Polyamorie: Macht Liebe mit mehr Menschen glücklicher?
Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich von der monogamen 2er-Beziehung verabschiedet haben.
Wenn sich 2 Menschen lieben, wird es oft kompliziert. Streit, Eifersüchteleien, Missverständnisse. Wohin fahren wir in den Urlaub, warum muss ich schon wieder den Müll runterbringen und weshalb schaut mein Partner in letzter Zeit so oft auf sein Handy?
Was zu zweit schon kompliziert ist, wird nicht einfacher, wenn mehr Menschen hinzukommen – oder etwa doch? Wir haben mit Menschen gesprochen, die der monogamen 2er-Beziehung eine Absage erteilt haben. Manche nur auf Zeit, andere können sich heute keine exklusive Paarbeziehung mehr vorstellen. Polyamorie heißt das Beziehungskonzept, um das es in diesem Text gehen soll.
Was ist der Vorteil an einer Liebesbeziehung, in die mehr als 2 Menschen involviert sind – entspricht diese Lebensweise gar eher dem Wesen des Menschen? Wieso leben dann so viele von uns in exklusiven Paarbeziehungen? Und welche Hindernisse gibt es, wenn sich mehr als 2 Menschen lieben?
Gegenüber polyamoren Konstellationen gibt es viele Vorurteile. Für Ronja dagegen steht fest: Zu dritt machen viele Sachen mehr Spaß. Und selbst bei Konflikten gibt es nicht zwangsläufig mehr Stress.
Ronja hat sich auf einen Aufruf gemeldet, den wir vor einiger Zeit gestartet haben.
Polyamor, Patchworkfamilie oder ganz anders – wir wollen Beziehungsgeschichten erzählen, die vom traditionellen Skript abweichen. Hier kannst du unseren Aufruf nachlesen:
Sie ist seit 8 Jahren in einer Beziehung mit einem Mann, mit dem sie auch verheiratet ist. Gleichzeitig ist sie mit einer Frau zusammen. Ronja möchte ihre Geschichte teilen, um Vorurteilen gegenüber Menschen wie ihr, die mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig führen, entgegenzuwirken.
Damit ist sie nicht die Einzige: Auch Franziska, Anna, Laura, Silvie und Anika haben uns erzählt, welche Herausforderungen Polyamorie mit sich bringt, woran sie scheitern kann – aber vor allem auch, was es zu gewinnen gibt.
Polyamorie – Was ist das eigentlich?
Polyamorie ist ein Kunstwort, das sich aus dem Altgriechischen polýs (viel, mehrere) und dem Lateinischen amor (Liebe) ableitet. Damit ist schon klar: Es geht nicht um Sex. Jedenfalls nicht nur. Personen, die polyamor leben, gehen längerfristige, intime und liebevolle Beziehungen mit mehreren Menschen ein – und gehen damit auch offen um.
Polyamorie kann in verschiedenen Konstellationen gelebt werden, es gibt keine Regeln, keinen Leitfaden, keine Norm. Nicht alle Beteiligten müssen untereinander eine Liebesbeziehung führen, es kann auch sein, dass nur eine Person mehrere Partner:innen hat, die anderen lediglich miteinander befreundet sind, oder auch in gar keinem Verhältnis zueinander stehen. Eine Grundeinstellung sollten aber alle teilen: dass Monogamie und exklusive Besitzansprüche keine Grundvoraussetzung für Liebe sind.
Polyamorie ist nicht Polygamie
Nicht zu verwechseln ist die Polyamorie mit der Polygamie, der Mehrehe, die in vielen Ländern als Rechtsform existiert. Für die Polyamorie, bei der es durchaus um verbindliche Beziehungen geht, in denen Menschen füreinander Verantwortung übernehmen wollen, gibt es so etwas in Deutschland (noch) nicht.
Prominente Beispiele von Menschen, die offen polyamor lebten oder leben, gibt es nicht allzu viele. Die feministische Philosophin Simone de Beauvoir und der Existenzialist Jean-Paul Sartre werden oft erwähnt,
Bei der Polyamorie geht es um mehr als das: Um emotionale Bindungen, den achtsamen Umgang mit den Bedürfnissen und Gefühlen aller Beteiligten. Was genau das heißt, haben wir in den Gesprächen mit Ronja, Franziska und Co. erfahren – und auch, warum das Konzept in der Praxis nicht für alle funktioniert.
Polyamor leben – Wer macht das und warum?
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Ronja: »Es fühlt sich für alle wie Familie an«
Ronja und ihr Mann David sind seit 5 Jahren verheiratet und leben gemeinsam in einer Großstadt im Ruhrgebiet. Seit 2 Jahren hat Ronja außerdem eine feste Freundin, Luise. »Die beiden verstehen sich sehr gut, Luise ist viel bei uns. Es fühlt sich für alle wie Familie an«, sagt Ronja über das Verhältnis.
Die 30-Jährige sieht die Vorteile ihrer polyamoren Beziehung selbst – oder gerade – in Situationen,
Ronja hat schon früh gemerkt, dass das klassische monogame Beziehungskonzept nichts für sie ist. Ronja ist bisexuell. Als sie im frühen Teenageralter begann, sich mit Sexualität und Partnerschaft zu beschäftigen, kam ihr schnell der Gedanke, dass sie sich bei langfristigen Beziehungen nicht auf ein Geschlecht festlegen will. Trotzdem war sie zunächst größtenteils mit Männern zusammen, auch
Seit sie 21 ist, macht es Ronja zur Bedingung einer Beziehung, dass ihre Polyamorie akzeptiert wird. Für David, ihren jetzigen Mann, war das von Anfang an okay, auch er hatte schon mehrere Partnerschaften gleichzeitig.
Ronja unterscheidet zwischen Primär- und Sekundärbeziehung und damit zwischen unterschiedlichen Stufen von Verbindlichkeit miteinander.
Bei meinem Mann und mir, so haben wir das besprochen, geht es viel um Planungssicherheit: Kann man darauf zählen, dass die Person in 2 Jahren noch da ist? Mit wem fährt man in den Urlaub? Wen nimmt man mit zur Hochzeit von Freunden?
Sekundärbeziehungen seien in der Vergangenheit oft lockerer gewesen, nicht mit zu vielen Verpflichtungen verbunden. Momentan habe sie aber das Gefühl, 2 gleichberechtigte Beziehungen zu führen, erzählt Ronja – der größte Unterschied sei, dass sie mit David verheiratet sei und mit Luise eben nicht.
So schön es ist, eine Partnerschaft zu führen, manchmal ist es anstrengend. Konflikte, Gespräche, Beziehungsarbeit. Potenziert sich das Ganze mit mehreren Partner:innen? »Ich bin sehr emotional. Wenn ich Menschen kennenlerne und die toll finde, denke ich nicht in erster Linie daran, ob das anstrengend werden könnte«, antwortet sie. Gleichzeitig wisse sie inzwischen, dass ihre emotionalen Kapazitäten für maximal 2 Partnerschaften reichten.
Ronja ist Psychologin, bringt also schon von Berufs wegen einen Werkzeugkasten mit, der ihr dabei hilft, sich reflektiert mit Beziehungen und Emotionen auseinanderzusetzen.
In meinem Fach lernt man, was Gefühle sind, was sie machen, wie man mit ihnen umgehen kann. Wie funktioniert verbale und nonverbale Kommunikation, was muss man besprechen – all diese Skills sind im Leben grundsätzlich praktisch und oft notwendig, um Beziehungskonstrukte wie unsere funktional leben zu können.
Das würde vermutlich auch Franziska unterschreiben, die ebenfalls eine Zeit lang polyamor gelebt hat – heute aber wieder eine monogame 2er-Beziehung führt.
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Franziska: »Ich habe mich als Frau stark gefühlt«
Wir erreichen Franziska telefonisch, während sie gerade einen Spaziergang an der Elbe mit ihrem Baby macht. Sie hat 2 Jahre lang polyamor gelebt, heute führt sie eine monogame Beziehung mit ihrem Partner, dem Vater ihres Kinders. Auch sie ist Psychologin. Über die Frage, welche Voraussetzungen man mitbringen muss, damit Polyamorie guttut, denkt sie kurz nach.
