Ausgerechnet der Staat zeigt, wie wir die Papierwende schaffen
Nur 15% des Druckerpapiers in Deutschland sind recycelt. Im Arbeitsministerium sind es 100%. Auch die ersten DAX-Unternehmen arbeiten an der Papierwende, zeigt unsere Recherche.
Sagen wir einmal, du druckst diesen Artikel aus, um ihn auf Papier zu lesen. Noch gemütlicher wird es, wenn du dazu eine Kanne Kaffee aufsetzt. Während das Wasser kocht, schaue einmal nach, ob in deinem Drucker recyceltes oder neues Papier liegt. Warum das einen Unterschied macht? 10 Blatt Recyclingpapier sparen bei der Herstellung
250 Kilogramm – so viel Papier verbraucht der Durchschnitts-Deutsche im Jahr
Das Ergebnis zeigt: Es gibt 2 Lager. Während die einen noch kilometerhohe Türme aus frischem Papier bedrucken, haben die anderen schon gezeigt, dass ein nachhaltiger Kulturwandel möglich ist – und sich sogar finanziell lohnen kann.
Das gibt es über Papier zu wissen
200 Jahre Recycling-Tradition
Die Filterkaffeemaschine, wie sie in den meisten Büros steht, wurde
Deutschland recycelt viel – und könnte noch mehr
Auch Almut Reichart, die sich am Umweltbundesamt mit bedrucktem Papier beschäftigt, schätzt, dass pro Zyklus 80% der Fasern wiederbenutzt werden könnten. Und trotzdem ist das meiste Druckerpapier, das in Deutschland gekauft wird, aus frischen Fasern.
Was alles im Papiermüll landet
In den Briefkästen des Landes treffen weiße Kuverts auf braune Versandtaschen – 2 verschiedene Papiersorten, bei denen der sehr unterschiedliche Altpapier-Anteil ins Auge sticht.
Tatsächlich stammt bei grafischen Papieren – so nennen Spezialisten alle Papiersorten, die für moderne Druckmaschinen geeignet sind – nur 53% des Rohstoffs aus Altpapier; bei Verpackungskartons sind es 100%, bei Wellpappe sogar 108%. Das liegt daran, dass im Altpapiercontainer immer auch Stoffe landen, die zur Papierproduktion wertlos sind: Heftklammern, Plastikfolien von Fensterkuverts, Shampoo-Proben aus Beautyzeitschriften. »Es muss also selbst bei einer konstanten oder auch bei kleinerer Produktionsmenge von Papier neuer Rohstoff aufgefüllt werden, um genügend Rohstoffe für die Produktion zu haben«, erklärt Roland Zelm vom Institut für Naturstofftechnik der TU Dresden.
Digitalisierung heißt nicht weniger Papier – sondern anderes
Den Postboten, die schon länger die Briefkästen des Landes befüllen, wird aufgefallen sein: Das Verhältnis von Briefen zu Paketen verschiebt sich.
Der Rückgang der grafischen Papiere ist leicht mit der Digitalisierung zu erklären: Wir schreiben eher Mails als Briefe, in Verwaltungen und Ministerien werden Vorgänge digitalisiert, in Gerichten und Staatsanwaltschaften soll die E-Akte kommen. Und auch der Zuwachs der Verpackungsmaterialien kommt aus dem Internet, weil die Deutschen immer mehr online bestellen,
Wenn für die immer zahlreicher werdenden Pakete sowieso ständig neue Fasern in den Kreislauf müssen – ist es dann ökologisch so dramatisch, frisches Druckerpapier zu kaufen? So schnell sind wir wieder bei den 2 Kannen Kaffee, die bei der Produktion von 10 Seiten Frischpapier zusätzlich anfallen.
Dazu kommt ein zweiter Faktor:
Wer benutzt welches Papier?
Kommen wir nun zu denen, die bergeweise Papier verbrauchen. Das ist nicht immer vermeidbar – aber ökologisch definitiv verträglicher, wenn das Papier aus Recyclingmaterialien gewonnen wurde und idealerweise mit dem Blauen Engel zertifiziert ist.
In den Bundesministerien kommt fast nur noch Ökopapier zum Einsatz – das war jedoch nicht immer so.
Ministerien
Schon 1985,
Insgesamt werden in den Bundesministerien 31-mal so viele Recycling-Seiten bedruckt wie frische.
Ab 2002 wurde dann schrittweise eine
Der Einkauf der Ministerien läuft über das Kaufhaus des Bundes; dort zahlt das Justizministerium
Medien
Radio- und Fernsehsender dürften zwar nur einen kleinen Teil beim Papierverbrauch ausmachen, aber hier ist die Nutzungsdauer besonders kurz: Häufig werden Moderationen und Meldungen ausgedruckt und nach dem Einsprechen sofort entsorgt. Die Rückmeldungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf meine Umfrage waren leider besonders dürftig; einzig das Deutschlandradio hat uns Auskünfte erteilt. An beiden Standorten in Berlin und Köln wird laut einem Sprecher Papier im Wert von insgesamt 30.000 Euro bedruckt: »Eine Aufschlüsselung nach Papierarten oder ökologischer Zertifizierung findet nicht statt.« Dafür arbeiteten mehrere Verwaltungseinheiten papierlos, und aus alten Plakaten wurden Smartphone-Hüllen genäht. Immerhin.
Zeitungen, das sei an dieser Stelle gesagt, werden übrigens schon seit langem auf Recyclingpapier gedruckt:
DAX-30-Unternehmen
Unter den 30 Aktiengesellschaften, die im DAX gelistet sind, befindet sich ein weiterer Medienkonzern: Am Münchner Hauptsitz von ProSiebenSat.1 laufen rund 1 Million A4-Blätter durch die Drucker.
Die Papiermenge ist bei ProSiebenSat.1 jedoch noch vergleichsweise klein: Der Energieriese RWE verbrauchte 2017 knapp 50-mal so viel Druckerpapier – laut einem Sprecher ebenfalls ausschließlich frisch, »weil zurückliegende Untersuchungen bisher Schwierigkeiten bei Kopierern und Druckern befürchten ließen.« Wegen technischer Fortschritte bei Papier und Geräten werde das Thema neu überprüft.
Auf ein Blatt Recyclingpapier kommen 4,6 Blätter Frischpapier.
Insgesamt haben 11 der 30 DAX-Konzerne auf die Umfrage reagiert, wobei nicht immer absolute Mengenangaben getroffen wurden.
Die Gründe, weshalb die Konzerne sich häufig gegen Recyclingpapier entscheiden, sind vielfältig. Daimler verwendet in hausinternen Publikationen frisches Papier, weil darauf technische Zeichnungen detaillierter darzustellen seien – zur externen Kommunikation schreibt eine Sprecherin: »Neben der Außenwirkung steht hier auch die Umsetzung unserer eigenen Corporate Identity im Vordergrund.« Auch bei Merck soll weißes Frischpapier die »Brandingkonformität« gewährleisten, außerdem sei es »bei Geschäftsbriefen einfach die Norm«. Vonovia geht es um »eine einheitliche Innen- und Außenwirkung«, außerdem ergebe die Beschränkung auf eine Papiersorte Vorteile beim Einkaufspreis.
Für Henkel hingegen ist laut einer Sprecherin das recycelte Papier sogar billiger – in erster Linie gehe es dem Konzern jedoch um einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen.
Die Commerzbank, die extern Frischpapier und intern Recyclingpapier mit Blauem Engel nutzt,
Die meisten Unternehmen rechnen wegen digitaler Anwendungen mit einem Rückgang des Papierbedarfs in der Zukunft – nur ProSiebenSat.1 geht davon aus, mittelfristig so stark zu wachsen, dass die Einsparungen des digitalen Büros davon aufgefressen werden.
Muss Recycling für alle zur Pflicht werden?
In gewisser Weise gebart sich die Wirtschaft so, wie es früher die Ministerien getan haben: Es ist eine sehr individuelle Entscheidung, ob Recycling- oder frisches Papier angeschafft wird.
Das Gesetz, in dem eine Quote stehen könnte, ist das
Wir stehen für eine Weiterentwicklung des erfolgreichen deutschen Modells der Kreislaufwirtschaft. Anspruchsvolle Recyclingquoten, Wettbewerb und Produktverantwortung sollen dabei auch künftig die Leitplanken sein.
Wettbewerb – damit meint der Koalitionsvertrag,
Wettbewerb – die Vokabel könnte man auch kreativer auslegen. Seit 2008 richtet die – wie gesagt von Lufthansa mitgegründete – Initiative Pro Recyclingpapier einen Wettbewerb zwischen kommunalen Verwaltungen aus, den »Papieratlas«. Seitdem ist die Zahl der Städte, die ausschließlich recyceltes Papier verwenden, kontinuierlich von 3 auf 28 angewachsen.
Kaum auszumalen, was möglich wäre, wenn die Wirtschaft sich auch noch in diesen Wettbewerb stürzen würde.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier
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