Mit Atomkraft das Klima retten? Was dafür spricht ... und was dagegen!
Dass die Endlagerung von Atommüll ein Problem ist, wissen die meisten. Doch es gibt noch ganz andere Hürden, wenn Kernkraft eine echte Alternative sein soll.
Die Klimakatastrophe ist Grund genug, Kohle, Öl und Gas möglichst schnell aus dem Energiemix zu tilgen – eigentlich. Denn erst durch Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die zuvor eingeschlafene Diskussion um eine schnelle Energiewende wieder ordentlich Treibstoff bekommen. Zur Abwechslung finden sich Klimaschützer:innen dabei inmitten eines breiten gesellschaftlichen Konsenses wieder: Während militärische Aufrüstung und Waffenlieferungen zunehmend kontrovers diskutiert werden, gibt es kaum Gegenstimmen dazu, dass Deutschland und Europa möglichst schnell ohne fossile Rohstoffe aus Russland auskommen sollen.
Wie das kurzfristig gelingen kann, habe ich hier aufgeschrieben:
Doch es gibt eine Detailfrage, die sehr wohl auch weiterhin die Gemüter spaltet: Sollen wir bei der beschleunigten Energiewende auch und wieder auf Kernenergie setzen?
Die einen sagen: Atomkraft ist sauber. Die Kraftwerke stehen schon und können noch ein paar Jahre weiterlaufen. Und wenn wir wegen des Klimaschutzes die Kohlekraftwerke abschalten, können Atomkraftwerke die Rolle der Grundlastträger übernehmen; also auch dann Strom liefern, wenn Wind und Sonne Pause machen. Manche sehen sogar eine Renaissance der Atomkraft: Ohne sie sei Klimaschutz weltweit kaum denkbar. Andere wiederum lehnen die Atomkraft nach wie vor strikt ab.
Weil das Thema Atomkraft gerade in Deutschland so stark polarisiert wie kaum ein zweites, verstellen die Emotionen oft den Blick auf die Argumente. Genau darum soll es in diesem Beitrag gehen: Ich will die wichtigsten Argumente, die für und gegen die Atomkraft als Baustein im Klimaschutz sprechen, gegeneinander abwägen, sodass sich alle eine eigene, fundierte Meinung bilden können.
Los geht es mit den Vorteilen.
Atomkraft ist klimafreundlich(er)!
Nein, auch Atomkraft gibt es nicht zum CO2-Nulltarif. Vor allem beim Bau der Kraftwerke sowie bei der Förderung und Aufbereitung der Brennstoffe wird viel CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. Wie genau die Klimabilanz von Atomstrom ausfällt, hängt unter anderem davon ab, …
- in welchem Land das Atomkraftwerk steht. Der nationale Strommix beeinflusst, wie viel CO2 bei der Aufbereitung des Urans, aus dem die Brennelemente gefertigt werden, beim Bau und beim späteren Wiederabbau des Kraftwerks anfällt. Hinzu kommt, dass die Länder ihre Uranrohstoffe aus unterschiedlichen Förderländern beziehen, wo Material zum Teil unter ganz unterschiedlichen Bedingungen abgebaut wird. Deutscher Atomstrom etwa ist
- aus welchem Kraftwerk er stammt. Neuere Kraftwerke sind technisch ausgefeilter, müssen aber gleichzeitig höhere Sicherheitsstandards erfüllen. All das beeinflusst ihre Klimabilanz.
- wie man rechnet. Gerade die Frage der Endlagerung ist kaum einzukalkulieren: Unterirdische Endlager werden, wenn sie denn funktionieren, Jahrhunderttausende Strom verbrauchen. Wer weiß schon, woher dieser im Jahr 80.645 stammt?!
Anders als bei Kohle oder Gas gibt es im Kernreaktor jedoch keine Verbrennung, bei der mit jedem Quäntchen gelieferten Stromes CO2 anfällt. Deshalb lässt sich klar sagen: Atomstrom ist unterm Strich deutlich klimafreundlicher als Kohle, Öl oder Gas.
Atomstrom verbraucht weniger Ressourcen und Flächen!
