Dieses Tabu betrifft die Hälfte der Bevölkerung. So brechen wir es!
»Wechseljahre« – das klingt unsexy, nach Altwerden und Endlichkeit. Doch nun kommen sie in die Öffentlichkeit und auf die politische Agenda. Auch Unternehmen erkennen, dass sie ihre Mitarbeiterinnen in dieser Lebensphase unterstützen sollten.
Als ich meine Mutter fragte, was für sie das Schwierigste an ihren Wechseljahren war, antwortete sie: »Mitten in der Konferenz in Schweiß auszubrechen und alle merken es, aber keiner sagt etwas.«
Obwohl rund die Hälfte der Bevölkerung früher oder später in diese Lebensphase kommt, galten die Wechseljahre lange Zeit wahlweise als »Frauenthema« oder als Nischenthema ohne gesellschaftliche Relevanz. In vielen Kontexten sind sie noch immer etwas, worüber »man nicht spricht«, schon gar nicht mit Männern.
Doch seit einigen Jahren ist vieles im Umbruch. Schritt für Schritt lassen die Wechseljahre ihr Schattendasein hinter sich. Das ist wichtig, denn rund 9 Millionen Frauen und
Es handelt sich um die Jahre vor und nach der Menopause, dem Moment
2/3 der Frauen leiden darum während der Wechseljahre unter körperlichen und psychischen Beschwerden. Hitzewallungen, Schlafprobleme, Gelenkschmerzen, Trockenheit der Vagina, eine verringerte Libido, Inkontinenz, Erschöpfung und Depressionen sind nur einige davon. Die Symptome dauern im Schnitt 7–8 Jahre an. Oft haben Frauen in dieser Lebensphase außerdem pubertierende Kinder oder pflegebedürftige Eltern. Viele treten angesichts dieser Belastungen im Beruf kürzer oder hören ganz auf, zu arbeiten.
Es ist daher auch eine Lebensphase, in der Frauen Unterstützung am Arbeitsplatz und von Ärzt:innen gut gebrauchen können – aber häufig nicht bekommen.
Deswegen hat sich die Bürgerinneninitiative
Von Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen
Eine, die ohne Hemmungen über das Thema spricht, ist Annunziata von Schurbein. Sie lebt in Berlin
Mit 37 Jahren in einer stressigen Arbeitssituation ging plötzlich gar nichts mehr, immer wieder fiel sie in tiefe Traurigkeitslöcher, erzählt die heute 42-Jährige. Sie wurde mit einem Burnout diagnostiziert und wechselte den Job. Als die Traurigkeitsepisoden auch ohne Stress immer wieder auftraten, verschrieb eine Psychiaterin ihr Antidepressiva und sie begann eine Psychotherapie.
»Die Therapeutin hat immer nach externen Triggern gesucht, aber da war nichts«, sagt von Schurbein. Sie selbst vermutete schon früh, dass ihre Depressionen mit ihrem Zyklus zusammenhingen, doch niemand konnte ihr das bestätigen. »Bei über 20 Arztterminen habe ich keinen Arzt und keine Ärztin gefunden, die erkannt hat, was los ist«, sagt sie.
Mithilfe einer
Damit ist sie nicht allein:
Bei wie vielen Menschen die Wechseljahre als Grund für ihre Beschwerden nicht erkannt werden, wie viele stattdessen in Kliniken für Burnout landen oder Fehlbehandlungen erhalten – all das ist nicht bekannt. Handfeste Zahlen gibt es aber zum Einfluss der Wechseljahre auf die Arbeitswelt.
Die Symptome, die die rund 2.000 Befragten am stärksten in ihrer Arbeit beeinträchtigen, sind Erschöpfung, Schlafstörungen, Reizbarkeit und depressive Verstimmungen. Die Hälfte gab an, dass an ihrem Arbeitsplatz nie über das Thema gesprochen werde.
Das klingt ernüchternd?
Stimmt, klar ist aber auch: Die Wechseljahre sind keine Krankheit und nicht alle Erfahrungen damit sind negativ. Viele Frauen tauschen sich eng mit gleichaltrigen Freundinnen aus und erleben das Thema keineswegs als Tabu.
Viele sind am Ende sogar froh darüber, von ihrer Menstruation und den Höhen und Tiefen ihres Zyklus befreit zu sein. Nicht jede Person fühlt sich nach der Menopause unsichtbar oder unattraktiv. Außerdem gibt es viele Entwicklungen, die Mut machen, dass in Zukunft mehr Menschen einen offenen Umgang mit dem Thema erfahren werden. Hier findest du Beispiele aus 4 Bereichen.
