Was, wenn du plötzlich verantwortlich bist?
Trotz Kinderarbeit, Klimawandel und Steuervermeidung shoppen wir munter weiter. Warum wir täglich unsere Moral über Bord werfen und wie wir das ändern können.
Bist du ein guter Mensch, eine anständige Person? Vermutlich möchtest du diese
Klar ist dein persönlicher Beitrag zum Wohl – oder Leid – der Welt immer nur ein winzig kleiner Anteil am großen Ganzen.
Anders sieht es bei der Creme de la Creme der einflussreichsten Menschen der Welt aus, die sich
Wenn sich aber weder du noch die Elite in Davos für Klimawandel, niedrige Löhne, Entwaldung, moderne Sklaverei und Steuervermeidung verantwortlich fühlen, wer ist es dann? Genau dieses diffuse Gefühl, dass eigentlich keiner so richtig verantwortlich ist, sorgt dafür, dass wir unsere moralischen Standards schnell über Bord werfen – zu schnell.
Wo der »Markt« ist, schwindet die Moral schneller
Vor die Wahl gestellt, 10 Euro zu kassieren oder das Leben einer Maus zu retten,
Allerdings führt eine kleine Änderung im Versuchsaufbau dazu, dass statt knapp 50% mehr als 70% ihre Maus töten (lassen). Dafür genügt es, dass jeder Versuchsteilnehmer die Möglichkeit erhält, seine Maus an einen anderen Teilnehmer zu verkaufen, und damit für ihren sicheren Tod sorgt. Im Durchschnitt springen dabei für den Verkäufer sogar weniger als die ursprünglichen 10 Euro heraus.
Zahlreiche Studienergebnisse wie diese legen nahe, dass wir schneller bereit sind, anderen Leid zuzufügen, wenn mehr Menschen an einer Entscheidung beteiligt sind.
Um auch in der ersten Situation ohne einen solchen »Mäuse-Handel« dafür zu sorgen, dass mehr als 70% der Teilnehmer die Maus töten lassen, muss der Einsatz von 10 Euro auf 50 Euro erhöht werden.
Zahlreiche Studienergebnisse wie diese legen nahe, dass wir schneller bereit sind, anderen Leid zuzufügen, wenn mehr Menschen an einer Entscheidung beteiligt sind. Wenn die Verantwortung für das Mäuseleben nicht mehr nur in den eigenen Händen liegt, sinkt die Bereitschaft, es zu schützen. Je mehr Menschen an einer Entscheidung beteiligt sind, desto stärker verschwimmt, wer genau verantwortlich ist – das eingangs beschriebene, diffuse Gefühl macht sich breit.
Im Experiment steigt damit natürlich auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich mindestens einer für das Geld entscheidet. Genau das zeigen auch
Sind wir also alle so käuflich, dass wir beim kleinsten Widerstand lieber das Geld nehmen und die eigenen – vielleicht hohen – moralischen Standards verraten?
Geld korrumpiert (nicht immer) absolut
Klar ist: Wie es um unsere Moral bestellt ist, hängt unter anderem davon ab, ob Geld im Spiel ist. Das gilt sogar, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht. So beobachteten einige Kindertagesstätten, dass manche Eltern ihre Kinder häufiger zu spät abholten und die Betreuer sich so länger als geplant um die Kinder kümmern mussten. Um dem ein Ende zu machen, schmiedeten die Betreuer einen Plan: Wenn die Zu-spät-Kommer ein Bußgeld zahlen müssten, würde sich das Problem sicher bald von allein lösen. Weit gefehlt – denn genau das Gegenteil war der Fall.
Ist das moderner Ablasshandel und Bestechung in einem? Wenn wir unseren Kindern für jedes gelesene Buch einen Zehner ins Sparschwein stecken, wenn wir
Nicht unbedingt.
Ist dein potenzieller Gewinn sehr klar und direkt mit dem Bruch starker gesellschaftlicher Normen verbunden – das Töten einer Maus gehört offensichtlich nicht dazu – halten wir stärker an unseren Moralvorstellungen fest. So verzichten 3 von 4 Versuchsteilnehmern auf das Angebot, 20 Euro zu erhalten, Fast alle geben an, dass es »gesellschaftlich unangemessen« sei, das Geld in die eigene Tasche zu stecken.
Im Gegensatz zum »Mäuse-Handel« bleiben die Teilnehmer hier ihren moralischen Normen treu – das gilt sogar, wenn ihre Entscheidung wie bei den Mäusen von anderen Teilnehmern abhängt und nichts gespendet wird, sobald ein Teilnehmer das Geld in die eigene Tasche steckt. Dass alle Teilnehmer darüber Bescheid wissen, was sich gehört und was nicht, zeigen die Ergebnisse einer Befragung nach dem Experiment: Fast alle – mehr als 97% – geben an, dass es »gesellschaftlich unangemessen« sei,
Also: Wir halten offenbar umso stärker an den eigenen Werten und Moralvorstellungen fest, je offensichtlicher es ist, dass wir für die negativen Folgen unseres Handelns direkt verantwortlich sind. Und das gilt noch mehr, wenn die Werte gesellschaftlich stark verankert sind.
Geht es also nur darum, die Verantwortung klarer zuzuweisen?
Ein Karma-Sparbuch?
Es könnte sein, dass
Wenn du jetzt in deinem Kopf ein Bild meines erhobenen Zeigefingers siehst und ein paar Schuldgefühle unterdrücken musst, bringt uns das nicht weiter – einmal abgesehen davon, dass es nicht meine Absicht ist, dir ein schlechtes Gewissen einzureden. Das Ziel ist ein anderes:
Auch wenn es nicht möglich ist, genau zu bemessen, welches Leid du durch eine Kaufentscheidung mitverursachst, lässt sich so doch eine Verbindung zwischen Kauf und Katastrophe schaffen – und dem diffusen Gefühl der Verantwortungslosigkeit immerhin entgegenwirken.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier
Titelbild: flickr / Sasha Lezhnev - CC BY-ND 3.0