Hier entsteht die grüne Schule der Zukunft
Verstopfte Klos, einsturzgefährdete Sporthallen und schimmlige Klassenzimmer. Auch in dieser westfälischen Kleinstadt wird es ein bisschen Farbe nicht richten. Darum zieht der Bürgermeister jetzt einen radikalen Plan durch – woher nimmt er das Geld?
Eine Fassade, gestaltet als sattgrüner, vertikaler Garten. Aus den Nistkästen hören die Schüler auf dem Schulhof Vogelgezwitscher. Das ist auch gut für das Klima im Klassenzimmer und sorgt zusammen mit der modernen Dämmung dafür, dass kaum schädliche Emissionen und Energiekosten entstehen. Auch der Strom für die E-Bikes vor dem Gebäude wird von den großen Solarpanelen auf dem neuen, ebenfalls begrünten Dach erzeugt. Ob die Statik wohl zusätzlich totes Holz zulässt, in dem auch noch Insekten ein Zuhause finden würden?
Das klingt zu schön, um wahr zu sein? Tatsächlich schießen mir beim Gedanken an den Zustand deutscher Schulgebäude eher die Horrorbilder von verstopften Klos, einsturzgefährdeten Sporthallen und schimmligen Klassenzimmern in den Kopf. Marode soll es doch fast überall sein, und nirgends ist Geld da, um etwas daran zu ändern.
Die utopische Version der Schule mit Gärten und Vogelgezwitscher passt da nicht so recht rein – noch nicht! Denn sie soll in der kleinen
Wie soll das funktionieren? Und vor allem mit welchem Geld? Eine Schatzsuche.
»Deutsche Schulen sind marode!«
Ja, viele deutsche Schulen sind marode, aber eben lange nicht alle.
Denn jede Kommune, ob groß wie Köln, ob klein wie Lügde, ist selbst dafür zuständig, ihre Bildungseinrichtungen auszustatten und instand zu halten. Und das bedeutet erst mal: Sie müssen zahlen.
Daher spielt die Stadtkasse eine sehr große Rolle dafür, ob die lokale Schule als anregendes Lernparadies erstrahlt oder eher einer beklemmenden Betonkaserne ähnelt. Wer auf eine gut gefüllte Kasse schaut, ist sicher spendierfreudiger als eine Stadtverwaltung, die die letzten Münzen zusammenkratzen muss, um die Turnhalle zu flicken.
In Lügde sieht es gar nicht so schlecht aus. Dank steigender Einkommen- und Gewerbesteuer erwirtschaftete die fast 10.000 Bürger zählende Kleinstadt in den ersten 9 Monaten des laufenden Jahres
Andere Städte in Deutschland können von Zahlen wie in Lügde also nur träumen.
Trotzdem: »Ich wusste, wie notwendig die Sanierung unseres Schulzentrums ist. Aber wir wussten auch, was sie kostet – und was das für Lügde bedeutet hätte«, sagt mir Heinz Reker, Bürgermeister meiner Geburtsstadt im äußersten Nordosten von NRW.
Wenn eine Stadt mit einem ausgeglichenen Haushalt solche Sorgen hat, wie groß muss dann der Graben in Kommunen mit leeren Kassen sein?
Moderne Schulen finden sich verstärkt im Süden und dem Zentrum Deutschlands. Die dortigen Gemeinden profitieren überdurchschnittlich oft von boomenden internationalen Unternehmen in profitablen Gewerbegebieten. Hochbezahlte Arbeitsplätze locken gut ausgebildete Fachkräfte an, die Infrastruktur wird aufpoliert, die Wirtschaft floriert: Fertig ist das attraktive Ballungsgebiet.
Das Schlüsselwort lautet also »Ungleichheit«.
Marode Schulen hingegen finden sich verstärkt in
Die betroffenen Kommunen befinden sich oft schon seit Jahrzehnten in einem Teufelskreis: Vor Ort gibt es zu wenige Unternehmen, die (gute) Arbeitsplätze bieten, die Arbeitslosigkeit steigt und mit ihr die Sozialausgaben. Dadurch fehlt es an Geld für Investitionen, was die Kommune wiederum unattraktiver für Gewerbe, Investoren und junge, gut ausgebildete Menschen macht. So liegt der Anteil der kommunalen Gesamtausgaben für Schulgebäude heute bei nur noch 25%, während es vor 20 Jahren noch 45% waren.
Lügde liegt direkt an der Grenze zu Niedersachsen in Ostwestfalen, also einem eher ländlich geprägten Raum. Im Stadtgebiet selbst sind aber ein großer Elektrodrahthersteller, ein Automobilzulieferer und ein großer Möbelanbieter ansässig. Hinzu kommt, dass in einer Nachbargemeinde ein weltweit aktiver Hersteller für Elektrotechnik mit 2,2 Milliarden Euro Jahresumsatz seinen Stammsitz und zahlreiche Produktionsstätten hat. Das bringt Lügde zwar nicht direkt Gewerbesteuer ein, doch die ansehnliche Einkommensteuer der in Lügde wohnenden Angestellten
It’s the economy, stupid!
Das mag nicht nur den Neid der Kommunen wecken, in denen keine umsatzstarken Arbeitgeber ansässig sind, sondern auch bei der örtlichen Lehrerschaft. Denn genau in diesen Kommunen sind Lehrkräfte vermehrt mit dem Zustand ihrer Schulen unzufrieden. So zeigt eine aktuelle repräsentative Untersuchung, dass nur jede vierte Lehrkraft mit dem Zustand ihrer Schule zufrieden ist. Jede dritte ist unzufrieden oder sehr unzufrieden – überdurchschnittlich viele davon kommen aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen.
»Die Qualität des baulichen Zustandes der Gebäude und die Ausstattung der Schulen sind sehr unterschiedlich «, berichtet die Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe. »Deswegen ist es auch ein Problem, Gelder zur Sanierung einfach blind nach der Zahl der Einwohner einer Kommune zu verteilen.«
Sondern? Und woher kommen die Millionen für die geplante Komplettsanierung in Lügde?
»Es ist kein Geld für Schulen da!«
Doch! Auch wenn es nicht ausreicht.
Die Schwierigkeit für die Kommunen besteht in erster Linie darin, einen möglichst großen Anteil aus den Fördertöpfen abzubekommen. Es ist die gute alte Verteilungsfrage. Aber warum ist die im Falle der Schulen besonders knifflig? Weil es verschiedene Fördertöpfe an mehreren Orten gibt: In Düsseldorf stehen die Landesmittel bereit, in Berlin die Bundesmittel und in Brüssel die EU-Gelder.
In diesem Labyrinth die richtigen Geldtöpfe ausfindig zu machen und dann erfolgreiche Anträge zu stellen ist kein leichtes Unterfangen. »Das schafft man nicht mal so eben nebenbei im Tagesgeschäft«, unterstreicht Gregor Günnewich, Bauamtsleiter der Stadt Lügde. »Wir mussten schon einige Abend- und Wochenendschichten dafür einlegen. Da hilft es, dass wir in so einer kleinen Kommune so ein eingeschworenes Team sind.« Auch die Bezirksregierung habe jederzeit helfend zur Seite gestanden.
Der Lohn für den gemeinsamen Kraftakt: Knapp über 9 Millionen Euro konnten so aus 3 verschiedenen Fördertöpfen des Landes NRW und der EU für die
Und das war dringend nötig. Bei einer Begehung des 1960er-Jahre-Baus des Schulzentrums schlägt mir ein kühler Luftzug entgegen, während ich die Fenster von innen begutachte. Hindurchsehen kann ich kaum noch, das Fenster ist »blind«, weil die Isolierung hinüber ist. Nachtspeicheröfen heizen in jedem Klassenraum gegen die undichten Fenster an, im Winter werden manche Räume trotz 24 Stunden Durchheizens nicht richtig warm. Generell stammen Heizung und Stromversorgung (inklusive eigenem kleinen Umspannwerk unter der Aula) aus den Erbauungsjahren. Auch das alte Flachdach bietet nicht mehr überall Schutz vor der Witterung – stellenweise regnet es rein.
Kein Wunder also, dass das Schulzentrum für die meisten Emissionen der städtischen Gebäude verantwortlich ist. Das ist nicht nur eine Katastrophe für das Klima, sondern auch eine Tortur für Schüler, Lehrer – und die Stadtkasse: 180.000 Euro kommen Jahr für Jahr für den Unterhalt des Gebäudes zusammen, in dem 450 Kinder die Schulbank drücken.
All diese angestauten Mängel zu beheben ist ein Mammutprojekt: »Nach derzeitiger Schätzung kommen da insgesamt 14 Millionen Euro zusammen«, rechnet mir Gregor Günnewich vor. »Das wird das finanziell größte Projekt, das wir bisher in der Stadtgeschichte angegangen sind. Und die Arbeit fängt jetzt gerade erst richtig an.«
Und genau das ist das Problem für viele andere Kommunen. Denn trotz der stolzen Fördersummen muss Lügde von den geschätzten Kosten von 14 Millionen noch immer 5 Millionen Euro aus eigenen Mitteln bestreiten. Mittel, bei denen es vielen anderen Stadtkämmerern angst und bange wird.
»Müssten wir die ganze Sanierung allein bezahlen, dann hätten wir viele Jahre lang finanziell keinen Spielraum mehr gehabt«, erklärt auch Bürgermeister Heinz Reker.
Ärmeren Kommunen fehlt genau dieser Spielraum schon jetzt – ohne dass sie überhaupt nur an eine Sanierung denken können. So banal es klingen mag: Hat eine Kommune nicht ausreichend Ressourcen, bleibt das Geld in den Fördertöpfen liegen. »Jetzt rächen sich die Personalkürzungen der letzten Jahre. Viele Kommunen sind nahezu handlungsunfähig«, klagt auch Udo Beckmann, der als Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) für 164.000 Lehrer spricht.
Am konkreten Beispiel würde das Folgendes bedeuten:
Wir haben das mal beispielhaft für Berlin ausgerechnet. Allein in Berlin müssten 1.000 Kommunalbeamte eingestellt werden, etwa um geeignete Grundstücke anzukaufen, europaweite Ausschreibungen aufzusetzen, Architekten zu finden, Bebauungspläne auszuarbeiten und so weiter.
Die wichtigste Frage ist also: Wie bekommen wir das Geld der Fördertöpfe zu denen, die es am dringendsten brauchen? Mit anderen Worten: Wie können wir die bereits Abgehängten aus dem Teufelskreis befreien?
2 Bausteine gegen die Sanierungsungleichheit
Fairerweise müssen wir aber auch eingestehen: Selbst wenn die Zahl der Fördertöpfe vielfältig ist und alle Anträge richtig laufen würden, würden die Mittel nicht ausreichen. Die
Eine Zahl, gegen die die Investitionen in Lügde wie Kleingeld wirken.
Das sieht auch Marlis Tepe von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft so – und gibt noch einen weiteren Punkt zu bedenken: »Die aktuellen Investitionen von Bund und Ländern sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir müssen schließlich nicht nur die Altlasten bedenken, sondern auch die künftigen Herausforderungen der Schulen sehen.«
Und die sind vielfältig: Sollen Kinder den ganzen Tag in der Schule sein, brauchen wir Mensen und mehr Platz. Alte und neue Schulen müssen barrierefrei werden und es technisch endlich ins
Daraus ergeben sich 2 »Bausteine«:
Baustein 1: Länder und Kommunen nicht allein lassen
»Der Bund profitiert am meisten von den positiven Steuereinnahmen in den letzten Jahren«, gibt Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung zu bedenken und fordert, dass er die Einnahmen nutzt, um »endlich gleiche Bildungschancen für alle, unabhängig vom Wohnort« herzustellen. Denn neben einer modernen Ausstattung der Räume haben auch Raumklima, Lichtverhältnisse und Akustik einen
Aber genau das war lange unmöglich. Das
Im Rahmen des
Nur reichen die 700 Millionen pro Jahr, insgesamt 3,5 Milliarden bis zum Jahr 2022, bei Weitem nicht aus, um dem jahrzehntelang aufgestauten Verfall genug entgegenzusetzen. Das weiß natürlich auch die Bundesregierung. Wohl auch deshalb bemüht sich die Große Koalition aktuell um ein sogenanntes
Baustein 2: Zu unkonventionellen Hilfen greifen
Es ist interessant, dass genau eines der »Problemkinder« unter den Bundesländern bereits im Jahr 2016 ein eher wenig beachtetes Projekt auflegte, um Kommunen unbürokratischer als sonst unter die Arme zu greifen: Das 2 Milliarden Euro starke Programm
Es war genau richtig, dass das Geld nicht als klassisches Förderprogramm, sondern als zins- und tilgungsloser Kredit zur Verfügung gestellt wird. Die Vorgängerregierung hat das wirklich ganz hervorragend gemacht: Unkonventionell und relativ formlos, sodass der bürokratische Aufwand überschaubar war.
Auf diese Weise wird es besonders auch kleineren Kommunen mit wenig Personal ermöglicht, mit weniger Papierkrieg als sonst an die Fördergelder zu kommen. Und ein weiterer Vorteil kommt dazu: »Je nach Richtlinie muss die Kommune bei Förderprogrammen einen gewissen Anteil selbst beisteuern. Selbst wenn 90% der Gelder, zum Beispiel für eine Turnhalle, vom Bund kämen, sind die übrigen 10% schnell mal 100.000 Euro«, erklärt Marlis Tepe von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Das kann bei dem Geld aus »Gute Schule 2020« nicht passieren.
Eines wurde jedoch selbst hier nicht bedacht: Auch Geld aus einem zinslosen Darlehen will beantragt und verplant werden. »Die Zweckbindung von Fördergeldern schließt oftmals Personalkosten nicht mit ein. Im Zweifel muss es auch möglich sein, externes Personal und Know-how für Projekte einzukaufen. Sonst werden die bereits jetzt gut aufgestellten Kommunen eher in der Lage sein, Gelder abzurufen und umzusetzen, als die, die es ohnehin schon schwer haben. Auf diese Weise verstärken wir die gravierenden regionalen Ungleichheiten noch weiter«, gibt Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung zu bedenken.
Wird all das berücksichtigt, könnte das NRW-Modell tatsächlich bundesweit »Schule machen«.
Jedenfalls dann, wenn die bereitgestellten Summen ausreichen. Lügde zum Beispiel hätte mit seinem Anteil von 820.000 Euro aus dem Programm des Landes NRW die Komplettsanierung des Schulzentrums wie gesagt bei Weitem nicht stemmen können.
Würde der Bund sich aber die Vorteile dieses Modells für künftiges zusätzliches Engagement abschauen, würde Förderung gerechter ablaufen. Und endlich dort ankommen, wo sie am nötigsten gebraucht wird, damit wir solche Bilder bald nur noch im Museum finden:
Titelbild: Vanessa Vielhaus - copyright