied ein Bild mit hochgekrempeltem Ärmel und Spritze im Arm. Warum eigentlich nicht?
Wahrscheinlich lautet die Antwort schlicht: Weder Angela Merkel noch Jens Spahn gehören zu den Gruppen, die nach der Coronavirus-Impfverordnung zuerst dran sind. Als »Personen in besonders relevanter Position in staatlichen Einrichtungen« zählen sie erst
Ich würde mich auf der Stelle freiwillig impfen lassen, wenn sich die Mächtigen und stets Gierigen um die Impfung reißen würden, Politiker, Vorstände usw. also an erster Stelle kämen. Wenn beispielsweise alle Mitglieder der Stiko [Ständige Impfkommission, Anm. d. Red.] gemeinsam mit der Pfizer-Belegschaft bei einer Pressekonferenz im ersten Impfzentrum anträten, um sich den Impfstoff spritzen zu lassen, wäre das mal ein glaubwürdiges Statement.
Vertrauen wird bei Impfentscheidungen relevant, wenn eine Seite mehr weiß als die andere. So schreiben es Heidi Larson und ihre Kolleg:innen
Mit einem selbst gedrehten Video auf Instagram zeigt die US-amerikanische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, wie vertrauensbildende Maßnahmen aussehen können.
»Ich würde euch nie, niemals darum bitten, etwas zu tun, was ich nicht auch selbst tun würde«, schreibt sie unter dem Video, das sie dabei zeigt, wie sie die erste Dosis des Corona-Impfstoffs
Der gewählte US-Präsident Joe Biden ließ sich ebenfalls medienwirksam impfen,
Nachdem die Corona-Impfungen monatelang als das Wundermittel erwartet wurden, das uns allen mittelfristig die Rückkehr zum Alltag ermöglichen würde, war klar, dass die Bilder der ersten Impfungen nicht nur eine Strategie abbilden,
Doch die Kommunikation in der Pandemie ist nicht durchgehend gut gelungen. Und das nicht nur vonseiten der Regierung.
3. Kommunikation auf Augenhöhe
»Senat verständigt sich auf Corona-Leine!« Schlagzeilen wie diese gab es Mitte Januar jede Menge. Mit der »Corona-Leine« ist die Einschränkung des Bewegungsradius gemeint, auf die sich Bund und Länder zuvor verständigt
»Leine«, das klingt, als betrachte die Regierung die Menschen wie widerspenstige Hunde. So möchte sich wohl niemand sehen. Ein echter Aufreger, der in Titelzeilen sicher viele Klicks bringt – aber auch das Potenzial birgt, Vertrauen zu zerstören.
Seit Corona fühle ich mich als Bürger nicht mehr ernst genommen. Wir werden nicht mehr offen und transparent informiert, sondern wie Kinder behandelt, denen man zu ihrem eigenen Schutz die Wahrheit nicht sagt. Und das schlägt sich dann zum Beispiel in der Impfbereitschaft nieder.
Den Begriff der Corona-Leine haben Medien geprägt, andere Ärgernisse aber hat die Regierung selbst zu verantworten. Unglücklich ist zum Beispiel der oft verwendete Begriff der »Herdenimmunität«, der ebenfalls Assoziationen mit Tieren und nicht unbedingt einer mündigen Gesellschaft weckt. Anthropologin Heidi Larson bevorzugt deshalb den Begriff der »Community Immunity« (auf Deutsch: »Gemeinschaftsimmunität«).
Dafür ist die Herdenimmunität ebenfalls ein gutes Beispiel, also die Frage, ob diese durch die Impfungen gegen Corona überhaupt erreicht werden kann – oder ob der Impfstoff lediglich die geimpfte Person davor schützt, schwer zu erkranken. Mit absoluter Sicherheit kann diese Frage noch nicht beantwortet werden,
Über Risiken und Grenzen der Impfung, so scheint es, reden politisch Verantwortliche wie Jens Spahn im Moment nicht gern. Einerseits ist dieser Impuls nachvollziehbar. Die Impfung ist ein, wenn nicht sogar der entscheidende Baustein im Kampf gegen die Pandemie. Wenn nun Menschen zu Beginn einer Kampagne aber mehr über die Risiken und Nebenwirkungen als über den Nutzen hören, birgt das die Gefahr, dass die Impfbereitschaft sinkt.
Zudem gehört es zur Aufgabe der Regierung, Sicherheit zu vermitteln, mit einer gewissen Grundgelassenheit durch Krisen zu steuern, damit kein Chaos ausbricht, das noch mehr Menschen in Gefahr bringen könnte. Und wer wählt schon einen Politiker, der bei essenziellen Fragen keine selbstbewusste Führung, sondern ein »Das wissen wir leider noch nicht« anbietet?
Am Ende wäre ein solches Eingeständnis vielleicht populärer – und vertrauensfördernder –, als Politiker wie Jens Spahn meinen. Dass Transparenz über Unsicherheiten nicht schadet oder sich sogar positiv auf das Vertrauensverhältnis auswirken kann, dazu gibt es inzwischen sogar
»Man muss der Öffentlichkeit sagen, was man nicht weiß«, meint der Virologe Hartmut Hengel im Rahmen eines Videopanels des
Hier unterscheiden sich Politik und Wissenschaft – in der Wissenschaft wird häufig betont, was noch nicht klar ist, während in der Politik bisweilen schlecht begründete Maßnahmen angeordnet werden, die widersprüchlich sind oder deren (langfristiger) Nutzen für die Gesamtbevölkerung zumindest zweifelhaft ist:
Das liegt teilweise am Wesen von Politik und demokratischen Prozessen, bei denen es nicht um Wahrheitsfindung, sondern um das Aushandeln von Kompromissen und das sensible Austarieren unterschiedlicher Interessen geht. Oder, um es mit den Worten von Kanzlerin Merkel zu sagen: »Politik ist das, was möglich ist.« Diese Tatsache öfter transparent zu kommunizieren, wäre ein Schritt in Richtung von mehr Glaubwürdigkeit – die es bei Impfkampagnen dringend braucht. Was es außerdem braucht: präzise Informationen zu den drängendsten Fragen.
