Meinung 

Warum die Brasilianer auch über unsere Zukunft abgestimmt haben

Brasilien hat gestern einen Faschisten zum Präsidenten gewählt. Jetzt kommt es auf Deutschland an, das Schlimmste zu verhindern.

29. Oktober 2018  –  8 Minuten

»Was willst du eigentlich hier in der Dritten Welt?« 5 Jahre habe ich in Brasilien gelebt und immer wieder dieselbe Frage gehört, wenn mein Gegenüber erfuhr, dass ich Deutscher bin. »Bei euch funktioniert doch alles! Ihr habt gute Straßen, gute Krankenhäuser und gute Schulen für alle. Die Wirtschaft läuft, ihr könnt euch ohne überfallen zu werden. Hier in Brasilien funktioniert nur die Korruption!«

Im größten Land Südamerikas gehen die Menschen auch fleißig arbeiten und zahlen hohe Steuern. Aber sie bekommen dafür – – vom Staat im Prinzip kaum etwas zurück. Aus Enttäuschung über die massive Korruption und die im Land haben sie jetzt Jair Messias Bolsonaro gewählt. Einen Mann, der die Demokratie verachtet und die Wirtschaft um jeden Preis aus der Krise führen möchte. Auch um den Preis massiver Umweltzerstörung. Für das Klima droht seine Präsidentschaft eine Katastrophe zu werden. Doch die Weltgemeinschaft – und Deutschland insbesondere – kann etwas dagegen unternehmen.

Der Ruf nach der »harten Hand«

Der Wunsch nach einer harten Hand, nach einem, der Ordnung schafft, war groß. So groß, dass die Wähler über vieles hinweggesehen haben. Über Bolsonaros Rassismus, über seinen über den Hass, den er versprüht.

All das zeigte sich in seinen Ansprachen in den vergangenen Wochen überdeutlich. Zuletzt kündigte er in der Woche vor der entscheidenden Wahl die Verfolgung politischer Gegner an, im Stile eines faschistischen Diktators:

Diese werden aus unserem Heimatland verbannt. Es wird eine Säuberung werden, wie sie in Brasiliens Geschichte noch nie vorgekommen ist.Bolsonaro

Wer sich ein wenig mit der Lebensgeschichte Bolsonaros befasst, dem wird schnell klar, dass er es ernst meint.

Willst du mehr über Bolsonaros Werdegang wissen?

Dann klicke hier!

Der Politiker flirtet schon seit Jahrzehnten offen mit einem dunklen Kapitel der Geschichte Brasiliens, der Militärdiktatur, die im Jahr 1985 nach 21 Jahren endete. Er sagte immer wieder, dass ein ähnliches Regime auch heute Brasilien mehr Stabilität, Sicherheit und Wirtschaftskraft geben könne. Wer verstehen möchte, warum diese Aussicht für Brasilien so verlockend war und das Land ihn nun trotz seiner brutalen Aussagen zum Präsidenten gewählt hat, muss ein paar Jahre zurückgehen.

Zunächst ins Jahr 2003: Damals kam Luiz Inácio Lula da Silva ins Präsidentenamt. In seiner Zeit erlebte Brasilien einen Aufschwung, der viele Menschen aus der Armut holte und ihnen einen bescheidenen Wohlstand bescherte. Vor allem Erlöse aus der Erdölförderung machten das möglich. Als auf dem Weltmarkt die Preise einbrachen, wurde aus dem Aufschwung die größte Wirtschaftskrise des Landes. Für die neu gewachsene Mittelschicht ging es zurück in die Armut. Die Angst vor dem Abstieg machte aber auch vor wohlhabenderen Kreisen nicht Halt und breitete sich bis ganz nach oben aus.

Hinzu kam der Korruptionsskandal »Lava Jato«, der selbst für brasilianische Verhältnisse gigantische Ausmaße annimmt: Fast ist auf die ein oder andere Art und Weise darin verstrickt. Viele stolze Brasilianer schämen sich für das, was aus ihrem Land geworden ist.

Genau diese Gefühlslage in der Bevölkerung war der Nährboden für den Extremisten Jair Bolsonaro. Von ihm ist bisher keine Verwicklung in den

Er konnte sich so als knallharter Law-and-Order-Mann inszenieren, als der er immer schon gern aufgetreten ist. Offenbar mit Erfolg.

Jair Bolsonaro wurde gestern zum neuen Präsidenten von Brasilien gewählt. – Quelle: Marcelo Camargo/Agência Brasil

Bolsonaro am Weltzerstörungsknopf

Innenpolitisch hat Bolsonaros Rhetorik jetzt schon dramatische Auswirkungen: Schlägertrupps ziehen durch die Straßen und greifen Transsexuelle, Schwule und Künstler an. Jeder, der offen anders denkt und von der Norm abweicht, kann künftig zum Zielobjekt werden – und der neue Präsident verurteilt die Taten nicht.

So giftig seine Wahl für das Gesellschaftsklima Brasiliens ist, so schädlich ist sie aber auch für das Bolsonaro ist bereit, für den Wirtschaftsaufschwung die reichen Naturschätze Brasiliens zu opfern. Falls es soweit kommt, trägt er mit ihnen auch die Hoffnung der internationalen Gemeinschaft zu Grabe, dem Klimawandel doch noch irgendwie Herr zu werden.