Es ist von Vorteil, wenn man
Was Franziska an dem Beziehungskonzept gereizt hat? Während ihres Studiums habe sie mit den Menschen um sich herum ihre Werte und Interessen noch einmal ganz neu kennengelernt – sie hatte Lust, mit vielen Menschen in einen nahen Austausch zu treten. Die monogame Beziehung, die sie zu diesem Zeitpunkt seit 5 Jahren führte, habe sich dafür zu eng angefühlt.
Wenn sie heute an die Zeit denkt, in der sie mehrere Partner gleichzeitig hatte, sagt Franziska, dass sie sich »als Frau irgendwie stark« gefühlt habe. Zuvor sei es in Beziehungen oft so gewesen, dass sie mehr soziale Bedürfnisse hatte als ihr Partner. »Das fand ich an der Polyamorie so toll, dass ich nicht mehr so viel von einem Menschen einfordern muss, sondern klar war: Wenn mein Partner Lust hat, den ganzen Abend zu zocken oder einfach zu lesen und für sich zu sein, mir aber nach mehr ist, dann kann ich für mich sorgen und andere Menschen fragen. Ich bin nicht so abhängig davon, dass mir diese eine Person meine romantischen Bedürfnisse erfüllt.«
Eine glückliche Beziehung trotz unterschiedlicher Bedürfnisse sei möglich, wenn sich Menschen erlaubten, diesen mit anderen nachzugehen, sagt Franziska.
Vielleicht kann ich mit der einen Person gut kuscheln, die andere hat Freude an leidenschaftlichen Tänzen und die dritte Person liebt den Alltag mit mir. Niemand muss machen, worauf er oder sie keine Lust hat – super!
In der Praxis ist das Konzept für Franziska trotzdem nicht aufgegangen. Sie legte immer schnell die Karten offen, wenn sie jemanden kennenlernte. Die meisten ließen sich auf das Experiment Polyamorie ein, Franziska ließ die Menschen in ihr Leben. Oft ist das Ganze aber zu Ende gegangen, sobald sie das erste Mal einen romantischen Kontakt zu einer anderen Person hatte und sich herausstellte, dass ihr Gegenüber eigentlich doch die Hoffnung hatte, sie zur Monogamie zu bringen. »Mein Eindruck ist, dass Männer beim Thema Sexualität empfindlicher sind und dass sie es schlimm fanden, wenn sie die Sexualität mit mir nicht exklusiv hatten.«
Die Trennungen waren schmerzvoll für Franziska, auch deshalb beschloss sie, wieder monogam zu leben. Ein weiterer Faktor: der Aufwand an Kommunikation. »Man muss bereit sein, emotional zu reifen, und das in jeder der Beziehungen. Das erfordert zum einen, dass beide offen über Herausforderungen reden können, sich gut spüren. Und zum anderen die Bereitschaft, auch mal schmerzvolle Phasen auszuhalten.« In einem strukturierten Alltag mit einer 40-Stunden-Woche oder in Prüfungsphasen bleibe oft nicht genug Raum, sich diesem Prozess zu widmen.
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Anna: »Wir sind Eltern zu dritt«
Als sich Anna auf unseren Aufruf meldet, lebt sie in einer Beziehung zu dritt. »Angefangen hat alles damit, dass ich gerne gemeinschaftlich und mit Kindern leben wollte, mein Ehemann Jan beides aber nicht unbedingt«, schrieb uns Anna über den Anfang ihrer polyamoren Beziehung.
»Dann kam Sara in unser Leben, zusammen mit Ehemann und 2 Kindern. Entwickelt hat sich eine 3er-Beziehung zwischen Sara, meinem Mann und mir.« Vor etwas mehr als einem Jahr zogen alle zusammen, 4 Erwachsene und 2 Kinder, in 2 nebeneinanderliegende Wohnungen: eine für den Familienalltag, eine als Rückzugsort.
