Warum die Brasilianer auch über unsere Zukunft abgestimmt haben
Brasilien hat gestern einen Faschisten zum Präsidenten gewählt. Jetzt kommt es auf Deutschland an, das Schlimmste zu verhindern.
»Was willst du eigentlich hier in der Dritten Welt?« 5 Jahre habe ich in Brasilien gelebt und immer wieder dieselbe Frage gehört, wenn mein Gegenüber erfuhr, dass ich Deutscher bin. »Bei euch funktioniert doch alles! Ihr habt gute Straßen, gute Krankenhäuser und gute Schulen für alle. Die Wirtschaft läuft, ihr könnt euch
Im größten Land Südamerikas gehen die Menschen auch fleißig arbeiten und zahlen hohe Steuern. Aber sie bekommen dafür –
Der Ruf nach der »harten Hand«
Der Wunsch nach einer harten Hand, nach einem, der Ordnung schafft, war groß. So groß, dass die Wähler über vieles hinweggesehen haben. Über Bolsonaros Rassismus, über seinen
All das zeigte sich in seinen Ansprachen in den vergangenen Wochen überdeutlich. Zuletzt kündigte er in der Woche vor der entscheidenden Wahl die Verfolgung politischer Gegner an, im Stile eines faschistischen Diktators:
Diese
Wer sich ein wenig mit der Lebensgeschichte Bolsonaros befasst, dem wird schnell klar, dass er es ernst meint.
Willst du mehr über Bolsonaros Werdegang wissen?
Dann klicke hier!
Hier geht's zurück
zur kompakten Version.
Jair Messias Bolsonaro (geboren 1955) war Fallschirmjäger im brasilianischen Militär, er ist derzeit Reservist und hält den Rang eines Hauptmanns. Er pflegt bis heute die Nähe zum »Excército Brasileiro«, gibt sich immer wieder als eine Art Sprachrohr der Soldaten. Er ist rechtsextrem und macht keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die Militärdiktatur, die das Land in den Jahren 1964–1985 im Griff hatte. In den 1960er-Jahren geschah der Putsch mit der Begründung, dass die Ordnung wiederhergestellt werden müsse. Damals war Bolsonaro 9 Jahre alt.
Im Jahr 1988 begann Bolsonaros politische Karriere im Stadtrat von Rio de Janeiro, seitdem hat er sich hochgearbeitet, sein Mittel der Wahl ist dabei fast immer die Provokation.
Als die linksgerichtete Präsidentin Dilma Rousseff im Jahr 2016 ihres Amtes enthoben wurde, widmete Bolsonaro als Kongressabgeordneter seine Stimme Coronel Carlos Alberto Brilhante Ustra, dem Mann, der im Militärregime für die Folterungen politischer Gegner zuständig war, auch für die der damaligen Widerstandskämpferin Dilma Rousseff.
Über eine Politikerin der linken Arbeiterpartei PT sagte er einmal, sie verdiene es nicht, vergewaltigt zu werden, weil sie sehr hässlich sei. Bolsonaro ist zum dritten Mal verheiratet und hat 5 Kinder.
Der Politiker flirtet schon seit Jahrzehnten offen mit einem dunklen Kapitel der Geschichte Brasiliens, der Militärdiktatur, die im Jahr 1985 nach 21 Jahren endete. Er sagte immer wieder, dass ein ähnliches Regime auch heute Brasilien mehr Stabilität, Sicherheit und Wirtschaftskraft geben könne. Wer verstehen möchte, warum diese Aussicht für Brasilien so verlockend war und das Land ihn nun trotz seiner brutalen Aussagen zum Präsidenten gewählt hat, muss ein paar Jahre zurückgehen.
Zunächst ins Jahr 2003: Damals kam Luiz Inácio Lula da Silva ins Präsidentenamt. In seiner Zeit erlebte Brasilien einen Aufschwung, der viele Menschen aus der Armut holte und ihnen einen bescheidenen Wohlstand bescherte. Vor allem Erlöse aus der Erdölförderung machten das möglich. Als auf dem Weltmarkt die Preise einbrachen, wurde aus dem Aufschwung die größte Wirtschaftskrise des Landes. Für die neu gewachsene Mittelschicht ging es zurück in die Armut. Die Angst vor dem Abstieg machte aber auch vor wohlhabenderen Kreisen nicht Halt und breitete sich bis ganz nach oben aus.
Hinzu kam der Korruptionsskandal »Lava Jato«, der selbst für brasilianische Verhältnisse gigantische Ausmaße annimmt: Fast
Genau diese Gefühlslage in der Bevölkerung war der Nährboden für den Extremisten Jair Bolsonaro. Von ihm ist bisher keine Verwicklung in den
Er konnte sich so als knallharter Law-and-Order-Mann inszenieren, als der er immer schon gern aufgetreten ist. Offenbar mit Erfolg.
Bolsonaro am Weltzerstörungsknopf
Innenpolitisch hat Bolsonaros Rhetorik jetzt schon dramatische Auswirkungen: Schlägertrupps ziehen durch die Straßen und greifen Transsexuelle, Schwule und Künstler an. Jeder, der offen anders denkt und von der Norm abweicht, kann künftig zum Zielobjekt werden – und der neue Präsident verurteilt die Taten nicht.
So giftig seine Wahl für das Gesellschaftsklima Brasiliens ist, so schädlich ist sie aber auch für das
Seine Äußerungen dazu sind reine Horrormeldungen. Er möchte:
- raus aus dem Pariser Klimaabkommen,
- das brasilianische Umweltministerium abschaffen und es dem Landwirtschaftsressort unterstellen,
- das brasilianische Umweltbundesamt
- indigene Schutzgebiete auflösen und zum Schürfen von Edelmetallen freigeben.
Minen- und Landwirtschaftsunternehmen reiben sich bereits die Hände. Eine schlimme Nachricht für den Amazonas-Regenwald, dessen
Letzte Chance für das Klima
Aber darf man mit einem Mann wie Bolsonaro, für den Demokratie nichts taugt und die
Weil es um die Zukunft der Menschheit geht, kann die Antwort nur »Ja« heißen. Es gibt 3 Gründe, warum Bolsonaro sogar auf Deutschland und die Weltgemeinschaft hören könnte:
- Diplomatie: Deutschland und Brasilien unterhalten seit dem Jahr 2015 Regierungskonsultationen. Das sind formalisierte Treffen, in denen alle Minister und der jeweilige Regierungschef regelmäßig zusammenkommen, um über die
- Finanzen: Die Weltgemeinschaft kann Brasilien einen Tauschhandel anbieten, der schon einmal fast dazu geführt hätte, ein großes Regenwaldgebiet zu erhalten: Geld gegen Wald! Im Jahr 2007 hatte der ecuadorianische Präsident Rafael Correa die Einrichtung eines Entschädigungsfonds angeregt. Im Gegenzug wollte Ecuador darauf verzichten, gigantische Mengen an Rohöl zu fördern, die unter dem
- Wirtschaft: Die Millionenstadt São Paulo ist gemessen an den Beschäftigten der größte deutsche Industriestandort weltweit. Zwar scheint die Stimmung in der deutsch-brasilianischen Wirtschaft dazu zu tendieren, Bolsonaros Wahl positiv zu sehen. Doch die deutschen Unternehmen dürfen sich nicht vor ihrer Verantwortung drücken. Volkswagen etwa, einer der größten deutschen Player vor Ort, kämpft seit Jahren mit der eigenen brasilianischen Geschichte, in der Bespitzelung und
Denn noch weniger als kalkulierbare wirtschaftliche Einbußen kann sich die Welt einen unberechenbaren brasilianischen Präsidenten leisten, der unsere Zukunft abholzt. Es bleiben 12 Jahre.
Benjamin Fuchs hat seit 2013 in São Paulo als freier Brasilien-Korrespondent gearbeitet, vor allem für n-tv und RTL. Er ist in Wuppertal aufgewachsen, hat in Bonn Politikwissenschaft, Philosophie und Medienwissenschaft auf Magister studiert. Anschließend absolvierte er die RTL-Journalistenschule und arbeitete vor allem im Fernsehbereich. Seit August 2018 lebt er wieder in Deutschland.
Mit Illustrationen von Adrian Szymanski für Perspective Daily