Lest nicht die Kommentare. Tut es einfach nicht. Es wird euch nur alle Menschen hassen lassen.
Der Satz stammt von Autor und Simpsons-Erfinder Matt Groening und beschreibt ein Phänomen, das das Internet im Griff hält: »toxicity« oder auf Deutsch »Giftigkeit«. Vor allem in den Kommentarspalten auf Onlinemedien und ihren Facebook-Auftritten entlädt sich die Wut der Leser ungebremst. So etwa unter einem Interview mit einem Flüchtlingshelfer von Der Titel: »Merkels ›Wir schaffen das‹ war richtig«
Ist das noch freie Meinungsäußerung oder schon Hass?
Aber nicht nur bei politischen Reizthemen wie Geflüchteten streut der Hass in den Kommentarspalten. So findet man etwa unter dem Stern.de-Artikel etwa …
Ist das verständlich oder geht das zu weit?
Solche Kommentare sind sicher auch Ventile für Empörung bei einer solchen Nachricht: schnell getippt und dann vergessen. So steht ein Aufruf zur Selbstjustiz und einer öffentlichen Hinrichtung erst mal im Netz. Wen er möglicherweise erreicht oder was er bei einem Leser auslöst, ist dabei Nebensache.
Der Ton wird giftiger, und ist mit einem Hasskommentar der Damm gebrochen, können Diskussionen schnell aus dem Ruder laufen. Da fallen sachliche und schlichtende Kommentare regelrecht auf.
Diese haben in den letzten Monaten deutlich zugenommen. Seit Dezember 2016 posten immer mehr Menschen solche Kommentare, versehen mit dem
Dahinter steht eine digitale Bürgerbewegung, die immer mehr Zulauf und Aufmerksamkeit erhält. Sie versucht, gegen den Hass im Netz anzuschreiben und die Diskussionskultur zu verbessern, stößt dabei aber auch auf Gegenwind und an ihre eigenen Grenzen. Ich habe mich mit ihrem Initiator Hannes Ley unterhalten.
Diese Kommunikation vergiftet das Netz
Viele Menschen diskutieren bei sozialen Medien tatsächlich anders als im echten Leben. Warum?
Hannes Ley:
Das Internet verleitet zu einer anderen Form der Kommunikation. Die scheinbare kann man sich wie eine Karnevalsmaske aufsetzen und dann so richtig vom Leder lassen.
Hast du dir diese Maske auch schon aufgesetzt?
Hannes Ley:
Nein. Vielleicht bin ich da einfach anders erzogen. In einer schriftlichen Debatte verhalte ich mich nicht anders als in einem Gespräch.
Und womit wird dann »vom Leder gelassen«?
Hannes Ley:
Einige Leute wollen Dinge falsch verstehen, sich gegenseitig und fertigmachen – oder gezielt hetzen und aufwiegeln. Sie haben einfach Spaß daran, Öl ins Feuer zu gießen, und wollen Aufmerksamkeit. Im Internet erhalten Leute eine Bühne, die sie im realen Leben nicht bekommen.
Man könnte jetzt entgegnen: Alles, was nicht verboten ist, ist erst mal als freie Meinung erlaubt.
Hannes Ley:
Das ist die Basis. Wir führen ja aktuell nicht umsonst in Deutschland die Debatte über die Grenzen der Wenn alle Menschen zwischen einer Meinung und einer strafrechtlich relevanten Aussage unterscheiden könnten, Doch ein respektvoller Umgang miteinander ist ja nicht per Gesetz geregelt.
Muss man also manchmal sagen: »Du darfst das natürlich, aber du solltest es nicht?«
Hannes Ley:
Man kann Menschen auch beleidigen und verletzen, ohne dass es strafrechtlich relevant wird. Die Frage ist aber: Warum sollte ich? Im Idealfall will man doch etwas Konstruktives mit einem Gespräch erreichen. Mit Unterstellungen und Hassrede komme ich sicher keinen Meter weiter.
Darum entladen sich die Emotionen im Netz
In einem konstruktiven Gespräch lässt man sich auf Argumente ein. Warum scheitert Kommunikation vor allem im Netz?
Hannes Ley:
Das Problem bei vielen dieser Diskussionen im Internet ist: Wo sollen sie hinführen? Was ist das Ziel? Sich unter Nachrichten zu äußern, führt eigentlich zu nichts: Am Ende wird nicht gemeinsam an einer Lösung gearbeitet, es findet anschließend keine Umfrage mit einem Ergebnis statt. Da kann man auch gleich Kochrezepte posten – was eines unserer Mitglieder von #ichbinhier tatsächlich tut.
Ist es nicht auch wertvoll, dass man Meinungen dort äußern kann, oder überschätzen wir das nur?