1. Firmen unterstützen Arbeitnehmerinnen gezielt
»Es gibt erste Unternehmen, die Angebote für Frauen in den Wechseljahren haben. Ein wichtiges Motiv dafür ist der Fachkräftemangel«, sagt Andrea Rumler. Firmen beginnen, den wirtschaftlichen Schaden zu bemerken, der entsteht, wenn Mitarbeiterinnen, die um die 50 Jahre alt sind, ausfallen, eine Beförderung ausschlagen oder ganz aus dem Beruf ausscheiden. Das Softwareunternehmen SAP und das Telekommunikationsunternehmen Vodafone zum Beispiel bieten Informationsveranstaltungen zu den Wechseljahren an und werben mit betrieblicher Gesundheitsberatung und flexiblen Arbeitszeiten.
»Wenn ich ein Tabuthema in Angriff nehmen will, muss ich erst mal überlegen, wie ich darüber reden kann«, sagt Rumler. Für Führungskräfte, besonders für männliche, sei das eine große Herausforderung. Ein »kleines, aber wachsendendes Heer an Wechseljahresberaterinnen« habe dies erkannt und biete Workshops und Vorträge für Unternehmen an, sagt Rumler. In ihrer Umfrage wünschte sich eine große Mehrheit der Befragten solche Angebote zur Aufklärung und Sensibilisierung der Mitarbeitenden.
In Großbritannien ist man schon ein paar Schritte weiter.
In Großbritannien ist eine solche Unterstützung von Arbeitnehmerinnen im Equality Act sogar rechtlich verankert.
2. Gendermedizin soll im Gesundheitssystem verankert werden
Die Beratung von Personen in den Wechseljahren lohnt sich für Ärzt:innen kaum, da sie bei der gesetzlichen Krankenkasse nur rund 17 Euro pro Quartal dafür abrechnen können. Zudem kommen die Menopause und Sexualhormone im medizinischen Grundstudium nur am Rande vor. Selbst in der gynäkologischen Fachärzt:innenausbildung sind diese Themen eher nebensächlich.
Da wundert es nicht, dass die meisten niedergelassenen Gynäkolog:innen ihren Fokus auf Verhütung, Kinderwunsch und Schwangerschaft legen – Themen also, die eher in der ersten Lebenshälfte einer Frau relevant sind. Auf Wechseljahre und Hormone spezialisierte Ärzt:innen sind selten und behandeln oft nur Privatpatientinnen.
Diese Problematik war auch in der Debatte im Bundestag zur Menopausen-Strategie zentral.
Es kann doch nicht sein, dass mir ein Arzt erzählt, er spricht das Thema Wechseljahre am liebsten gar nicht an. Das ist für ihn wie die Büchse der Pandora, einmal geöffnet, kriegt man sie nicht mehr zu.
Heike Engelhardt von der SPD konterte, es gebe bereits politische Initiativen, um daran etwas zu ändern. Die Bundesregierung vergibt vermehrt Fördergelder für die
Damit dürften die nächsten Generationen an Ärzt:innen besser über die Menopause informiert sein. Das allein wird die Lücke in der Versorgung aber nicht schließen.
Derweil hat die Privatwirtschaft diese Lücke und damit verbunden eine immense Zielgruppe erkannt. Es gibt inzwischen eine Vielfalt an Apps für Menschen in den Wechseljahren. Die in Großbritannien entwickelte,
Auch Wechseljahresberaterinnen bieten kommerziell Dienste an – vom Umgang mit Hitzewallungen und Schlafproblemen bis zur Ernährungsumstellung –, die im Gesundheitssystem (noch) keinen Platz haben.
3. Medien wagen sich an das Thema heran
In den Medien sind die Wechseljahre längst nicht mehr tabu.
Ein Grund für diese neue Offenheit dürfte eine Reihe von Büchern sein, die in den vergangenen Jahren viel öffentliche Aufmerksamkeit bekamen – vor allem »Die gereizte Frau« von Miriam Stein und »Woman On Fire« von Sheila de Liz.
Auch prominente Personen wie die Schauspielerin Naomi Watts oder Michelle Obama erzählen heute öffentlich über Erfahrungen mit ihren Wechseljahren.
4. Privatleben: Was kannst du tun?
Du liest gerade einen Text zum Thema Wechseljahre und hast damit den ersten Schritt zur Enttabuisierung dieser Lebensphase schon getan. Es gibt noch etwas anderes, was jede und jeder von uns machen kann: darüber sprechen.
Sicher hast du Personen in deiner Familie oder im Bekanntenkreis, die in den Wechseljahren sind oder sie schon hinter sich haben. Es mag herausfordernd klingen, sie danach zu fragen, schließlich geht es um sehr persönliche Erfahrungen. Aber die Chancen stehen gut, dass sie sich freuen, wenn andere Interesse an diesem Aspekt ihres Lebens zeigen.
Solche Gespräche – sei es zwischen Müttern und Kindern, zwischen Kolleg:innen oder in Partner:innenschaften – tragen dazu bei, dass Wechseljahre im gesellschaftlichen Bewusstsein zu dem werden, was sie sind: völlig normal.
Redaktion: Désiree Schneider
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily