Dieser Mann nimmt dir die Angst vor dem Tod (zumindest ein bisschen)
Nach der Begegnung mit Bestatter Eric Wrede möchtest du über deinen eigenen Abgang nachdenken.
21. November 2018
– 10 Minuten
Eric Wrede
Zuerst müssen die Särge ausgeladen werden. Gerade erst ist die Lieferung eingetroffen und Eric Wrede hat alle Hände voll zu tun, die schwarz umwickelten, mannshohen Holzkisten über den Backstein zu karren. Für den Bestatter sind sie etwas ganz Besonderes. Seit Jahren sucht er nach nachhaltig produzierten Särgen. Das hier könnten die ersten sein, und chlorgebleichte Stoffauskleidung auskommen. Selbst bei Urnen sei es schwer, Modelle ohne Blechdeckel zu finden. Das macht ihn schon wütend.
Eric Wrede ähnelt dem klassischen Bild eines Bestatters wie ein Punk einem Opernsänger. Mit Ringelpulli und Hund empfängt er mich in seinem Bestattungsinstitut in Berlin Prenzlauer Berg, das er im Jahr 2015 eröffnet hat. Erst als er 30 Jahre alt wurde, entschloss er sich, seine Karriere als Musikproduzent an den Nagel zu hängen und »alternativer Bestatter« zu werden. Mit seinem in dem er Prominente wie Ronja von Rönne, Judith Holofernes und Clemens Schick zum Sterben und Tod interviewte, wurde er bekannt.
Das Wichtigste für ihn sind aber die Menschen, die zu ihm kommen, und das, was sie sich wünschen. Dann kann es auch schon mal vorkommen, dass er über eine Friedhofsmauer kraxelt, um eine Urne wieder auszubuddeln. Nur damit die Angehörigen diese nach der Bestattung zu Hause aufstellen können. Über diese und viele weiteren Erfahrungen mit seiner Arbeit hat er Darüber, wie Bestattungen in Deutschland besser laufen könnten und die Verantwortung jedes einzelnen, sich auf den eigenen Tod vorzubereiten, habe ich mit Eric Wrede gesprochen.
»Hast du jemals einen Verstorbenen gesehen?«
Mit Ende 20 raus aus dem Musik-Business und als Praktikant ab in ein Bestattungsinstitut. Das klingt mutig, aber auch ein bisschen verrückt. Wie ging es dir am Abend vor deinem ersten Arbeitstag?
Eric Wrede:
Ich hatte mein letztes Geld zusammengeklaubt, um mir einen halbwegs gut sitzenden H&M-Anzug zu kaufen. Ich wollte irgendwie dem klassischen Bild entsprechen. Das heißt: Anzug und Krawatte. Ich erinnere mich, dass ich am Abend davor vor allen Dingen geübt habe, wie man Krawattenknoten bindet. Und ich war aufgeregt, weil ich keine Ahnung hatte, was mich erwartet.
Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt nur einmal Verstorbene gesehen – zusammen mit meinem Opa, der KFZ-Mechaniker war. Der wollte mich davon abhalten, beim Autofahren zu saufen. Deshalb nahm er mich nachts zu einem Unfall mit, bei dem 6 Menschen verstorben waren. Damals hatte ich große Angst. Unsere Generation hat so viele Hast du jemals einen Verstorbenen gesehen?
Als Journalistin sehe ich schon so einige Videos und Bilder …
Eric Wrede:
Klar. Aber die Chance, dass ein 20–40-Jähriger in Deutschland einen Verstorbenen bewusst gesehen hat, ist relativ gering. Und je weniger ich weiß, Ich kann das total verstehen.
Du bist inzwischen schon längst kein bibbernder Praktikant mehr, sondern selbst Bestatter. Wie gehst du heute mit den Ängsten anderer um?
Eric Wrede:
Glaub mir, jede Fantasie ist schlimmer als die Realität. Das gebe ich auch Angehörigen mit, die Bammel davor haben, Verstorbene noch einmal zu sehen. Der Lieblingssatz in der Bestattungsbranche ist: »Behalte sie doch so in Erinnerung, wie du sie kanntest.« Aber was löst das denn aus, wenn Bestatter, oder Ärzte dir sagen: »Geh mal lieber nicht hin.«? Wie übel muss das denn sein, was da auf dich zukommt? Menschen, die mit Bestattungen zu tun haben, müssen doch die Kompetenz mitbringen, zu erkennen, welche Ängste so ein paar kleine Worte auslösen können.
Du bezeichnest dich ja nicht ohne Grund als alternativer Bestatter und machst viele Dinge anders als deine Kollegen. Was passt dir an der Branche nicht?
Eric Wrede:
Ich kann der Branche gar nicht so viel vorwerfen, weil die seit Jahren genau das macht, womit sicher 90% der Menschen irgendwie zufrieden sind. Doch wenn ich mein Leben lang nur Trabi gefahren bin, weiß ich nicht, was es sonst noch für Möglichkeiten gibt – ohne das jetzt mit einem Auto vergleichen zu wollen. Die Frage ist: Was brauche ich eigentlich? Was ist mein Bedürfnis in einer Trauersituation?
Was sind denn das für Bedürfnisse?
Eric Wrede:
Ich erlebe bei der Arbeit häufig, wie groß das Bedürfnis ist, zu sprechen. Aber finde erst einmal eine Sprache, um über Tod und Verlust zu reden. Es ist ein bisschen so wie mit der Sexualität. Als Jungen und Mädchen benutzen wir
Eric Wrede:
Ja, genau. Aber mit Mitte 20 bist du hoffentlich in der Lage, normal über Sexualität zu sprechen, ohne sofort einen knallroten Kopf zu bekommen. Das ist eine Kompetenz, die du erlernt hast. Und ich glaube, dass die Funktionsweise beim Tod ähnlich ist. Je weniger du damit zu tun hast, umso härter wird deine Das sind Vermeidungsstrategien. Ich rege mich vor allem über verklärende Sprache auf – die komisch pietätvolle Sprache von vielen Bestattern oder die extrem salbungsvolle Sprache von Religiösen und Spirituellen. Beides kann dafür sorgen, dass eine noch größere Distanz entsteht.
Vielleicht hilft es manchen Menschen auch, eher über das »Einschlafen« zu sprechen als über das Sterben.
Eric Wrede:
Darf ich dich kurz fragen: Was bedeutet denn Hilfe in dem Kontext?
Vielleicht ist es eine Vorstellung, die hilft …
Eric Wrede:
Im Zweifel schiebst du die Realität nur auf. Und nach der hundertsten Nacht, die du allein aufwachst, platzt die Illusion. Versteh mich nicht falsch – klare Sprache heißt nicht harte Sprache. Ich will Leute nicht vor den Kopf stoßen. Ein Beispiel: Wenn du mit einer komplexen Erkrankung beim Arzt bist, bist du doch froh, wenn der eine Sprache findet, Ich halte es möglichst faktisch. Denn ich kann nichts an der Situation verbessern. Aber ich kann verhindern, dass ich es mit meiner Sprache noch schlimmer und schmerzhafter mache.
Sterben in Deutschland
Es gibt noch mehr, was du verändern willst. Gleich zu Beginn deines Buchs lernen wir Familie Schulz kennen. Deren Oma ist verstorben. Ihr Weg zur Bestattung verläuft wie die meisten in Deutschland. Was könnte besser laufen?
Eric Wrede:
Leider entsteht in Deutschland an den meisten Stellen erst einmal Zeitdruck. Oma Schulz verstirbt Nach dem Schock beginnt jetzt für Familie Schulz der schwierigste Teil, nämlich den Körper freizugeben. Im schlimmsten Fall kommen nun 2 Herren, die die Familie noch nie gesehen hat, und werden Oma relativ zügig mitnehmen. Wie kann ich das abfedern?
In einer perfekten Welt habe ich vorab wenigstens schon einmal mit Familie Schulz telefoniert und kenne den Namen der Oma. Vielleicht fahren wir dann ein bisschen langsamer, bis wir sie abholen kommen, auch wenn das Heim tobt. So kann die Familie in einem gewohnten Raum Abschied nehmen. Vielleicht wollen sie Oma selbst anziehen oder ihr noch einmal die Haare kämmen – banale Geschichten, aber der Erfahrungsschatz über die Jahre zeigt, wie stärkend so vermeintliche Kleinigkeiten sind. Ich warte so lange, bis Familie Schulz sagt: »Könntest du bitte jetzt kommen, denn wir sind für uns fertig mit der Situation.« Und nicht andersherum. Alles, was du selbst loslässt, fühlt sich angenehmer an, als wenn es dir entrissen wird.
Wie lange darf ich Oma Schulz denn noch sehen, bevor sie bestattet werden muss?
Eric Wrede:
Ich muss gestehen, dass ich über Bestattung und Sterben in Deutschland so gut wie nichts weiß. Muss ich mir mit meinen 29 Jahren überhaupt schon Gedanken über meinen eigenen Tod machen?
Eric Wrede:
Beantworte dir eine einfache Frage: Gibt es jemanden, der von dir abhängig ist? Gibt es irgendjemanden, für den es zu einer Belastung wird, wenn dir etwas passiert? Mama, Ehepartner oder Miezekatze? Gerade weil du von der schreibenden Zunft bist: und was ist mit deinen Recherchen? Wie geht man damit um? Jeder sollte einmal für sich selbst gucken, wo Abhängigkeiten und Schaden entstehen, wenn einem selbst überraschenderweise etwas Schlimmes passiert. Das ist eine Form von Verantwortung, die man schon wahrnehmen sollte.