Hannes Ley:
Eine persönliche Meinung ist ja an sich nicht per se wertvoll. Kommentarspalten existieren vor allem, weil die Technologie es anbietet. Portale wie Facebook sind auf Dialog und Interaktion ausgelegt, und Nachrichtenmedien befeuern das mit polarisierenden Überschriften, weil sie damit generieren. Je heißer etwas diskutiert wird, desto mehr Klicks auf die werbefinanzierten Websites.
Was Emotionen erzeugt, wird geklickt. Und das entlädt sich dann in den Kommentaren?
Hannes Ley:
So ist es. Die Kommentarspalte wird somit zur emotionalen Müllhalde des Geschäftsmodells sozialer Medien. – dabei merken wir immer stärker, dass der Ton einer Diskussion sich dort positiv entwickelt, wo eine Moderation in den ersten 60 Minuten eingreift. Sonst läuft die Diskussion häufig aus dem Ruder.
Bis es richtig giftig wird. Dabei verzichten Menschen in letzter Zeit sogar auf den Schutz durch und stehen zu dem Gift, das sie verbreiten.
Hannes Ley:
Das ist ein Dammbruch, der sich ergeben hat. Es hat sich eine Kultur im Netz verselbstständigt, Es gab ja niemanden, der gesagt hat: »Das ist nicht okay.«
Bis heute.
Bühne frei für #ichbinhier
Knapp 27.000 Mitglieder versammeln sich heute unter dem Hashtag. Die Idee stammt aus #ichbinhier versteht sich als »überparteiliche Aktionsgruppe« und will gemeinsam für »eine bessere Diskussionskultur« eintreten. Geht es gezielt gegen Hass und Hetze, nennt man das auch die von den Moderatoren von #ichbinhier um Hannes Ley organisiert wird. Und so funktioniert es:
Analyse: Jeden Morgen sammeln Mitglieder unter einem »Lagerfeuer«-Post vor allem Facebookseiten deutschsprachiger Medien, unter deren Beiträgen es giftig zugeht.
Aufruf zur Unterstützung: Die Moderatoren wählen im Verlauf des Tages einzelne Posts mit vielen Hasskommentaren darunter aus und erklären sie zu »Aktionen«. Sie fassen den Artikel kurz zusammen und bitten die Mitglieder um aktive Mithilfe, dort einzugreifen. Zur Identifikation soll der Hashtag am Anfang eines Posts verwendet werden.
Partizipation: Nicht alle Mitglieder schreiben aktiv, ein Großteil liked die konstruktiven Beiträge und hilft ihnen dabei, in einer Kommentarspalte prominenter gesehen zu werden. Alle Mitglieder sind auch dazu angehalten, bei Facebook zu melden.
Reflexion: Am Abend postet das Moderationsteam einen »Absacker«, um über den Verlauf des Tages und auch die Arbeit der Gruppe zu berichten. Häufig sind diese auch persönlich oder behandeln aktuelle Themen, etwa
Warum gründet man so etwas?
Hannes Ley:
Ich suchte seit Jahren schon etwas, was mir noch mehr Sinn gibt. Mit #ichbinhier wollte ich nach 15 Jahren Marketing etwas Ergänzendes machen, etwas verändern und gegen die Ohnmacht vorgehen, die auch ich beim Hass im Netz verspürt habe.
Was hat #ichbinhier für die Mitglieder verändert?
Hannes Ley:
Wir haben es geschafft, Menschen zu aktivieren und dass sie demokratisch partizipieren. Menschen gehen in die Kommentarspalten und schreiben – und zwar besonnen und sachlich. Das alleine ist schon ein riesiger Erfolg.
Parallel wurde das Thema ja auch in den War das auch euer Verdienst?
Hannes Ley:
Das eine bedingt den Erfolg des anderen. Wir helfen mit, das Thema in die breite Gesellschaft zu tragen. Mehr Menschen werden sich bewusst, dass Hass im Netz ein Problem ist. Das Medium Internet ist ja noch ziemlich neu – zumindest so jung, dass wir als Gesellschaft noch lernen müssen, wie wir damit leben können.
#ichbinhier reagiert also und weist die schlimmsten Netzvergifter in ihre Schranken. Wie hilft das nun, die Diskussionskultur in sozialen Medien zu verbessern?
Hannes Ley:
Manche Hater merken durch #ichbinhier, dass es Grenzen gibt. Das ist ja auch teilweise der Sinn daran. Aber wenn sich Leute gar nicht mehr äußern, ist das auch keine Verbesserung der Diskussionskultur. Ich bin da ein wenig skeptisch. Dazu verteidigen wir unser Projekt häufig gegen seine Gegner – und kommen damit in eine Rechtfertigungs-Schleife. Das kann auch frustrierend sein.
Gegenwind von außen und Gefahr aus den eigenen Reihen
Gegen euch wird auch Front gemacht: In den Kommentarspalten werdet ihr auch verbal angegriffen, wie etwa Wie stehst du dazu?
