Jäger sucht Sau
Warum die deutsche Jagd besser ist als ihr Ruf. Was Wildschweine mit Artenschutz und globaler Erwärmung zu tun haben. Und wie man tiergerechter jagen könnte.
Beim Thema Jagd scheiden sich die Geister.
Ein Beispiel: Neulich hat mein 4-jähriger Neffe ein Foto per Whatsapp verschickt. Vom Handy seiner Mutter. An alle Eltern der »Marienkäfer-Gruppe« seines Waldkindergartens. Meine Schwägerin merkte es erst, als sie ein vorwurfsvolles »?« auf ihrem Handy entdeckte und nach oben scrollte. Das folgende Bild hatte ihr Spross unwissentlich ins digitale Nirwana entlassen (bitte genau betrachten):

Welche Emotionen ruft dieses Bild hervor? Ekel oder Mitleid angesichts der toten Tiere? Befremden oder Empörung, dass Kinder einer solchen Situation ausgesetzt werden? Vielleicht sogar Wut?
Für mich zeigt das Bild eine völlig normale Szene. Im Freundes- und Familienkreis kursieren häufig Bilder erlegter Tiere, die regelmäßig mit einem anerkennenden »Waidmannsheil!« quittiert werden. Mich erinnert das Bild an Heimat.
»Die wenigsten Menschen wollen es wahrhaben, und doch ist es in deutschen Wäldern blutige Realität: 320.000 Jäger bringen jedes Jahr 5 Millionen Wildtiere ums Leben.« – abschaffung-der-jagd.de
Ich bin wie die Kinder auf diesem Bild aufgewachsen, habe als Jugendlicher auf Jagden mitgetrieben und mit 15 meinen Jagdschein gemacht. Auf dem Land ist die Jagd, der wohl älteste Brauch der Menschheit, für viele ein Selbstverständnis – und gehört auch zum gesellschaftlichen Leben dazu. Das hat mich geprägt.
Anderen wiederum ist es unbegreiflich, wie man willentlich Tiere töten kann. Als Hobby.
Diskussionen zwischen Jägern und Jagdgegnern verlaufen deswegen selten konstruktiv. Hier die Arroganz gegenüber dem Laien, dort Verachtung infolge moralischer Überheblichkeit. Und natürlich viele Grautöne dazwischen. Eine verzwickte Situation.
In diesem Text soll es um solche Grautöne gehen – und ein bisschen auch um Aufklärung. Am Beispiel »Wildschwein« möchte ich das Erfordernis für das Töten wilder Tiere erläutern – und aufzeigen, wie komplex auch beim Thema Jagd die Zusammenhänge sind. Und schließlich möchte ich Reformpotenzial aufzeigen – vor allem mit Hinblick auf das vieldiskutierte Tierwohl.
Die deutsche Jagd ist besser als ihr Ruf
Zunächst eine Zahl, die angesichts von Trends zu

Der »Artemis Award« will das Marketing-Potenzial von Jägerinnen nutzen. Seit vergangenem Jahr wird die »Jägerin des Jahres« gesucht. Das soll dabei helfen,
Ob’s hilft? Die Gewinnerin 2016, Doris Moser, dürfte zumindest 2 zentrale Argumente haben, wenn es um gängige Skepsis gegenüber der Jägerschaft gilt:
- Jäger verstehen viel von der Natur: In kaum einem anderen Land ist es so schwer, Jäger zu werden wie in Deutschland. Nicht wenige haben für die Jägerprüfung mehr gelernt als für ihr Abitur. Jäger müssen über
Früher erforderte es je nach Bundesland etwa 1 Jahr abendlichen Unterricht (und Schießtraining am Wochenende), bis man die Jägerprüfung ablegte. Heute absolvieren immer mehr angehende Jäger einen (unter vielen älteren Jägern kritisierten) »Crashkurs« bei Jagdschulen, die in mehrwöchigen Intensivkursen fit für die Jägerprüfung machen. Insgesamt – das lässt sich sagen – befindet sich die Ausbildung der Jäger in Deutschland auf hohem Niveau. Zum Vergleich: In den USA brauchen Jagdbegeisterte gar keine Prüfung abzulegen. Sie können ihre Jagdlizenz ganz unkompliziert beim - Strenge Vorschriften: Jagdausübung berührt zahlreiche Interessen: Tier- und Naturschutz (inklusive Artenvielfalt), Land- und Forstwirtschaft, Fleischhygiene, Waffen- und Straßenverkehrs-Sicherheit – und schließlich das Recht des
Für Quizbegeisterte: Unter dem Artikel führt ein Link zu über 200 Fragen aus der sächsischen Jägerprüfung.
Ein Zwischenfazit: Deutsche Jäger sind gut ausgebildet. Und sie müssen zahlreiche (überwiegend sinnvolle) Regeln beachten, wenn sie auf Jagd gehen.
Aber sollte es überhaupt erlaubt sein, wildlebende Tiere zu töten?
Die Gewinner der globalen Erwärmung sind borstig
Einigen ist bereits die Vorstellung, dass Tiere erschossen werden, so zuwider, dass es für sie aus Prinzip verboten gehört. Andere wünschen sich eine Natur, die möglichst frei von menschlichen Einflüssen ist. Sie wehren sich deswegen gegen das Argument, dass die Jagd auch zugunsten des Artenschutzes den Erhalt eines Gleichgewichts anstrebt.
Das größte wirtschaftliche Argument für die Jagd resultiert aus den Wildschäden in Land- und Forstwirtschaft. Das Beispiel Wildschweine veranschaulicht die Problematik (für andere Wildarten gilt Ähnliches): Schon heute pflügen die vielen Wildschweine manchmal ganze Felder um. Für solche Schäden haftet zwar grundsätzlich der Jagdausübungsberechtigte – also die Person,
Bundesweit steigende Wildschwein-Populationen legen nahe, dass sich dieses Problem weiter verschärfen wird, wenn nicht erheblich mehr Wildschweine erlegt werden. Etwa 610.000 Wildschweine wurden in Deutschland im Jagdjahr 15/16 geschossen – rund 90.000 mehr als im Jahr zuvor. 2 Jahrzehnte früher waren es noch gut 250.000 – ein Anstieg um 140% binnen 20 Jahren.

Wildschweine sind die einzigen Säugetiere in unseren Breitengraden, die bis zu 10 Nachkommen auf einmal aufziehen können. Ohne Jagd kann sich ihre Population theoretisch verdreifachen –
- Globale Erwärmung: Wildschweine profitieren gleich doppelt von der globalen Erwärmung.
Erstens werden sogenannte »Mastjahre« immer häufiger. So bezeichnet man Winter, in denen das Wild besonders viel Nahrung zur Verfügung hat. Im Zeitraum 1839 bis 1987 war dies etwa alle 3–7 Jahre der Fall. Heute werden solche Winter immer mehr zur Regel: Eine »starke Mast« trat beispielsweise bei der hessischen Buche zwischen 1988 und 2010 im
Eine Studie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien aus dem Jahr 2015 belegte außerdem den Effekt, dass die - Renaturierung: 5% der deutschen Wälder, so die

Was also tun, um dem Problem der Wildschweine Herr zu werden? Statt Mais bei Biogas-Anlagen vermehrt auf Roggen setzen, in dem die Tiere leichter zu bejagen sind? Das wäre möglich – doch der Energiewert pro Hektar ist beim Roggen niedriger, die Kosten für die Betreiber von Biogas-Anlagen also höher.
So scheint es zurzeit, als läge die Lösung in einer noch intensiveren Bejagung von Wildschweinen. Das ist vor allem für manch einen Tierschützer nicht besonders zufriedenstellend – aber das Problem ist auch nicht trivial. Globale Erwärmung, land- und forstwirtschaftliche Interessen, Erhalt der Artenvielfalt, Zankapfel »Wolf«, Renaturierung, Biogas und nicht zu vergessen das Tierwohl – das folgende Schaubild veranschaulicht die komplexen Zusammenhänge.

Wie so oft gilt also auch beim Thema Jagd: Wer an einer Stellschraube dreht, beeinflusst das gesamte System. Dennoch gibt es einige sinnvolle Reformvorschläge. Gerade beim emotionalen Thema »Tierwohl« sollte sich die Jagd bewegen.
3 Vorschläge für eine tierfreundlichere Jagd
Jäger preisen gern an, dass unsere älteste Methode der »Fleischgewinnung« die ökologischste ist:
Doch im 21. Jahrhundert gewinnt auch bei der Jagd das Thema »Tierwohl« stetig an Bedeutung. Dies kann auf zweierlei Weise betroffen sein: Erstens erzeugt der »Jagddruck«, dem Tiere ausgesetzt sind, Stress: Der Lärm der Schüsse, Hundegebell, der Geruch nach Mensch und Schießpulver
Zweitens geht es beim »Tierwohl« darum, dass ein Tier nicht unnötig leiden soll, wenn es erlegt wird. Dafür sind möglichst saubere (also tödliche und nicht nur verletzende) Schüsse nötig. Technisch würde beispielsweise ein Laserpointer – zumindest bei stehendem Wild – die Treffsicherheit erhöhen. Doch gleichzeitig hätte man so eine
Gar nicht so leicht also, den Tierschutz technisch zu fördern. Doch jenseits technischer Lösungsvorschläge gibt es eine Reihe praktikabler Ansätze, ein tierschutzgerechteres Jagen zu fördern, ohne schwere Nachteile in Kauf nehmen zu müssen:
- Verpflichtende Schießnachweise: Für saubere Schüsse braucht man keinen Laserpointer. Gute Schützen genügen. Davon gibt es sehr viele –
Trainingsbelege in Form von Schießnachweisen helfen allerdings nur dann etwas, wenn sie erstens unter möglichst jagdähnlichen Bedingungen stattfinden. Wer freihändig aus 50 Metern auf eine Pappsau schießt, ist nur für eine seltene Ausnahmesituation trainiert. Sinnvoll sind solche Nachweise zweitens nur dann, wenn die Schießtauglichkeit ernsthaft überprüft wird. Schießnachweise gibt es nämlich teilweise schon heute, zum Beispiel, - Schweißhunde auf Gesellschaftsjagden: Wird ein Tier angeschossen, kann es in einigen Fällen noch Kilometer weit laufen. Schlechte Schüsse kommen vor allem auf Gesellschaftsjagden vor, die der konzertierten Bejagung an einem Tag dienen. Gut ausgebildete
- Kein Jagdtourismus in Deutschland: Die Legitimation für Jagd resultiert neben ökonomischer Interessen der Land- und Forstwirtschaft vor allem aus dem Verständnis der »Hege und Pflege« für das Revier. Zu diesem Selbstverständnis will nicht so recht passen, dass einige Jäger beispielsweise gern in Osteuropa auf Wachteljagd gehen: Ein einziger Jäger schießt dort teilweise mehrere 100 (zu diesem Zweck gezüchtete und ausgesetzte)
Das

»Es ist des Jägers Ehrenschild, …
… dass er beschützt und hegt sein Wild. […]« So steht es auf der Jägermeisterflasche im Kleingedruckten. So steht es außerdem auf der Urkunde, die meine bestandene Jägerprüfung zertifiziert. Dieses Selbstverständnis, das Tierwohl als Ehrensache einordnet, teilen gewiss nicht alle 382.000 Jäger. Aber meiner Erfahrung nach die meisten.
Bei diesem Selbstverständnis muss allerdings die Frage gestattet sein: Inwieweit bemühen sich die Jagdverbände eigentlich eigeninitiativ um bessere gesetzliche Regelungen? Immerhin ist das Tierwohl seit Beginn des Jahrtausends nicht nur auf Jägermeisterflasche oder Jägerprüfungs-Urkunde zu finden, sondern sehr prominent in unserem Grundgesetz. Die sogenannte »Staatszielbestimmung« in Artikel 20 Buchstabe a GG lautet:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere […]
Reformen des Jagdrechts sind kompliziert, ohne Frage. Das beginnt damit, dass für manche Fragen (etwa das Waffenrecht) der Bund zuständig ist und für andere Bereiche die Länder (zum Beispiel Schonzeiten). Doch nicht nur aus der Außenperspektive auf die Jagd entsteht zuweilen der Eindruck, dass Jagdverbände ihre Aufgabe der Interessenvertretung vorwiegend darin sehen, möglichst nichts zu reformieren. Auch zu wenige Jäger ordnen Kritik an der Jagd differenziert ein. Das Bedürfnis, Kritikern die Jagd sachlich zu erklären, verspüren nur wenige. Nach vielen Diskussionen, die ich geführt habe, verstehe ich, warum. Zu oft hängen sich solche Debatten allein an der Frage auf, wie man als Hobby Tiere töten kann.
»Die heutige Jagd ist eine Freizeitbeschäftigung und es gibt keinen ›vernünftigen Grund‹, welcher diese Willkür gegenüber unseren wildlebenden Tieren standhält.« – anti-jagd-allianz.de
Das Erfordernis nach Jagd wächst – und gleichzeitig steigen die gesellschaftlichen Ansprüche an Tierethik und Artenschutz. Die Jagd wird sich weiter verändern. Wagenburg-Mentalität wird dabei keiner Interessengruppe weiterhelfen. Und auch die Wahl einer möglichst öffentlichkeitswirksamen Jägerin des Jahres bleibt Kosmetik. Ein wenig mehr Selbstkritik stünde nicht nur, aber auch der Jägerschaft gut zu Gesicht. Dann könnten Jäger proaktiver an der Zukunft der Jagd mitwirken, als sich in einem ständigen Rückzugsgefecht zu befinden.
Für Jagdkritiker gilt dasselbe. Jene, die etwa als »Tierrechtsautoren« im Internet erläutern,
Dieser Text, so hoffe ich, kann den einen oder anderen Jäger zu etwas mehr Reformfreude anregen und manch einen Kritiker dazu, sich dem Thema möglichst vorurteilsfrei zu nähern. Schließlich geht es beiden Seiten (nicht nur, aber auch) um’s Tierwohl und um ein Gleichgewicht in der Natur. Was darunter zu verstehen ist, darüber gibt es freilich verschiedene Ansichten. Es kann nicht schaden, sie mit kühlem Kopf zu diskutieren.