»Politik und Wissenschaft werden es nicht bringen. Jetzt sind die Juristen an der Reihe!«
Der Jurist und ehemalige Bundestagsabgeordnete Hermann Ott will Konzerne und Regierungen vor Gericht zum Klimaschutz zwingen. Denn die kommen ihrer wichtigsten Pflicht nicht nach.
Die Naturwissenschaft hat ganze Arbeit geleistet: Wir wissen fast alles über den Klimawandel, Umweltverschmutzung und die Zerstörung der Natur sind seit Jahrzehnten bis ins Detail vermessen. Geändert hat sich seitdem … viel zu wenig.
Deshalb fragen sich seit geraumer Zeit auch Soziologen und Psychologen: Die Antworten sind da – aber sie brauchen Zeit.
Zeit, die wir bei einigen Entscheidungen nicht haben – etwa beim Ausstieg aus der Braunkohle. Deshalb ruft Hermann Ott jetzt eine neue Kraft auf den Plan, um den dringend nötigen Wandel voranzubringen: die Juristen. Die Gesetze seien längst da, sagt der ehemalige Bundestagsabgeordnete. Sie müssten nur eingehalten werden.
Deshalb hat er am 1. September in Berlin die Pforte des deutschen Büros der internationalen Umweltrechtsorganisation Die Organisation zieht Regierungen und Konzerne vor Gericht, um sie zum Klimaschutz zu zwingen. Wie das – jetzt auch in Deutschland – funktionieren soll, erklärt er im Interview.
Felix Austen:
Herr Ott, erklären Sie uns bitte mal, warum jetzt ausgerechnet Juristen die Erde retten sollen – wenn schon Wissenschaftler und Politiker es nicht hinbekommen?
Hermann Ott:
Politik und Wissenschaft werden es ehrlich gesagt nicht bringen. Ganz einfach, weil wir dafür gesellschaftliche Veränderungen brauchen. Und die in Gang zu setzen, schafft weder Politik noch Wissenschaft.
Das Recht ist nicht so starr, wie oft angenommen wird. Es ist ständig in Bewegung. Gerade die sogenannte strategische Prozessführung zielt darauf ab, es weiterzuentwickeln. Zum Beispiel, indem ein Prozess auf Missstände aufmerksam macht. Selbst wenn ein Fall dann erst mal erfolglos zu sein scheint, kann das zugehörige juristische und mediale Echo am Ende für einen »Erfolg« sorgen. Etwa weil ein Gesetz neu interpretiert wird oder weil sich nachfolgende Gerichtsentscheidungen in ähnlicher Richtung häufen.
Maren Urner:
Es geht also auch darum, die Symbolkraft zu nutzen?
Hermann Ott:
Ja, und die kann sehr schnell wirken. Manchmal ist es wie bei einer asiatischen Kampftechnik, bei der man ganz woanders ansetzt, um das eigentliche Ziel zu erreichen.
Manchmal muss man gegen eine Organisation oder Stadt klagen, die gar nichts dafür kann. Einfach weil sie von der Bundesregierung im Stich gelassen wurde und noch keine Handhabe gegen das Problem haben kann.
Maren Urner:
In den Niederlanden hat die Organisation »Urgenda« es ja geschafft, dass Schlackern der Bundesregierung angesichts solcher Beispiele schon die Knie?
Hermann Ott:(lacht) Das weiß ich nicht. Aber wer dort ein bisschen Gespür hat, wird wissen, dass solche Entwicklungen schnell Staatsgrenzen überschreiten und auch Deutschland berühren werden.
Deutschland ist nicht der Vorreiter in Sachen Klimaschutz, als den es Politiker in den Sonntagsreden gern darstellen. Alle Bundesregierungen seit 2005 haben die Energiewende im Stich gelassen, sie sogar teilweise ins Gegenteil verkehrt. Auch die jetzige Bundesregierung ist wieder gut im Versprechen-Machen, Und das, obwohl wir wissen: Das Zeitfenster, in dem etwas geschehen muss, wenn wir das
einhalten wollen, wird immer kleiner.
Maren Urner:
Genau dieses Wissen präsentieren uns ja die Naturwissenschaftler immer wieder. Die haben also ihren Teil getan?
Hermann Ott:
Ja, in der Tat, das haben sie! Gleichzeitig haben die Sozialwissenschaftler dafür gesorgt, Eben wegen bestehender Strukturen – Dank ihnen wissen wir, wie schwer es ist,
Vielleicht sind jetzt also wirklich die Juristen an der Reihe, zunächst einmal dafür zu sorgen, dass das Recht eingehalten wird – sowohl von Unternehmen als auch von Staaten. Und dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Rechte auf und auch ihre durchsetzen können. Gleichzeitig muss das Recht weiterentwickelt werden – wir brauchen ein Recht, das dem 21. Jahrhundert und dem
angemessen ist. Ein Recht, das das friedliche Zusammenleben zwischen Mensch und Erde regelt. Gelingt uns das nicht, sind wir die Verlierer!
Es wird Zeit, dass den Sonntagsreden jetzt Taten folgen!
Maren Urner:
Und darum brauchen wir eine Anwaltskanzlei für die »Mandantin Erde«?
Hermann Ott:
Der Name ClientEarth ist genial! Er soll verdeutlichen, dass wir eine gemeinnützige Anwaltskanzlei sind, die nur im Interesse der Erde und ihrer Bewohner arbeitet. Wir sind nicht darauf angewiesen, Mandanten mit viel Geld zu finden, sondern können uns die Fälle für die Erde selbst aussuchen.
Maren Urner:
Aber geht es nicht darum, den Menschen klarzumachen, dass es beim Klimaschutz nicht nur um Umweltschutz, sondern eben auch um »Menschenschutz« geht?
Hermann Ott:
Mit dem Konflikt zwischen Umwelt- und Menschenschutz schlagen sich alle herum, die sich mit dem Thema beschäftigen. Ich bezeichne mich schon seit vielen Jahren nicht mehr als »Umweltschützer«, sondern als »Menschenschützer«.
Denn die Erde kann eigentlich prima auf sich selbst aufpassen. Dann dauert es wahrscheinlich ein paar 100 Millionen Jahre, bis es eine neue Intelligenz auf diesem Planeten geben wird, die es dann hoffentlich etwas besser macht als wir.
Trotzdem finde ich den Namen ClientEarth gut gewählt, weil die Erde die einzige Heimat ist, die wir haben. Wir sehen unsere Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass sie das noch lange bleibt.
Felix Austen:
Wir stellen uns Ihre Arbeit ein wenig so vor wie bei den Dieselverboten, als die Deutsche Umwelthilfe vergangenes Jahr Städte mit der Begründung verklagte, Ist das vergleichbar?
Hermann Ott:
Das Dieselverfahren ist tatsächlich ein klassisches Beispiel für die strategische Prozessführung – und einer der genialsten Hebel, um Regierungen und beteiligte Industrien zu zwingen, rechtliche Vorgaben einzuhalten. Mit Unterstützung von ClientEarth verklagt die Deutsche Umwelthilfe Städte, um die Bundesregierung und die Autoindustrie zum Handeln zu bringen.
Maren Urner:
Sie haben eben schon kurz die beiden möglichen Adressaten von Klimaklagen erwähnt: Staaten und Unternehmen. Beginnen wir mit den Unternehmen – wie können wir uns das vorstellen?
Hermann Ott:
Klagen können sich gegen Unternehmen richten, die Klima und Umwelt schädigen – da gibt es bereits einige. Zum Beispiel und gegen die zweite Ostsee-Pipeline
Mittlerweile können Bürger dafür auch den Weg sogenannter Verbandsklagen wählen. Während früher nur jemand klagen konnte, wenn sein Eigentum oder seine Rechte unmittelbar bedroht waren, ist das für Verbandsklagen nicht nötig. Das Verbandsklagerecht sichert das Recht zu, auch
Felix Austen:
Und das soll dann auch auf staatlicher Ebene funktionieren?
Hermann Ott:
Ja, genau. Bleiben wir dafür kurz bei der Kohle. Klar ist: Deutschland muss schleunigst aus der Kohle aussteigen. Aber was da in der sogenannten im Moment verhackstückt wird, sieht nicht danach aus, als ob wir die dreckigsten CO2-Schleudern in den kommenden Jahren abschalten werden – was allerdings dringend nötig ist. Irgendein falscher »Kompromiss« für einen sogenannten »Ausstieg« bis 2040 ist nicht genug! Dann ist es zu spät. Liefert die Kohlekommission nicht, muss der Klimaschutz juristisch durchgesetzt werden.
Bei der Frage nach dem Kohleausstieg kann ein Hebel über den Schutz der Gesundheit und den Klimaschutz ganz allgemein angesetzt werden. Oder eben über beteiligte Staaten wie die Bundesregierung, ihre eingegangenen Verpflichtungen auch einzulösen.
Maren Urner:
Die Verpflichtungen in Bezug auf
Hermann Ott:
Zum Beispiel! Der Klimawandel hat qua Aufmerksamkeit – auch medial – Wenn sich innerhalb eines Jahres, wie 2015 der Fall, 2-mal mehr als 120 Staats- und Regierungschefs in New York und Paris treffen, um zu sprechen, hat es das Thema auf die Liste der wichtigsten globalen Angelegenheiten geschafft. Der Klimawandel ist auf der Anerkennungsebene voll in der Gegenwart angekommen.
Doch auf der Aktionsebene ist das Pariser Abkommen schwach – es enthält ganz bewusst keine verbindlichen Pflichten. Allerdings gibt es immerhin zum ersten Mal ein rechtsverbindliches Dokument mit dem Ziel, Genau das können und müssen wir nutzen. Worte sind nicht »nichts« – sie begründen Erwartungen und auf der rechtlichen Ebene Pflichten. Diese Pflichten sind einklagbar – genau dabei will ClientEarth helfen. Es ist kein Wunder, dass sich die Zahl der Klimaklagen seit 2015 stark erhöht hat.
Maren Urner:
Können wir über die staatliche Ebene hinaus noch eine Ebene weitergehen und das Völkerrecht bemühen?
Hermann Ott:
Es gibt nicht wenige Völkerrechtler, die mit Verweis auf Urteile des internationalen Gerichtshofs darauf verweisen, dass schon jetzt eine Verpflichtung der Staaten besteht, keinen Schaden in anderen Staaten durch CO2-Emissionen zu verursachen – ganz ohne Pariser Abkommen, sondern allgemein nach dem Es wäre also möglich, auch Staaten nach dem allgemeinen Völkerrecht zur Verantwortung zu ziehen.
Maren Urner:
Es gibt also die Möglichkeit, Staaten auf verschiedenen Ebenen, aber auch Konzerne zu verklagen. Welchen Weg halten Sie für
Hermann Ott:
Ich würde da gar keine Hierarchisierung einführen. Es kann sehr effektiv sein, gegen einzelne Kohlekraftwerke vorzugehen. Eben weil ein erfolgreicher Fall auch andere zum Rückzug oder Abschalten bewegen kann.
Aber in der eigentlichen Pflicht – und ich glaube, da sind sich alle einig – sind natürlich der Staat und die Regierungen. Sie setzen die Rahmenbedingungen für unternehmerisches und gesellschaftliches Handeln. Ein Rechtsstaat zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass das Recht unterschiedslos für alle gilt und bestehende Gesetze umgesetzt werden. Genau daran mangelt es aber zu oft!
Felix Austen:
Es geht also in erster Linie darum, den Staat daran zu erinnern, seinen Pflichten nachzukommen?
Hermann Ott:
Ja, an allen Ecken und Enden wurde in den letzten Jahrzehnten so lange gespart, dass den Verwaltungen für die Durchsetzung von Umweltnormen oder auch für die die Kräfte fehlen.
Das darf nicht sein und führt zu einem weit verbreiteten Unmut, einem Unsicherheitsgefühl und Frustration. Das erfüllt mich mit großer Sorge. Wir müssen den Staat daran erinnern, dass er bestimmte Aufgaben hat, für die er existiert. In diesem Fall für die Gesundheit und das Leben der Bürgerinnen und Bürger. Genau dabei kann das Recht eine große Rolle spielen!
Maren Urner:
Sie waren selbst in den Jahren 2009–2013 für die Grünen im Bundestag und haben danach für das Wuppertal Institut gearbeitet. Wie politisch sehen Sie Ihre neue Aufgabe bei ClientEarth?
Hermann Ott:
Nicht parteipolitisch, aber auf jeden Fall sehr politisch! Es geht darum, mit allen Parteien und Fraktionen im Bundestag, in den Ländern und in den Kommunen ins Gespräch zu kommen, um möglichst optimale Ergebnisse für den Umwelt- und Klimaschutz herauszuholen.
Ich wehre mich gegen einen verengenden Politikbegriff, der nur offizielle, hauptamtlich tätige Politiker umfasst. Politik umfasst alles, was im öffentlichen Interesse steht.
Maren Urner:
Und was kann jeder Einzelne in Bezug auf den rechtlichen Weg machen?
Hermann Ott:
Sich bei mir melden! Unsere Tür in Berlin ist seit dem 1. September geöffnet und jeder ist herzlich eingeladen, mich über BUND, NABU oder welche Organisation auch immer zu kontaktieren. Oder mir einfach eine E-Mail (an hott@clientearth.org) zu schreiben – oder persönlich vorbeizukommen!
Maren ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster. Nach dem Studium der Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, Kanada und den Niederlanden wurde sie am University College London promoviert. 2016 gründete sie Perspective Daily mit und war bis 2019 Chefredakteurin und Geschäftsführerin.
von
Felix Austen
Der Physiker Felix begrüßt den Trend zu Hafermilch und fährt gern Rad. Er weiß aber auch, dass das nicht genügen wird, um die Welt vor der Klimakatastrophe und dem Ökokollaps zu bewahren. Deshalb schreibt er über Menschen, Ideen und Technik, die eine Zukunft ermöglichen. Davon gibt es zum Glück jede Menge!