Weltrettung ist ein Frauending. Wie wir das nutzen – und ändern!
Ob Greta Thunberg, Ursula von der Leyen oder meine Freundinnen: Wohin ich auch schaue, sind es Frauen, die den Klimaschutz vorantreiben. Das ist kein Zufall. Die Klimakrise ist auch eine Männlichkeitskrise.
Wo ich auch hinschaue in meinem Bekannten- und Freund:innenkreis: Überall sind es die Frauen, die in der Familie als Erste vegan geworden sind oder auf einmal angefangen haben, das Thema »Unverpackt einkaufen« auf den Tisch zu bringen – und den Rest der Familie mitziehen (oder noch mit Widerständen kämpfen).
Dieses Bild setzt sich im Internet fort: Der nachhaltige Online-Aktivismus ist in weiblicher Hand. Männer, die über nachhaltiges Leben, faire Mode und Klimaprotest posten, sind die Ausnahme. Auch die Klimademonstrationen sind in vielen Ländern weiblich geprägt – sowohl mit Blick auf die Teilnehmer:innen als auch was die mediale Berichterstattung anbelangt. Vor allem (junge) Frauen und Mädchen zieren die Titelblätter, Aktivistinnen stehen sichtbar in der ersten Reihe.
Diese Beobachtung macht auch
Weltrettung ist ein Frauending, so sieht es jedenfalls auch auf der großen politischen Bühne aus: Angela Merkel wird als »Klimakanzlerin« betitelt (über die Angemessenheit des Begriffs ist zu diskutieren), Ursula von der Leyen hat als Präsidentin der Europäischen Kommission
Sind das gute Nachrichten? Teils, teils. Mehr Präsenz in der Öffentlichkeit, höhere politische Ämter sowie größere gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten sind ohne Zweifel begrüßenswerte Entwicklungen. Die Frage ist, wie nachhaltig diese Einflussmöglichkeiten sind – und welchem Zweck sie dienen.
Die Töchter sollen ihre kranke Mutter retten
In vielen Religionen und Mythen gibt es Muttergottheiten, welche die Welt und alles darauf befindliche Leben geboren und manchmal sogar unter dem Einsatz ihres eigenen Lebens für dessen Erhalt gekämpft haben. Die Erde wird in spiritueller Anlehnung an diese religiösen Ursprünge auch heute oft als Mutterfigur imaginiert: Die Plakate auf den Klimademos, auf denen ich unterwegs bin, rufen mir verlässlich »Save Mother Earth« oder »Save Gaia« entgegen.
Die kurze Spitzenkarriere der ehemaligen SPD-Chefin Andrea Nahles illustriert den Effekt der
Der Verdacht liegt nahe, dass dieses Prinzip gerade in seinem größten Umfang eingesetzt wird: Der Karren unserer Spezies steckt so tief im Dreck wie nie zuvor, das traditionell vor allem von
Wir sind die Töchter, die ihre kranke Mutter retten sollen. Freiwillig und unter- oder unbezahlt, versteht sich. So war das schließlich schon immer. Das menschliche Leben funktioniert nicht
Daher ist nicht nur der Anteil der sich als weiblich identifizierenden Aktivist:innen fürs Klima hoch – Frauen leben im Schnitt generell nachhaltiger als Männer: Sie ernähren sich häufiger vegetarisch, kaufen »verantwortungsbewusst« ein und legen die meisten Strecken zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück.
Das passiert aber nicht deshalb, weil Frauen per se die besseren Menschen sind – sondern weil ihnen anerzogen wird,
Auf der anderen Seite sind Frauen den Klimaveränderungen stärker ausgesetzt als Männer:
- Weil Frauen öfter von Armut betroffen sind als Männer, fällt es ihnen nach Krisen schwerer, sich finanziell wie psychisch zu erholen und ein selbstständiges Leben aufzubauen.
- Mit zunehmenden Dürreperioden wird die Nahrungsbeschaffung für Frauen aus dem Globalen Süden anstrengender, aufwendiger und gefährlicher.
- In Krisenzeiten wird der erhöhte Bedarf an unbezahlter Sorgearbeit überwiegend von Frauen übernommen (die aktuelle Coronakrise liefert ein anschauliches Beispiel).
- Dazu gehört auch, dass die
- Frauen und alte Menschen leben überproportional häufig in lärmbelasteten und luftverschmutzten Gebieten. Dadurch dass Frauen mehr Care-Arbeit übernehmen, sind sie außerdem länger zu Hause und den gesundheitsschädlichen Umständen in höherem Maße ausgesetzt als Männer.
Die wichtigen Positionen, die klimapolitische Entscheidungen außerhalb der eigenen 4 Wände erlauben, besetzen trotzdem nach wie vor Cis-Hetero-Männer: Sie sitzen wirtschaftlich wie politisch überwiegend an den längeren Hebeln. Auch von der Öffentlichkeit werden sie eher als die Experten für nachhaltige Entwicklung wahrgenommen – als biodynamische Landwirte, Förster, Energiebeauftragte, Wissenschaftler. Frauen sind in erster Linie dafür da, sich zu kümmern, die Botschaft in der Gemeinschaft weiterzutragen, ein Vorbild für andere zu sein: in PR-Abteilungen, im Haushalt, im Bekanntenkreis.
Das Bewahrende und Fürsorgliche, was Frauen als natürliche Eigenschaften zugeschrieben wird, wird somit gegen den ausbeuterischen Kapitalismus gestellt, den das Patriarchat hervorgebracht hat: Rohstoffhunger und Verschwendung gegen Pflege und liebevolles Mitdenken von Natur und Mitwelt. Das blendet natürlich aus, dass kapitalistische Verwertungslogiken vor niemandem haltmachen und es genügend Frauen gibt, die an der Zerstörung des Planeten hocherfreut mitverdienen – so wie es genügend Männer gibt, die alles versuchen, um genau das aufzuhalten.
Warum unbezahlte Sorgearbeit schlecht für das Klima ist
Wir drehen uns im Kreis, und eine Kernfrage, mit der wir uns also auch beschäftigen müssen, wenn wir die Welt retten wollen, ist unsere Vorstellung von Gender: Was ist männlich, was ist weiblich und was gibt es eigentlich außerhalb davon? Wie kommen wir dahin, dass Veganismus und der Kampf für die Utopie nicht mehr als »verweichlicht« und »träumerisch-naiv« gelten? Und das Steak nicht mehr als toxisch-männliche Trotzreaktion gegen die zunehmenden Angriffe auf das Patriarchat hochgehalten wird?
Die Privatisierung von Nachhaltigkeit wird uns den Antworten auf diese Fragen nicht näherbringen. Was wir stattdessen brauchen, ist die »Vergemeinschaftung von sozialer und ökologischer Sorgeverantwortung«, wie Daniela Gottschlich von der Leuphana Universität Lüneburg
Unbezahlte Pflege- und Hausarbeit – überwiegend von Frauen geleistet – schreibt nicht nur die Geschlechterungleichheit fort, sie ist auch eine kostenlose Subvention, die das Wirtschaftswachstum und damit den Ressourcenverbrauch in reichen Ländern weiter antreibt. Zudem fördert sie eine Konsumkultur, die, wie weithin anerkannt, die biophysikalischen Grenzen der Erde inzwischen überschreiten lässt.
Wenn wir wirklichen Wandel wollen, müssen wir diejenigen fair entlohnen, die unsere Gesellschaft eigentlich an ihrem Fundament zusammenhalten: So wie die Ausbeutung insbesondere von Frauen gerade dazu führt, ein für alle schädliches System am Leben zu erhalten, kann die monetäre wie gesellschaftliche Aufwertung von Care-Arbeit dazu beitragen, Pflege und Sorge zu einem tragenden Sektor einer grüneren Welt – und nebenbei attraktiv für alle Geschlechter – zu machen.
Wenn Klimaschutzentscheidungen am Ende doch wieder von alten weißen Männern in Machtpositionen getroffen werden, besteht nicht nur die Gefahr, dass sich wenig bis gar nichts vorwärtsbewegt – immerhin profitieren sie am meisten von der aktuellen Situation und haben daher ein großes Interesse daran, dass im Wesentlichen alles so bleibt, wie es ist. Das, was sich bewegt, berücksichtigt höchstwahrscheinlich nicht die Perspektiven von Frauen, LGBTQIA+ und anderen marginalisierten Gruppen, die sich ganz anders in der Gesellschaft orientieren – und dementsprechend von der cis-männlichen Norm abweichende Bedürfnisse haben. Wenn wir Gesetze zum Klimaschutz entwerfen, müssen wir uns fragen: Nimmt die Arbeitsbelastung im Haushalt zu? Wird die Mobilität von bestimmten Personengruppen eingeschränkt? Ist die Sicherheit im öffentlichen Raum für alle Beteiligten gewährleistet (wenn man nachts beispielsweise Straßenbeleuchtungen abschaltet, um Strom zu sparen)?
Aus dieser Perspektive ist es gut und wichtig, dass der Frauenanteil auf den Klimademos so hoch ist – aber nicht ausreichend. Wir brauchen auch diversere Stadtplaner:innen, Architekt:innen, Politiker:innen – Schlüsselfiguren mit der Macht, sehr konkret Dinge zu verändern. Unsere Antworten auf die Klimakrise dürfen nicht geschlechterblind (gender-blind) sein. Das bedeutet auch, die Kategorie Gender nicht automatisch mit »Frauen« gleichzusetzen und damit das Mann-Frau-Schema zu reproduzieren, sondern sich immer wieder klarzumachen: Gender ist ein soziales Konstrukt, das mit sich überschneidenden Machtbeziehungen aufgeladen ist.
Nicht alle Frauen in dieser Gesellschaft (und auf der Welt) sind gleich, nicht alle Menschen sind entweder Mann oder Frau. Wir können (und müssen) Konstrukte neu denken. Wenn gleich viele Frauen wie Männer in Entscheidungspositionen sitzen, ändert sich nicht zwingend etwas – diese Menschen müssen auch ein Bewusstsein für die Verflechtungen von Klima und Gender mitbringen. Dieses Wissen muss erlernt werden.
Titelbild: Milena Zwerenz - copyright