Frühere Gesellschaften sind daran zerbrochen. Passiert uns jetzt dasselbe?
Von den Maya bis zu den alten Grönländer:innen – gewisse Verhaltensweisen haben dazu geführt, dass manche Zivilisationen ausgestorben sind. Auch wir teilen sie. Wir können aber lernen, diesem Schicksal zu entkommen.
Wenn Professor Jared Diamond in seinen Vorlesungen erklärt, wie frühere Völker, etwa die Maya oder die alten Grönländer:innen, an ihrer Umweltzerstörung zugrunde gegangen sind, stellen die Studierenden immer dieselbe Frage: »Aber warum haben sie nicht rechtzeitig etwas dagegen getan? Haben sie das nicht kommen sehen?«
Der Evolutionsethnologe Diamond erklärt dann, dass 2 Faktoren dazu führen könnten, dass eine Zivilisation an ihren selbstgemachten Problemen zerbreche. Erstens: Wenn sich die flüchtigen Interessen von Entscheidungsträger:innen mit langfristigen Vorteilen für die Gesamtbevölkerung beißen. Zweitens:
Beides gilt auch noch heute im 21. Jahrhundert. Wir wissen, wir müssten etwas gegen den Klimawandel oder die wachsende Demokratiefeindlichkeit tun. Und trotzdem handeln wir oft so, als gäbe es kein Morgen. Die Konsequenzen dieser Krisen spüren vor allem die, die wenig zu sagen haben. Entscheider:innen, vor allem im Globalen Norden, sind weniger von Naturkatastrophen und Dürre betroffen. Und verfolgen oft eine Agenda, die sich nur für ihre Wiederwahl in wenigen Jahren lohnt.
Wir stecken in der Kurzfristigkeit fest. Aber warum handelt die Politik so? Warum denken wir so viel an das, was unmittelbar vor uns steht, aber selten an das, was die Generationen nach uns erwartet? Und wie können wir das ändern?
Dazu gibt es mehrere Theorien. Beginnen wir mit denen, die das menschliche Gehirn betreffen.
Warum wir das zweite Kuchenstück trotzdem essen
Wir Menschen können weit in die Zukunft denken. Das unterscheidet uns von vielen anderen Tieren und hilft uns beispielsweise dabei, Städte zu planen, an
Das hat ein bekanntes Experiment aus den 60er-Jahren gezeigt: Kindern wurde ein Marshmallow gegeben. Sie konnten es sofort essen oder 15 Minuten warten und dafür noch eines erhalten.
Warum ticken wir so?
Auch evolutionsbiologisch sind wir so angelegt, dass wir unmittelbare Gefahren besser einschätzen als komplexe Bedrohungen in der Zukunft.
Die fehlende Weitsicht ist uns also in die Wiege gelegt worden. Hinzu kommt: Wir leben in einer Zeit, die kurzfristiges Denken mehr fördert denn je.
Der Kult der Kurzfristigkeit
Wir stecken in einer pathologisch kurzen Aufmerksamkeitsspanne fest.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat eine These, warum wir aktuell nicht in der Lage sind, künftigen Krisen angemessen zu begegnen.
Auf der untersten und damit langsamsten Entwicklungsstufe befindet sich unsere biologische Natur – sie hat sich über Millionen von Jahren geformt. Kulturen stehen auf Stufe 2. Sie verändern sich auch langsam, im Laufe von Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden. Der Schritt von einer Monarchie zur Demokratie zur Autokratie steht im Mittelfeld – ein Regimewandel dauert in der Regel Jahrzehnte bis Jahrhunderte. Infrastruktur, wie etwa Kommunikationssysteme oder Verkehrsmittel, verändert sich schon schneller über Jahrzehnte hinweg. Schließlich der Handel: Neue Produkte kommen meist im Laufe von wenigen Jahren auf den Markt. Die schnellste Entwicklung macht Mode durch, mit ihren Trends und saisonalen Hypes.
Alle Zeitebenen haben laut Stewart Brand ihre Berechtigung und sind wichtig, um eine Zivilisation widerstandsfähig zu machen. Schnelle Entwicklungen helfen, sich anzupassen und neue Lösungen zu finden. Langsame Übergänge sorgen dafür, dass wir nicht vergessen und aus Vergangenem lernen.
Beispiele für den Kult der Kurzfristigkeit? Hier einige, die Pörksen nennt:
- Die Digitalisierung gewöhnt uns daran, sofort Ergebnisse zu sehen und Informationen als schnelle Happen zu konsumieren. Im Schnitt würden Nutzer:innen bereits nervös, wenn eine Webseite länger als 3 Sekunden zum Laden brauche, zitiert Pörksen aus Studien. Und um zu entscheiden, ob wir einen Text lesen oder nicht, nähmen wir uns höchstens 15 Sekunden.
- Hypes werden immer schneller von neuen Trends abgelöst. Das zeigen zum Beispiel die Zyklen von besonders häufig gesuchten Google-Begriffen, die immer schneller von neuen abgelöst werden.
- Unsere Medienlandschaft unterwirft sich der Tendenz zum schnellen Trend und berichtet in demselben Rhythmus: Aktuelle News, Liveticker und Pushnachrichten gehören zum Journalismusgeschäft dazu.
Was bleibt von diesen Erkenntnissen? Sicher keine Hoffnungslosigkeit. Im Gegenteil.
Was Frauenrechtlerinnen im 19. Jahrhundert, die Erbauer von Notre-Dame und Kinder aus einem Bauerndorf in Kamerun gemeinsam haben
Blicken wir in die Geschichte zurück, gibt es genug Beispiele, in denen Menschen entgegen ihrer Tendenz zum Kurzfristigen handelten.
Die Kathedrale Notre-Dame de Paris etwa wurde erst nach 182 Jahren fertiggestellt. Das umfasst die Lebenszeit von mehr als 6 Generationen. Und sie wird bis heute als Sehenswürdigkeit gefeiert.
Eines der beeindruckendsten Projekte, die für die Zukunft gemacht sind, ist ein Bunker, der inmitten des norwegischen Eises begraben liegt. Darin wird etwas aufbewahrt, was im Katastrophenfall das Überleben der menschlichen Spezies sichern könnte. Désiree Schneider hat über den Tresor berichtet:
Wir sind also durchaus in der Lage, unsere angeborene Kurzsichtigkeit zu überwinden. Aber wie trainieren wir langfristiges Denken? Und vor allem: Was braucht die Politik, was braucht unsere Gesellschaft, um nicht so zu enden wie die alten Grönländer:innen vor 600 Jahren, die unter anderem aufgrund der Rodung ihrer Wälder ausstarben?
Was wir von lange gediehenen Zivilisationen lernen können und welche Lösungen es gibt, um mit mehr Weitblick die Krisen von morgen anzugehen, folgt im zweiten Teil dieses Artikels.
Titelbild: Claudia Wieczorek | Foto: Alex Ramon - copyright