4. Informationen zu den Menschen bringen
Wer sich nicht gerade beruflich mit der Beschaffung von Informationen beschäftigt, kann gerade schnell den Überblick im Wust widersprüchlicher Aussagen und unklarer Regelungen verlieren.
Dabei sind es Informationen – vor allem über mögliche Nebenwirkungen –, die für Menschen der wichtigste vertrauensfördernde Faktor sind. Das legen zumindest die Ergebnisse der Cosmo-Umfrage nahe.
Wer sich für eine Impfung entscheidet, muss abwägen können, ob der Nutzen das Risiko eventueller Nebenwirkungen überwiegt. Nur dann, wenn diese Informationen verfügbar sind, sei es möglich, eine informierte Entscheidung zu treffen, betont auch Psychologe Philipp Schmid.
Es solle allerdings nicht darum gehen, Menschen mit aller Macht vom Impfstoff zu überzeugen. »Letztendlich ist es eine Gegenüberstellung von Informationen; und wenn die dazu führt, dass jemand sagt ›Das reicht mir nicht‹, dann ist das okay«, betont Schmid.
Wer sich erst im Internet mühsam alles zusammensuchen muss, steht schon vor dem ersten Hindernis – und läuft außerdem Gefahr, auf falsche Nachrichten hereinzufallen.
So landeten in einem Stadtteil im Südwesten Berlins kürzlich Flyer in den Briefkästen, die darauf abzielten, Misstrauen dem Impfstoff gegenüber zu wecken. Unter anderem wird suggeriert, dass mehr Menschen an den Impfnebenwirkungen sterben könnten als an Corona – was nicht stimmt.
Dass sich solche Nachrichten on- und offline verbreiten, ist nicht überraschend. Doch einen Flyer vom Bundesgesundheitsministerium oder der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der vor derartigen Falschmeldungen warnt oder ihnen gar mit Fakten zuvorkommt, suchten die Menschen in ihren Briefkästen bisher vergeblich.
Dabei wäre es sinnvoll, Desinformationen zu widerlegen, bevor sie in der Welt sind, meint Psychologe Schmid. »Wir müssen die Menschen auch ›psychologisch impfen‹ und sie darauf vorbereiten, welche Mythen rund um den Impfstoff aufkommen könnten.«
Zielgruppenspezifische Ansprache heißt nicht: Auf dem Poster ist eine Krankenschwester oder ein Pfleger
Umso wichtiger ist es jetzt, gezielt Informationen zum Impfstoff an die Menschen zu bringen und mehr Stellen einzurichten,
Aus früheren Studien sei bekannt, welche Gruppen welche Kommunikationskanäle bevorzugen, sagt Schmid, der nicht nur an der Cosmo-Studie mitwirkt, sondern auch gemeinsam mit anderen Psycholog:innen ein umfassendes Handbuch darüber erarbeitet hat,
Ein Problem bleibt allerdings: Manchmal reicht auch die beste Information nicht aus, um Vertrauen zu schaffen – besonders dann, wenn Gefühle im Spiel sind, kann es schwierig werden. Womit wir beim nächsten Punkt wären …
5. Logik vs. Gefühl? Emotionen brauchen Platz im politischen Prozess!
Wir alle machen manchmal Fehler, obwohl wir es eigentlich besser wissen. Obwohl uns ausreichend Informationen und Erfahrungswerte zur Verfügung stehen, treffen wir »unvernünftige« Entscheidungen, weil uns unser Bauchgefühl in eine andere, in die irrationale Richtung geschubst hat. Doch dieses »Bauchgefühl« hat im demokratischen Prozess keinen festen Platz, kein wirkliches Forum, obwohl es zum alltäglichen Erleben gehört.
Gefühle – wie Ängste und Sorgen vor Impf(stoff)risiken – werden oft eher als Störfaktoren betrachtet, die es im Zaum zu halten gilt, und als potenzielles Manipulationsmaterial in den Händen von Populist:innen. Gefühle und persönliche Neigungen gehören ins Privatleben –
Doch die komplette Abkapselung der Emotionen in die Privatsphäre kann gar nicht gelingen.
Zufällig besetzte Gremien, die gemeinsam Empfehlungen erarbeiten und stellvertretend für unterschiedliche Gesellschaftsgruppen in den Dialog treten, können tatsächlich ein Ansatz sein, der Vertrauen schafft. Wenn Politik nicht mehr in erster Linie als der Kampf um das besser begründete Argument, sondern auch als »Emotionsmanagement« verstanden wird, öffnen sich Chancen, bewusster und wehrhafter gegenzusteuern, wenn Emotionen manipuliert werden.
Das könnte sich heute vor allem in den sozialen Medien bewähren, wo sich Fehlinformationen und Gerüchte rasend schnell verbreiten und so potenzieren. In diesem Umfeld funktioniert, was emotionalisiert, was wütend macht und verängstigt. Bisher hinkt die Politik hinterher, wenn es darum geht,
Gegenseitigen Respekt, Dialog und Beteiligung auf allen Seiten – das fordert auch Heidi Larson mit Blick auf die Impfdiskussion: »Wer Vertrauen steigern will, darf die Auseinandersetzung nicht scheuen.«
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily