Müssen wir uns zwischen Zukunft und Kindern entscheiden?

Klima, Kinder, Knete: Wir können nicht alles haben!

4. August 2017  –  6 Minuten

Niemand lebt gern auf Pump. Gerade zum deutschen Selbstverständnis gehört es, nicht über die eigenen Verhältnisse zu leben. Doch während im Bundeshaushalt »endlich« wieder die schwarze Null steht, verbraucht der durchschnittliche Deutsche in Wahrheit Jahr für Jahr seines Budgets. Während bei leeren Staatskassen im Zweifel ein Schuldenschnitt hilft oder ein Rettungsschirm aufgespannt werden kann,

Global gesehen haben wir ein einfaches Zahlenproblem. Um das zu begreifen, sind weder höhere Mathematik noch der Bundesrechnungshof nötig. Das Budget, das wir nicht nur in Deutschland jährlich überreizen, ist die »Biokapazität«. Dahinter verbergen sich 2 Größen:

  1. Die Menge erneuerbarer Ressourcen, die die Erde uns bereitstellt, zum Beispiel Holz, Vieh und Agrarfläche
  2. Die Menge an Abfall, die die Erde verarbeiten kann,

Je mehr Menschen dazukommen, desto knapper wird es für jeden Einzelnen. Ein wenig so wie ein Glas Marmelade, das wir gemeinsam und immer schneller auslöffeln, ist auch die Biokapazität endlich. Jedes Jahr berechnen Forscher den Tag, an dem der Marmeladenvorrat für das Jahr ausgelöffelt ist: Der (also der »Welt-Überlastungstag«) ist der Tag, an dem die weltweite Biokapazität eines Jahres erschöpft ist.

Weil wir seit dem Jahr 1971 jedes Jahr ein wenig länger »auf Pump« leben, Im Jahr 2017 fällt er auf den 2. August – bis zum Ende des Jahres werden wir weltweit ca. 1,7 Erden »ausgelöffelt« haben. Nächstes Jahr wird er erstmals im Juli liegen.

Das kann auf Dauer nicht funktionieren, wir müssen dringend etwas ändern. Weil wir die Biokapazität schlecht erhöhen können, müssen wir an anderen Stellschrauben drehen: Entweder nehmen die Marmeladenesser kleinere Löffel – oder wir verringern die Anzahl der Esser.

Mit Blick auf die Prognosen der Weltbevölkerung scheint die zweite Option extrem unwahrscheinlich: Seit dem Jahr 1960 hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt – je nach Prognose wird sie bis zum Jahr 2100 auf über 10 Milliarden wachsen.

So wird das nichts mit dem Marmeladenglas. Und mit Blick auf die Erde bedeutet das nicht nur ein bisschen weniger des süßen Brotaufstrichs, sondern eine überhitzte Erde, Ressourcenkonflikte und Kurzum: Ein wird

Das klingt nicht gerade rosig. Zum Glück gibt es um das Ganze zu verhindern.

1. Regel: Hab keine Kinder!

Vor wenigen Wochen sorgte für Aufsehen, die eine umstrittene Forderung nahelegt. Die beiden Wissenschaftler haben untersucht, welche Handlung oder Entscheidung des Einzelnen das größte Potenzial hat, den eigenen zu minimieren. Zu den Gewinnern zählen die üblichen Verdächtigen: der Verzicht auf einen einzigen transatlantischen Flug und die Umstellung auf eine Der überraschende und alleinige Spitzenreiter ist allerdings allein auf weiter Flur:

So sieht das Ganze in Zahlen aus:

Mit anderen Worten: Jedes Kind, das nicht geboren wird, erspart mehr als jeder Einzelne durch Radeln und Obstsalat einsparen könnte.

Sollten wir die Familienplanung also politisch steuern – oder gleich ganz streichen? China, das bevölkerungsstärkste Land der Welt, hat mit seiner wie eine Geburtenregelung politisch umgesetzt werden kann.

Eine andere denkbare Maßnahme ist zum Beispiel die Einführung von hohen Kindersteuern anstelle eines Kindergeldes.

Es gibt allerdings eine grundsätzlich positive Entwicklung, die ebenfalls zuverlässig dafür sorgt, dass Frauen weniger Kinder bekommen: Diese interaktive Grafik zeigt, wie sich die Anzahl der Kinder pro Frau in Abhängigkeit des jeweiligen seit Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt hat.

Du kannst auch einzelne Länder mit einem Klick auswählen und so über die Jahre besser verfolgen. Siehst du, wie historische Ereignisse ein Land aus der Bahn werfen? Wähle zu Beginn zum Beispiel Deutschland per Klick aus und beobachte, was der Zweite Weltkrieg für Auswirkungen hat.

Je mehr Geld Menschen verdienen, desto weniger neue Löffel kratzen also mit im Marmeladenglas. Um die Anzahl der Esser zu verringern, könnte die Weltgemeinschaft demnach versuchen, indem ihnen eine Dann würden sie schließlich automatisch weniger Kinder bekommen und so weniger CO2-Ausstoß verantworten – oder?

2. Regel: Sei arm!

Diese Logik hat einen Haken: Wohlstand führt zu Konsum, und Konsum verbraucht Ressourcen und produziert Abfall – nimmt also Biokapazität in Anspruch. Denn wer mehr Geld hat, reist häufiger und weiter, konsumiert mehr, wohnt in größeren Häusern und isst Lebensmittel, die um den halben Planeten gereist sind. Der Marmeladenlöffel ist größer, wenn er aus Silber ist.

Wie extrem die Unterschiede zwischen »Arm und Reich« sind, beschreibt folgende Grafik besser als jeder Text:

Du willst wissen, ob du zu den reichsten 10% aller Menschen gehörst, die durch ihren Konsum die Hälfte aller CO2-Emissionen verursachen? Wenn du mehr als 1.060 Euro netto im Monat verdienst, Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung verursacht nur jede zehnte Tonne CO2, die in der Atmosphäre landet.

Auch dieses einfache Gesetz zieht sich durch die Geschichte aller Länder. Die folgende interaktive Grafik zeigt, wie mit dem durchschnittlichen Einkommen eines Landes auch die Emissionen jedes Einzelnen wachsen.

Die Top-Verdiener sind auch die Top-Verschmutzer. Wähle ein Land per Klick aus, beobachte es auf seinem Weg zum Wohlstand und sieh, wie sich die Emissionen durch historische Ereignisse verändern.

Ist Armut also der einzige Weg, um übermorgen 10 Milliarden Marmeladenesser satt zu bekommen? Jeder Politiker, der damit in den Wahlkampf tritt, dürfte nicht besonders erfolgreich abschneiden.

Müssen wir alle kinderlos im Slum enden?

Wir halten fest: Wer arm ist und weniger Kinder in die Welt setzt, trägt rein rechnerisch am meisten dazu bei, das einfache mathematische Problem mit dem Marmeladenglas zu lösen. Die Frage ist nur: Ganz abgesehen von praktischen Fragen wie »Wer darf noch Kinder bekommen?«, »Wer finanziert die Rente?«, ist klar, dass die reine Betrachtung der Zahlen ein paar Aspekte außer Acht lässt:

  • Ein Kind hat seinen eigenen Löffel: Wird ein Kind geboren, hat es natürlich Anspruch auf seinen Anteil Marmelade. Inwieweit wir Form und Größe des Löffels in die Verantwortung der Eltern (und der Politik) stellen, bleibt zu diskutieren.
  • Dein Kind könnte die Welt retten: Was, wenn dein (noch ungeborenes) Kind der nächste würde – mit realistischen Ambitionen, grandiose Dinge zu erfinden, die unser Leben in Zukunft verbessern? Was, wenn es die des 21. Jahrhunderts würde, die saubere Technologien erforscht?
  • Nicht jeder Reiche ist ein Erderwärmer: Natürlich können auch sehr reiche Menschen ein bescheidenes und ressourcenschonendes Leben führen. Oder sie können ihren Wohlstand dafür einsetzen, andere Menschen zu unterstützen und zum Beispiel die bahnbrechende Forschung deiner kleinen Marie Curie finanzieren.
  • Wir können Die Debatte ist nicht neu, wird aber spätestens seit der weit verbreiteten Erkenntnis, dass die Ressourcen der Erde endlich sind, heftiger geführt. Dabei geht es – ganz ohne Gitarre und Stirnband – darum, zu fragen: Was macht ein gutes Leben aus?

Eines steht fest: So wie bisher geht es nicht weiter. Das Marmeladenglas gibt es nicht her. An welcher Zahl wir drehen wollen, müssen wir alle selbst und irgendwie auch gemeinsam entscheiden. Weniger Kinder? Weniger Reichtum? Oder können wir irgendwie alles unter einen Hut bekommen?

Auch wenn wir nichts verändern, ist das eine Entscheidung. Die Entscheidung für ein leeres Marmeladenglas.

von Maren Urner 
Maren ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster. Nach dem Studium der Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, Kanada und den Niederlanden wurde sie am University College London promoviert. 2016 gründete sie Perspective Daily mit und war bis 2019 Chefredakteurin und Geschäftsführerin.

von Felix Austen 
Der Physiker Felix begrüßt den Trend zu Hafermilch und fährt gern Rad. Er weiß aber auch, dass das nicht genügen wird, um die Welt vor der Klimakatastrophe und dem Ökokollaps zu bewahren. Deshalb schreibt er über Menschen, Ideen und Technik, die eine Zukunft ermöglichen. Davon gibt es zum Glück jede Menge!
Themen: Nachhaltigkeit   Klima   Konsum