Kommt ein Mensch auf die Welt, ist er allein nicht fähig zu überleben: Er braucht jemanden, der sich kümmert und sorgt. Wird ein Mensch alt oder krank, wiederholt sich das. Diese Sorgearbeit, auch Care-Arbeit genannt, ist ein Grundstein dafür, dass unsere Gesellschaft funktioniert.
Trotzdem sind sogenannte Care-Berufe, etwa in Pflege und Erziehung, nach wie vor schlechter bezahlt als viele andere Jobs. Wer sich im Privaten um Menschen sorgt, erhält dafür oft gar keine Bezahlung. Menschen, die sich kümmern, vorwiegend Frauen, riskieren damit viel: Ihre Unabhängigkeit, ihre Rente, ihre mentale und körperliche Gesundheit.
Was ist Care-Arbeit?
Care-Arbeit beschreibt die unbezahlten und bezahlten (re-)produktiven Tätigkeiten des Sorgens und Sichkümmerns. Sie beginnt mit der Begleitung und Versorgung Neugeborener und Gebärender, reicht über die Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern im Vor- und Grundschulalter, die familiäre und professionelle Pflege und Unterstützung bei Krankheit oder Behinderung, über die Hilfe zur Selbsthilfe unter Freund:innen, Nachbar:innen, im Bekanntenkreis bis zur Altenpflege, Sterbebegleitung und Grabpflege.
Einer Schätzung von Oxfam zufolge übernehmen . Würde diese Arbeit bezahlt – die Umsätze wären gigantisch.
Auch in Deutschland leisten Frauen noch immer einen großen Teil der Care-Arbeit, im Schnitt 1,5-mal so viel wie Im Alter von 34 Jahren, der sogenannten »Rushhour des Lebens«, in der sich bei vielen Menschen zentrale Entscheidungen zu Beruf, Partnerschaft und Kindern bündeln, erreicht der seinen Höchststand: Im Schnitt ist der Care-Gap bei Paaren mit Kindern und bei Alleinerziehenden am größten.
Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen und die Sichtbarkeit, Wertschätzung und faire Verteilung von Care-Arbeit einzufordern, haben Almut Schnerring und Sascha Verlan den .
Ich habe mich mit Initiatorin Almut Schnerring über die Folgen unterhalten, die die unfaire Verteilung von Sorgearbeit hat – und über Wege, den Status quo zu überwinden.
Almut Schnerring ist Journalistin und Autorin. Sie hat nicht nur den Equal Care Day mitinitiiert, sondern betreibt auch das Blog »Rosa-Hellblau-Falle« im Netz und auf Instagram.
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Quelle:
Larissa Neubauer
Lara Malberger:
Die Zahlen zeichnen ein klares Bild: Wenn es um die Verteilung von Care-Arbeit geht, sind wir in Deutschland noch sehr weit von einer gleichberechtigten Aufteilung entfernt. Trotzdem behaupten viele Menschen, dass wir heute schon viel weiter sind als die Elterngenerationen vor uns. Stimmt das?
Almut Schnerring:
Die Antwort hängt von meiner Tagesverfassung ab. An den optimistischen Tagen sehe ich, dass sich viel getan hat. Frauen müssen ihre Männer schon lange nicht mehr fragen, ob sie arbeiten Es gibt einen gesetzlich garantierten positiven dritten Es gibt ganz viele kleine Beispiele, dass sich vieles verändert hat, dass wir herauskommen aus der Rosa-Hellblau-Falle, raus aus den binären Geschlechterschubladen mit ihren engen Vorgaben.
Und was ist an den weniger optimistischen Tagen?
Almut Schnerring:
Da finde ich diese Verbesserungen unbedeutend, weil sich insbesondere im Bereich der Care-Arbeit viel zu wenig getan hat. Wenn ich mir etwa die Effekte anschaue, die das 2007 eingeführte Elterngeld hat. Wir dachten, mit dem Elterngeld haben wir ein tolles Tool zur Verfügung. Aber bisher hat es keine positive Wirkung auf die längerfristige Verteilung von Care-Arbeit gehabt.
Aber es wird doch immer wieder betont, dass mittlerweile deutlich mehr Väter in Elternzeit gehen.
Almut Schnerring:
Leider hat das nur einen kurzfristigen Effekt auf die Aufteilung. Wenn mit dem Bezug des Elterngeldes der finanzielle Anreiz endet, ergibt sich oft wie von selbst das altbekannte Aufteilungsmuster: Sie arbeitet in Teilzeit und kümmert sich um die Kinder, er kehrt zurück in die Vollzeit. Und es bleibt auch nach 15 Jahren ein eklatanter Gap bei der Bezugsdauer von Elterngeld. Ja, es sind inzwischen mehr Väter, die Elternzeit nehmen, aber sie sind immer noch deutlich in der Minderheit.
Was Almut Schnerring sagt, bestätigt auch ein Blick in die Daten. Frauen nehmen nicht nur häufiger Elternzeit, …
Elternzeit? Frauensache!
Gezeigt wird der Anteil der Eltern in Elternzeit in % im Jahr 2021.
Tatsächlich wünschen sich laut dem deutlich mehr Männer eine gleichberechtigte Aufteilung der Sorgearbeit.
Almut Schnerring:
Ja, laut Umfragen möchte mehr als die Hälfte der Väter Familienarbeit gerne partnerschaftlich aufteilen. Aber nur 10% der Väter setzen das auch um. 3 Sachen fallen mir dazu ein: zum einen gibt es das Phänomen der sozial erwünschten Antworten, die nicht immer ganz ehrlich sind. Und zweitens geht es ja um zukünftige Ereignisse. Vielen Männern fällt es möglicherweise schwer, die Tragweite richtig einzuschätzen. Und der dritte Punkt ist die Macht der Verhältnisse. Es kostet Kraft, Zeit und auch Mut, sich dem gängigen und überlieferten Gesellschaftsbild entgegenzustellen.
Liegt das nicht auch daran, dass es in vielen Unternehmen noch unüblich ist, dass Männer in Elternzeit gehen – und diese dann auch weniger Rückhalt erfahren?
Almut Schnerring:
Das gibt es natürlich immer noch. Und klar: Wenn das Geld knapp ist, dann muss ich diesen Job behalten, dann kann ich nicht aussetzen. Je nach Situation geht es eben nicht anders.
Aber es gibt eben auch die Paare, bei denen es kein Problem wäre. Und wenn man wirklich gut qualifiziert ist und der Arbeitgeber sich querstellt, wenn es um die Elternzeit geht, könnte man auch überlegen, einen neuen Job zu suchen. Zu einem Arbeitsplatz zu wechseln, an dem Care-Arbeit wertgeschätzt wird. Wenn das ein paar mehr Menschen machen würden, wäre da ganz schnell viel passiert. »Was ist Sozialisation und was freie Wahl?«
Ich verstehe es, wenn man sagt: »Wir wollen das so als Paar.« Nur: Wenn über 80% so entscheiden, dann muss man sich überlegen, was jetzt noch individuelle Wahl ist und was Prägung und Sozialisation. Wie bin ich aufgewachsen? Will ich das so beibehalten? Und vor allem: Was gebe ich dann weiter an meine Kinder? Die sehen dann, dass sich die Mutter »nur« kümmert und der Papa auf der »richtigen« Arbeit ist. So dreht sich das Rad immer weiter.
Was bedeutet es noch, wenn sich hauptsächlich Frauen in den ersten Lebensmonaten um den Nachwuchs kümmern?
Almut Schnerring:
Es bedeutet zum einen, , wenn es etwa um den Beginn von Bindungen geht, um Rollenverteilung und Aufgaben. Viele bereuen das auch im Rückblick, wenn es zu spät ist.
Ab der Geburt des ersten Kindes verdienen viele Frauen aber auch nur noch einen Bruchteil dessen, was der Partner verdient. Der Gehaltseinbruch ist immens. Im Laufe ihres Lebens verdienen Frauen insgesamt nur halb so viel Geld wie Männer und sie beziehen in der Folge auch viel weniger Rente. »Gleichberechtigung funktioniert eher, wenn nicht einer das Geld reinbringt«
Dadurch entsteht eine Abhängigkeit, die noch stärker wird, wenn ich mich ganz auf das Einkommen eines Partners oder einer Partnerin verlasse. Natürlich möchte niemand mit der Aussicht auf eine Trennung in eine Partnerschaft hineingehen. Doch selbst wenn ich mich nie trenne, hat eine Partnerschaft mehr Chance auf Gleichberechtigung und Augenhöhe, wenn nicht einer das Geld reinbringt und die andere die Arbeit macht, die gesellschaftlich gar nicht als solche anerkannt wird.