Wie wichtig das ist, zeigst du auch in deinem Buch, das mit sehr konkreten Vorstellungen zu deiner Bestattung und deinem Erbe aufmacht.
Eric Wrede:
(lacht) Das mit dem Testament in meinem Buch habe ich ganz klassisch falsch gemacht. Ich habe da meine Beerdigungswünsche hineingeschrieben, die gehören da aber gar nicht hin. Was alles zu beachten ist, dazu haben wir ein Dokument, eine Art Vorsorge zum Einstecken entwickelt. Zusammen mit einem Anwalt haben wir geguckt, was das Minimum ist, das du festhalten kannst.
Du kannst das sogenannte zum Beispiel auf einen alten Schulfreund übertragen und sagen: »Wenn was passiert, möchte ich, dass du verantwortlich bist.« Gerade wenn man so jung ist, hat der Freundeskreis mehr Einblick in das Leben als andere. Wenn du wirklich auch nur kurz darüber nachdenkst, bekommst du sofort ein klares Bild davon, auf was du dabei achten musst. Ich habe ein Baby, einen Hund und mittlerweile ein paar Mitarbeiter, denen gegenüber ich mich verantwortlich fühle und für die ich Regelungen finden musste.
Wieso gibt es Menschen, die mit einem Verlust besser umgehen als andere?
Für Perspective Daily habe ich Ein Mitglied kommentierte dazu:
Alle Religionen dieser Welt thematisieren offen den Tod und geben ihm einen Platz im Alltag der Menschen. Sie tun also genau das, was Betroffene sich mehrheitlich von der Gesellschaft wünschen.
Würdest du zustimmen?
Eric Wrede:
Ich finde religiöse Rituale total gut und wichtig, da sie gewisse Bedürfnisse stillen. Nehmen wir den Katholizismus in Bayern. Dort ist es quasi normal, dass es eine Haus-Aufbahrung gibt. Im Islam treten die Verwandten noch einmal an den Körper heran. Wer glaubt, dass Oma Schulz in ein wie auch immer geartetes Himmelreich kommt, hat seine Antwort gefunden. Es ist nicht meine Aufgabe als Bestatter, das zu bewerten. Ich schaue, wo ich unterstützen kann.
Ich muss auch sagen, dass mir da schlichtweg die Erfahrung fehlt. Die meisten Menschen, die vor mir sitzen, sind nicht religiös – oder nicht mehr. Aber das ist ja auch ein Grund, weswegen es neue Rituale und neue Kulturen braucht.
Wie siehst du denn Menschen ihre Trauer bewältigen?
Eric Wrede:
Was ich hier bei der Arbeit immer wieder beobachte (und ich habe noch keine schlaue Antwort darauf gefunden): Im Zweifel sind alle mit dem gleichen Rüstzeug gestartet. Also warum kriegt die eine Freundin den Liebeskummer nach einem Jahr bewältigt und die andere denkt nach 3 Jahren immer noch, dass ihr Leben zu Ende sei?
Wir sprechen oberflächlich über Tod. Aber eigentlich sprechen wir über eine Kompetenz. Wie akzeptiere ich, dass etwas zu Ende geht? Wie sortiere ich Erinnerungen weg, sodass kein Frust entsteht? Wie kann ich das verstehen, was passiert? Ein Beispiel: Ich muss an den Körper gehen. Ich muss das haptisch haben. Der Nächste kommt um die Ecke und sagt: »Das Einzige, was ich brauche, sind 3 Schnäpse und meine Freunde.« Je früher sich Menschen mit Verlust auseinandersetzen, umso eher treffe ich bei der Arbeit auf jemanden, der eventuell schon eine Ahnung davon hat, was er braucht.
Ich finde, auch Musik hilft: Musik über Tod ist ja immer sehr dramatisch – während ich dein Buch gelesen habe, habe ich Soko gelauscht: »We Might Be Dead By Tomorrow«. Hast du gute Musiktipps, die den Tod mal in ein anderes Licht rücken?
Eric Wrede:
»You Want It Darker« von Leonard Cohen. Da beschreibt er, wie er mit irgendeinem vermeintlichen Gott kämpft und sagt: »Du, wenn das dein höherer Plan ist, dann will ich da nicht mitmachen.« Ich mag Warren Zevons »Keep Me In Your Heart«. Er hat angesichts seiner Krebserkrankung dieses Lied geschrieben und singt, wie er in Erinnerung bleiben möchte. Zevon musste miterleben, dass sein letztes Album, das er todkrank schrieb, das erfolgreichste seines Lebens wurde. Auch alles, was Nick Cave für seinen verstorbenen Sohn geschrieben hat, kann ich empfehlen. Aber eigentlich mag ich Songs, die das Leben zelebrieren. In denen es gar nicht um den Tod geht. Ich denke relativ wenig über den Tod nach. Wirklich! Es ist mein Beruf, aber privat zelebriere ich eher das Leben.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier!
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.