Seine Äußerungen dazu sind reine Horrormeldungen. Er möchte:

  • raus aus dem Pariser Klimaabkommen,
  • das brasilianische Umweltministerium abschaffen und es dem Landwirtschaftsressort unterstellen,
  • das brasilianische Umweltbundesamt schließen,
  • indigene Schutzgebiete auflösen und zum Schürfen von Edelmetallen freigeben.

Minen- und Landwirtschaftsunternehmen reiben sich bereits die Hände. Eine schlimme Nachricht für den Amazonas-Regenwald, dessen für den Kampf gegen die Erderwärmung so wichtig ist. bleiben 12 Jahre, um die Weichen zu stellen und den Klimawandel auf 1,5 Grad Celsius Erwärmung zu begrenzen. Danach könnte es dafür zu spät sein. Ohne das Amazonasgebiet bleibt dafür kaum Hoffnung.

Nie zuvor wurden so große Flächen des brasilianischen Regenwaldes abgeholzt wie in den Jahren 2016 und 2017. – Quelle: Ibama

Letzte Chance für das Klima

Aber darf man mit einem Mann wie Bolsonaro, für den Demokratie nichts taugt und die verhandeln?

Weil es um die Zukunft der Menschheit geht, kann die Antwort nur »Ja« heißen. Es gibt 3 Gründe, warum Bolsonaro sogar auf Deutschland und die Weltgemeinschaft hören könnte:

  1. Diplomatie: Deutschland und Brasilien unterhalten seit dem Jahr 2015 Regierungskonsultationen. Das sind formalisierte Treffen, in denen alle Minister und der jeweilige Regierungschef regelmäßig zusammenkommen, um über die Mit diesem Format unterstreicht die Bundesregierung die Bedeutung und Wertschätzung der deutsch-brasilianischen Beziehungen und kann auch Umweltanliegen betonen und eventuell durchsetzen, ohne zu viel öffentlichen Rummel und den Gesichtsverlust für das Gegenüber zu riskieren.
  2. Finanzen: Die Weltgemeinschaft kann Brasilien einen Tauschhandel anbieten, der schon einmal fast dazu geführt hätte, ein großes Regenwaldgebiet zu erhalten: Geld gegen Wald! Im Jahr 2007 hatte der ecuadorianische Präsident Rafael Correa die Einrichtung eines Entschädigungsfonds angeregt. Im Gegenzug wollte Ecuador darauf verzichten, gigantische Mengen an Rohöl zu fördern, die unter dem liegen. 3,6 Milliarden US-Dollar sollten in einen von den Vereinten Nationen verwalteten Fonds fließen, um das arme Land für Einnahmeverluste zu entschädigen. Es scheiterte schließlich unrühmlich an Diesen historischen Fehler könnte die Bundesregierung jetzt wettmachen und den Brasilianern den Erhalt der »grünen Lunge«, also des Regenwaldes, gemeinsam mit anderen wohlhabenden Staaten »abkaufen«.
  3. Wirtschaft: Die Millionenstadt São Paulo ist gemessen an den Beschäftigten der größte deutsche Industriestandort weltweit. Zwar scheint die Stimmung in der deutsch-brasilianischen Wirtschaft dazu zu tendieren, Bolsonaros Wahl positiv zu sehen. Doch die deutschen Unternehmen dürfen sich nicht vor ihrer Verantwortung drücken. Volkswagen etwa, einer der größten deutschen Player vor Ort, kämpft seit Jahren mit der eigenen brasilianischen Geschichte, in der Bespitzelung und Die Politik muss die Unternehmen hier in die Pflicht nehmen. Sie genießen ein hohes Ansehen und müssen diesen Einfluss geltend machen, statt auf kurzfristigen Profit zu schielen.
Der VW Käfer ist den Brasilianern mindestens so vertraut wie uns Deutschen, denn im größten Land Südamerikas wurde der Wagen bis Mitte der 1990er-Jahre gebaut. – Quelle: Tom Arrowsmith

Denn noch weniger als kalkulierbare wirtschaftliche Einbußen kann sich die Welt einen unberechenbaren brasilianischen Präsidenten leisten, der unsere Zukunft abholzt. Es bleiben 12 Jahre.

Benjamin Fuchs hat seit 2013 in São Paulo als freier Brasilien-Korrespondent gearbeitet, vor allem für n-tv und RTL. Er ist in Wuppertal aufgewachsen, hat in Bonn Politikwissenschaft, Philosophie und Medienwissenschaft auf Magister studiert. Anschließend absolvierte er die RTL-Journalistenschule und arbeitete vor allem im Fernsehbereich. Seit August 2018 lebt er wieder in Deutschland.

Mit Illustrationen von Adrian Szymanski für Perspective Daily

Weitere Artikel für dich

von Benjamin Fuchs 
Jeder weiß: Unsere Arbeitswelt verändert sich radikal und rasend schnell. Nicht nur bei uns vor der Haustür, sondern auch anderorts. Wie können wir diese Veränderungen positiv gestalten und welche Anreize braucht es dafür? Genau darum geht es Benjamin, der erst Philosophie und Politikwissenschaft studiert hat, dann mehr als 5 Jahre als Journalist in Brasilien gelebt hat und 2018 zurück nach Deutschland gekommen ist. Es gibt viel zu tun – also: An die Arbeit!
Themen: Demokratie   Klima   Politik   Südamerika