Was macht Gratis-Geld mit der Arbeitswelt?
Weltweit wird über ein Grundeinkommen diskutiert und fleißig experimentiert. Würdest du aufhören zu arbeiten, wenn du jeden Monat 1.000 Euro geschenkt bekämst?
Gratis-Geld für jeden. Jeden Monat und ohne etwas dafür tun zu müssen. Das ist in aller Kürze die Idee eines Grundeinkommens. Finnland startet gerade eines der größten Experimente in der westlichen Welt, das Silicon Valley bejubelt die Idee und die französische sozialistische Partei hat vor einigen Tagen überraschend Benoît Hamon die meisten Stimmen gegeben. Der
Doch worüber reden wir hier eigentlich? Bei der Debatte um ein Grundeinkommen liegt der Teufel – wie so häufig – im Detail. Es gibt nicht das eine Grundeinkommen. Auch wenn die Grundidee sich in einem Satz zusammenfassen lässt, hängt die genaue Umsetzung von vielen Faktoren ab. Diese entscheiden darüber, wie hoch das Grundeinkommen ist, wer es bekommt und wie es finanziert wird. Und vor allem auch, inwieweit es das bestehende Sozialsystem ersetzen soll.
Bevor diese Entscheidungen anstehen, steht jedoch eine offensichtliche Frage im Raum: Ist es gerecht, Menschen Gratis-Geld zu geben?
Es gibt nicht das EINE Grundeinkommen
Die Frage ist nicht neu. Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde in England Gratis-Geld verteilt,
Mit dem Scheitern der Idee im amerikanischen Kongress war die Debatte jedoch nicht beendet. Im Gegenteil: 1986 schlossen sich Verfechter des Ansatzes in der Organisation
»Lange Zeit war die Debatte vor allem philosophischer Natur. Dabei waren Details zur genauen Umsetzung weniger wichtig. Wenn wir jetzt aber mehr und mehr Experimente durchführen und Politiker das Thema wieder auf die Agenda packen, müssen wir uns auf die Details fokussieren«, betont
Seine These: Es gibt nicht das eine Grundeinkommen.
Geht es um Arbeitsplätze oder Armutsbekämpfung?
Zielsetzung und Umsetzung können durch unterschiedliche Motive bestimmt werden. 2 prominente Beispiele:
Das Roboter-Motiv: Aktuell dominieren Unternehmer wie
»Das Roboter-Motiv entpolitisiert die Idee des Grundeinkommens komplett: Es werden Arbeitsplätze verschwinden und es wäre gut, dafür eine Lösung zu haben, um alle zufrieden zu stellen«, erklärt Jurgen De Wispelaere.
Das soziale Motiv: Die Möglichkeit, mit dem Grundeinkommen Armut zu bekämpfen, bestimmte beispielsweise Richard Nixons Überlegungen vor knapp 50 Jahren. Soziales Engagement und die Gesundheit der Bevölkerung sollten verbessert werden.
Mit einem sozialen Motiv im Hinterkopf geht es um ein möglichst hohes Grundeinkommen, das die eigene Existenz sichert. Bestehende Sozialleistungen sollen nicht abgeschafft werden, sondern nach Möglichkeit erhalten bleiben.
»Vor einigen Jahren gab es auch feministische Bewegungen, die in einem Grundeinkommen eine starke emanzipatorische Kraft sahen. Wo sind diese Argumente in der aktuellen öffentlichen Debatte geblieben?«, fragt Jurgen De Wispelaere.
Die unterschiedlichen Motive schließen einander nicht aus, sorgen aber für jeweils andere Schwerpunkte. Ohne zu wissen, von welcher Art von Grundeinkommen die Rede ist, lassen sich sowohl die genaue Umsetzung als auch mögliche Kritikpunkte kaum diskutieren. »Bevor ein Grundeinkommen eingeführt wird, sollten Computer-Simulationen durchgeführt werden«, erklärt Jurgen De Wispelaere das weitere Vorgehen. »In solchen Simulationen kann der Nutzer genau angeben, welche politischen Maßnahmen und Anpassungen vorgenommen werden sollen. So bekommt er eine Idee davon, wie sich diese auf die Gesellschaft auswirken. Zum Beispiel in Abhängigkeit von der Höhe des Einkommens und der Finanzierungsart.« Solche Simulationen sind natürlich begrenzt. Sie sind quasi ein erster Test, ob die Pläne überhaupt zu den gewünschten Ergebnissen führen können.
