Mein Frühjahr auf dem Acker: Wie Solidarische Landwirtschaft funktioniert
Saisonales Gemüse und faire Bezahlung für Erzeuger:innen zeigen: Landwirtschaft abseits des Marktes ist möglich. Warum es dabei um mehr geht als nur um Gemüse, Obst und Fleisch, hat unsere Autorin erst beim Mithelfen gelernt.
Mein persönliches
Auf dem einen Hektar dazwischen, wo vor wenigen Monaten noch karges Braun dominierte, wächst inzwischen verschwenderisches Grün, hier und da durchzogen von knallrotem Klatschmohn, weißer Kamille und dem zarten Blau von Kornblumen. Erst beim Näherkommen zeigt sich, dass das Grün nicht einfach wuchert, sondern dass ein System dahintersteckt: Es reiht sich Beet an Beet, alle in der gleichen Breite, der gleichen Länge und mit den gleichen Abständen zueinander. Dazu kommen ein Folientunnel, eine
»Die Lebensmittel verlieren ihren Preis und erhalten so ihren Wert zurück.« –
Der Acker, die Beete und auch ich sind Teil der
Die Ursprünge der Solidarischen Landwirtschaft entstanden in den 60er-Jahren in Japan. Von dort verbreitete sich das Konzept auf der ganzen Welt, zum Beispiel unter dem Namen Community Supported Agriculture in den USA. In Deutschland ist die Zahl der Solawis erst in den letzten Jahren merklich gestiegen.
Bei der konkreten Umsetzung gibt es verschiedene Modelle: Viele Solawis sind als
Meditation auf dem Acker
In Tegernheim wird nur der Acker für das Gemüse gepachtet, die Produktion liegt ganz in den Händen des Vereins. Inzwischen wurden 2 Gärtnerinnen und ein Gärtner – alle ebenfalls Mitglied im Verein – für insgesamt 42 Stunden pro Woche angestellt. Janica, Linus und Sophie haben unter anderem den Anbauplan für das Jahr erstellt und behalten den Überblick über den Acker. Nachdem der Anbau in Parzellen im ersten Jahr der Solawi nicht sehr effizient funktioniert hat, wurde für 2021 auf das sogenannte Market Gardening umgestellt.
Die Gärtner:innen haben feste Feldzeiten. Wer mitarbeiten möchte, kann sich in einer monatlichen Doodle-Liste eintragen, eine kurze Nachricht in der
Die Kirchturmglocken lassen uns wissen, wenn wieder eine Viertelstunde vorbei ist. Dann noch eine. Und noch eine. Der Arbeitsrhythmus wirkt fast meditativ, ich merke kaum,
Was heißt schon solidarisch?
Von den Gärtner:innen und von der Arbeit lerne ich ganz nebenbei viel Neues, zum Beispiel über
Die Bieter:innenrunde verdeutlicht vielleicht am besten, weshalb diese Art der Landwirtschaft das Adjektiv »solidarisch« im Namen trägt: Zu Beginn eines Jahres werden die gesamten Ausgaben für die nächsten 12 Monate – Pacht, Kosten für Werkzeuge und Saatgut, Gehälter für die Gärtner:innen – überschlagen und dann durch die Anzahl der Mitglieder geteilt. Der durchschnittliche kostendeckende Betrag, den jedes Mitglied pro Monat zahlen müsste, dient allerdings nur zur Orientierung. In einer anonymen Bieter:innenrunde geben alle an, welchen Beitrag sie zahlen können und möchten. Wer nicht so viel Geld hat, hat immer die Möglichkeit, sich auf dem Feld oder anderweitig im Verein einzubringen. Die Mitarbeit basiert auf Vertrauen; Kontrollmechanismen gibt es keine. Sowohl letztes als auch dieses Jahr kam die nötige Summe bereits in der ersten Runde
Der solidarische Gedanke umfasst viele Bereiche. Es bedeutet für mich, dass jeder so viel zahlt, wie er kann, damit jeder, unabhängig vom Einkommen, dabei sein kann. Faire Arbeitsbedingungen und geteilte Verantwortung gehören auch dazu. Ebenso Solidarität mit Verpächtern und Kooperationspartnern, zum Beispiel in Form von fairer
Von der Konsumentin zur Produzentin
Gut 2 Stunden war ich heute auf dem Feld. Bevor ich wieder nach Hause fahre, hole ich meinen Ernteanteil für diese Woche aus der Scheune. Auf einer Tafel steht, wie viel ich jeweils aus den grünen Kisten abwiegen und mitnehmen darf: ein Salatkopf (Sorte Batavia Mineral), Radieschen, ein Rettich, 200 Gramm Hirschhornwegerich, 2 Fenchelknollen, 300 Gramm Spinat, eine Zwiebel, so viele Zuckerschoten, wie ich ernten möchte, und ein Strauß Wildblumen. Zu Hause unter der Dusche kratze ich die Erde unter meinen Fingernägeln hervor und versuche, den Löwenzahn von meinen Händen zu schrubben. Der Muskelkater im unteren Rücken kündigt sich bereits an, die Schultern sind leicht sonnenverbrannt, aber ich fühle mich einfach gut.