Als wir einige Wochen nach unserem ersten Kontakt per Whatsapp Sprachnachrichten austauschen, hat sich die Situation geändert: Die Beziehung der beiden Frauen zu Jan ist zu Ende, Anna und Sara führen seitdem eine 2er-Beziehung. Die Gründe für die Trennung vertiefen wir nicht. Klar ist aber: Jan wird bald ausziehen. Anna, Sara, Philipp und die 2 Kinder werden weiterhin zusammenwohnen.
Die Kinder wissen Bescheid
Wie funktioniert eine solche Konstellation, wenn Kinder im Spiel sind? Anna sieht sich heute als Bonus-Mama der beiden 7 und 4 Jahre alten Jungs. Anna, Sara und deren Ex-Mann Philipp seien als Familie füreinander da und Eltern zu dritt. Jan hatte sich von vornherein etwas aus dem Familienalltag herausgehalten.
»Wir leben als Familie zusammen und ich übernehme gerne Verantwortung für die beiden Kinder. Dass es nicht meine leiblichen Kinder sind, macht für mich keinen Unterschied«, sagt Anna.
Die Verantwortung und Fürsorge für die Kinder teilen sich also Anna, Sara und deren Ex-Mann Philipp, einen passenden institutionellen Rahmen für dieses Modell gibt es allerdings nicht. »Wenn ich bestimmte Dinge mit den Kindern mache, brauche ich die Unterschrift der beiden. Das ist mindestens unpraktisch. Und ich finde es schade, dass ich als Bonus-Mama keinerlei Rechte habe«, sagt Anna.
Ich fände es total praktisch, wenn es so etwas wie eine Sorgerechtsregelung für 3 gäbe. Irgendeine Form der Elternschaft zu dritt. Natürlich kann die Stiefmutter das leibliche Kind des Partners adoptieren, aber das geht aktuell nur dann, wenn kein anderes leibliches Elternteil mehr da ist, oder wenn das andere leibliche Elternteil bewusst seine Rechte abtreten will.
Auch finanziell sei es so, dass die Kinderfreibeträge beim rechtlichen Elternteil oder der sorgeberechtigten Person liegen. »Wenn ich die finanzielle Verantwortung für die Kinder mittrage, interessiert das den Staat nicht«, sagt Anna. Und auch für den Arbeitgeber spiele es keine Rolle. »Ich bekomme zum Beispiel keinen Kinderkrankenschein, sondern muss mir Urlaub nehmen, wenn ich mich um die kranken Kinder kümmere.«
Mit ihrer – nun beendeten – Dreiecksbeziehung seien Sara und Anna offen umgegangen, auch den Kindern gegenüber. Schließlich hätten auch alle zusammengewohnt. »Unser größerer Sohn, er ist 7, weiß auf jeden Fall, dass man mehrere Beziehungen auf einmal haben kann«, sagt Anna. »Dadurch dass beide noch klein sind, sind wir noch nicht ins Detail gegangen, aber grundsätzlich wissen sie Bescheid. Mir ist es ein Anliegen, dass sie wissen, dass das etwas ist, das wir offen miteinander ausgehandelt haben, und nichts, das hinter dem Rücken der anderen stattfindet.«
Nach außen hin sei aber weniger die polyamore Liebesbeziehung als die zu dritt geteilte elterliche Fürsorge aufgefallen. »Dass zum Beispiel in der Schule und im Kindergarten ein Papa und 2 Mamas sichtbar sind, hat schon zu Fragen geführt. Ich erkläre dann, dass ich auch ein Elternteil bin, aber eben nicht auf dem Papier«, sagt Anna.
Wir sehen uns als Familie mit 3 Elternteilen und 2 Kindern. Auch wenn Sara und Philipp nicht mehr in einer romantischen Beziehung miteinander sind, sind wir zu fünft eine Familie und wir führen auch weiterhin ein aktives Familienleben zusammen.
Die meisten Leute, denen sie von ihrer Konstellation erzählten, seien aufgeschlossen. »Das liegt aber vielleicht auch an meinem Umfeld und daran, dass ich in einer Großstadt lebe«, vermutet Anna.
