Dieser Mann will den Speiseplan für Schulkinder revolutionieren
Saisonales, biologisches und vermehrt pflanzliches Essen an Schulen hilft nicht nur Kindern, sondern auch dem Klima. Gerade tut sich dafür in der EU ein einzigartiges Fenster auf.
Anna hat gerade 5 Stunden Unterricht hinter sich. Ganz schön viel für das Gehirn einer 10-Jährigen. Umso wichtiger ist es für sie, neue Energie zu tanken. Und wie kann sie das besser als durch eine gesunde Mahlzeit? Voller Vorfreude läuft sie mit ihrer Klasse in die Schulmensa. Heute auf der Speisekarte: Spaghetti Bolognese.
Doch die weißen Nudeln sind aus stark verarbeitetem Mehl und enthalten somit kaum Nährstoffe. Das Hackfleisch: unbekannten Ursprungs. Auch wie die Tomaten produziert wurden oder woher sie stammen, ist unklar. Besonders gesund ist dieser Ernährungsplan nicht – weder für Annas Körper noch für den Planeten, auf dem sie lebt, und dessen Klima.
Was gesunde Schulmahlzeiten mit dem Klimawandel zu tun haben? Das wurde Peter Defranceschi in seinem Leben schon häufig gefragt, besonders von Politiker:innen.
Er ist Direktor von
Dabei ist unser Ernährungssystem
Gleichzeitig zeigt der Bericht aber auch: Die Konsument:innen sind bereit für einen Wandel. 3 von 5 Europäer:innen wollen klimafreundlicher essen; 3 von 4 wünschen sich sogar, die EU möge gesetzlich regeln, dass alle in der EU verkauften Produkte nicht zum Artensterben beitragen.
Die EU-Kommission scheint das nun verstanden zu haben. Sie will unsere Teller grüner gestalten und hat dafür die
Das ist der Moment von Peter Defranceschi. Mit der Kampagne
Kleiner Teller, große Wirkung
Das Ziel von Peter Defranceschi: Was auf den Speiseplänen unserer Kinder landet, soll gesund, fair produziert und umweltfreundlich sein.
»Die EU rät den Gemeinden als öffentliche Beschaffer zwar, bei den Ausschreibungen für Essenslieferungen nicht bloß auf den günstigen Preis zu schauen. Jedoch ist das oft eine freiwillige Maßnahme«, bedauert Defranceschi. In der Realität würden Kommunen häufig einzelne Cateringfirmen für die Belieferung von mehreren Hundert Kindergärten beauftragen, um Kosten zu sparen. Da sei es viel schwieriger, Umweltstandards durchzusetzen oder zu überprüfen.
ICLEI hat deshalb gemeinsam mit Nichtregierungsorganisationen aus der EU
- 20% der Lebensmittel sollen aus biologischem Anbau stammen.
- 10% der Lebensmittel sollen von kleinen Produzent:innen in der Region erzeugt werden.
- 25% der Treibhausgase sollen reduziert werden, indem mehr pflanzliches Essen auf den Speiseplan kommt, indem die Lieferketten verkürzt werden, indem saisonales Gemüse und Obst serviert wird und indem weniger Essen weggeworfen wird.
- 25% der Lebensmittel, die von außerhalb der EU importiert werden – Kaffee, Bananen, Tee – sollen »Fairtrade-Produkte« sein.
- Die ausgewählten Lieferfirmen sollen beweisen, dass die Arbeitsbedingungen für ihre Angestellten zu 100% fair sind, das heißt geltenden Tarifverträgen, EU-Normen sowie nationalem Recht entsprechen.
- Öffentliche Mahlzeiten sollen sich an einem Plan für gesunde Ernährung orientieren. Zwar haben manche Länder bereits solche Richtlinien, doch sollten sie auf EU-Ebene konkreter ausgearbeitet und deren Einhaltung besser kontrolliert werden. Als Richtlinien schlagen die Verfasser:innen des Manifests zum Beispiel vor, 75% der Getreidegerichte als Vollkorn zu servieren oder Lieferant:innen zu bevorzugen, die Getränke mit weniger Zucker anbieten.
- Lieferfirmen, die einen höheren Tierschutz garantieren, sollen prämiert werden.
Besonders die Versorgung an Schulen liegt Defranceschi, selbst Vater von 2 Schulkindern, am Herzen. Deshalb hat ICLEI zusätzlich die
Der Ansatz klingt wie eine kluge Lösung für ein modernes Ernährungssystem. Doch wie realistisch ist er in der Praxis? Um das zu verstehen, hilft es, in Länder zu schauen, die solche Kriterien bereits umsetzen.
Was Schulkinder in anderen Ländern zu essen bekommen. Und wie die EU davon lernen kann
Manche Länder Europas setzen einige der Ziele im Manifest bereits seit Jahren um. Defranceschi ist überzeugt: Gestaltet die gesamte EU ihre Lieferkriterien für Mahlzeiten an Schulen oder im Gesundheitswesen danach, schont das nicht nur den Planeten, sondern auch die Gesundheit und macht das Lebensmittelsystem sozial gerechter:
Klima
Dass weniger Fleisch- und Milchprodukte sowie kürzere Lieferketten CO2 einsparen,
Auch Italien ist ein Vorreiter in Sachen nachhaltige Schulmensen: Zum Beispiel schreiben die landesweiten Kriterien vor, dass 50–100% der in Schulen servierten Mahlzeiten biologisch sein müssen. Der Anteil variiert je nach Art der Lebensmittel. Auch Zulieferer regionaler und saisonaler Produkte werden bei Ausschreibungen prämiert. Die Stadt Rom geht sogar den Verbrauch tierischer Lebensmittel an: Dort wird an Schulen und Kindergärten höchstens 2-mal wöchentlich Fleisch serviert. Laut einer Analyse der EU-Kommission kann die Stadt dank der Fleischreduktion im Jahr
Lokale Kreisläufe und Armutsbekämpfung
In den letzten 20 Jahren ist die Anzahl der Bauernhöfe in der EU um fast 40% zurückgegangen. Besonders die kleinstrukturierten Höfe
Die belgische Stadt Gent arbeitet seit 2013 an einer klimafreundlichen Lebensmittelpolitik, die Armut bekämpft und lokale, kleine Landwirt:innen unterstützt. So führte die Stadtverwaltung eine digitale Plattform ein, die Käufer:innen von Lebensmitteln (Restaurants, Lieferservices) mit lokalen Produzent:innen verbindet und dadurch Anreize für kürzere Lieferketten schafft. Seitdem gilt die Stadt EU-weit als
Zudem startete Gent eine Plattform, auf der Lebensmittel an Bedürftige verteilt werden, die andernfalls weggeschmissen würden. 1.000 Tonnen an überschüssigem Essen konnten so in den letzten 2 Jahren
Gesundheit
Kinder in der EU ernähren sich immer ungesünder. 1 von 3 Kindern sei heute übergewichtig,
Defranceschi fügt hinzu: »Das müsste man mit Kochkursen und Ernährungsbildung verbinden, damit Kinder lernen, wie sie später einmal gesund für sich kochen können.«
Im Moment haben nur 2 EU-Länder Kochkurse in ihren Lehrplänen: Schweden und Finnland. Die Forschung zu den Auswirkungen solcher Programme steht noch am Anfang.
Genau diese will ICLEI durchführen und hat dafür das Programm »Schoolfood4change« (auf Deutsch: Schulmahlzeiten für den Wandel) im Januar dieses Jahres
Wo der Tellerrand aufhört
Die Gemeinschaftsverpflegung betrifft nur einen Teil des gesamten Lebensmittelsystems der EU. Grüne Schulteller machen daher noch keine grüne Ernährungskultur im ganzen Land, auch wenn sie als Vorbild für den privaten Sektor wirken könnten.
Außerdem bärgen unklare Definitionen das Risiko von Greenwashing, erklärt Defranceschi. Wie werde zum Beispiel »gesundes Essen« definiert? Ab wann gelte ein Hof als »kleiner Produzent«? Potenzielle Lösungen: Unabhängige Diätolog:innen könnten die Kriterien für gesundes Essen mitbestimmen, wie etwa in Italien. Und für »kleine Produzenten« schlägt ICLEI folgende Definition vor: »Das sind Höfe, die nicht mehr als 100.000 Euro Umsatz im Jahr machen und maximal 5 Mitarbeiter:innen (neben der eigenen Familie) beschäftigen. Die maximale Fläche hängt vom Produkt und landeseigenen Bestimmungen ab.«
Ein Argument, das häufig gegen klimafreundliche, regionale Ernährungsprogramme herangeführt wird: Der Preis sei zu hoch. Das stimmt nur teilweise. Die Stadt Wien hat zum Beispiel durch das oben beschriebene Projekt »Natürlich gut Teller«, bei dem Fleisch reduziert wurde, weniger Geld ausgegeben. Defranceschi fügt hinzu: »Außerdem wird ein eventuell höherer Preis dadurch ausgeglichen, dass wir gesünder essen und deshalb im Gesundheitssystem Einsparungen machen können.«
Die größte Hürde sieht Defranceschi im politischen Willen:
In der Theorie finden immer alle unsere Idee toll. Wenn es aber darum geht, sie auch einzuführen, wird es oft schwer. Vor allem in Regionen, wo der herkömmliche Landwirtschaftssektor sehr stark ist, denn da geht es um Stimmen. Ich würde mir manchmal wünschen, dass Politiker:innen mehr Mut zeigen, die Politik an den Nachhaltigkeitszielen der EU auszurichten und an zukünftige Generationen zu denken.
Motivation könnten sich europäische Entscheidungsträger:innen im Globalen Süden holen. Dort besitzen einige Länder – Äthiopien, Kenia oder die Philippinen zum Beispiel – fortschrittliche Lebensmittelprogramme. Defranceschi ließ sich von solchen Regionen inspirieren, und hat die Best-Practice-Beispiele zusammen mit dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen im
Eine der Vorreiterinnen darin: die Region Bahia in Brasilien. Wie dort die nachhaltige Lebensmittelbeschaffung an Schulen umgesetzt wird und was sie bisher gebracht hat? Das hat ein brasilianischer Journalist für uns vor Ort recherchiert. Seine Ergebnisse findest du im nächsten Artikel unserer Serie
This project was funded by the European Journalism Centre, through the Solutions Journalism Accelerator. This fund is supported by the Bill & Melinda Gates Foundation.
Dieses Projekt wurde vom European Journalism Center im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator gefördert. Die Förderung wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily