Kaktus, Seetang, falsche Banane: Was in Zukunft auf unseren Tellern landet
Viele Nahrungsmittel, die wir heute gerne verputzen, sind vom Klimawandel bedroht. Doch die Alternativen für Weizen, Arabica-Kaffee und Pommes stehen bereit!
Es sind 35 Grad Celsius. Die Sonne knallt und die Hitze zieht das letzte bisschen Feuchtigkeit aus den Ackerböden. Vor 4 Monaten ist in manchen Regionen in Norditalien der letzte Regen gefallen. Auf den Feldern stehen verdorrte Weizenhalme, die kaum Saat tragen, die Tomatenpflanzen haben ihre Blüten abgeworfen und Landwirt:innen können ihre Rinder nur nachts auf die Weide lassen. Das Gebiet rund um den Fluss Po ist derzeit so trocken wie seit 70 Jahren nicht mehr. Der Fluss selbst ist nur noch ein Rinnsal.
Der italienische Bauernverband ist besorgt. Die Dürre verstärke Italiens Abhängigkeit vom Ausland – und das in einer Situation, in der viele Rohstoffe Mangelware sind: Italien produziert nur noch 36% Weizen für Brot, Kekse und Kuchen und 62% des Hartweizens für Nudeln selbst. Dieses Jahr, so schätzt der Bauernverband, könne die landesweite Weizenernte wegen der extremen Trockenheit um weitere 15% zurückgehen.
Die betroffenen Regionen wollen
Doch gerade solche Abhängigkeiten werden in Zeiten des Russlandkrieges spürbar unsicherer. Denn Russland und Ukraine sind 2 Weizenexporteure,
Kriege und die globale Erderhitzung: Sie zeigen uns immer wieder, wie fragil unser derzeitiges Ernährungssystem ist und dass sich die Landwirtschaft anpassen muss. Doch was werden wir 2050 im Einkaufskorb liegen haben, wenn die steigenden Temperaturen dem Weizen, Tomaten und Nutztieren schon jetzt so zusetzen?
Warum unser Ernährungssystem so fragil ist
Kartoffeln, Zuckerrohr, Sojabohnen, Ölpalmfrüchte, Zuckerrüben, die Wurzelknolle Maniok sowie
Sie sind die Sieger eines Jahrtausende alten Wettbewerbs um die ertragreichsten Feldfrüchte und Masttiere. Doch das hat einen großen Nachteil: Denn noch nie war das weltweite Ernährungssystem so unsicher und so zerstörerisch wie heute.
Weltweit pflanzt der Menschen Monokulturen, die Ökosysteme verdrängen, und bietet nur wenigen Tierarten einen guten Lebensraum. Auf der Jagd nach immer höheren Erträgen hat sich der Genpool der Pflanzen und Tiere
Wetterprobleme gibt es in der Landwirtschaft zwar immer wieder. Doch der Klimawandel verschärft die Wetterereignisse. Die Auswirkungen sind manchmal offensichtlich, wie bei der Hitzewelle, die Europa 2018 heimgesucht hat (und deren Auftreten durch die Erderhitzung um 200–500%
Auch das ist ein Grund für die derzeit steigenden Preise im Supermarkt.
Normalerweise würde hier die Evolution dafür sorgen, dass sich Pflanzen und Tiere
Diese Monotonie der Grundnahrungsmittel birgt ein weiteres Risiko: Krankheit oder Schädlingsbefall betreffen direkt enorme Mengen an Pflanzen und Tieren. Ausweichmöglichkeiten gibt es keine. Besonders schlimm trifft es Länder und Regionen, die sich auf einen großflächigen Anbau
Doch für die durchschnittlichen Europäer:innen sind diese Risiken weit weg, solange der Supermarkt gut gefüllt bleibt. Augen öffnen kann vielleicht die folgende Zahl, die Klima-Forscher:innen 2021 errechnet haben: 44%. So groß ist der Anteil der heutigen Importe von Kaffee, Kakao und anderem Getreide in die Europäische Union, der bis 2050 in den jeweiligen Ursprungsländern
Welche Lebensmittel werden uns im Jahr 2050 ernähren?
Das Jahr 2050 ist ein Etappenziel. Zu diesem Zeitpunkt wollen die meisten Länder auf der Welt klimaneutral sein – und bis dahin werden wir fast den Hochstand der Weltbevölkerung erreicht haben,
Das heißt aber auch, dass sich einiges an unserer Ernährung und der Art und Weise, wie wir wirtschaften, ändern muss. Zum Glück haben Forscher:innen bereits einen ziemlich guten Überblick darüber, was wir in Zukunft essen und wie wir es anbauen können.
