Mein erster Gedanke: »Die blöde Kuh, die muss doch einfach mal wieder ordentlich …«
Der zweite: »Hm, vielleicht hat sie einfach nur recht.« Der Bestseller-Autor und Journalist Hajo Schumacher hat sein Leben lang versucht, ein »echter« Mann zu sein. Jetzt hat er es aufgegeben – und sucht nach etwas anderem.
1. Oktober 2018
– 15 Minuten
Annette Hauschild
»Du musst!«
»Stell dich nicht so an!«
»Weichei!«
Sein Leben lang hat Hajo Schumacher getan, was er tun musste. Genauer gesagt: was er glaubte, tun zu müssen – als echter Mann. Er hat im Alleingang die Familie ernährt, hat sich Wochenende um Wochenende zu Laufwettkämpfen gequält, um als toller Hecht dazustehen. Jegliche Selbstzweifel hat er mit ironischen Sprüchen beiseitegeschoben. Alles, um sich und der Welt zu beweisen, dass er ein ganzer Mann ist.
Damit ist jetzt Schluss. Er kann nicht mehr und er will nicht mehr. Statt sich weiter zu quälen, tut er jetzt Dinge, die er früher nur qualvoll ertragen hätte: Er denkt über seine Ängste nach. Menschen, die ihn kritisieren, ernst nehmen. Mit seiner Frau offen über Probleme reden. Und sogar Yoga, Meditieren und Paar-Seminare genießt er zwischendurch, ohne dass ihn sein alter »Ironie-Kasper« wieder übermannt.
Über die Herausforderungen zwischen altem Chauvi-Hajo und neuem Versteher-Hajo schreibt er in seinem neuen Buch »Männerspagat« – und spricht mit uns im Interview darüber.
Maren Urner:
Hajo, seit ich als Gründerin im Journalismus in einer männerdominierten Welt unterwegs bin, bekomme ich immer stärker das Gefühl, dass ich in erster Linie als Frau und nicht als Mensch wahrgenommen werde. Bin ich erst Frau oder Mensch?
Hajo Schumacher:
Ersetze »Frau« durch »Migrant«, der aus einer anderen Kultur nach Deutschland kommt und im normalen Alltag landet. Der denkt sicher – wie du als Frau in der Gründerszene: »Boah, hier gibt es echt Unterschiede!«
Was du erlebst, ist kein »weibliches Erleben«, sondern ein »Verschiedenheitserleben«. Natürlich sind Männer und Frauen verschieden. Auf der anderen Seite – wir beide kennen uns jetzt ein wenig – würde ich sagen, dass es zwischen dir und mir weniger Unterschiede gibt als zwischen dir und Alice Weidel.
Verschiedenheit, klar, aber eben nicht Gegensatz im Sinne von feindlich. Ich glaube, das ist der Wechsel, den wir hinbekommen müssen. Weg von der Der aktuelle amerikanische Präsident ist doch nicht nur antifeministisch oder anti-Frau, der ist anti-Ausländer, anti-Armut, anti-schwarz, anti-alles-Mögliche! Genauso suchten sich AfD und PEGIDA andere Sündenböcke, wenn sie nicht die Ausländer hätten. Vor 5 Jahren haben die vielleicht noch Fußballfans vermöbelt, die nicht zu ihren Klubs gehörten, weil sie anders waren, jetzt sind es die Ausländer und in 3 Jahren sind es die Schwulen.
Felix Austen:
Du plädierst dafür, die ganzen Unterschiede zu vergessen. Bis auf einen: Gut gegen Böse, also gute Männer und gute Frauen vereint gegen böse Männer und böse Frauen. Was ist denn für dich Gut und Böse?
Hajo Schumacher:
Für mich ist der Unterschied der zwischen einer modernen, liberalen, aufgeklärten Demokratie und einer rückwärtsgewandten Autokratie. Die Guten sind die, die aber trotzdem ein gemeinsames Regelwerk haben.
Felix Austen:
An welches Regelwerk denkst du?
Hajo Schumacher:
Ich finde ja Da steht nicht drin, du darfst hier und da nicht geboren sein, du darfst diese oder jene sexuelle Orientierung nicht haben. Darin stehen keine sondern Wenn sich die Guten schon mal darauf verständigen könnten, den Sinn des Grundgesetzes zu akzeptieren, hätten wir viel gewonnen. »Dieses Gegensatz-Denken ist das Toxische, egal ob Mann-Frau, Inländer-Ausländer oder Schalke-Dortmund.«
Felix Austen:
Für dich scheint der Begriff »Feminismus« sehr vorbelastet. Du schreibst über viele negative Assoziationen und forderst jetzt einen neuen Maskulinismus. Das fanden wir sehr einleuchtend. Aber warum er den Feminismus ablösen soll, leuchtet uns nicht ganz ein.
Hajo Schumacher:
Das habt ihr falsch verstanden. Der Feminismus muss auf seine eigene Abschaffung hinarbeiten, denn der Das gilt für den Maskulinismus natürlich genauso.
Es ist die Falle der Polarisierung, in die ein – ich nenne ihn mal – »radikaler Feminismus« tappt. Wir gegen die. Dieses Gegensatz-Denken ist das Toxische, egal ob Mann-Frau, Inländer-Ausländer oder Schalke-Dortmund. Da sind die Frauen auf einmal die Besseren. Und das jetzt bitte nicht falsch verstehen!
Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die Frauenwelt die Schnauze voll hat von diesen ganzen patriarchalen Ritualen und dass sie sagt: »Die Hälfte gehört uns.« Aber ich würde mich freuen, wenn diese Frauen ein klein wenig Verständnis dafür haben, dass das dauert. Wer wie ich in den 1970er- und 1980er-Jahren sozialisiert wurde, muss ein ganzes Stück Weg zurücklegen, um dahin zu kommen – nicht nur intellektuell.
Maren Urner:
Angenommen, wir wollen die Hand ausstrecken – wie können wir Frauen euch dann entgegenkommen?
Hajo Schumacher:
Ich war nicht Weinstein-mäßig unterwegs, so á la
aber ich habe Sekretärinnen zum Teil In fast 40 Jahren Berufsleben haben mich genau 2 Menschen darauf hingewiesen, dass dieses Gerede und viele andere große und kleine Quatschereien nicht cool sind.
Eine etwas ältere und erfahrenere Mitarbeiterin hat mich irgendwann mal nett, aber bestimmt in die Küche gezogen und mir unter 4 Augen gesagt: »Weißt du Hajo, ich mag dich, hier ist eine nette Arbeitsatmosphäre, alles prima. Aber manchmal hast du so einen übergriffigen, komischen Ton, der mir nicht gefällt.«
Mein erster Mann-Reflex war: »Die blöde Kuh, die muss doch einfach mal wieder ordentlich rangenommen werden!« Dann, im zweiten Moment, folgte Offenheit: »Hm, vielleicht hat sie einfach nur recht. Vielleicht sollte ich ihr verdammt dankbar sein, dass sie das mal ausspricht!« Und wenn sie die Eier hat, es mir zu sagen, gibt es vielleicht 100 oder gar 1.000 andere Menschen, die das Gleiche empfunden haben, es mir aber nie gesagt haben. Für diese Selbstoffenheit, habe ich hart gearbeitet – maskuliner Detox sozusagen.
Maren Urner:
Und wer war Nummer 2?
Hajo Schumacher:
Jetzt machen wir einen großen Sprung in diesen Sommer. Ich war mit meiner Frau mal wieder auf soziologischer Feldstudie auf einem Elektro-Festival, hier irgendwo in Brandenburg. 5.000 Leute, ein paar zusammengenagelte Bühnen, ein paar Zelte. Dort war ich auf einer Diskussionsveranstaltung zum Thema »Was ist von #MeToo geblieben?«, 50–60 Leute zwischen 20 und 30 Jahren.
Da sagt ein junger Mann, der mein Sohn hätte sein können: »Manchmal verstehe ich Sachen nicht. Manchmal kapiere ich nicht, was Frauen für Probleme haben. Oder wo ich vielleicht was falsch mache. Ich würde mir total wünschen, dass die Frauen, mit denen ich zu tun habe, mich an die Hand nehmen und sagen: ›Pass auf, das hier ist nicht in Ordnung.‹« Der überwiegende Teil der jungen Frauen hat sich total empört: »Du spinnst wohl. Jetzt habt ihr uns 5.000 Jahre unterdrückt und jetzt sollen wir euch aus der Scheiße auch noch raushelfen?« Der Typ wollte einfach nur Hilfe und ein offenes Wort, weil er einfach nicht weiß oder spürt, was er tun soll.
Deshalb ist mein Appell an die Frauen: Vergesst nicht, was war. Aber seht auch, dass Jungs und Männer Informationsbedarf haben.
Felix Austen:
Wenn ich offen spreche, muss ich sagen, dass ich dein Buch mit viel Bewunderung, aber auch Mitleid gelesen habe. Viele Probleme, die du beschreibst, sind mir fremd. Wie groß schätzt du den Unterschied zwischen unseren Generationen ein?
Hajo Schumacher:
Hammer-groß! Am Samstag war ich auf einem Journalismus-Festival. Davor habe ich einfach mal alle Passagen aus meinem Buch und meinem Kopf rausgesucht, in denen es um Sozialisierung im Journalismus geht. Das mag euch jetzt vielleicht wie Schwarz-Weiß-Fernsehen vorkommen, aber: Natürlich war meine erste journalistische Station komplett männlich besetzt. Es gab ein oder 2 Frauen, die da aber eher aus Versehen reingerutscht waren. Bei der Süddeutschen und beim »Spiegel« war es genauso. Im »Spiegel«-Büro in Bonn, wo ich Mitte der 90er-Jahre in der Helmut-Kohl-Ära Korrespondent war, lernte ich: Ein Mann fasst keine Tastatur an. Der Redakteur ging mit großer Geste durchs Büro und diktierte. Sekretärinnen waren natürlich Frauen. Wir reden hier von der Mitte der 90er-Jahre!
Maren Urner:
Und wie sah es in deinem privaten Umfeld aus?
Hajo Schumacher:
Die natürliche Vorherrschaft des weißen Mannes habe ich von klein auf gelernt. Mein Vater war Versorger, in unserer Siedlung in Münster hieß es: »Nein, die Frau geht doch nicht arbeiten!« Das würde ja bedeuten, der Mann wäre nicht in der Lage, seine Familie allein zu ernähren. Zweitens wurde die Frau natürlich als Objekt betrachtet, also: Nicht die Frau möchte oder kann arbeiten, sondern der Mann schickt sie. In diesem Satz steckt ein immenser Teil meiner Sozialisierung. »Dieser Versorger-Fimmel ist ganz tief in mir drin, das gestehe ich.«
Zum Glück habe ich eine Schwester, die mit 18 von zu Hause ausgezogen ist, weil sie sich den Vorstellungen unserer Eltern widersetzt hat. Das ging so: »Jetzt machst du eine Banklehre, dann verdienst du schon mal Geld und wir haben dich finanziell von der Hacke. Dann schnappst du dir den stellvertretenden Filialleiter, der ist jung und knackig und hat Perspektive. Dann Eigenheim, Kinder und fertig.« Meine Schwester aber sagte: »Nein, ich will Lehrerin werden!« Und das hat sie auch durchgezogen. Heute wäre sie wahrscheinlich mindestens Professorin geworden, aber für unsere kleinbürgerliche Sicht war schon Lehrerin eine ziemliche Revolution.
Felix Austen:
Wie hat dich diese Sicht dann weiter als Mann geprägt?
Hajo Schumacher:
Dieser Versorger-Fimmel ist ganz tief in mir drin, das gestehe ich. Ich fühle oder fühlte mich als Mann ohne diese Versorgerrolle komisch. Gerade als Freiberufler habe ich ganz viel Panik. So nach dem Motto: »Ach du Scheiße, wenn der Job nichts wird, dann wird es im nächsten Monat aber knapp!«
Da fühle ich mich in meiner männlichen Ehre – so schwachsinnig das auch klingen mag – auf bestimmte Weise verletzt. Und dann kommen diese fiesen Dämonen raus: Dann fange ich an, meiner Frau Vorwürfe zu machen, dann kommt diese passive Aggression: »Die Kuh sitzt den ganzen Tag auf dem Sofa, lackiert sich die Fingernägel, geht Kaffee trinken und ich muss morgen früh aufstehen und rackern.« Und so weiter …
Maren Urner:
Woran siehst du, dass unsere Generation weniger mit diesen Dämonen zu kämpfen hat?
Hajo Schumacher:
Gelegentlich ziehe ich – total altersungerecht – mit meiner Frau nachts durch die Berliner Klubs. Die jungen Menschen, 30 und jünger, sagen dann: »Oh guck mal, jetzt kommen die schon zum Sterben hierher!« oder halten mich für einen Zivilfahnder oder einen Päderasten. Aber ich habe ja meine Frau dabei.
Felix Austen:
Jetzt muss ich kurz dazwischenfragen: Hast du dabei auch immer die roten Schuhe an?
Hajo Schumacher:
Ne, aus praktischen Gründen nicht. Mehr als 10 Meter bringen mich auf den Dingern total um. Mein Respekt gegenüber den Frauen, die den ganzen Tag auf sowas rumlaufen, ist ins Unermessliche gewachsen. Ich würde mir nach 3 Minuten einen Bänderriss holen.
Maren Urner:
Aber zurück zu den Klubs!
Hajo Schumacher:
Den jungen Menschen, die ich in den Berliner Klubs erlebe, ist es völlig egal, wer das Geld ranschleppt. Ob das Mann oder Frau ist, ob das 1/3 zu 2/3 ist, das ist alles völlig egal. Die arbeiten jeder 3 Tage, die teilen sich die Kinderbetreuung und sagen: »Wir machen das, womit wir unseren Interessen, unseren Neigungen und unserem Gerechtigkeitssinn am ehesten entsprechen!«
Felix Austen:
Viele der »alten weißen Männer« – wenn ich das mal so sagen darf – kommen mit diesen neuen Rollenbildern nicht klar. Wie ist es dir gelungen, dich dafür zu öffnen?
Hajo Schumacher:
Es ist auf jeden Fall ein Prozess. Es gab nicht das eine Schlüsselerlebnis, sondern viele. Ein ganz wichtiger Punkt für mich war zum Beispiel die Da ist mir klar geworden, wie das Leben schwuler Männer funktioniert. Ich dachte immer: Mir war nicht klar, was es bedeutet, immer das Gefühl zu haben, etwas verstecken zu müssen oder normabweichend zu sein. »Scheiße, eigentlich spielen wir das Leben unserer Eltern nach!«
Auch das Buch, das ich für war so ein Aha-Moment. Sie hat mir ganz viel von ihrer Geschichte erzählt und warum sie politische Feministin ist – also nicht im Sinne von »Schwanz ab«, sondern zum Beispiel
Und ein dritter wichtiger Punkt ist meine Ehe mit einer glücklicherweise sehr geduldigen Frau. Wir hatten gerade Silberhochzeit – ja, danke für die Glückwünsche. Die hätten wir aber nicht geschafft, wenn wir nicht ungefähr nach der Hälfte der Zeit einen Cut gemacht hätten. Da hatten wir die »übliche Krise«. Das zweite Kind war da und wir stellten fest: »Scheiße, eigentlich spielen wir das Leben unserer Eltern nach!«
Felix Austen:
Was habt ihr mit dieser Erkenntnis gemacht?
Hajo Schumacher:
Wir haben uns ein weißes Stück Papier genommen und uns gefragt: Wenn wir heute noch mal neu anfangen könnten zu leben, ohne Verpflichtungen und ohne Kinder, was würden wir tun? Was wären unsere Wünsche?
Bei mir kam heraus: Ich würde wahnsinnig gern raus aus der finanziellen Verantwortung, die auf mir lastete und mich unglaublich anstrengt. Meine Frau wiederum sagte: Ich würde mich wahnsinnig gern noch mal beruflich neu orientieren, um mit dir auf Augenhöhe zu kommen.
Das heißt: Unsere Interessenlagen waren gleich! Ich wollte weniger und sie wollte mehr. Sie hat also mit Mitte 40 noch mal angefangen, an der Humboldt-Universität Psychologie zu studieren, und ich war erst mal der Hausmann.
In diesem Rollenwechsel habe ich festgestellt, wie unglaublich nervig, anstrengend und belastend dieses alltägliche »Kinder, Hausaufgaben, Elternabend, morgen kommt der Klempner, das Kind ist krank, und so weiter« ist. Also der unfassbar stressige Alltag. Und dachte schnell: »Boah, wie geil ist es eigentlich im Büro!«
Dieser Perspektivwechsel hat uns total gutgetan und wir haben gemerkt, dass wir den anderen viel besser kapieren.
Maren Urner:
Die Frage bleibt aber stehen: Wie hast du es geschafft, diese – ich nenne sie mal – »konstruktive Offenheit« zuzulassen?
Hajo Schumacher:
Das war kein freiwilliger heroischer Akt der Einsicht, sondern eher aus der Überforderung heraus geboren. Tatsächlich hat dabei auch das Psychologie-Studium meiner Frau sehr geholfen. Wir haben einfach Die
Felix Austen:
Bedauerst du es, dass du dich nicht früher für solche Gedanken geöffnet hast?
Hajo Schumacher:
Einerseits ja, denn es gab schon eine Menge Situationen, in denen ich mich heute anders verhalten würde und für die ich mich im Nachhinein schäme.
Ich habe ja die Angewohnheit, manchmal ein bisschen ironisch zu sein. Ich nenne das meinen »inneren Ironie-Kasper«, aber auch ein ironischer Macho ist immer noch ein Macho.
Andererseits bin ich froh, dass ich jetzt an diesem Punkt bin und es klarer sehe. Jetzt kann ich mit meinen Kindern anders umgehen und konnte dieses Buch schreiben. Lernen ist ja nichts Verbotenes! Ich habe das Gefühl, dass in der Debatte, die wir jetzt gesellschaftlich führen, die Möglichkeit des Wachstums gar nicht in Betracht gezogen wird. Da wird »Ironie ist ja vor allem eine semi-intellektuelle Form von Unsicherheit.«
Maren Urner:
Wie geht’s deinem »inneren Ironie-Kasper« denn aktuell? Vermisst du ihn manchmal?
Hajo Schumacher:
Ironie ist ja vor allem eine semi-intellektuelle Form von Unsicherheit. Den Kasper gibt es natürlich noch, aber interessanterweise gibt es außerdem diesen kurzen Zwischenmoment der Reflexion, während dessen mir ein Spruch ganz vorn auf der Zunge liegt und ich dann noch eine Sekunde nachdenke. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich es gelesen oder gehört habe, aber ich finde folgenden Satz ganz wunderbar (bestimmt war ein Mann so klug): »In Momenten des Zweifels, in Momenten des Nachdenkens, in Momenten der Unsicherheit, stell dir eine Frage: Was würde Liebe tun?«
Felix Austen:
Dazu habe ich eine Frage, die dein Ironie-Kasper vielleicht schwer ertragen kann, weil sie ziemlich soft ist. Du schreibst, dass du in den letzten Jahren die Freundschaft zu dir selbst vertieft hast. Ist das leichter geworden, weil der Ironie-Kasper weniger Macht hat?
Hajo Schumacher:
Absolut! Ich dachte zum Beispiel lange, Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich das in Wirklichkeit tue, um meiner Umwelt zu zeigen, was ich für ein toller Hecht bin. Dass ich mich quälen kann, dass ich dieses bekloppte Training absolviere und all so was. An diesem Punkt muss sich der Mensch mal die selbstkritische Frage stellen, wie wichtig die Anerkennung im Außen ist. Womit wir bei der Sinnhaftigkeit von all diesem Statuskrempel wären, bis sündhaft teurem Grillzubehör.
Wenn jetzt an einem Samstagmorgen ein langer Lauf über 3 Stunden ansteht, stelle ich mir die Frage: »Was täte dir wirklich gut?« Und häufig ist die ehrliche Antwort: »Ey, du hast diese Woche du hast viel gearbeitet und eigentlich bist du schon eher im roten Bereich. – Lauf eine Stunde, lauf entspannt. Leg die scheiß Puls-Uhr weg, die pausenlos sagt, dass du zu langsam, zu kurz, einfach schlecht bist.«
Bis heute gibt es keine wirklich überzeugenden Belege, warum Männer 5 Jahre kürzer leben als Frauen und Ich glaube – und das ist jetzt nicht evidenzbasiert –, dass das auch damit zu tun hat,
Maren Urner:
Wir versuchen ja immer lösungsorientiert zu berichten und würden mit dir gern über 3 konkrete gesellschaftliche Ansätze sprechen, um die Polarisierung zu überwinden. Einverstanden?
Hajo Schumacher:
Einverstanden.
Maren Urner:
Nummer 1: Verpflichtende Rollenspiele in Arbeit und Schule.
Hajo Schumacher:
Rollenspiele können ja vieles bedeuten. Ich kann mir zum Beispiel Netzstrümpfe anziehen, weil mich das geil macht und ich das vielleicht lange nicht zugelassen habe. (Was nicht unbedingt das Richtige für den Kindergarten ist.) »Da siehst du ja aus wie eine Frau!«
Aber ihr meint sicher eher die Bereitschaft, sich generell auf Rollenspiele einzulassen. Die erfordert eine gewisse Offenheit. Meine Frau und ich hatten zum Beispiel dieses Paar-Seminar. Es war total spannend zu sehen, wie ein Teil der 10 Paare automatisch auf die Ironie-Ebene gesprungen ist. Weil die Männer es am Ende dann doch als eine Art Herabwürdigung empfunden haben, eine Frau »zu spielen«.
Ein kleiner, aber wesentlicher Lernmoment war für mich folgender: Meine Frau hatte mich und meinen Kleinen im Griechenland-Urlaub auf einer Fähre fotografiert. Abends haben wir das Bild angeschaut. Darauf flogen mir die Haare ins Gesicht und ich hatte unseren Sohn mütterlich im Arm. Meine Frau sagte ganz nebenbei: »Da siehst du ja aus wie eine Frau!«
Vor 20 Jahren hätte ich das noch als genauso eine Art der Herabwürdigung empfunden. In dem Moment habe ich aber zum ersten Mal gemerkt – und wenn ich irgendwas merke, ist das schon gut –, dass ich die Aussage meiner Frau nicht mehr negativ oder herabsetzend empfand.
Maren Urner:
Nummer 2: damit nicht alle Jungs der nächste Bruce Willis sein wollen.
Hajo Schumacher:
Ich glaube, ganz viel passiert am Ende tatsächlich über die Erziehung. Wenn du als Junge einen Vater hast, der so eine toxische Männlichkeit vorlebt, ist es schwierig, sich da raus zu bewegen.
Frauen in Männerberufen sind immer Heldinnen: Raumfahrerinnen, Rennfahrerinnen, Ingenieurinnen. Frauen erobern sich dann die Welt, das ist das Narrativ. Auf Männer in Frauenberufen – also der Mann als Erzieher, als Lehrer, als Altenpfleger – schauen wir mit einer Art gespielter Bewunderung. Denn in Wirklichkeit schauen wir ein bisschen mitleidig auf sie.
Maren Urner:
Das bringt uns direkt zu Nummer 3: Brauchen wir also in der frühkindlichen Erziehung eine Männerquote?
Hajo Schumacher:
Absolut! Der Männertherapeut Björn Süfke erklärt sehr gut, warum die Identitätsbildung bei kleinen Jungen so schwierig ist. Weil sie überwiegend von Frauen umgeben sind. Für die kleinen Mädchen ist die Erzieherin oder die Grundschullehrerin eine relativ klare Identifikationsfigur, die sie kopieren können. Der Junge lernt: Eine Frau ist ein Nicht-Mann! Und ein Mann ist dann eine Nicht-Nicht-Frau. Er muss sich über die Negation definieren. Das heißt, er hat keine positive, klar verständliche Identifikationsfigur, sondern diese schwierigere Umweg-Definition. Deshalb bin ich bei euch: Männer in die Erziehung!
Maren ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Nachhaltige Transformation an der FH Münster. Nach dem Studium der Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, Kanada und den Niederlanden wurde sie am University College London promoviert. 2016 gründete sie Perspective Daily mit und war bis 2019 Chefredakteurin und Geschäftsführerin.
von
Felix Austen
Der Physiker Felix begrüßt den Trend zu Hafermilch und fährt gern Rad. Er weiß aber auch, dass das nicht genügen wird, um die Welt vor der Klimakatastrophe und dem Ökokollaps zu bewahren. Deshalb schreibt er über Menschen, Ideen und Technik, die eine Zukunft ermöglichen. Davon gibt es zum Glück jede Menge!