Dem natürlichen Verlauf der Jahreszeiten geschuldet, waren die Ernteanteile in den Wintermonaten sehr klein, jetzt sind die Kisten in der Scheune von Woche zu Woche üppiger gefüllt und ich freue mich jedes Mal über die Vielfalt, probiere neue
Aber es dauert wohl einfach seine Zeit, verinnerlichte Denkmuster wieder zu verlernen. Der Gedanke sitzt tief, dass alles zu jeder Zeit verfügbar ist, ganz einfach beim Supermarkt um die Ecke. Was ich außerdem verlernen möchte: Dass ich mich manchmal noch zu sehr als Nutzerin einer Dienstleistung statt als Teil einer Solidargemeinschaft sehe. Klar, ich arbeite mindestens jede zweite Woche beim Gemüseanbau auf dem Acker mit, aber bin ansonsten bisher nicht selbst in einer der AGs aktiv geworden. Und manchmal braucht es erst einen Hilfeaufruf in der Signal-Gruppe, damit ich mich aufraffe, loszuradeln.
Ein fortlaufendes, soziales Experiment
Mit meinen Gedanken und innerlichen Konflikten bin ich nicht allein. »Von den Mitgliedern wünsche ich mir, dass sich jeder in dem Umfang und Bereich, der für ihn passt, einbringt. Es wäre auch schön, wenn sich jeder mal mit dem Acker auseinandersetzt, sich ein bisschen umschaut und im besten Fall auch mal mithilft. Einfach, damit man sich ein bisschen mehr als Teil davon sieht und weiß, was dahintersteckt«, sagt die festangestellte Gärtnerin Janica.
»Es gibt 2 große Herausforderungen: Einerseits ist da das Organisatorische, also den Aufbau wirklich zu stemmen. Dabei wollen wir das Ehrenamt nicht zu sehr unter Druck setzen, denn das Ganze ist schließlich freiwillig und soll Spaß machen. Andererseits ist da das Soziale. Denn eigentlich ist die Solawi nichts anderes als ein soziales Projekt«, meint auch Roland Greiner. Der promovierte Biologe initiierte 2019 die Solawi in Tegernheim und sitzt im Vorstand. Wenn es nach ihm geht, ist diese Funktion eine rein rechtliche Formsache und gilt nur auf dem Papier. Denn der Verein soll langfristig
Dafür, dass meine persönliche Utopie noch lange Früchte trägt, muss ich etwas tun. Ich muss mich aktiv einbringen, mein Konsumverhalten immer wieder hinterfragen und
Dieser Artikel ist Teil des journalistischen Projekts »Tu, was du für richtig hältst!«, das dir helfen soll, dein Verhalten mit deinen Idealen in Einklang zu bringen. Um mehr darüber zu erfahren und herauszufinden, wie groß die Lücke zwischen deinen Idealen und deinem Verhalten ist, klicke hier! Das Projekt erfolgt in Kooperation mit dem Wuppertal Institut (WI) und wird gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU).
Titelbild: Jonathan Kemper - CC0 1.0