Ein weniger diskutierter Vorteil von Atomkraft gegenüber erneuerbaren Energien ist, dass zum Aufbau der Infrastruktur deutlich weniger Baumaterialien nötig sind als für Windräder und Solaranlagen. Während für Windkraft – und in noch stärkerem Maße Wasserkraft –
Ähnliches gilt für den Flächenverbrauch: Atomkraftwerke stehen sehr vereinzelt in der Landschaft, während sich Windräder und Solaranlagen über weite Landstriche erstrecken. Sieht man sich den Grundriss eines Windradmasts an, sind die versiegelten Flächen bei der Windkraft zwar recht klein – das Problem sind jedoch die Geräusche, Schatten und Flügelbewegungen. Ihretwegen sind größere Bereiche um die Betonfundamente herum weder von Menschen bewohnbar noch kommen sie
Fakt ist, dass der Flächenbedarf bei der Windkraft deutlich größer ist als bei der Atomkraft:
Durch das sogenannte
Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin, hat gemeinsam mit seiner Frau Cornelia Quaschning kürzlich das Buch
Für die Energiewende sehe ich den Flächenbedarf nicht unbedingt als Problem. Ich habe ausgerechnet, dass wir 0,007% der Landesfläche Deutschlands für erneuerbare Energien verwenden müssen. Der Flächenverbrauch ist eher optischer Natur, die Leute stört eher die Sichtbarkeit der Anlagen. Weil Windräder und Solaranlagen nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung stehen, ist der echte Flächenverbrauch aber kein großes Problem.
Ganz ähnlich verhält es sich mit Fotovoltaik: Im Prinzip ist bei der Technik verhältnismäßig viel Fläche nötig, um Strom zu gewinnen. Doch auch Solaranlagen sind gut kompatibel mit anderen Nutzungsformen. Sie können auf Dächern stehen – nicht nur von Wohnhäusern, sondern auch von Industrieanlagen oder öffentlichen Gebäuden und Gewerbebauten. Allein diese Flächen bergen in Deutschland ein gewaltiges Potenzial,
Der Flächenvorteil der Atomkraft ist also grundsätzlich da, schrumpft aber, wenn man bei Wind- und Solarenergie genauer hinsieht.
Atomkraft ist zuverlässig!
Von Wartungsarbeiten, Sicherheitsinspektionen und Pannen abgesehen, kann ein Atomkraftwerk über Monate und Jahre hinweg zuverlässig und konstant Strom liefern, anders als Schönwetterkraftwerke wie eine Solaranlage oder ein Windkraftwerk. Wenn die erneuerbaren Energien an windarmen oder wolkenverhangenen Wintertagen also passen müssen, steht die Kernkraft bereit.
Jedoch: Ein Atomkraftwerk kann nicht nur konstant Strom liefern. Wenn es einmal läuft, muss es das sogar. Atomkraftwerke sind nämlich alles andere als flexibel und brauchen lange Vorlaufzeiten, um hoch- oder runterzufahren. Das macht sie in den Augen von Volker Quaschning eher ungeeignet, um in einem Strommix mit viel Wind und Sonne betrieben zu werden. Denn in der hellen Hälfte des Jahres herrscht tagsüber aufgrund der Sonneneinstrahlung meist ein Überschuss an Strom. Atomkraftwerke lassen sich in dieser Phase des Tages nicht mal eben runterfahren.
Wir wollen ja die Erneuerbaren mit ihren starken Schwankungen ausbauen. Wenn ich die Kernkraft als Backup habe, die als Grundlastkraftwerk durchlaufen muss, sind das Technologien, die nicht wirklich zusammenpassen. In Zukunft brauchen wir keine Grundlastkraftwerke mehr.
Wind- und Sonnenkraft hingegen ergänzen sich in der Regel gut miteinander – meistens ist es, vereinfacht gesagt, entweder windig oder die Sonne scheint. Energiespeicher, flexible und intelligente Verbrauchsgeräte und gut ausgebaute Netze werden ihr Übriges dazu tun, dass zuverlässige, aber träge Atomkraftwerke im Stromnetz von morgen wohl eher zur Last werden könnten, als die Grundlast zu tragen.
Atomkraft ist ein Scheinriese
Wer auf der Autobahn oder im Zug öfter mal durch Deutschland fährt, bekommt viel zu sehen vom deutschen Kraftwerkspark: Gerade im Norden ziehen häufig die Rotoren der Windräder mit ihren roten Blinklichtern an den Fenstern vorbei. Im Süden legen sich großflächige Solaranlagen über die Hügel und weniger oft, dafür umso imposanter ragen hier und da die mächtigen Kühltürme großer Atomkraftwerke in den Himmel.
