»Unser Verstand ist durch die Anbetung des Geldes verzerrt«
Die Präsidentin des Club of Rome erzählt, wie sie sich eine nachhaltigere und gerechtere Zivilisation der Zukunft vorstellt – und wie sie Nelson Mandela den Feminismus näherbrachte.
Rike Uhlenkamp:
Dr. Mamphela Ramphele, Sie sind eine von 2 Präsidentinnen des Club of Rome – als die ersten Frauen in der mehr als 50-jährigen Geschichte der Organisation. Sie waren auch die erste Schwarze Präsidentin der Universität Kapstadt, die erste Südafrikanerin als Direktorin der Weltbank. Es scheint, Sie mögen es, vorzupreschen?
Mamphela Ramphele:
Das sagt mehr über diese Institutionen aus als über mich! Obgleich afrikanische Frauen genauso gebildet sein können wie alle anderen, tauchen wir in den Führungsetagen kaum auf. Wir leben in einer Welt, die für eine weiße und männliche Dominanz ausgelegt ist. Auch mein Leben wurde dadurch bestimmt.
Inwiefern?
Mamphela Ramphele:
Als ich aufwuchs, ging die Gesellschaft davon aus, wer Schwarz ist, muss dumm sein. Ich habe mich von diesem Vorurteil befreit. Nur ich allein kenne meine Fähigkeiten und nutze sie nun, um in die Bresche zu springen.
Wie sehr hat Sie dabei Ihr Kampf gegen die Apartheid geprägt?
Mamphela Ramphele:
Ich bin geworden, wer ich bin, weil ich mir in den späten 1960er-Jahren, gemeinsam mit meinem Partner und anderen jungen Schwarzen Studierenden schwerwiegende Fragen gestellt habe: Wie ist es möglich, dass eine indigene Mehrheit von einer winzigen Minderheit im eigenen Land unterdrückt wird? Wie kann ein solches System so lange bestehen?
Uns wurde klar: Nur indem wir es den Weißen erlaubten, uns zu dominieren. Wir wurden zu Freigeistern und gründeten die Bürgerrechtsbewegung »Black Consciousness Movement«, die auf dem Selbstbewusstsein Schwarzer Menschen fußt.
Sie sind seit 5 Jahren Vorsitzende des Club of Rome. Was haben Sie und Ihre Co-Präsidentin Sandrine Dixson-Declève sich vorgenommen?
Mamphela Ramphele:
Wir wollen den Club zu einer tatkräftigen globalen Institution mit mehr Frauen und jüngeren Menschen machen – und eine Revolution anstoßen.
Wie bitte?
Mamphela Ramphele:
Es soll um mehr gehen, als nur auf Notlagen zu reagieren, mit denen wir weltweit konfrontiert sind. Wir wollen erforschen, wie die Menschheit ihren Umgang mit der Umwelt so umgestalten kann, dass wir eine nachhaltigere Zukunft schaffen, mit mehr Gerechtigkeit auf einem gesünderen Planeten. Ziel ist nichts Geringeres als eine neue Zivilisationsform.
Und wie soll dieser Traum wirklich werden?
Mamphela Ramphele:
Die Revolution fängt bei jedem von uns an. Jeder muss sich fragen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Geht es ums Beherrschen? Geht es ums Besitzen? Nein! Menschsein bedeutet, in einem Netz des Lebens mit allem verbunden und aufeinander angewiesen zu sein.
Ohne saubere Luft, ohne sauberes Wasser, ohne Beziehungen können wir nicht leben. Wir müssen für das gesamte Ökosystem Verantwortung übernehmen und es schützen, ganz im Sinne der afrikanischen .
Können Sie uns ein Beispiel für diese Lebensform nennen?
Mamphela Ramphele:
Genau genommen ist sie nicht neu. Indigene Gemeinschaften überall auf der Welt leben nach den Werten einer ökologischen Zivilisation. Sie wissen, dass der Mensch von Macht, Geld und Besitz so weit befreit werden muss, dass er die Auswirkungen seines Handelns und seinen Einfluss erkennen kann. Wir müssen wieder wie Indigene leben – in Harmonie mit der Natur.
Schöne Idee, aber wie wollen Sie das erreichen?