Auch beim Thema Einkommen macht ein Blick in die Daten die großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern deutlich:
Lebenseinkommen: Für Mütter nur ein Bruchteil
Die Abbildung zeigt die erwarteten durchschnittlichen Bruttolebenserwerbseinkommen für die verschiedenen Gruppen in West- und Ostdeutschland. Weil Kinder auf das Einkommen der Väter so gut wie keine Auswirkungen haben, wird diese Gruppe nicht explizit dargestellt.
Die Einkommensunterschiede haben auch Folgen für die Rentenhöhe:
Mehr Rente für Männer
Rentner und Rentnerinnen ab 60 Jahren beziehen im Schnitt unterschiedliche Beträge aus der Gesetzlichen Rentenversicherung (nach Abzug des Eigenanteils der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung).
Nur in 3 gehen die Gehälter zwischen den Geschlechtern noch weiter auseinander. Wieso ist das so?
Almut Schnerring:
Besonders Mütter setzen in Deutschland recht lange nach der Geburt aus und arbeiten auch danach oft in Teilzeit, um sich um die Kinder zu kümmern. Das liegt sicher auch daran, dass das Mutterbild in Deutschland noch einmal extremer geprägt ist als in anderen Ländern, unter anderem durch den Nationalsozialismus und das, was wir davon bis ins Heute mitgenommen haben. »Wir denken nicht an das Dorf, das ein Kind miterzieht«
Wir sprechen von Fremdbetreuung, wenn wir ein Kind außerhalb der Familie betreuen lassen, obwohl diese Personen gar nicht fremd sind. Das ist schon bezeichnend. Wir denken überhaupt nicht an das Dorf, das ein Kind miterzieht, obwohl das sprichwörtlich doch so gerne verwendet wird. Auch das Wort Rabenmutter lässt sich nicht in alle Sprachen einfach so übersetzen.
Ist das denn in anderen Ländern besser gelöst?
Almut Schnerring:
Es ist in anderen Ländern anders gelöst, aber nicht per se besser. Ich habe länger in Frankreich gelebt, wo es ganz normal ist, dass beide Partner:innen, auch die Mutter, nach einer sehr kurzen Elternzeit wieder arbeiten gehen. Wobei ich auch unglücklich damit wäre, das französische System als Vorbild zu nehmen. Denn auch dort gibt es keine Wahlfreiheit, sondern frau wird schräg angeschaut, wenn sie länger als 10 Wochen stillt und nicht danach direkt wieder Vollzeit einsteigt und die Kinder ganztags außer Haus betreuen lässt.
Das Grundproblem, dass Care-Arbeit nicht genug wertgeschätzt wird als gesamtgesellschaftliche Ressource, das gibt es überall. Das ist ein globales Problem.
»Wir haben zu wenig Zeit, um uns zu kümmern«
Was muss sich denn ändern, um den Gender-Care-Gap – und damit auch die anderen Gender-Gaps – zu schließen oder zumindest zu verkleinern?
Almut Schnerring:
Wir haben insgesamt viel zu wenig Zeit, uns zu kümmern; das Kümmern ist in einer 40-Stunden-Woche nicht vorgesehen. Die meisten Menschen haben schon . Wir hetzen von einem To-do zum anderen, und da dann auch noch das Sichkümmern reinzuquetschen, ist kaum möglich.
Deshalb müsste dieses Modell grundsätzlich umgekrempelt werden. Da sind wir aber noch nicht, weil unser Wirtschaftssystem darauf fußt, nur Lohnarbeit in Berechnungen einzubeziehen. Dabei gäbe es gar kein Wirtschaftssystem mit Wachstum, keine Unternehmen und keinen Umsatz, wenn es nicht vorher Menschen gäbe, die reproduktive Arbeit leisten. Die Brotdosen füllen und Hemden bügeln, die Ersatzwindeln und Schulbücher einpacken und so dafür sorgen, dass jemand in die Lage versetzt wird, sich später einmal auf eine attraktive Stellenanzeige zu bewerben. »Unternehmen greifen Care-Arbeit gratis ab«
Unternehmen greifen diese Care-Arbeit, die in den Menschen steckt, die für sie arbeiten, gratis ab. Sie nehmen diese Menschen als Humankapital in die eigene Bilanz auf und nutzen sie, um Umsatz zu machen. Aber das, was schon hineingegeben wurde, wird an keiner Stelle zurückgegeben. Das muss sich ändern.
Gibt es denn Änderungen, die deiner Ansicht nach besonders dringend umgesetzt werden müssten?
Almut Schnerring:
Ich persönlich glaube, dass sich das Modell der 40-Stunden-Woche bald ändern muss, auch wenn die aktuelle Regierung daran festhält. Im , das wir im Rahmen der Initiative Equal Care Day verfasst haben, schlagen wir vor, dass . Nur so bleibt genug Zeit für Care-Arbeit, für Familie und gesellschaftliches Miteinander.
Auch wir haben bereits über die 4-Tage-Woche berichtet, die in einigen Ländern schon erfolgreich ausprobiert wird:
Almut Schnerring:
Bei solchen Vorschlägen gibt es überhaupt keinen Blick für Care-Arbeit. Auch unsere Erwerbsbiografie, auf die wir in der Schule vorbereitet werden, sieht nicht vor, dass wir aussetzen, um uns um andere zu kümmern. Wir haben dann angeblich eine »Lücke« im Lebenslauf, weil Care-Arbeit nicht als Arbeit gesehen wird. Ich würde mir wünschen, dass man immer im Blick behält, dass sich jeder Mensch irgendwann mal im Laufe des Lebens um andere kümmern muss. Und dabei geht es nicht nur um Kinder.
Das Modell des atmenden Lebenslaufes ist ein Konzept, das Zeit für andere miteinbezieht. Stefan Boes hat es in diesem Artikel vorgestellt:
Gibt es noch andere Ideen, die in naher Zukunft umgesetzt werden könnten?
Almut Schnerring:
Etwas ganz Kleines, Konkretes wäre ein Gutscheinsystem für . Dieser Vorschlag war schon im letzten und ist auch im aktuellen Koalitionsvertrag festgehalten. Das ist eine Subventionierung für externe Hilfe, die ich so relativ günstig einkaufen kann, zum Beispiel zum Putzen, Bügeln oder Wäschewaschen.
Ältere Menschen gewinnen damit oft ein paar weitere Jahre an Selbstständigkeit, und es spart somit die sehr viel höheren Kosten eines Pflegeheims. Das gibt es in Belgien beispielsweise schon seit bald 20 Jahren.
Eine Frage, die sich mir da stellt: Woher kommt das Personal für diese Dienstleistungen? Es ist aktuell ein Riesenproblem, Fachkräfte im Care-Bereich zu finden. Eine vermeintliche Lösung ist es dann, Menschen aus dem Ausland anzuwerben, die diese Arbeiten übernehmen, die in Deutschland zu wenige Menschen machen wollen …
Almut Schnerring:
… und die dann eine Lücke, einen Care-Drain, zu Hause hinterlassen. Das kann deshalb keine Lösung sein – bzw. es wäre eine sehr egoistische, die keine Rücksicht nimmt auf die wirtschaftlichen und humanitären Folgen für das jeweilige Herkunftsland. Gar nicht zu sprechen von der prekären Situation, in der viele Care-Arbeiterinnen aus dem Ausland hier aktuell arbeiten müssen.
Mich wundert, dass der Fachkräftemängel auf diese Weise gelöst werden soll und Unternehmen nicht sehen, was sich wirklich ändern müsste, damit sie ihr Personal nicht verlieren. Nicht nur im Care-Bereich, sondern auch in anderen Berufsfeldern.
»Wir brauchen Care-sensible Arbeitgeber«
Was müsste sich denn ändern?
Almut Schnerring:
Ich finde es fast eigenartig, dass Unternehmen noch nicht erkannt haben, wie wichtig es ist, ein Care-sensibler Arbeitgeber zu sein. Das Wort familienfreundlich ist mir da noch zu wenig. Wir brauchen Care-sensible Arbeitgeber, die attraktiv für Menschen sein wollen, die Care-Arbeit leisten. Die sich zum Beispiel mitkümmern, dass auch die Oma gut versorgt ist, weil sie an der Betriebskita auch eine Tagespflegestelle mitangebaut haben. Wo flexible Arbeitszeiten völlig normal sind und keine Meetings mehr nach 17 Uhr stattfinden.
Von Schweden wird das ja gerne gesagt, dass man dort schräg angeschaut wird, wenn man nach 16 Uhr noch am Schreibtisch sitzt. Diese Stimmung bräuchten wir hier auch. Dann wäre das Thema Fachkräftemangel nicht gelöst, aber zumindest mal angegangen. Denn wenn ich weiß, dass meine private Care-Arbeit gut organisiert ist, ich mir am Arbeitsplatz keine Sorgen machen muss, sondern darin unterstützt werde, mein Fachwissen einzubringen, dann komme ich nach einer Care-Pause auch gerne wieder.
Warum verändert sich denn so wenig, obwohl einige Lösungen auf der Hand liegen?
Almut Schnerring:
Ein Problem ist sicher, dass die Mehrzahl derjenigen, die über Änderungen entscheiden könnten, oft nur in ihre Position gekommen sind, weil sie selbst keine Care-Arbeit leisten müssen und das vermutlich auch nie mussten. Wer Care-Arbeit als privates Problem ansieht und zu Hause wenig Mental trägt, spürt nicht, wie drängend das Problem ist. Das gilt für Arbeitgeber wie für die Politik.
Meine Kollegin Judith Braun hat sich in einem weiteren Artikel mit dem Thema »Mental Load« beschäftigt und sich gefragt, wie sich die Gedankenarbeit, die nötig ist, um das tägliche Miteinander zu organisieren, gerechter verteilen lässt:
Hier schließt sich der Kreis zum Thema Elternzeit. Wenn jemand die »2 Vätermonate« nimmt, gilt das oft genug schon als fortschrittlich. Wenn man in der Zeit aber gar nicht allein zuständig für Haushalt und Kind ist, dann weiß man(n) gar nicht, was es heißt, die komplette Verantwortung zu übernehmen – und unterschätzt diese Aufgabe wahrscheinlich auch leichter.
Almut Schnerring:
Ja, da fängt es an. Am Ende ist hier wieder die Frage, wer entscheidet, dass es so läuft. Und da sind wir wieder bei der Sozialisierung. Wenn ich gelernt habe, dass ich als Frau dafür zuständig bin und auch das Gefühl habe, ich kann vieles davon besser oder schneller, dann bin ich natürlich auch schnell dabei, das auch langfristig zu übernehmen.
Wieso denke ich das als Frau denn überhaupt?
Almut Schnerring:
Das fängt schon in der Kindheit an: Selbst wenn ich versuche, Werbebotschaften und Medieneinflüsse auszublenden, bekommen Kinder mit, dass empathische Jungs als untypisch gelten, während ihnen Rücksichtslosigkeit eher nachgesehen wird. Mädchen werden dagegen schon früh für ihr Aussehen gelobt und zum Helfen motiviert, in der Schule werden sie zum Beispiel gerne mal als soziale Puffer zwischen Jungs gesetzt. Da hat sich leider noch nicht so viel verändert.
Das führt dazu, dass sich viele Frauen auch später in der Pflicht sehen, sich um andere zu kümmern – nicht nur um die eigenen Kinder, sondern zum Beispiel auch um die pflegebedürftigen Eltern. Auch im Berufsleben übernehmen Frauen viel häufiger Care-Berufe.
Care-Berufe? Frauensache!
Angaben in %. Insgesamt sind fast 5 Millionen Menschen in den beiden Bereichen beschäftigt.
So gehst du das Projekt »Equal Care« im Privaten an
Was kann ein erster Schritt sein, um das Projekt »Equal Care« zumindest in der eigenen Partnerschaft oder im eigenen Haushalt anzugehen?
Almut Schnerring:
Ich denke, das bekommt man nur mit ganz, ganz viel Kommunikation hin. Man sollte das Thema mindestens einmal im Monat an den Küchentisch holen, damit man langfristig zusammenfindet.
Ein erster Schritt kann sein, Listen zu machen und aufzuschreiben, wer was macht – also die sogenannte »unsichtbare« Arbeit sichtbar machen. Und dann ins Gespräch darüber kommen, was hinter dieser Liste steckt. Was heißt es, einen Kindergeburtstag zu organisieren? Welche To-dos stehen dahinter? »Die Lösung ist nicht, dem anderen einen Zettel zu schreiben«
Die Lösung ist nicht, dem anderen Zettel zu schreiben, an was er alles denken soll, , inklusive der Verantwortung und dem Risiko, dass etwas vergessen wird. Wenn vorher nur eine Person bei bestimmten Aufgaben den Mental Load übernommen hat, braucht es für die Übergabe eben erst mal ein Meeting, in dem geklärt wird, was alles zu diesem Aufgabenbereich gehört. Dabei kann unser helfen, den wir mit Jo Lücke im Team der Initiative Equal Care Day entwickelt haben. »Care-Arbeit braucht Kommunikation«
Wenn wir uns einig sind, dass Care-Arbeit mehr Wertschätzung braucht, dann müssen wir ihr auch in der Kommunikation die Wertschätzung zukommen lassen, die wir der Erwerbsarbeit zukommen lassen. Nur weil sie nicht bezahlt ist, heißt das eben noch lange nicht, dass sie nicht auch fachliche Kenntnisse und viel Aufmerksamkeit braucht in der Planung.