Die überwältigende Größe der Atomkraftwerke, ihre Dauerpräsenz in der öffentlichen Diskussion und ihr identitätsstiftender Charakter täuschen viele Gegner:innen als auch Befürworter:innen der Atomkraft schnell über eines hinweg: Sie spielte und spielt nie eine besonders große Rolle im deutschen Energiemix.
Im Jahr 2010 etwa lag ihr Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland bei 25%. Hier gilt es allerdings zu bedenken, dass Strom nur grob 1/3 des Endenergieverbrauches ausmacht. Der Rest entfällt auf Mobilität, Wärme und Industrie – und wird zum Großteil direkt durch fossile Brennstoffe gedeckt. Betrachtet man also das große Ganze, lieferte die Atomkraft selbst in ihrer Blütezeit in den 90er-Jahren nie mehr als 6% des Endenergieverbrauchs in Deutschland, schreibt Volker Quaschning in seinem Buch. Im Jahr 2020 waren es nicht einmal mehr 3%. Ein wahrer Scheinriese also.
Vielleicht mag es einigen »unfair« gegenüber der Atomkraft erscheinen, sie nicht nur an anderen Stromerzeugern, sondern an allen Energiequellen zu messen. Eben das ist aber der Anspruch, den wir an jede Energiequelle der Zukunft stellen müssen. Es ist wichtig, sich dies bewusst zu machen: Genau hierin liegt einer der grundlegenden Paradigmenwechsel der Energiewende. Durch sie wird unser gesamtes Energiesystem elektrifiziert.
Soll die Atomkraft also einen nennenswerten Beitrag in unserem Energiesystem von morgen spielen und – sagen wir mal – 1/4 des Energiebedarfs beitragen, genügt es nicht, ein paar alte Kraftwerke weiterlaufen zu lassen. Wir bräuchten rund 4-mal so viele davon, wie zu Hochzeiten in Deutschland insgesamt in Betrieb waren.
Und was ist mit einer globalen Perspektive?
Atomkraft ist unglaublich teuer und unflexibel!
Um zu erahnen, was Deutschland erwarten würde, wenn es sich für eine Rückkehr zur Atomkraft im großen Stil entscheiden würde, lohnt sich ein Blick in unsere europäischen Nachbarländer, wo momentan
- Frankreich ist selbsternannte Atomnation. In keinem anderen Land der Welt wird ein so hoher Anteil des Energiebedarfs durch Kernspaltung gedeckt: insgesamt rund 25%. Trotzdem hat das Land Probleme damit, neue Kraftwerke zu bauen. Das einzige dort im Bau befindliche Kraftwerk in Flamanville in der Normandie wurde 2004 geplant und sollte 2012 den ersten Strom liefern. Das ist bisher allerdings noch nicht geschehen, nächstes Jahr könnte es so weit sein. Die Kosten haben sich auch etwas anders entwickelt als geplant: Statt der veranschlagten 3,3 Milliarden Euro sind es mittlerweile 19 Milliarden Euro.
- In Finnland wird seit 2005 das Kraftwerk Olkiluoto gebaut. Wenn es gut läuft, liefert es dieses Jahr den ersten Strom, statt wie ursprünglich geplant im Jahr 2010. Die Finn:innen kalkulierten auch die Kosten verhältnismäßig seriös: Statt der eingeplanten 3 Milliarden Euro hat sich die Summe nur knapp ver-3-facht, auf derzeit etwa 8,5 Milliarden Euro.
- In Großbritannien wurde in weiser Voraussicht gleich deutlich mehr Geld in die Hand genommen: Die neuen Reaktoren im bestehenden Kraftwerk Hinkley Point sollen 29 Milliarden Euro kosten und bis 2025 fertig sein. Um dieses Geld locker zu machen, musste den Investoren das Projekt aber auch entsprechend versüßt werden. Über 35 Jahre hinweg dürfen sie ihren Strom garantiert zu Preisen verkaufen, die drastisch über dem Börsenpreis liegen – mit Inflationsausgleich. Damit wäre dieser Atomstrom heute schon etwa doppelt so teuer wie der gängige Börsenpreis und rund 3-mal so teuer wie der Strom aus neuen Solaranlagen.