Die Kunst besteht laut Ökologe Samuel Pironon darin, nicht nur auf eine Lösung zu setzen, sondern gleichzeitig in alle möglichen zu investieren. Pironon ist ein Teil des Forschungsteams der königlichen botanischen Gärten in London. Er erforscht, wie wir eine wachsende Bevölkerung in einer sich schnell verändernden Welt ernähren und gleichzeitig die Umwelt schonen können. Die 3 wichtigsten Pfeiler sind für ihn diese:
- Widerstandsfähige Züchtungen: Nahrungserzeuger:innen sollen Pflanzen speziell für die Erderwärmung züchten, um sie widerstandsfähiger gegen deren Auswirkungen zu machen.
- Arbeit im Labor: Forscher:innen können dies mit gezielten Züchtungen und gentechnischen Veränderungen von Nahrungsmitteln im Labor unterstützen und auch Pflanzen näher untersuchen und auf ihre Tauglichkeit prüfen, worüber wir
- Umstellung der Nahrung: Eine der einfachsten Möglichkeiten, um unser Nahrungssystem wieder zu stabilisieren, ist, unsere Nahrungspalette wieder breiter aufzustellen. Das heißt, wir werden in Zukunft mehr Nahrungsmittel kennenlernen und unseren Menüplan bunter bestücken.
Die gute Nachricht lautet: Genau daran wird schon gearbeitet. Samuel Pironon und das Forschungsteam der Royal Botanic Gardens suchen etwa auf der ganzen Welt nach Nahrungsmitteln, die alle Anforderungen an eine zukunftssichere und nachhaltige Ernährung erfüllen. Sie haben bisher über 20 Lebensmittel
Einige davon möchte ich dir jetzt vorstellen.
Zum Frühstück: Tschüss gebratener Speck, hallo Kakteen, Bambara und Fonio
Für eine nachhaltigere Zukunft muss sich bekanntlich unser Fleischkonsum drastisch verringern. Wie wäre es morgens mit Kakteen im Rührei anstelle des Specks? Es gibt mehr als 1.500 Kakteenarten, von denen einige essbar sind. Dazu gehört die Frucht des Feigenkaktus, die in Südamerika oft gegrillt im Rührei oder in Salaten und Tacos landet. Das Fruchtfleisch schmeckt süßsäuerlich. Bereits im Jahr 2017 forderte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, dass der Kaktus mehr als Grundnahrungsmittel genutzt werden sollte, nachdem er sich während einer Dürre in Madagaskar als überlebenswichtig für die dortigen Gemeinden
Wer lieber seinen Tag mit einer Schale Müsli beginnt, kann seine gezuckerten Getreideflocken oder Haferflocken mit Foniohirse aufpeppen. Sie ist eine der ältesten kultivierten Getreidesorten, die nach einigen Schätzungen zufolge auf das Jahr 500 vor Christus zurückgeht. Ursprünglich ist die Grasart in den Savannen Westafrikas heimisch. Sie wird lokal als Nutzpflanze angebaut und verträgt trockene Bedingungen über einen längeren Zeitraum. Daher wird sie auch »Hungerhirse« genannt. Die kleinen Körner der Graspflanze werden zur Herstellung von dickem Brei, Couscous und manchen Getränken verwendet. Sie ist reich an Eisen, Kalzium, verschiedenen Aminosäuren sowie an Vitamin B und
Dein Müsli schwimmt dann natürlich nicht in Kuhmilch, sondern vielleicht in Milch aus der Bambara-Erdnuss. Sie ist trockenheitstoleranter als die übliche Milchalternative Soja und südlich der Sahara beheimatet. Wie andere Hülsenfrüchte enthält auch sie viel Eiweiß. Bakterien auf der Pflanze wandeln Luftstickstoff in Ammoniak um, sodass die Erdnuss auch in nährstoffarmen Böden ohne chemische Düngemittel gut gedeiht. Um großflächigere Züchtungsprogramme für die Pflanze zu etablieren, muss sie jedoch noch besser
Eine Nachricht, die viele Kaffeeliebhaber:innen sicher nicht hören wollen: Der weltweit beliebteste Arabica-Kaffee ist durch die
Mittag- oder Abendessen: Bohnen, falsche Bananen und wilder Reis
Grüne Bohnen, Kidneybohnen, weiße Riesenbohnen, Kichererbsen, Erbsen – und da hört die Vielfalt der Hülsenfrüchte in Deutschlands Supermarktregalen meistens schon auf. Dabei hat die Bohnenfamilie, auch bekannt als Hülsenfrüchte, so viel mehr zu bieten. In einer globalen Liste der Hülsenfrüchte, die regelmäßig von den Royal Botanical Gardens geprüft wird,
Besonders hervorzuheben ist die Moramabohne. Die trockenheitsresistente Staude wächst im Süden Afrikas und ist ein Grundnahrungsmittel für die Menschen in Botswana, Namibia und Südafrika. Die Samen der Pflanze haben geröstet einen ähnlichen Geschmack wie Cashewnüsse. Sie können zu Mehl gemahlen, zu einem Brei verkocht oder für ein kakaoähnliches Getränk verwendet werden. Außerdem sind sie eine Quelle für Öl, Butter und Milch – echte Allrounder also. Auch wenn wir vielleicht nicht so schnell mit Moramabohnen-Mehl backen werden, werden wir bis 2050 viel mehr Hülsenfrüchte in den Supermarktregalen sehen.
Eine weitere Kulturpflanze für eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion ist die »falsche Banane«,
Für ein üppiges Mittagessen passt zu einem Bohnenchili mit Ensete-Beilage noch eine sättigende Portion Wildreis. Reispflanzen sind zur Ernährung der Weltbevölkerung auch heute schon sehr wichtig und derzeit Grundnahrungsmittel in vielen Ländern. Doch die aktuellen Reispflanzen sind zu empfindlich gegenüber Wetterschwankungen, Überschwemmungen und Hitzewellen. Darum sucht das Forschungsteam zusammen mit internationalen Wissenschaftler:innen in 24 Ländern nach Alternativen zu den derzeit 29 wichtigsten Reissorten. Anhand des Saatguts der »wilden Vettern« wollen die Forscher:innen herausfinden, ob eine wilde Art genetisch resistent gegen die Auswirkungen des Klimawandels, wie extreme Temperaturen, oder gegen Schädlinge und Krankheiten ist.
Du bist kein Reisfan? Kein Problem. Denn es gibt auch noch Mashua und Oka, 2 Knollen, die als Alternative zu Kartoffeln dienen können. Wie die Kartoffel stammen beide Pflanzen aus den Anden, doch im Gegensatz zur Kartoffel werden sie nicht von der Krautfäule befallen, die ganze Ernten vernichten kann. Oka stammt von einer Sauerkleepflanze, hat eine feste Konsistenz und einen zitronigen Geschmack, während Mashua die Wurzel eines Kapuzinerkresse-Gewächses ist und
Snacks für die ganz Mutigen: Algen, Quallen und Insekten
Was in Zukunft in unserer Snack-Schublade landen wird, dürfte bei vielen Menschen wohl eher Abneigung oder Ekel auslösen. Doch Insekten, Quallen und Algen sind vor allem in asiatischen Ländern bereits fester Bestandteil des Speiseplans und werden auch hierzulande normal werden – sobald sie so verarbeitet sind, dass sie den europäischen Geschmack treffen.
Sie alle würden sich gut als Beilage zu süßen Maniok-Puffern machen. Das Wurzelgemüse aus Südamerika wird auch Yuka oder Cassava genannt. Es muss ähnlich wie Kartoffeln gekocht, gebacken oder frittiert werden. Je nach Sorte schmeckt es leicht süßlich, neutral oder etwas bitter. Da die Pflanze Temperaturen von bis zu 40 Grad Celsius standhalten kann, wird Maniok mittlerweile in über 100 Ländern angebaut. Ein zusätzliches Plus: Höhere CO2-Werte in der Atmosphäre erhöhen die Stresstoleranz der Pflanze und können
Verfeinert werden können die Maniok-Pommes mit Seetang (auch »Kelp« genannt). Dieser ist gesund, denn er ist reich an Antioxidantien
Als Nachspeise oder abendlichen Snack für Mutige könnten 2050 glasierte Heuschrecken oder Quallen-Chips
Unsere Gastautorin Leonie Fößel hat sich das Start-up und die Produktion der Grillen-Chips 2020 genauer angeschaut:
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily