Warum der Mindestlohn auch dir ans Portemonnaie geht
Egal wie viel du verdienst: Solange wir keinen fairen Mindestlohn haben, subventionierst auch du Menschen, die trotz Arbeit kaum über die Runden kommen.
Anna hat einen Job, der sie fordert und bei dem sie sich kreativ ausleben kann. Die 8 Stunden vergehen meist wie im Flug und sie radelt nach Feierabend meist mit einem Lächeln los, um ihre 3-jährige Tochter bei der Oma abzuholen. Für ein Auto reichen die monatlichen 1.219 Euro Nettolohn nicht. Wohnen in der Großstadt: Ein Privileg für Besserverdiener?
Das macht in Münster – wo ohnehin jeder Zweite mit dem Rad fährt – nichts. Auch für eine Stadtmiete reichen die nicht, sodass Anna in einem der umliegenden Dörfer zur Miete wohnt. Mit Nebenkosten gehen auch da für die
Klischee? Nein. Denn die fiktive Anna bezieht wie fast 2 Millionen Menschen in Deutschland den Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde. Sie heißt Anna und nicht André, weil von den 2 Millionen
Nach 3 Jahren Mindestlohn ist die Wirtschaft (doch) noch nicht zusammengebrochen
Jeder muss von seiner Hände Arbeit leben können!
Bevor der Mindestlohn am 1. Januar 2015 in Kraft trat, überhäuften uns (teilweise selbsternannte) Wirtschaftsexperten mit Untergangsprognosen: Die sogenannten
Die arbeitgebernahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ließ in einer Pressemitteilung verlauten, dass in den folgenden Jahren bis zu 570.000 Arbeitsplätze
Und nun? Nun ist das Gegenteil eingetreten. Der befürchtete »Lohnschock« ist ausgeblieben. Stattdessen haben sich die Arbeits- und Lebensbedingungen von Hunderttausenden Arbeitnehmern verbessert.
»Durch die vielen vorangegangenen, deregulierenden Arbeitsmarktreformen war der Arbeitsmarkt quasi nach unten offen«, erklärt Alexander Herzog-Stein vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Der Mindestlohn hat die rotierende Abwärtsspirale aus Minijobs schließlich zum Stehen gebracht und ein weiteres Abdriften nach unten verhindert.
Dadurch sind seit dem Jahr 2015 tatsächlich viele Minijobs verlorengegangen – diese wurden aber von einer beständig wachsenden Zahl »richtiger« Jobs ersetzt. Ein guter Deal.
Ist der Mindestlohn also rundum eine Erfolgsgeschichte? (Noch) nicht ganz.
In 19 von 20 Großstädten reicht der Mindestlohn nicht zum Leben
Bei allen positiven Entwicklungen, die die Einführung des Mindestlohns mit sich gebracht hat, dürfen wir nicht vergessen: 1.532 Euro brutto sind selbst für Alleinstehende ohne Kind(er) alles andere als eine üppige Existenzgrundlage. Nach Abzug von Sozialabgaben bleiben unterm Strich netto knapp
Großstadtwohnung mit Kind? Fehlanzeige!
Auch das klingt gar nicht schlecht – wäre da nicht die Miete. Und die damit verbundene strukturelle Ungleichheit. Denn während Anna in Münster für eine 60-Quadratmeter-Wohnung die Hälfte ihres Einkommens, im Schnitt 610 Euro, für die Kaltmiete zahlen muss, wird in Leipzig für dieselbe Größe 1/3 weniger, nämlich im Schnitt 400 Euro,
Es wird also eng – selbst mit einem Vollzeitjob und Kindergeld. Und zwar nicht nur in Münster. Nach Berechnungen des IMK reicht der aktuelle Mindestlohn in 19 von 20 Großstädten nicht zum Leben:
Der Mindestlohn wird seinem eigenen Anspruch also (noch) nicht gerecht. Denn immerhin steht im Gesetz, dieser solle einen
Wie kann das sein?
Hartz IV trotz Vollzeitjob
Seit Einführung des Mindestlohns hat sich die Zahl der sogenannten Aufstocker kaum verringert. Aufstocker sind Beschäftigte, die trotz Arbeit Anspruch auf Leistungen aus Hartz IV haben.
Neben den Wohnkosten ist der entscheidende Punkt hier die Frage: Kind(er) oder nicht? Jede fünfte Familie in Deutschland ist eine Ein-Eltern-Familie, meist mit einer Frau als Elternteil. Kommen Wohn-, Familien- und Einkommenssituation zusammen, reicht es mit dem Mindestlohn vorn und hinten nicht. So fällt mehr als
»Der Mindestlohn kann nicht alle Probleme auf einmal lösen. Um Probleme wie diese und unser
Um das zu erreichen, gibt es also noch einiges zu tun.
Schritt 1: Mindestlohn für alle!
Der Zoll muss dringend personell in die Lage versetzt werden, eine ernsthafte Bedrohung für die schwarzen Schafe darzustellen.
Bevor wir über die Höhe des Mindestlohns beraten, steht zunächst die Frage im Raum: Wird der bestehende Mindestlohn überhaupt überall gezahlt?
Die kurze Antwort lautet: Nein. Die etwas längere: Durch Tricks wie Schwarzarbeit wurden im Jahr 2016 bis zu 1,8 Millionen Beschäftigte
Genau das zu verhindern, ist Aufgabe des Zolls. Dem fehlen aufgrund der Sparpolitik des Bundes
Schritt 2: Ein Mindestlohn für ein gutes Leben!
Die Bilanz der ersten 3 Jahre Mindestlohn zeigt: Der Mindestlohn schadet der deutschen Wirtschaft nicht. Die Frage nach der richtigen Höhe bleibt. Mit Blick auf andere Länder landet Deutschland lediglich
Über eine mögliche Anpassung entscheidet die sogenannte
Warum ist das wichtig? Weil wir alle von einem auskömmlichen Mindestlohn profitieren können – ganz abgesehen vom Gedanken einer fairen Bezahlung.
So profitieren wir alle von einem fairen Mindestlohn
Es gibt viele Gründe, die für einen höheren Mindestlohn sprechen, angefangen dabei, wie viel uns als Gesellschaft eine Arbeits- und somit auch Lebensstunde eines Menschen wert sein sollte. Es gibt aber auch pragmatische Gründe. Hier sind 4 davon:
- Mehr Geschlechtergleichheit und weniger Ost-West-Gefälle:
»Vor der Einführung des Mindestlohns haben Minijobs besonders in Ostdeutschland Geschäftsmodelle ermöglicht, die zulasten der Beschäftigten gingen und nur auf deren Kosten rentabel waren«, sagt Alexander Herzog-Stein. So wird auf diese Weise ein wichtiger Beitrag geleistet, um die Ungleichheit zwischen Ost- und Westdeutschland zu reduzieren. Und nicht nur das: Auch die Verdienstlücke von Frauen gegenüber Männern in den unteren Lohngruppen wurde durch den Mindestlohn - Schutz vor schlechten Arbeitsverhältnissen auf Kosten aller:
Schon im Jahr 2014 warnte die Bundesregierung davor, dass Unternehmen die Löhne ohne Mindestlohn immer weiter drücken könnten. Denn wenn der Lohn nicht zum Leben reicht, wird schließlich durch Hartz IV
Dieses Problem wurde durch die Lohnuntergrenze maßgeblich entschärft. Jedoch zeigt die unverändert hohe Zahl von Aufstockern, dass der Mindestlohn für viele eben noch immer nicht hoch genug ist, um ohne Zuschüsse aus Hartz IV über die Runden zu kommen. So muss noch immer aus Steuermitteln der Allgemeinheit subventioniert werden, insbesondere weil die Wohnkosten in Deutschland fast überall erheblich gestiegen sind – - Weniger kleine Renten, die die Gesellschaft aufstocken muss:
Der Vorteil von sozialversicherungspflichten Jobs gegenüber Minijobs ist klar: Mit ersteren kann in die Sozialkassen eingezahlt werden, aus denen solidarisch die gesetzliche Krankenversicherung und die Rente gezahlt werden. Das Problem: Es reicht aktuell bei Weitem nicht aus.
Rechnerisch müsste der Mindestlohn nach Angaben der Bundesregierung erneut ordentlich um fast 4 Euro auf 12,63 Euro erhöht werden, damit die Rente am Lebensabend reicht. Wenn also die Untergrenze nicht noch mal einen ordentlichen Sprung macht, kommt uns das später alle teuer zu stehen – denn auch zu niedrige Renten werden aus Steuermitteln aufgestockt. - Der Mehrverdienst kommt der lokalen Wirtschaft zugute:
Was für die Menschen, die lediglich den Mindestlohn verdienen, ein Problem ist, ist ein Vorteil für die Geschäfte nebenan: Das zusätzliche Einkommen aus einem höheren Mindestlohn fließt in der Regel hauptsächlich in Konsum, da der knappe Verdienst
Die Punkte sprechen klar für eine Win-Win-Situation. Wo liegt also das Problem?
Was ist dir eine Dienstleistung wert?
Es ist normal, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände bei der Diskussion um die Höhe des Mindestlohns gegensätzliche Positionen vertreten. Bei der Diskussion um Löhne sollte aber nicht vergessen werden, was Deutschland als Wirtschaftsstandort stark macht:
Wir sind doch nicht wirtschaftlich erfolgreich, weil wir mit Ländern, die sich im wirtschaftlichen Entwicklungsprozess befinden, um die niedrigsten Arbeitskosten konkurrieren. Wir sind erfolgreich, weil wir hochwertige Produkte herstellen.
Was für den Export richtig ist, gilt aber nicht unbedingt für Dienstleistungen wie Haare schneiden oder Pakete ausliefern. Hier kommt jeder Einzelne von uns ins Spiel – und steht in der Pflicht.
Oder hast du noch nie beim Preisvergleich im Online-Shop gezuckt, als du die Versandkosten von gerade einmal 4 Euro gesehen hast? Und dich dann vielleicht
Beim Billig-Friseur bleibt nicht viel für die Angestellten hängen.
Egal wie sich die Mindestlohnkommission also entscheidet, kann sich jeder von uns fragen: Was ist uns eine bestimmte Dienstleistung wert? Nicht umsonst vertreten einige Arbeitgeber die Position, dass ihre Branche – wie
Am Ende geht es für Menschen in den unteren Lohngruppen um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben – im besten Fall mit einer tariflichen Bezahlung über dem gesetzlichen Minimum. Der Mindestlohn allein wird das nicht richten. Stattdessen müssen wir uns endgültig vom Mantra verabschieden, möglichst viel möglichst billig konsumieren zu wollen. Denn die von uns gesparten Euro müssen am Ende Andere für uns zahlen.
Mit Illustrationen von Isabell Altmaier für Perspective Daily