»Keine Angst, Herr Doktor, es ist nur ein kleiner Klick!«
Nachdem ich mich im Klinikalltag jahrelang mit Papier und Fax herumschlagen musste, helfe ich jetzt der Medizin von morgen auf die Sprünge. Denn die nächste Revolution hat längst begonnen.
Die letzten 3 Jahre habe ich ein Doppelleben geführt: In der einen Welt war ich Assistenzarzt und vergeudete im Klinikalltag schmerzhaft viel Lebenszeit mit Tätigkeiten, die sich leicht automatisieren ließen. In der anderen Welt beschäftigte ich mich freiberuflich mit dem Thema Digitalisierung im Gesundheitsbereich, hielt Vorträge und beriet Unternehmen. Die Kluft zwischen den beiden Welten hätte kaum größer sein können.
Der deutsche Klinikalltag ist leider keine Ausnahme: Um die Digitalisierung ist es international in den
Während ich in der einen Welt Dokumente per E-Mail oder in der Cloud austausche, musste ich als Arzt zahllose Kliniken abtelefonieren, um jemanden zu finden, der mir den aktuellen Arztbrief eines Patienten faxte, den ich dann meinem Diktiergerät vorlas, nur damit eine Schreibkraft ihn ins System eintippen konnte.
»Ihr seid im Krankenhaus nicht mehr Old Economy, sondern Ancient Economy!« – eine Freundin, die bei Facebook arbeitet
Kein modernes Unternehmen würde es sich erlauben, hoch ausgebildete Fachkräfte dermaßen von ihrer eigentlichen Arbeit abzulenken. Denn das sorgt nicht nur bei den Ärzten für Frust, sondern auch bei den Patienten. Die liegen im Krankenbett und fragen sich, wo eigentlich alle abgeblieben sind.
Mit dem Doppelleben ist es jetzt erst mal vorbei,
Hilfe fürs angeschlagene Gesundheitswesen
Parallel schreitet die medizinische Technik voran und wir haben uns an sekundenschnelle Ganzkörper-Aufnahmen, detaillierte Bluttests und länderspezifischen Impfschutz gewöhnt. Doch das allein macht noch keine »Dritte Revolution«, weil es keine der 5 großen Herausforderungen löst, vor denen das moderne Gesundheitswesen gerade steht:
- Prävention:
- Patientensicherheit: Es gibt noch zu viel Raum für menschliche Fehler.
- Qualitätsschwankungen: Die Qualität der Gesundheitsversorgung zwischen Regionen, Kliniken und Ärzten schwankt stark.
- Zugang: In Städten ist der Weg zum Spezialisten
- Umweltschutz: Wir erzeugen haufenweise Müll und Treibhausgase, was Geld und Ressourcen kostet.
Zusätzlich steigt der Druck auf unsere Gesundheitsversorgung,
Das lernende Gesundheitssystem
Die Zukunft ist schon angekommen. Sie ist nur noch nicht gleichmäßig verteilt.
Würde die Medizin nur das übernehmen, was in anderen Branchen längst Alltag ist, wäre schon viel gewonnen –
Vor einigen Monaten erhielt ein Freund von mir die Diagnose »Bluthochdruck« und bekam von seiner Hausärztin ein Medikament verschrieben, was für ihn laut meiner Einschätzung eher zweite Wahl gewesen wäre. Auf meine Empfehlung ging er zu einem Kardiologen, der die Therapie (nach ausgiebiger Abstimmung) anpasste und weitere Vorsorge-Untersuchungen durchführte, die die Hausärztin nicht angeordnet hatte. Fehlmedikationen sind nicht nur in Deutschland ein wichtiges Thema. Gleichzeitig warten viele Patienten im Schnitt 2 Monate auf
Ein intelligentes Computersystem kann den Prozess grundlegend verbessern – und verkürzen: Die Entscheidung der Hausärztin über die Medikation wird sofort überprüft.
So können die Ärzte im Gespräch direkt auf die identifizierten Probleme meines Freundes eingehen. Therapie und Diagnostik können schrittweise und schnell immer wieder individuell angepasst werden. Das beschleunigt nicht nur den Weg zur richtigen Behandlung,
Damit ein solcher Ablauf Realität wird, braucht es vor allem eines: Daten.
Aus Daten werden Informationen
Die »Dritte Revolution« ernährt sich von Gesundheitsdaten. Und zwar von Hunderttausenden von Menschen. Die so entstehende riesige elektronische Gesundheitsakte nutzen die Algorithmen der lernenden Gesundheitssysteme für ihre Analysen und Prognosen. So ermöglicht sie:
- den »Patienten-wie-ich-Knopf«: Was, wenn mein Freund mit einer App per Knopfdruck erfahren könnte, welche Therapie Tausende andere Patienten mit gleichem Geschlecht, Alter und vergleichbarer Diagnose in ähnlichen Fällen erhalten haben – und was ihnen am besten geholfen hat? Diese Art »Publikumsjoker« soll die Einzelmeinung des Arztes nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen und ermöglicht zusätzlich die Langzeitauswertung aller Behandlungserfolge.
- den
- den Studienfinder:
- Team-Optimierung: Selbst die Wissenschaft könnte von lernenden Gesundheitssystemen profitieren, indem sie besonders gute Gesundheits-Teams identifizierte. Um schnell herauszufinden, wer im Land die besten Ergebnisse erzielt, würden so beispielsweise alle Patienten nach einer Knie-Operation regelmäßig digital zu ihrer Zufriedenheit befragt. Andere Ärzte und Krankenhäuser könnten die Ergebnisse nutzen,
- Medikamenten-Überwachung:
Das alles ist noch Zukunftsmusik. Noch immer wird ein Großteil medizinischer Informationen auf Papier »gespeichert« – in den Krankenhauskurven, dicken Akten und händisch ausgefüllten Formularen. Die große Herausforderung bleibt also, das geballte Wissen in einer für Maschine und Mensch lesbaren Form als verlässliche, digitale Daten zu speichern. Und zwar so, dass sie überall dort, wo sie gebraucht werden, gut zugänglich und auswertbar sind – ohne missbraucht zu werden. Denn spätestens,
Wer schützt meine Daten?
Am 12. Mai 2017 bemerkten Sicherheitsfirmen, dass sich ein Stück bösartiger Software über das Internet verbreitete. In nur 48 Stunden wurden 230.000 Computer von WannaCry infiziert, darunter auch einige Computer der britischen staatlichen Krankenversicherung National Health Service (NHS).
Risiko »Datenschutz und Diskriminierung«
Ja, Datenschutz ist ein wichtiges Thema. Doch Schwerkranke höre ich oft sagen, die Sicherheit der eigenen Daten sei »nur etwas für Gesunde«. Denn wer nicht mehr viel zu verlieren hat, der nimmt es auch mit dem Schutz sensibler Daten nicht mehr so genau. Was uns zu der Erkenntnis bringt, dass nicht alle Gesundheitsdaten gleich sensibel sind: Wenn ich eine Penizillin-Allergie hätte, würde ich mir wünschen, dass das möglichst viele wüssten,
Ein digitales Gesundheitssystem muss sich nicht nur vor Daten-Missbrauch schützen, sondern auch vor »falschen« Daten.
Ein digitales Gesundheitssystem ist kein Allheilmittel. Es muss sich nicht nur vor Daten-Missbrauch schützen, sondern auch vor »falschen« Daten.
Auch die Angst vorm »gläsernen Patienten« und bewusster Daten-Tyrannei muss ernst genommen werden. So bieten manche Krankenkassen ihren Versicherten Rabatte an, wenn sie einen Schrittzähler tragen, der misst, ob sie sich täglich ausreichend bewegen. Was zunächst sinnvoll klingt,
Neben Krankenkassen und Arbeitgebern interessieren sich noch andere für die Daten. WannaCry war ein Hackerangriff;
Nebenwirkung »gesellschaftliche Auswirkungen«
Genau wie in anderen Ländern auch wird nicht jeder Patient gleichbehandelt und Damit die digitale Revolution der Medizin gelingt, muss die »digitale Kluft« von Anfang an so klein wie möglich sein.
Mit den neuen Rollen von Arzt und Patienten wird sich auch das Verhältnis der beiden untereinander ändern. Während »digital« und »elektronisch« vielleicht erst mal kühl und anonym klingen, bin ich davon überzeugt, dass die Digitalisierung – richtig genutzt –
- Ärzte können mehr Zeit mit Patienten statt mit administrativen Aufgaben verbringen.
- Patienten können ihren Ärzten auf Augenhöhe begegnen, weil sie besser über ihre Krankheiten Bescheid wissen.
Risiko »Renaissance der Scharlatane?«
Viele Apps, die auf die »Dritte Revolution« aufspringen wollen, versprechen großartige Effekte,
Ich erlebe öfter, wie naiv einige Entwickler und Unternehmer an Gesundheitsthemen herangehen. Da werden
So lernen wir, mit »RoboDoc« umzugehen
Wir leben in einer Gesellschaft, die auf exquisite Weise von Wissenschaft und Technologie abhängig ist, in der kaum jemand irgendetwas über Wissenschaft und Technologie weiß.
Ja, Digitalisierung macht vielen Menschen Angst. Vor allem denen, die neue Fähigkeiten lernen müssen. Doch
Sind die Vorteile also die Risiken und Nebenwirkungen wert? Ich bin davon überzeugt. Um die »Ancient Economy« des Gesundheitswesens zu heilen und uns gesünder zu machen, sollten wir die »Dritte Revolution« fördern, sie mit mehr Elan – und Bedacht – vorantreiben als bisher. Am besten schon gestern.
Dieser Text ist Teil unserer Reihe zum Thema künstliche Intelligenz.Titelbild: Wikimedia Commons / National Cancer Institute / Ernie Branson - public domain