Wie komplex das sein kann, zeigt ein Beispiel aus Großbritannien. Die Grüne Partei wollte dort ein Grundeinkommen einführen und hatte einen Plan ausgearbeitet. Das Ziel: den Ärmsten der Bevölkerung zu helfen. Erste Simulationen zeigten jedoch, dass die geplante Umsetzung den Ärmsten vermutlich zusätzlich schaden würde – statt deren Situation zu verbessern. Die gemeinnützige Organisation, die die Berechnungen überprüfte, erklärte, dass das komplexe Sozialsystem dafür verantwortlich sei. Dieses habe einen groben Fehler in den Planungen offengelegt.
Das Beispiel zeigt: Wie viel mit einem Grundeinkommen möglicherweise gespart oder gewonnen werden kann, lässt sich nicht pauschal für das Grundeinkommen errechnen. Die genaue Umsetzung im bereits vorhandenen Sozialsystem ist entscheidend.
Es gibt jedoch eine Sache, die alle Formen des Grundeinkommens verbindet.
Sollen wir für Windsurfer zahlen?
Die Bedingungslosigkeit. Bedingungslosigkeit im Sinne von »du musst dir keine Arbeit suchen, um ein Grundeinkommen zu erhalten.« Sie ist es, die Gegner und Befürworter spaltet. Sie bringt uns auch zurück zur offensichtlichen Frage, die im Raum steht: Ist es gerecht, Menschen Gratis-Geld zu geben?
Da die Fronten bei dieser Frage meist recht verhärtet sind, lohnt sich vielleicht ein Gedankenexperiment, um eine andere Perspektive einzunehmen: Was wäre, wenn wir mit dem Grundeinkommen auch Windsurfer finanzierten, die auf Sylt den ganzen Tag nichts anderes täten, als zu surfen? Würde das dazu führen, dass wir alle nach Sylt ziehen würden?
Tatsächlich ist dieser Gedanke nicht nur »Experiment«, sondern basiert auf tatsächlichen Ereignissen. Ende der 1960er-Jahre zogen zahlreiche amerikanische Windsurfer nach Hawaii, um dort das gut ausgebaute Sozialsystem zu genießen – und natürlich, um zu surfen. Das wurde dem damaligen Senator des amerikanischen Bundesstaates irgendwann zu bunt. Er erließ ein Gesetz, nach dem Sozialleistungen nur den Menschen zustehen, die seit mindestens einem Jahr auf Hawaii wohnen.
Das aber sei falsch, weil jeder Surfer das gleiche Recht auf die entsprechenden Leistungen habe. So argumentiert der belgische Philosoph Philippe Van Parijs, der den Vorfall 1991 in seinen
Die Frage, wie viele Menschen aufhören würden zu arbeiten – oder nach Sylt oder Hawaii ziehen würden – können wir empirisch untersuchen, indem wir Experimente mit einem Grundeinkommen durchführen. Die Frage nach Fairness und Gerechtigkeit ist aber eine moralische.
Das Gefühl von Gerechtigkeit ist individuell
Erwartest du für jeden Gefallen immer auch eine Gegenleistung? Auch wenn dies vorab nicht so abgesprochen war, wenn dir ein Nachbar zum Beispiel einen Gefallen tut?
Deine Antwort auf diese Frage ist wahrscheinlich ähnlich wie deine Einschätzung, ob du die Idee eines Grundeinkommens gerecht findest.
Wenn du für jeden Gefallen eine Gegenleistung erwartest, schätzt du die Idee sicher eher als ungerecht ein. Du benötigst dann jedoch ein System, das sämtliche Gegenleistungen misst, um zu überprüfen, ob alle Beteiligten entsprechend zur Gesellschaft beitragen. So ein System haben wir heute im Prinzip mit unseren modernen Sozialsystemen: Wer arbeitsfähig ist, muss sich Arbeit suchen; wer nicht in der Lage ist, wird solidarisch unterstützt. Wer sich trotz Arbeitsfähigkeit nicht bemüht, bezahlte Arbeit zu finden, erhält auch keine Gegenleistung in Form von finanzieller Absicherung.
