Brief aus Gaza: »Es war das Beste, was wir im Krieg bisher gemacht haben«
2 junge Palästinenser müssen ihr erstes Uni-Semester abbrechen, als der Krieg in Gaza beginnt. Nun schlagen sie sich durch den Kriegsalltag und teilen ihn auf Instagram mit der Welt. Die Bomben erschüttern nicht ihr Mitgefühl, nicht ihren Unternehmergeist und am wenigsten ihre Hoffnung.
Hallo,
wir sind Omar, 18 Jahre alt, und Mohammed, 19 Jahre alt.
Wir kommen beide aus Gaza (Stadt) und haben dort zusammen die Schule besucht. Wir hatten sie gerade mit sehr guten Noten abgeschlossen und wollten auf eine Universität gehen. Den Beginn des ersten Semesters konnten wir aber nicht genießen, weil der
Mohammeds Familie musste nach
Ein Familienmitglied von mir, Omar, brauchte aus medizinischen Gründen ein Medikament, das kühl gelagert werden musste. Ich suchte deshalb jemanden in Deir al-Balah, der mir Eis besorgen konnte. Da erinnerte ich mich an Mohammed und rief ihn an.
Wir trafen uns seitdem jeden Tag, um das Eis zu holen, und unsere Freundschaft wurde immer enger.
Es gab eine Zeit, in der wir nichts zu essen hatten und uns nur von Trinkwasser ernährten. Diese Tage waren extrem schwer, da wir in ständiger Angst lebten. Um Wasser zu kriegen, mussten wir täglich fast 2 Kilometer weit Wasserkanister schleppen. Nach langer Zeit wurde das Essen wieder verfügbar, aber extrem teuer. Das ist jedoch immer noch besser, als nichts zu haben. Wir leben gerade von den Ersparnissen unserer Familien, da sie kein Einkommen mehr haben. Arbeit in Gaza gibt es nicht mehr.
Aber die Menschen sind sehr innovativ. Sie finden die erstaunlichsten Wege, um sich durchzuschlagen.
Mit Fahrrad betriebene Nähmaschinen, Hotspot-Räume und Öfen aus Lehm
Hier lebt ein Mann, der eine Nähmaschine besitzt. Normalerweise wird sie mit Elektrizität betrieben. Nun hat er sie so umgebaut, dass ein halbes Fahrrad mit der Maschine verbunden ist. Jemand sitzt auf einem Stuhl und tritt in die Pedale, um die Maschine zu betreiben.
Ein weiteres Beispiel ist der »Taboon«, ein handgefertigter Ofen aus Lehm. Da es im Moment kein Kochgas mehr gibt, formen die Bäcker Öfen mit Lehm und lassen sie in der Sonne trocknen. Dann heizen sie den Ofen mit Holz auf und nachdem der Taboon vollständig erhitzt ist, backt ein ganzes Viertel ihr Brot und Gebäck darin. Er verbraucht zwar viel Holz, aber wenn er einmal erhitzt ist, kann er von 10 Familien gleichzeitig genutzt werden.
Wir haben auch Wege gefunden, unser tägliches Leben zu gestalten und anderen zu helfen. Weil es im Krieg keine Schulen oder Universitäten gibt und das Bildungssystem zerstört ist, wollten wir den Kindern etwas Wertvolles beibringen. Wir gründeten einen
Wir brachten den Kindern das Schachspiel bei, organisierten Aktivitäten mit ihnen und während des Ramadans fasteten sie und spielten das Brettspiel. Wir versuchten, diesen Kindern eine Umgebung zu bieten, die sie in die Normalität zurückbringt, in der sie ihren Geist trainieren und gleichzeitig Spaß haben können. Am Ende des Clubs veranstalteten wir ein Turnier mit einer Abschlussfeier. Die Kinder durften aufschreiben, welche Geschenke sie sich zum Abschluss wünschten, und wir versuchten, ihnen diese Wünsche mithilfe von Spenden zu erfüllen.
Wir haben auch unser eigenes Geschäft gestartet. Wie bereits erwähnt, haben unsere Familien kein Einkommen mehr. Deshalb mussten wir einen Weg finden, die Familienausgaben zu unterstützen. Aufgrund der Internetunterbrechungen in Gaza haben wir Kontakt mit Menschen geknüpft, die mit digitalen SIM-Karten (eSIMs) handeln. Durch sie erhielten wir diese eSIMs und gründeten ein kleines Geschäft, bei dem wir Hotspots für die Internetverbindung anboten. Die Menschen kamen zu uns und konnten so ihre digitalen Geschäfte und Onlinetransaktionen ausführen. Später haben wir selbst mit den eSims gehandelt. Und als die Leute verstanden haben, wie die Karten funktionieren, haben wir einen Kundenservice aufgebaut. Wir untersuchten, an welchen Orten in Gaza die Verbindung besonders gut war, und halfen den Kunden, sie zu finden und das Internet zu nutzen.
Aber im Moment machen wir das nicht mehr, weil wir uns auf unsere neue Tätigkeit konzentrieren.
Der Beginn der Omar-Herz-Show
Nach allem, was wir durchgemacht hatten, saßen wir, Mohammed und Omar, einmal zusammen. Da sagte Mohammed: »Unser Leben ist wie ein Film!« Und ich antwortete: »Warum dokumentieren wir unsere Tage nicht?« So kamen wir auf die Idee, einen
Die Unterstützung, die wir erhielten, hatten wir nicht erwartet. Selbst unsere Familien erfuhren von unserem Projekt, als unsere Videos plötzlich in ihren Feeds auftauchten. Seitdem fühlen wir eine große Verantwortung, die Seite weiter zu pflegen und neue Videos zu erstellen.
Wir verließen unser Geschäft mit den SIM-Karten und begannen, nach digitalen Arbeitsmöglichkeiten sowie Tipps für das Storytelling und die Videos zu suchen. Es war das Beste, was wir bisher im Krieg gemacht haben.
»Schätzt die kleinen Dinge, bevor sie weg sind«
Was uns die Motivation gibt, weiterzumachen und in unseren Videos so positiv zu sein? Mohammed und ich haben uns zusammengefunden, weil wir die gleiche Einstellung haben: »Warum traurig sein, wenn das keinen Unterschied macht?«
Schlechte Dinge im Leben passieren, wir haben keine Kontrolle über das, was um uns herum geschieht. Wir haben aber Kontrolle über unsere Reaktionen, und das ist wichtig. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir auf unserer Instagram-Seite vor allem der
Für unsere Zukunft wünschen wir uns, einen Hochschulabschluss machen zu können. Wir möchten erfahren, wie es ist, auf der Universität zu sein, mit Freunden dort abzuhängen und im Wohnheim der Universität zu schlafen.
Wir haben beide versucht, uns für Stipendien zu bewerben. Aber wegen der Internetunterbrechungen konnten wir unsere Bewerbungen zunächst nicht absenden, was sehr enttäuschend war.
Wir wünschen uns auch, Gaza wieder aufzubauen und in unsere Häuser zurückzukehren. Einfach wieder in unserer geliebten Stadt abzuhängen. Straßen und viele Orte wurden zerstört, aber wir haben die Hoffnung, zurückzukehren und sie gemeinsam aufzubauen.
Die Botschaft, die wir nach Deutschland und Europa senden möchten, ist diese: Bleibt aufmerksam – das öffentliche Bewusstsein ist heutzutage das stärkste Mittel für Veränderung. Versteht das gesamte Bild und hört beide Seiten an. Wir sind Unschuldige, die unser Leben, unsere Häuser, unsere Träume und unsere Bildung verloren haben. Die Welt hat nicht angehalten und wir verpassen ein ganzes Jahr. Eure Stimme macht einen Unterschied, vergesst uns nicht. Es geht um Menschlichkeit. Und schätzt die kleinen Dinge, bevor sie verschwinden.
Omar und Mohammed
Redaktionelle Bearbeitung: Julia Tappeiner
Titelbild: privat - copyright