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Laura: »Wenn Anika und Silvie eine gute Zeit haben, freue ich mich für sie«
Das ist bei Laura etwas anders. Sie lebt eher ländlich in der Nähe von Stuttgart und ist erst seit Kurzem in einer polyamoren Beziehung, mit der sie außerhalb ihres engsten Freund:innenkreises weniger offen umgeht: »Hier war es für manche schon ein Schock, dass ich und mein Ex-Mann uns getrennt haben und ich dann noch gesagt habe, dass der Grund eine Frau ist.« Auch die Kinder im Alter von 12 und 8 Jahren, die Laura gemeinsam mit ihrem Ex-Partner hat, wissen noch nichts von der Polyamorie.
Laura selbst hat nur eine Partnerin, Anika. Diese wiederum hat eine weitere Beziehung zu einer Frau, Silvie – die Laura
»Meine Kinder wissen von Anika, aber nicht von dem
Schon bevor Laura ihre jetzige Partnerin Anika traf, zweifelte sie an der klassisch monogamen Beziehungsform. »Ich habe mich in eine Frau verliebt, während ich eine Hetero-Ehe führte. Dabei hatte ich irgendwann das Gefühl, dass es möglich wäre, beides zu haben. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass Beziehungen auch anders funktionieren können«, sagt sie.
Sich von der gesellschaftlichen Norm der heterosexuellen, monogamen 2er-Beziehung zu lösen, sei ein Prozess gewesen.
Der erste Schritt war, mir selbst zu erlauben, dass das völlig in Ordnung ist. Der zweite Schritt war, mit dieser Einstellung ins Leben zu gehen und bewusst zu sagen: Ja ich, ich kann mir so eine Beziehungsform vorstellen und ich suche vielleicht sogar explizit danach.
In ihrer polyamoren Partnerschaft gebe es keine Besitzansprüche, keine Exklusivitätsansprüche und kein »Du gehörst mir!«, sagt Laura. »Ich glaube genau das ist es, was viele Leute davon abhält, sich mit diesem Konzept näher zu beschäftigen, und gleichzeitig ist es genau das, was mir daran so gefällt.«
Diese Erkenntnis, dass mir nichts weggenommen wird, wenn die Person, die ich liebe, auch von anderen geliebt wird. Ich bin nicht traurig oder eifersüchtig, wenn Anika und Silvie eine gute Zeit haben, ich freue mich dann für sie.
Das sei eine der schönsten Erkenntnisse, die sie aus der Polyamorie mitnehme.
Wo Polyamorie an ihre Grenzen stößt: Welche Hindernisse und Vorurteile gibt es?
Wer mehr als eine:n Partner:in hat, fällt auf – zumindest, wenn er oder sie offen damit umgeht. Und viele Menschen stehen alternativen Beziehungsmodellen mindestens skeptisch gegenüber. Das Paradoxe: Das Scheitern »klassischer Beziehungsmodelle« ist alles andere als selten. So wurde 2022 etwa jede dritte Ehe in Deutschland geschieden,
Untreue ist keine Seltenheit
Auch »Untreue« – quasi nicht einvernehmliche Polyamorie – ist alles andere als selten: So ist einer Studie der Dating-Plattform ElitePartner aus dem Jahr 2020 zufolge schon jede:r Dritte
Es gibt also einige Menschen, die zumindest offen dafür scheinen, mehrere Beziehungen zeitgleich zu führen. Dieses Bedürfnis nicht offenzulegen ist dabei nahezu ein Garant für das Scheitern einer Beziehung: Einer Befragung aus dem Jahr 2023 zufolge wären eine längere Affäre oder mehrmaliges Fremdgehen für
Ein Grundsatz der Polyamorie ist deshalb Ehrlichkeit: Menschen, die polyamor leben, legen konsequent offen, dass sie sich zu mehreren Menschen hingezogen fühlen – zumindest innerhalb ihrer Beziehungen.
Ich glaube, die meisten Menschen sind höchstens seriell monogam und das auch meistens nur unfreiwillig. Ich mag mir nicht ausmalen, wie viel Leid eigentlich vermieden werden könnte, wenn man an der Stelle die gedanklichen Grenzen ein bisschen anders ziehen würde.
Bis heute streiten Forschende darüber, wieso ein Teil der Menschheit monogam lebt. Eine Theorie: Monogamie könnte förderlich für den Zusammenhalt menschlicher Gemeinschaften gewesen sein, weil »Männchen« weniger um Frauen konkurrieren mussten. Die so gesparte Energie konnten sie stattdessen
Andere bringen Monogamie auch mit kapitalistischen Strukturen in Verbindung; mit männlichen Besitzansprüchen gegenüber dem weiblichen Körper, der weiblichen Sexualität – und der Ausbeutung im Rahmen
Eindeutige Beweise dafür, dass eine bestimmte Beziehungsform der »Natur des Menschen« am meisten entspricht, gibt es jedenfalls nicht und auch Forschung zum Thema Polyamorie ist noch rar.
Diese Hürden könnten bald kleiner werden
Politisch ist Polyamorie hierzulande derzeit nicht vorgesehen. Die Ehe »wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen«, so sagt es das Gesetz.
An der staatlichen Anerkennung hängen viele versteckte Privilegien, die je nach Lebenssituation nicht so wichtig oder sehr wichtig sein können. Auskunftsrechte, Geld, automatisch übernommene Notfallkontakte, die Wohnsituation, auf all das würde sich ein institutioneller Rahmen auswirken, meint Ronja.
In welche Richtung das gehen könnte, zeigt ein Beispiel aus den USA.
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Wie sieht es in Deutschland aus? »Vorschläge aus der Politik, zum Beispiel die
»Dabei geht es für mich gar nicht nur um romantische Liebe, sondern um alle Stellen, an denen Menschen bereit sind, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Dass zum Beispiel 2 beste Freundinnen mit Mitte 40 sagen können: Wir möchten füreinander da sein – und das dann auch einen rechtlichen Rahmen bekommen kann.«
Eine Elternschaft zu dritt, wie sie sich Anna wünschen würde, wird es dagegen vorerst nicht geben. Im Familienrecht sind zumindest kleine Änderungen geplant: So soll es bald möglich sein, bis zu 2 weiteren Erwachsenen sorgerechtliche Befugnisse oder ein
Warum Polyamorie politisch ist
Abgesehen von den Alltagshürden, die gesetzliche Rahmenbedingungen für polyamore Konstellationen aufstellen: Ist die Entscheidung, mehrere Menschen zu lieben, politisch? Feministisch, weil sie sich gegen Besitzansprüche stellt, die im Patriarchat insbesondere Männer gegenüber Frauen geltend machen?
»Für mich hat es viel damit zu tun, wie ich Freiheit definiere«, sagt Ronja. »Ich habe schon früh gedacht: Warum machen wir uns in Beziehungen so viele Vorgaben?« Sobald man vom klassischen Familienentwurf abweiche, werde man automatisch diskriminiert.
Das sagt auch Laura: »Die Politik und der Staat, aber auch andere gesellschaftliche Gruppierungen haben einen unglaublich großen Einfluss auf unsere Beziehungen. Woher kommt denn dieses Bild der
Das zu hinterfragen und sich bewusst für ein anderes Modell zu entscheiden, könne hochpolitisch sein, findet sie. »Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir alle über die letzten Jahrzehnte einer riesigen Disney-Werbekampagne auf den Leim gegangen sind. Das, was uns überall über die Ehe erzählt wird, hält der Realität so gut wie nie stand. Es funktioniert spätestens dann nicht mehr, wenn Kinder im Spiel sind.«
Nicht für alle Menschen ist Polyamorie die Lösung der Probleme, die »traditionelle« Beziehungen manchmal mit sich bringen. Aus den Gesprächen mit Ronja, Franziska, Anna und Laura haben wir gelernt: In jedem Fall braucht es Zeit, Lust und die Fähigkeit, sich mit den Bedürfnissen aller Beteiligten offen und konstruktiv auseinanderzusetzen. Das kann mühsam sein, aber auch befreiend.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily