»80% der Menschen interessieren sich einen Scheiß für irgendwas und machen alles mit«
Der Sozialpsychologe und Bestseller-Autor Harald Welzer will niemanden mehr davon überzeugen, die Welt zu retten. Er schreibt lieber Bücher für Menschen, die sich längst fragen, wie das geht. Doch auch die machen häufig denselben Fehler.
15. August 2018
– 9 Minuten
Wolfgang Schmidt
Die Autoindustrie gehört abgeschafft. Eltern, die ihre Kinder über die Straße begleiten, aber nicht demonstrieren gehen, sind wahnsinnig. Und Klimaforscher fördern einen Tunnelblick, weil sie nicht verstehen, was Gesellschaft ist.
Harald Welzer denkt seit 40 Jahren darüber nach, wie sich Gesellschaften positiv verändern lassen – und macht gern klare Ansagen. In seinen Büchern, auf Podien oder im Fernsehen erklärt er, dass Veränderung Zeit braucht und es keine Garantie für einen erfolgreichen Ausgang gibt. Genau darum müssten wir experimentieren, sagt er im Interview. Denn das »Experiment Kapitalismus« hält er für gescheitert.
Maren Urner:Warum stehen Sie morgens auf?
Harald Welzer:
Weil ich Lust zum Leben habe!
Maren Urner:Und das, obwohl Sie seit 40 Jahren Nachhaltigkeit predigen. Wie frustriert sind Sie dabei und was spornt Sie an, weiterzumachen?
Harald Welzer:
Wenn man das Privileg hat, gut zu leben, und solche Handlungsspielräume wie in westlichen Demokratien, dann hat man kein Recht auf Pessimismus und Frustration. Dann hat man
Felix Austen:Einige Klimawissenschaftler leiden an Depressionen. Sind davon auch Transformationswissenschaftler betroffen?
Harald Welzer:
Nein, denn wir gehen anders vor. Die Klimawissenschaft – so bemüht und fruchtbar sie ist – hat ein großes Manko: Die Klimawissenschaftler verstehen nicht, was Gesellschaft ist, sie verstehen nicht, was Kultur ist, sie verstehen nicht, was Psychologie ist. Das ist kein Vorwurf, das liegt nur einfach nicht in deren wissenschaftlicher Ausbildung. Die Vorstellung zu haben, dass, daraus das erwünschte Handeln resultiert, ist eine irreale Vorstellung.
Insofern sind viele der Probleme, die wir im Moment haben, hausgemacht. Man muss in Rechnung stellen, dass wir eine dass Leute konsumabhängig sind, dass sie sich in vielfältigen Suchtstrukturen befinden, in denen sie sich auch befinden sollen. Vor diesem Hintergrund kann man nicht so einen Unfug verkünden wie ein politisches
und sich dann wundern, dass niemand darauf hört.
Unsere ganzen wirtschaftlichen Grundparameter sind darauf eingestellt, dass immer mehr Emissionen produziert werden, und nicht das Gegenteil davon.
Maren Urner:Und was ist die Alternative, damit wir hier in Zukunft noch leben können?
Harald Welzer:
Die Alternative ist, darüber nachzudenken, wie wir die Grundbedingung moderner Gesellschaften, also die freiheitliche demokratische Ordnung, auf einen anderen Stoffwechsel bauen – einen, der tatsächlich Nachhaltigkeitsstandards erfüllt.
So hat übrigens auch die frühe Ökologiebewegung angefangen. Die hat sich nicht auf Windräder sondern über die Veränderung der Gesellschaft nachgedacht und sie auch gefordert.
Der Physiker Felix begrüßt den Trend zu Hafermilch und fährt gern Rad. Er weiß aber auch, dass das nicht genügen wird, um die Welt vor der Klimakatastrophe und dem Ökokollaps zu bewahren. Deshalb schreibt er über Menschen, Ideen und Technik, die eine Zukunft ermöglichen. Davon gibt es zum Glück jede Menge!
von
Maren Urner
Maren ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster. Nach dem Studium der Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, Kanada und den Niederlanden wurde sie am University College London promoviert. 2016 gründete sie Perspective Daily mit und war bis 2019 Chefredakteurin und Geschäftsführerin.