»Im Care-Bereich passiert Ausbeutung auf ganz vielen Ebenen«
Das Care-Thema wird häufig als »Frauen-Thema« behandelt. Würdest du sagen, dass Männer auch davon profitieren können, wenn Care-Arbeit gerechter verteilt wird?
Almut Schnerring:
Es ist nun mal so, dass der Leidensdruck bei denen größer ist, die die Care-Arbeit leisten und deren unfaire Verteilung und mangelnde Wertschätzung täglich zu spüren bekommen. Für Frauen wird Vereinbarkeit zur Utopie, weil sie ihre (finanzielle) Unabhängigkeit verlieren, sobald das erste Kind auf der Welt ist oder die Eltern pflegebedürftig werden.
Wenn sie auf Spielplatz und Breirezepte reduziert werden, werden ihnen Mitgestaltungsmöglichkeiten gekappt. Deshalb sind sie stärker an der Lösungsfindung interessiert und besuchen etwa die entsprechenden Veranstaltungen zum Thema und lesen und schreiben darüber.
Wieso sollten sich trotzdem auch Männer für »Equal Care« interessieren?
Almut Schnerring:
Wer an einer Partnerschaft auf Augenhöhe interessiert ist, muss sich mit diesem Thema beschäftigen, da sind Männer natürlich gefragt. Außer, sie wollen an ihren Privilegien und alten Hierarchien festhalten.
Es ist natürlich etwas naiv zu glauben, man müsste sich mit diesem Thema nicht auseinandersetzen, wenn man gleichzeitig bedauert, zu wenig Zeit mit den Kindern oder so einen blöden Arbeitgeber zu haben. Viele machen dafür gerne alle anderen verantwortlich, nur nicht sich selbst. Wenn ich aber meine Sozialisierung anerkenne und sehe, dass mir meine Prägung da im Weg ist, hilft das, etwas zu verändern. »Mental Load ist zu einem Modebegriff geworden«
Mental Load ist fast zu einem Modebegriff geworden, der schwappt meiner Meinung nach sehr ins Private. Und es scheint auch ein bisschen Mode, den Fokus darauf zu legen, wie man »den Männern« – schon wieder so ein Klischee, denn es gibt ja zum Glück Ausnahmen – das Thema schmackhaft machen kann.
Worauf sollte der Fokus stattdessen liegen?
Almut Schnerring:
Es geht um viel mehr. Es geht um ein faires Miteinander und es geht darum, dass die einen die anderen ausbeuten. Und das nicht nur geschlechtlich. Es geht um Arm und Reich und es geht um Herkunft. Komme ich aus einem Land, wo die Bezahlung so schlecht ist, dass es sich lohnt, mich hier 3 Monate um eine pflegebedürftige Person zu kümmern, in deren Haus zu leben und meine eigenen Kinder allein zu lassen?
Im Care-Bereich passiert Ausbeutung auf ganz vielen Ebenen. Wenn ich für Gerechtigkeit und Fairness bin, ob nun innerhalb der Partnerschaft oder gesamtgesellschaftlich, dann muss ich mich dieses Themas annehmen. Es geht um Augenhöhe, um Respekt, um Toleranz in allen Bereichen. Und da frage ich mich: Wieso muss dazu überhaupt jemand überredet werden?
Das Netz ist voller Tipps und Ratschläge – und Menschen, die damit ihre Probleme lösen wollen. Doch meistens gibt es nicht »die« eine richtige Lösung. Aber was ist sinnvoll? Und was kann weg? Um so nah wie möglich an eine Antwort heranzukommen, hat Lara Wissenschaftsjournalismus mit Schwerpunkt Biowissenschaften und Medizin in Dortmund und Digital Journalism in Hamburg studiert.