Davon abgesehen sind in Europa 2 weitere Atomkraftwerke im Bau: eines in der Slowakei – seit 1987 – und ein weiteres in Belarus. Selbst in China, wo 16 Anlagen im Bau und 30 weitere in Planung sind, leistet die Atomkraft nur einen kleinen Beitrag zur Lösung. Die 16 im Bau befindlichen Anlagen sollen zwar bis 2026 fertig werden, leisten gemeinsam aber nur rund etwas mehr als das, was China im Schnitt innerhalb eines halben Jahres an Wind- und Solarkraft baut. Trotz aller Bemühungen und den »Vorteilen«, die ein totalitäres System wie China beim Bau solcher umstrittenen Anlagen hat, ist die Atomkraft also nicht in der Lage, einen nennenswerten Beitrag zu leisten.
2021 hat Bill Gates ein Buch über Lösungen für den Klimawandel veröffentlicht. Darin spricht er von einer neuen Generation von Reaktoren, sogenannten »Small Modular Reactors« (SMR). Gates hat selbst viel Geld in ein Unternehmen investiert, das solche Mini-AKWs entwickelt. Diese Minikraftwerke sollen, ähnlich wie Fertighäuser, in großer Stückzahl gefertigt werden können, sodass der Bau einzelner Anlagen deutlich günstiger werden könnte. Zugleich sollen die Anlagen sicherer sein als bisherige große Kraftwerke. Man beachte den Konjunktiv: Denn vielmehr als eine Idee sind die SMR bisher nicht. Es gibt keine einzige funktionierende Testanlage aus Stahl und Beton.
Viele sehen darin den Vorteile, dass die Anlagen deutlich kleiner wären. Ich sehe darin eher Nachteile, denn man muss die Reaktoren auch sichern und bewachen. Und je mehr ich davon habe, desto größer wird das Sicherheitsproblem.
Um rentabel zu sein, müssten Tausende dieser Kraftwerke gebaut werden. Wo sollen sie stehen? Wie würden Ortschaften reagieren, die schon beim Bau eines Windrads in den Widerstand gehen, wenn man ihnen ein kleines Kernkraftwerk auf den Dorfacker stellen will? Und niemand weiß, ob der Strom, den die Anlagen produzieren würden, dann nur etwas günstiger wäre als konventioneller Atomstrom oder ob er tatsächlich konkurrenzfähig zu schon heute supergünstigem Wind- und Sonnenstrom wäre. Wie sicher die kleinen Atomkraftwerke letztlich wären, ist ebenfalls unklar.
Gegenüber Atomkraftwerken mit großer Leistung könnten SMR potenziell sicherheitstechnische Vorteile erzielen, da sie ein beispielsweise geringeres radioaktives Inventar pro Reaktor aufweisen. Die hohe Anzahl an Reaktoren, die für die gleiche Produktionsmenge an elektrischer Leistung notwendig ist, erhöht das Risiko jedoch wiederum um ein Vielfaches. […] Anders als teilweise von Herstellern angegeben, muss bisher davon ausgegangen werden, dass für den anlagenexternen Notfallschutz bei SMR die Möglichkeit von Kontaminationen besteht, die deutlich über das Anlagengelände hinausreichen.
Komplett sichere, günstige Atomkraft bleibt wohl ein Wunschtraum.
Es gibt zu wenig Brennmaterial!
Atomkraftwerke brauchen Brennstoff. Die absoluten Mengen sind verschwindend gering im Vergleich zu den Massen an Öl, Kohle und Gas, die wir momentan aus der Erdkruste pumpen, schürfen und kratzen. Dennoch gelangen wir mit den Mengen an Uran, die wir schon heute verbrauchen, schnell an ein Limit. Würden wir die Kernkraft signifikant ausbauen, könnte schon in wenigen Jahren das Brennmaterial ausgehen.
Nun ist die Kernkraft aber als Big Player für die Lösung der Klimakrise im Gespräch. Ein Gedankenspiel: Sollte sie nun ungefähr 25% des weltweiten Energieverbrauchs abdecken, wären sowohl Ressourcen als auch Reserven schon in weniger als 30 Jahren aufgebraucht. In dieser Zeit dürfte nicht nur der Strom sehr teuer werden, nein: In 30 Jahren stünden wir wieder vor genau derselben Ausgangsfrage wie heute. Dann würden wir uns wohl verschämt fragen: Warum haben wir für das viele Geld nicht gleich Windräder und Solaranlagen gebaut?
Die Herkulesaufgaben Endlagerung und Rückbau
Wohin mit dem ganzen Atommüll? Diese Frage schnellt wohl den meisten in den Kopf, wenn sie an Atomkraft denken. Und das zu Recht: Mit der Atomenergie hinterlassen wir Unmengen an hochradioaktivem Abfall für Hunderttausende Jahre. Wenn man sich vor Augen führt, dass vor 2.000 Jahren Gaius Julius Caesar im Mittelmeerraum das Sagen hatte und die meisten Menschen vor 20.000 Jahren noch in Höhlen lebten und Mammuts jagten, erscheint es wahnwitzig, Endlager bauen zu wollen. Das sind technisch hochkomplexe Anlagen, die deutlich größere Zeitspannen überdauern und möglichst ohne Unterbrechung bewacht und betreut werden müssen.
Mehr darüber, wie die schwierige Suche nach einem Endlager in Deutschland verläuft, findest du hier:
Weniger Raum in der öffentlichen Debatte nehmen die schwach radioaktiv belasteten Überreste der Kernkraftwerke ein. Dazu gehört im Grunde fast alles, was in einem Kernkraftwerk eben drin ist: Bürostühle, Arbeitskleidung, alte Fässer. Von diesen Materialien werden in den nächsten Jahren weltweit Unmengen zu entsorgen sein, da viele der Anlagen aus der Hochzeit der Atomkraft in Rente gehen. Viele Metalle, die in den Kraftwerken zum Einsatz kamen und deren Strahlungswerte unterhalb der Grenzwerte liegen, werden im Anschluss auf dem freien Markt verkauft und recycelt. Ihre Reise kann später nicht mehr nachverfolgt werden. Sie landen vielleicht in einem Löffel, einer neuen Autokarosserie oder einem Kinderspielzeug. Auch wenn die Strahlenbelastung niedrig ist, so erhöht doch jede auch noch so niedrige Strahlung das Risiko, an Krebs oder anderen strahlenbedingten Leiden zu erkranken. Davor warnen Mediziner:innen immer wieder.
Wie aufwendig der Rückbau eines Kernkraftwerks ist, zeigt das Kernkraftwerk Greifswald in Deutschland: Das Kraftwerk wird seit Mitte der 90er-Jahre zurückgebaut und hat dabei Milliarden Euro verschlungen. Aufgrund der hohen Kosten hat der Betreiber die weitere Strategie des Rückbaus immer wieder geändert. Aktuell sollen die letzten Gebäude im Jahr 2028 abgerissen werden. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Stilllegung.
Lohnt sich die Kernkraft unterm Strich?
Es stimmt, die Klimavorteile der Atomkraft gegenüber fossilen Energieträgern sind unbestritten. Doch das ist die Theorie. Nach dem Abwägen all der diskutierten Argumente bin ich der Überzeugung: In der Realität ist und bleibt die Vorstellung, dass wir mit der Kernkraft den Klimawandel bekämpfen, ein Wunschtraum.
Mehr als einen winzigen Beitrag kann die Atomkraft beim schnellen Aufbau einer klimaneutralen Energieversorgung nicht leisten. Zum einen reichen, wie erwähnt, die Rohstoffe dafür nicht aus. Zum anderen würden neue Anlagen, wenn wir sie in Deutschland ernsthaft planen würden, erst zu einem Zeitpunkt ans Netz gehen können, in dem wir längst klimaneutral sein müssen. All das zu enormen Kosten. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen möchte man sich in diesem Fall nicht ausmalen; die wirtschaftlichen Schäden, die von den stark steigenden Stromkosten ausgingen, sollten eigentlich auch die Befürworter:innen der Atomkraft zum Nachdenken bringen. Und bei all dem ist die Frage der Endlagerung, das Standardargument gegen die Atomkraft, noch nicht einmal berücksichtigt.
Der massive Ausbau von Windkraft und Fotovoltaik bleibt uns nicht erspart – völlig unabhängig davon, wie wir mit der Atomkraft verfahren. Anders gesagt: Ein erneuerbares Energiesystem ohne oder mit einem verschwindenden Anteil an Kernkraft ist sehr wahrscheinlich und gut möglich. Ein erneuerbares Energiesystem mit einem bedeutenden Anteil an Kernkraft ist hingegen nahezu undenkbar. Warum also daran festhalten? Ich sehe keinen Grund.
Titelbild: distelAPPArath / Pixabay - CC0 1.0