Erwartest du hingegen nicht für jeden Gefallen eine Gegenleistung, kannst du dich wahrscheinlich gut mit den Argumenten der Befürworter eines Grundeinkommens identifizieren. Sie hinterfragen, ob wir Menschen ständig überprüfen wollen – nur um festzustellen, ob sie sämtliche Auflagen erfüllen. Diese Auflagen wiederum sind Teil eines komplexen Systems, das durch die häufig
Ein Kritikpunkt der Gegner setzt genau hier an: Ein Grundeinkommen sei menschenunwürdig, weil jeder Arbeitsfähige ein Recht auf einen bezahlten Job habe. Ein Grundeinkommen würde dem nicht arbeitenden Teil der Bevölkerung vermitteln:
Als ob ein Job ganz selbstverständlich immer etwas Gutes sei, egal wie gefährlich, fordernd oder erniedrigend er ist. – James Livingston
Einige Befürworter plädieren dafür, bezahlte Arbeit generell umzudenken, und fragen:
Andere häufige Kritikpunkte der Gegner richten sich vor allem an die genaue Umsetzung und damit verbundene Auswirkungen. Ein Grundeinkommen sei viel zu teuer und würde das Sozialgefüge zu sehr stören. Außerdem würden sicher viele Menschen einfach aufhören zu arbeiten – und zum Beispiel nach Sylt zum Surfen auswandern.
Tatsächlich sprechen weltweit die Ergebnisse der letzten Jahrzehnte zum Grundeinkommen gegen viele dieser Befürchtungen, die die praktische Umsetzung betreffen. Hier lohnt sich ein Blick in Richtung Kanada.
Gratis-Geld macht gesund
Während die USA in den 1970er-Jahren über die Pläne Richard Nixons diskutierten, startete ihr nördlicher Nachbar seine eigenen Experimente. Eines davon ist mittlerweile sehr berühmt geworden: das Mincome-Experiment in Manitoba im Ortskreis Dauphin. Anders als bei allen anderen Experimenten erhielt dabei zum ersten Mal eine gesamte Region die Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum ein Grundeinkommen zu empfangen. Die maximale Höhe betrug dabei 60% des monatlichen Familieneinkommens unter der Armutsgrenze, und für jeden verdienten Dollar verringerte sich das Grundeinkommen um 50 Cent. Das heißt: Liegt die Armutsgrenze bei 1.000 Euro, beträgt das Grundeinkommen 600 Euro.
Das Experiment war als Pilotstudie für eine mögliche landesweite Umsetzung gedacht. Doch mit der Ölkrise änderte sich die politische Situation. Forschungsgelder wurden eingestampft und 1979 endete das Experiment nach 4 Jahren. Die gesammelten Daten landeten unausgewertet im Keller, bis 2008 ein Forschungsteam der Universität von Manitoba unter Leitung von Evelyn Forget begann, die 1.800 großen Kartons voller Daten zu analysieren.
Da die Daten teilweise unvollständig waren, half ein wenig Puzzlearbeit. So konnten die Wissenschaftler zeigen, dass während des Experiments die Anzahl der Krankenhausbesuche abnahm und Schüler durchschnittlich länger eine Schule besuchten. Einige Schulabgänger kehrten sogar wieder zurück auf die Schulbank.
Auf die Frage, ob wir alle windsurfen gehen, wenn wir Gratis-Geld bekommen, gibt es keine »finale« Antwort. Experimente wie das im kanadischen Dauphin und auch in Entwicklungsländern zeigen jedoch häufig das Gegenteil.
Auch die Kriminalität sank in vielen Fällen.
Ein Einkommen weit unter der landesspezifischen Armutsgrenze wird vermutlich nicht zeigen, ob tief in uns allen ein Windsurfer steckt. Dennoch bringt es uns zurück zum aktuellen Experiment in Finnland:
Was wir vom finnischen Experiment lernen können
Die Hauptmotivation für das finnische Experiments ist, Geld zu sparen und
»Als das finnische Experiment Wirklichkeit wurde, waren Verfechter der Grundeinkommens-Idee in Ekstase. Aber als dann die Details bekannt wurden, schlug die Stimmung um.« –Jurgen De Wispelaere
Auch wenn – oder gerade weil – jedes Experiment zum Grundeinkommen separat betrachtet werden muss, ist Jurgen De Wispelaere überzeugt, dass wir aus jedem einzelnen 3 wichtige Dinge lernen können:
- Verhaltenseffekt: Wir können aus den Ergebnissen etwas über menschliches Verhalten lernen, also die »Unbekannte« in den zuvor beschriebenen Computersimulationen. Zum Beispiel: Gibt es gesundheitliche Effekte? Verringert ein Grundeinkommen Stress? Wie wirkt es sich auf soziales Engagement aus? Nimmt der Anteil an bezahlter Arbeit ab oder zu?
- Politische Agenda: Bereits die Ankündigung des finnischen Experiments hat der Idee zusätzliche Bekanntheit verschafft. Die Reaktionen zeigen, wie Politiker international reagieren, und helfen einzuschätzen, ob es weitere Experimente geben wird.
- Umsetzung: (der vielleicht wichtigste Punkt) »Ein Grundeinkommen wird – egal in welcher Form – nicht über Nacht eingeführt. Es wird immer eine schrittweise Einführung geben«, betont Jurgen De Wispelaere. Das finnische Experiment sei viel näher an der Realität als vorherige Experimente. »Darum können wir trotz aller Einschränkungen viel davon lernen.« Politische Entscheidungsträger werden gezwungen, über das Konzept nachzudenken und systemische Zusammenhänge zu verstehen. Wo müssen Gesetze geändert werden? Wie kann gewährleistet werden, dass eine schrittweise Einführung nicht dazu führt, dass Menschen kurzzeitig schlechter dastehen, zum Beispiel, wenn bestimmte Sozialleistungen wegfallen?
In Deutschland gibt es im Moment kein wissenschaftliches Experiment mit Gratis-Geld. Seit 2014 sorgt aber eine Initiative für Aufsehen.
Das deutsche »Experiment«
»Mein Grundeinkommen« verlost 1-jährige Grundeinkommen in Höhe von 1.000 Euro pro Monat. Vollständig finanziert über Crowdfunding.
»Wir wollten einfach mal zeigen, was so passieren kann, wenn Menschen bedingungslos ein Einkommen erhalten«, beschreibt Mitarbeiter Christian Lichtenberg die Motivation hinter dem gemeinnützigen Verein »Mein Grundeinkommen«. Bisher sind schon 70 Menschen versorgt worden. »Ein gutes Beispiel war jemand, der Dank des Grundeinkommens seinen Job im Call-Center gekündigt hat und ein Pädagogik-Studium begann. Bisher gab es niemanden, der beschlossen hat, ›nichts‹ mehr zu tun«, fasst Christian Lichtenberg die bisherigen Erfahrungen zusammen. Die einzelnen Geschichten auf der Website zeichnen ein buntes Bild der Empfänger. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass die Empfänger nicht repräsentativ sind. Über ihre Motivation lässt sich nur spekulieren: Vielleicht sind sie besonders motiviert, weil sie eine finanzielle Absicherung für eine Umschulung benötigen. Vielleicht sind sie aber auch eher der entspannte Surfer-Typ.
Die Initiatoren hinter »Mein Grundeinkommen« haben ein optimistisches Menschenbild: Sie sind überzeugt, dass Dynamiken dort entstehen können, wo Menschen die Möglichkeit bekommen, ohne Existenzangst zu leben. Mit ihrem »Experiment« möchten sie einen Beitrag zur Grundeinkommens-Debatte in Deutschland liefern.
Die Frage lautet also: Werden wir statt zu »faulen Surfern« eher zu »kreativen Surfern«, die eine Surfschule eröffnen, ein Strandcafé aufmachen oder den Strand sauber halten?
Wohin geht die Reise? Ein Zwischenfazit
Auch wenn weitere Experimente und Erfahrungen nötig sind, um diese Frage umfassender beantworten zu können, steht fest: Die bisherige Datenlage gibt Grund, optimistisch zu sein. Auch weil eine pessimistische Haltung zur sich selbst bewahrheitenden Prophezeiung werden könnte.
Ein weiterer Aspekt, dem in der Debatte noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist die
Wie viel »extra« können wir noch produzieren und konsumieren? Wenn wir bereit sind, Arbeit neu zu denken, und hinterfragen,
Ein Gedanke, der erst mal befremdlich wirken mag – doch genau deshalb müssen wir drüber sprechen.
Titelbild: Old Tripod - CC BY 3.0