Mamphela Ramphele:
Wir haben im Club verschiedene Gruppen gegründet, sogenannte Impact Hubs. Angeführt von einzelnen Mitgliedern kümmern sie sich um Aspekte, die für eine nachhaltige Zukunft nötig sind. Einer davon beschäftigt sich mit dieser Idee eines neuen Zusammenlebens.
Aber ist das nicht vor allem eine Diskussion im Elfenbeinturm, in dem die Mitglieder des Clubs unter sich sind?
Mamphela Ramphele:
Im Gegenteil, wir öffnen uns. Wir haben uns mit Hunderten Partnern zusammengetan: mit Organisationen der Zivilgesellschaft, Universitäten, Forschungsinstitutionen, der UNO und anderen Netzwerken. Außerdem haben wir unsere Mitgliederzahl erhöht.
Ursprünglich war doch der Club auf 100 Mitglieder begrenzt.
Mamphela Ramphele:
Ja, doch zu den langjährigen, alternden Mitgliedern haben wir jüngere Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt aufgenommen. Als wir uns vergangenes Jahr zur Club-of-Rome-Konferenz in Costa Rica trafen, waren mehr von ihnen dabei als von den Golden Oldies. Sie machen unsere Gruppe lebendiger, globaler, vielfältiger – und damit reicher. »Der Mensch muss so weit von Macht, Geld und Besitz befreit werden, dass er die Auswirkungen seines Handelns und seinen Einfluss erkennen kann.«
Sie selbst sind 76. Setzen Sie auch deshalb Ihre Hoffnungen auf diesen Nachwuchs?
Mamphela Ramphele:
Total! Die jungen Leute haben großes Interesse, die Zukunft anders zu gestalten. Sie sind eine Quelle der Energie, der Kreativität und des Aktivismus. In meiner Heimat ist die Generation zwischen 25 und 35 Jahren die am besten ausgebildete, qualifizierte und am weitesten vernetzt. Sie sind die Führungspersönlichkeiten von morgen, die uns Älteren eine Menge beibringen können.
Sie haben sich als junge Südafrikanerin viel mit dem älteren Nelson Mandela ausgetauscht. Beruht Ihr Vertrauen in die Jugend auch auf dieser Erfahrung?
Mamphela Ramphele:
Als Nelson Mandela in ein Gefängnis in die Nähe von Kapstadt verlegt wurde, lud er mich zu sich ein. Von da an besuchte ich ihn alle 2 Wochen. Er wollte, dass ich ihm von dem Südafrika erzähle, das er durch seine lange Haft nicht mehr kannte. Über die Zeit entwickelte sich eine Art Vater-Tochter-Beziehung. Ich habe ihn bewundert, doch Mandela war kein Heiliger. Er hat Fehler gemacht, wie wir alle. Aber er ist ein Mann, der aus ihnen gelernt hat.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Mamphela Ramphele:
Der politische Aktivismus hatte ihn zu einem Rüpel gemacht, der sehr intolerant gegenüber Andersdenkenden war. Über die Jahre in Gefangenschaft erkannte er, dass es falsch ist, Menschen zu beherrschen und ihnen Ideen aufzuzwingen. Wie es gelingt, dass sie einem dennoch zuhören, habe ich von ihm gelernt.
Und was haben Sie ihm beigebracht?
Mamphela Ramphele:
Er ging davon aus, dass es in Ordnung ist, wenn Männer die Führung übernehmen. Wie traditionell üblich. Bis ich ihm von der Gleichstellung der Geschlechter erzählte. Das verblüffte ihn. Wir kamen an einen Punkt, an dem er mich höflich, aber bestimmt bat, zu gehen. Noch am selben Abend sah er eine Fernsehsendung, in der eine Geschäftsfrau dasselbe sagte wie ich. Er verstand, dass er bei diesem Thema den Anschluss verloren hatte.
Zurück zum Club of Rome. 1972 erschien der erste Bericht des Thinktanks: »Die Grenzen des Wachstums«. Er hat damals für viel Aufsehen gesorgt und gilt als eines der wichtigsten Sachbücher des vergangenen Jahrhunderts und als Geburtsstunde der Umweltbewegung. Auch ihr neuer Bericht macht klar, dass wir schnell handeln müssen, um die Klimakatastrophe und den gesellschaftlichen Kollaps aufzuhalten.
Mamphela Ramphele:
Ja, es beschreibt 5 Kehrtwenden: Das Ende der extremen Ungleichheit und Armut, die Ermächtigung von Frauen, ein Wandel zu einem nachhaltigen Landwirtschafts- und Ernährungssystem und sauberer Energie.
Was wird uns Ihrer Meinung nach am schwersten fallen?
Mamphela Ramphele:
Keines von allen! Das Schwierigste ist, unsere Arroganz zu überwinden und nicht länger zu glauben, alles ausbeuten zu können. Wir müssen das Miteinander wiederentdecken. Das steht am Anfang. Denn wer erkennt, dass er mit anderen und der Natur verbunden ist, wird aufhören, das zu tun, was uns in die heutige Situation gebracht hat.
Nicht aus einem Gefühl der Nächstenliebe, sondern aus Eigeninteresse. Unsere wirtschaftlichen Beziehungen, unsere Finanzgeschäfte, unser Überkonsum führt zu einem zerstörerischen Umgang gegenüber anderen Menschen und der Umwelt.
Mächtige, privilegierte Reiche profitieren von diesem aktuellen System. Für sie könnte Ihre »Erde für alle« als Bedrohung erscheinen. Sie müssten verzichten und abgeben. Da werden die doch nicht mitziehen?
Mamphela Ramphele:
Ich will nicht Menschen überzeugen, die heute Mittel und Macht besitzen, sondern alle anderen unterstützen, für ihre Ideale zu kämpfen und den Wandel zu erreichen, den wir anstreben. Politische Systeme ändern sich durch Druck von unten.
Solch engagierte Menschen, die sich auf vielfältige Weise für die Umwelt und ihre Mitmenschen einsetzen, haben wir vor Kurzem in Deutschland kennengelernt. Wir trafen Freiwillige, , besuchten einen Tofu-Hersteller und Landwirte, die lokal Soja anbauen, und sprachen mit dem Entwickler eines Stadtviertels, dessen Energieversorgung nahezu klimaneutral ist. Wie viel können solche Projekte beitragen?
Mamphela Ramphele:
Vieles davon ist sehr wichtig! Doch es muss begleitet werden von der inneren Transformation und einem Wandel im Kern der Systeme. Sonst ist es nur ein Herumbasteln an den Rändern.
Einige behaupten, wir können den Kapitalismus nicht abschaffen, und sagen, man solle ihn nutzen: Zum Beispiel mithilfe von grünen oder blauen Anleihen, bei denen . Was halten Sie davon?
Mamphela Ramphele:
Geld muss von der Idee des Kapitalismus befreit werden. Es ist nichts daran auszusetzen, es als Werkzeug für den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu verwenden. Aber aktuell ist davon mehr im Umlauf als alle Vermögenswerte der Welt zusammen.
Unser Verstand ist durch die Anbetung des Geldes verzerrt. Wir haben Geld zu unserem Gott gemacht. Dabei lässt es sich nicht essen, es schenkt uns keine frische Luft oder sauberes Wasser, schafft keine guten Beziehungen. Wir haben verlernt, diese Dinge zu schätzen.
Ärmere Länder kritisieren immer wieder, dass auch sie die Chance brauchen, um zu wachsen wie die Staaten im Globalen Norden. Haben sie recht?
Mamphela Ramphele:
Natürlich sollen sie ihre Lebensqualität verbessern. Sie sollen nicht stagnieren, aber eben in den richtigen Bereichen wachsen. Nehmen wir als . Das Land hat das geschafft. Frauen, die das Land während des schrecklichen Völkermords zusammengehalten haben, wurden in Führungspositionen gehoben.
Das Parlament hat heute einen der höchsten Frauenanteile der Welt. Junge Menschen erhalten eine hochwertige Ausbildung, das Gesundheitssystem wurde erneuert und das Land setzt auf erneuerbare Energien. Das kleine Binnenland mit seinen begrenzten natürlichen Ressourcen leistet Unglaubliches. Im Gegensatz dazu steht mein eigenes Land.
Was läuft falsch in Südafrika?
Mamphela Ramphele:
Aufgrund von Gier verfolgen wir ein Wirtschaftsmodell, bei dem die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Wir verbrennen weiterhin fossile Brennstoffe und sind der größte Umweltverschmutzer Afrikas. Damit verkaufen wir die Seele unserer Kinder! Denn es gibt Alternativen: Sonne, Wind, das Meer.
Graeme Maxton, Ex-Generalsekretär des Club of Rome, erklärt, warum unser Wirtschaftsmodel auf Lügen basiert. Und wie wir es ändern sollten, um eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft zu garantieren.
Ist es da eine erfreuliche Nachricht, dass Deutschland beim Aufbau erneuerbarer Energie in Namibia helfen möchte und plant, ?
Mamphela Ramphele:
Nun, wenn es eine gerechte Partnerschaft wäre: Ja …
Ist sie das nicht?
Mamphela Ramphele:
Europa ist einst in Afrika eingefallen. Eure glitzernden Gebäude wurden aus den Schätzen dieses Kontinents erbaut. Niemand verlangt, dass ihr sie abreißt, und doch erwarten wir, dass die Beziehung zwischen Europa und Afrika neu verhandelt wird.
Das beginnt mit der aufrichtigen Anerkennung der Vergangenheit: Namibia ist verarmt, weil Deutschland dort einen Völkermord begangen hat. Der hat bis heute tiefe Narben in der Gesellschaft hinterlassen. Auch in der Regierung, der es an Selbstachtung fehlt, um für die Menschen des Landes einzustehen.
Es braucht also auch einen Wandel in den Köpfen afrikanischer Regierungen?
Mamphela Ramphele:
Afrika muss sich von der Idee des Empfangens befreien. Natürlich ist Europa Afrika angesichts der Geschichte viel schuldig, aber die Gegenleistung sollte nicht aus Wohltätigkeit und Almosen bestehen. Wir brauchen eine gleichberechtigte Partnerschaft, bei der in Menschen und den Schutz der Ressourcen und Bodenschätze investiert wird.
Wer sich wie Deutschland in einem Land auf den grünen Wasserstoff stürzt und gleichzeitig in Südafrika auf den Erhalt von Kohleminen drängt, für deren Schließung wir Bürger dieses Landes kämpfen, streut nur Salz in die Wunden.
Sie selbst waren jahrelang in Aufsichtsräten großer Bergbaufirmen, die auch Kohle fördern. Wie passt das mit Ihrer Haltung zusammen?
Mamphela Ramphele:
Das war in den 90er-Jahren, bevor mir das Ausmaß der CO2-Emissionen richtig bewusst war. Jetzt könnte man sagen, dass ich deshalb kein Recht habe, den Abbau von Kohle zu kritisieren. Doch das fände ich falsch. Ich habe dazugelernt.
Dr. Ramphele, wofür würden Sie gerne in Erinnerung bleiben?
Mamphela Ramphele:
Als eine Frau, die nie aufgehört hat zu lernen, ein besserer Mensch zu werden: für ihre Mitmenschen und das Ökosystem, in dem sie lebt.
Hinweis: Das Interview wurde 2023 geführt, als Mamphela Ramphele noch Präsidentin des Club of Rome war. Zum Veröffentlichungszeitpunkt bei perspective daily wurde sie jedoch von ihrem Nachfolger Paul Shrivastava abgelöst.
Dieser Text wurde von Zeitenspiegel Reportagen und BurdaForward produziert, gefördert vom European Journalism Center im Rahmen des Solutions Journalism Accelerator. Die Förderung wird von der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt.
Auch wir sind seit 2023 Teil des Solutions Journalism Accelerator. Erfahre hier mehr über unser Projekt Chain Reactions!
Rike Uhlenkamp, Jahrgang 1987, studierte nach einer Weltreise Journalistik, Politik und Spanisch in Berlin, Hamburg und Valencia. Nach Stationen bei ZEIT Wissen, SPIEGEL ONLINE und GEO Saison arbeitete sie als freie Journalistin und besuchte im Anschluss die Zeitenspiegel Reportageschule. Für die Arbeit am Multimedia-Projekt »Morgen in Georgien« und das gemeinsame Abschlussmagazin »ERZwärts« wurde ihr Jahrgang in der Kategorie »Bestes Team« für den Preis »Journalisten des Jahres« vom Medium-Magazin nominiert. Seit Ende 2017 ist sie Mitglied von Zeitenspiegel Reportagen. Sie schreibt unter anderem für natur, SPIEGEL Wissen und Stern und berichtet für die Hilfsorganisation »Menschen für Menschen« aus Äthiopien.