Hannes Ley:
Wir wollen #ichbinhier ja im Guten nutzen. Aber auch wir bieten schließlich Leuten eine große und machtvolle Bühne. Manche können damit besser umgehen und manche weniger gut.
Könntest du ein Beispiel geben?
Hannes Ley:
Manchmal funktioniert #ichbinhier wie eine Arena, da gibt es Zuschauer, da werden Leute in die Enge getrieben. Wenn etwa ein Hater bereits 20 Gegenkommentare erhalten hat und nicht mehr antwortet, frage ich mich schon: Muss da jetzt noch mehr sein? Das zeigt: Auch #ichbinhier hat gewisse Macht und eine Eigendynamik. Das macht uns natürlich nicht zu einer »Hategroup«, doch das ist teilweise brandgefährlich.
Vor allem Personen und Gruppen, die Hass im Netz streuen oder von ihm profitieren, gehen gegen #ichbinhier an. Sie werfen dem Projekt vor, Seid ihr vielleicht doch politischer, als ihr zugebt?
Hannes Ley:
#ichbinhier ist überparteilich. Ich mache mir aber auch gerade viele Gedanken und versuche herauszuarbeiten, was der Kern des Ganzen ist. Warum machen wir das? Eigentlich glauben wir doch, dass jeder Einzelne für die Freiheit und Meinungsvielfalt in unserer Gesellschaft eintreten muss. Wenn wir uns das auf die Fahnen schreiben, wäre das aber schon politischer, als wir bisher auftreten.
Inwiefern?
Hannes Ley:
Es gibt auch Bewegungen und politische Strömungen in unserer Gesellschaft, die sich ganz klar gegen Pluralismus und gegen eine positionieren – etwa die Gegen die und weitere würden wir uns damit positionieren.
Darüber ist ja auch im Februar bei #ichbinhier ein Streit entbrannt …
Hannes Ley:
Wir hatten tatsächlich eine Diskussion, die aus dem Ruder gelaufen ist. Da kochten auch bei uns die Emotionen hoch. Es begann, als eine AfD-Sympathisantin ausgetreten ist, weil sie für ihre politische Haltung in unserer Gruppe in die Enge getrieben wurde. Das lässt einen schon daran zweifeln, ob die Leute, mit denen man sich mehr identifiziert, konstruktiv, aber vor allem einfühlsam im Netz diskutieren können. Am Ende der Diskussion habe ich mir echt überlegt, ob ich das so weiterführen will, und am folgenden Tag klargestellt: Wir positionieren uns nicht gegen die AfD.
Sondern?
Hannes Ley:
Wir positionieren uns für etwas und suchen den Dialog, auch mit Populisten. Ein Generalverdacht führt ja nur zur Bestätigung ihrer Positionen – es geht uns ja eigentlich um Diskussionskultur im Netz! Und genau da steckt eine Gefahr drin: Wenn wir nicht mehr über Gegenrede sprechen, sondern nur eine »Gegenseite fertigmachen wollen«, dann reden wir über Machtmissbrauch.
Die Zukunft von #ichbinhier
Diskussionskultur bedeutet ja auch, einen Dialog über politische Gräben hinweg zu führen. Denkst du noch, dass #ichbinhier dabei helfen kann, das zu ermöglichen?
Hannes Ley:
Wir sind tatsächlich noch nicht dahingekommen, wirklich zu diskutieren und über Probleme und ihre Lösungen zu sprechen. Dafür sind Kommentarspalten vielleicht auch nicht wirklich das richtige Medium. Zumindest nicht so, wie sie jetzt sind.
Nehmen wir einmal an, morgen wären soziale Medien weniger giftig – worüber würdest du denn diskutieren wollen?
Hannes Ley:
Etwa über die Geflüchteten-Thematik. Wir als #ichbinhier verteidigen eigentlich immer Geflüchtete vor dem Hass im Netz – da könnte man differenzierter sein. Wie reagieren wir als Gesellschaft darauf? Welche Modelle gibt es?
Also Arbeitskreis statt Counterspeech-Projekt?
Hannes Ley:
Da würde ich gerne hin, also mit Respekt gegenüber der Meinung anderer gemeinsam Vorschläge zu entwickeln, auch im Internet.
Ist #ichbinhier also nur der erste Schritt?
Hannes Ley:
Wir haben das Kommunikationsmedium Internet und was könnten wir nicht alles damit machen! Aktuell entradikalisieren wir mit #ichbinhier die Kommentarspalten und machen darauf aufmerksam, dass die Kommunikation falsch verläuft. Damit dürfen wir auch nicht aufhören.
Dirk ist ein Internetbewohner der ersten Generation. Ihn faszinieren die Möglichkeiten und die noch junge Kultur der digitalen Welt, mit all ihren Fallstricken. Als Germanist ist er sich sicher: Was wir heute posten und chatten, formt das, was wir morgen sein werden. Die Schnittstellen zu unserer Zukunft sind online.