Ist Deutschland schon eine Steueroase?
Gestern Abend wurde das neue Ranking zur weltweiten Schattenfinanzierung veröffentlicht. Deutschland hat sich einen neuen Spitzenplatz ergattert. Während die EU mit dem Finger auf kleine, sehr arme Länder zeigt, liegen die wirklichen Probleme woanders.
Jetzt können alle Superreichen im Land erst mal aufatmen: Im aktuellen Bericht des Netzwerks Steuergerechtigkeit ist die Bundesrepublik beim
In den »Top 10« ist Deutschland in bester Gesellschaft bekannter Steueroasen wie den Kaimaninseln, Luxemburg und der kleinen Insel Guernsey im Ärmelkanal. Angeführt wird die Liste nach wie vor vom unangefochtenen »Rekordmeister« der Schattenfinanzen, der neutralen Schweiz. Den zweiten Platz belegt dieses Mal die wohl mächtigste Steueroase der Welt, die USA. Beim letzten Bericht vor 2 Jahren ging die Silbermedaille an Hong Kong.
Während die Geldelite von
Die EU zeigt mit dem Finger auf unwichtige und arme Staaten
Trotz einiger Bemühungen Deutschlands, der internationalen Steuerhinterziehung und -vermeidung etwas entgegenzusetzen, rangiert es seit Jahren recht weit oben auf der Liste der Schattenfinanzen. Das liegt nicht nur am fehlenden Tatendrang von Finanzbeamten und Gesetzgebern – sondern auch an der Methode, mit der das Netzwerk Steuergerechtigkeit den Index erstellt. Entscheidend für die Einstufung ist eben nicht nur, wie einfach es Aldi-Erben und Lidl-Gründer haben, ihr Geld unbemerkt aufs eigene Konto zu manövrieren. (Das ist auf tropischen Inseln oder in der Schweiz noch viel einfacher als in Deutschland.) Für die hohe Einstufung spielt auch die Rolle Deutschlands im internationalen Finanzmarkt eine Rolle: Weil der deutsche Anteil an grenzüberschreitenden Dienstleistungen auf dem globalen Markt so groß ist, wird die Bundesrepublik stärker gewichtet als andere Staaten. Doppelte Verantwortung also – und auch doppelte Bringschuld.
Dass die Gewichtung nach Finanzkraft wichtig ist, zeigt das Beispiel einer im
Die »Big Player« sind das Problem
Statt mit dem Finger auf kleine Entwicklungsländer zu zeigen, wäre ein Blick auf die 3 schwergewichtigen, europäischen »Bad Boys« Luxemburg, die Niederlande und eben Deutschland sicher lösungsorientierter.
Wer beim Schattenfinanzindex noch nie einen der Spitzenplätze belegt hat, ist Großbritannien, das wie eine Spinne im globalen Schattenfinanznetz hängt: kleiner Körper mit langen Beinen. Die Füße sitzen in den vielen Überseegebieten, die fast alle weit oben auf dem Index auftauchen. Darunter die Kaimaninseln, Guernsey, die Virgin Islands sowie Antigua und Barbuda. Also alles Ministaaten, die den Begriff »Steuerparadies« zuerst geprägt haben, indem sie Gastgeber für tausende Unternehmen und deren Briefkastenfirmen wurden. Bisher gibt sich Großbritannien große Mühe, seine Überseegebiete in »Schutz« zu nehmen, indem es
Die Anführer des Index begünstigen nicht nur Steuervermeidung und kriminelle Steuertricks im großen Stil, sondern auch hochgradig problematisches Verhalten: Die fehlende Transparenz hierzulande, zum Beispiel bei der Firmenregistrierung, verdeckt am Ende kriminelle Aktivitäten, Geldwäsche und Korruption. Letztere wiederum wächst und gedeiht besonders dort, wo das große Geld sitzt. Tatsächlich scheinen sich Menschen in Steuerfragen umso fragwürdiger zu verhalten, je höher ihr Vermögen ist. Ergebnisse aus Skandinavien zeigen, dass die Anzahl der Fälle von Steuervermeidung ab Vermögen von etwa 35 Millionen Euro
Diejenigen, die das Spiel der Steueroasen erfolgreich mitspielen, argumentieren häufig, dass das internationale System aus Finanzströmen doch legal sei. Das ist natürlich Schwachsinn, denn es ist nur so lange legal, bis es das nicht mehr ist. (Hier stellt sich einmal wieder die Henne-Ei-Frage: Führt ein riesiges Vermögen dazu, dass Menschen weniger Rücksicht auf andere nehmen, oder ist Rücksichtslosigkeit unerlässliche Voraussetzung, um überhaupt so viel Geld anzusammeln?)
Viele der dubiosen Geschäfte spielen sich in Grauzonen ab. Selten lässt sich die Verantwortung exakt einer bestimmten Behörde, einem Unternehmen, den Anwälten und Buchhaltern von KPMG und PricewaterhouseCoopers (PwC) oder den Mitarbeitern von Citigroup oder der Deutschen Bank zuweisen. Sie alle spielen gern mit, sind aber nur ein kleines, vermeintlich ahnungsloses Rädchen im großen Getriebe der globalen Steuertricks – und bringen uns zum diffusen Gefühl der Verantwortungslosigkeit. Das endet damit, dass alle Einzelakteure das fragwürdige System aufrechterhalten wollen, weil sie davon profitieren. Ob etwas wirklich kriminell ist oder war, können oft nur Gerichte feststellen. Aber wo kein Kläger, da …
Die bekannten Berater [der Reichen und internationalen Konzerne] werden immer von einem der 4 großen Beratungsunternehmen kommen: PwC, KPMG, Ernst & Young und Deloitte. Sie sind das verbindende Element der Steueroasen. Ohne diese Unternehmen gäbe es keine Steueroasen.
So kann Deutschland die »Top 10« verlassen
Das internationale
Statt nur zu zeigen, wo es schiefläuft, enthält der aktuelle Bericht aber auch für jedes Land individuelle Empfehlungen, um es besser zu machen. Im Fall von Deutschland gehören dazu folgende Ansätze:
- Härter durchgreifen:
- Mehr Kontrolle mit mehr Personal: Seit Jahren mangelt es in den Finanzämtern an Personal – von der schlechten Koordination zwischen den Finanzämtern ganz zu schweigen. In Kontrollen muss investiert werden, damit sie härter und häufiger durchgeführt werden.
- Mehr Transparenz: Bei Gerichtsverfahren zu Steuerfällen mangelt es an Transparenz. Sie sind nicht öffentlich und oft bleiben die Urteile hinter verschlossener Tür. Das sorgt dafür, dass es keine Statistiken zu Geldwäsche und Steuervermeidung gibt.
- Öffentliches Immobilienregister: Eine weitere Maßnahme ist ein öffentliches Immobilienregister, das sämtliche Immobilien im Besitz von Deutschen aufführt. Großbritannien und die USA haben ein solches Register seit Jahrhunderten.
Noch einen Schritt weiter würde ein Register gehen, das auch Finanzanlagen und Aktiendepots erfasst. Genau das fordert der Steuerforscher
Statt nur auf Regierungsarbeit zu »warten«, können sich Konzerne auch mit Regierungen zusammentun und gemeinsam die gängige Praxis beenden, die letzten Cent-Beträge aus den Steuerschlupflöchern herauszupressen. Grund zur Hoffnung ist hier beispielsweise Facebook. Das
Bevor all das Realität werden kann, liefert der Schattenfinanzindex den ersten Schritt und schafft ein wenig Transparenz in der Intransparenz.
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