Du glaubst, mit Secondhand machst du alles richtig? Nicht unbedingt!
Worauf du achten musst, wenn du Kleidung wirklich fair und nachhaltig kaufen willst.
Ein Bürokomplex mitten in München: Industriearchitektur, viele junge Menschen, minimalistische Möbel aus Holz; dazu viel Glas, Stahl und Beton. Sieht aus wie ein Büro von Apple, ist aber der »Impact Hub«. Ich bin bei einer Infoveranstaltung von
In kleinen Runden diskutieren wir, welche Angebote die Genossenschaft fördern möchte. Secondhandmode gehört natürlich dazu. Dass der schnelle Konsum von Kleidung problematisch ist, ist inzwischen in vielen Köpfen angekommen. Secondhand ist die nachhaltige Alternative für das gute Gewissen beim Shopping. Ist doch klar, oder? Ich widerspreche. Alle Augen richten sich erstaunt auf mich: Secondhand – nicht nachhaltig?!
Ich habe einige Jahre in einem Münchner Secondhandshop gearbeitet, in dem aus Kleiderspenden Geldspenden für Entwicklungsprojekte gemacht werden sollten. In dieser Zeit habe ich die Branche gut kennengelernt und weiß: Die Gleichung von Secondhand und Nachhaltigkeit geht nicht automatisch auf.
Wohin mit den Textilbergen?
Fast Fashion hat
Die Textilindustrie ist ein ökologisches Desaster. Schätzungen zufolge ist sie für
Jedes fünfte Stück in Deutschland wird von seinem ersten Besitzer nur noch 2 Mal getragen.
Der Verbrauch von Wasser und Erdöl für die Herstellung von Baumwolle und Polyester hinterlässt ausgetrocknete Gewässer und schwer abbaubares Mikroplastik.
Auf die Konsumentinnen scheint das keinen großen Eindruck zu machen. Laut Thomas Ahlmann, Sprecher der Organisation
Längst übersteigt die Zahl der Outfits in unseren Schränken bei Weitem unseren Bedarf.
Wir Deutschen sind Vize-Weltmeister im Shopping: Jährlich kaufen wir durchschnittlich 60 neue Kleidungsstücke. Nur US-Amerikaner kaufen mehr Kleidung. Jedes fünfte Stück in Deutschland wird von seinem ersten Besitzer nur noch 2 Mal getragen. Rund 40% des Inhalts unserer Kleiderschränke tragen wir kaum bis gar nicht, ergab
Aber was passiert mit all den Fehlkäufen, den im Schlussverkauf erstandenen Shirts, Jeans und der zu klein gewordenen Lederjacke?

Müll oder wertvolle Ware?
Das Geschäft mit Altkleidern ist ein ganz besonderes: Es ist millionenschwer, dabei wird eigentlich – im gesetzlichen Sinn – mit Müll gehandelt. Geworben wird aber mit Wohltätigkeit.
Während wir alte Möbel,
Wer profitiert von dem Geld, das mit deiner alten Jeans verdient werden kann?
Dass Altkleider eben kein Müll, sondern wertvoller Rohstoff sind, zeigt der hart umkämpfte Markt: Allein beim Fachverband Textilrecycling sind 97 Unternehmen organisiert. Beim Dachverband der gemeinnützigen Sammler Fairwertung weitere 130 Verbände und Unternehmen. Die meisten sind klein und mittelständisch, den Löwenanteil am Markt aber haben global organisierte Player wie
Wenn wir uns fragen, wie nachhaltig Secondhandmode wirklich ist, müssen wir zuerst verstehen, wie die unterschiedlichen Unternehmen wirtschaften. Wer profitiert von dem Geld, das mit Altkleidern verdient werden kann?
- Gemeinnützige Organisationen, die für soziale Projekte wirtschaften und im Dachverband Fairwertung organisiert sind: Diese Organisationen verpflichten sich, ihre Gewinne ausschließlich für karitative Zwecke zu verwenden, den Verwertungsprozess so weit wie möglich zu kontrollieren und darüber Rechenschaft abzulegen. Sie kooperieren oft mit Kommunen, Kirchen oder Grundbesitzern und entrichten dabei teilweise auch Gebühren für die Aufstellung von Sammelcontainern. Auf den Sammelcontainern ist in aller Regel das Logo des Dachverbands Fairwertung abgebildet.
- Public-private-Partnerships: Kommerzielle Recyclingunternehmen kooperieren in diesen Partnerschaften mit Hilfsorganisationen oder Kommunen. Dabei wird meist ein fester Preis pro Tonne Altkleider an die Organisationen oder die Kommune gezahlt.
- Kommerzielle Sammlungen: Wirfst du deine Jeans in den Container eines rein kommerziellen Anbieters, profitiert keine Hilfsorganisation von der Verwertung. Hier tauchen keine bekannten Logos von Hilfsorganisationen auf.
- Illegale Sammler, die in Deutschland laut Schätzungen bis zu 30% des Marktes beherrschen: Sie stellen Container ungenehmigt auf und werben ebenfalls mit der Hilfe für Bedürftige. Wer hinter den Sammlungen steckt und davon profitiert, lässt sich kaum nachvollziehen. Eindämmen lässt sich der illegale Markt genauso wenig: Zu aufwendig und kostenintensiv wäre eine flächendeckende Kontrolle und Einlagerung bzw. Entsorgung der Container. Zu erkennen sind die Container oft daran, dass bekannte Logos oder Kontaktadressen fehlen.
Darüber hinaus nehmen mittlerweile auch viele Filialen des Einzelhandels gebrauchte Kleidung zurück. So sammelt etwa der Fast-Fashion-Pionier H&M die nicht mehr gewollten Produkte seiner Kollektionen und verkauft sie anschließend an die Unternehmensgruppe für Alttextilvermarktung und -recycling
Argumentiert wird allerdings mit etwas anderem: der ökologischen Nachhaltigkeit. Der Slogan »Recyceln Sie Mode« erweckt den Eindruck, dass aus dem alten H&M-Shirt ein neues wird. Der Anteil des Faser-zu-Faser-Recyclings in den H&M-Produkten beträgt
Das Leben deiner Jeans nach dir
Was passiert mit meiner Jeans, wenn ich sie in einen Container werfe oder bei H&M abgebe? Kommt sie Bedürftigen zugute? Oder landet sie etwa in Afrika und zerstört dort lokale Textilindustrien, weil dann kein Afrikaner mehr Mode von afrikanischen Herstellern kauft? Das waren die Fragen, die mir Kunden im Secondhandgeschäft sehr oft stellten.
Egal auf welchem Weg du deine Jeans abgibst – sicher ist: Zuerst landet sie in einem Sortierbetrieb. Hier wird aus dem Container- oder Paketinhalt ein Produkt für den globalen Markt.

Das Leben deiner Jeans nach dir hängt von ihrem Zustand ab:
- Sieht aus wie neu und ist noch ziemlich schick: Sie wird in die »Creme-Ware« sortiert, die absolute Highlight-Ware, die laut Dachverband Fairwertung 2–4% des gesamten Containerinhalts ausmacht. Secondhandriesen wie Humana und SOEX geben auf Nachfrage höhere Werte von bis zu 15% an. Sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit demnächst in einem deutschen oder westeuropäischen Secondhandshop angeboten.
- Unmodisch oder leicht abgetragen, ohne Löcher, ohne Flecken: Wenn deine Jeans so aussieht, landet sie in einer Sorte mit minderer Qualität (»Qualitäten I–III«) und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Osteuropa (»Qualitäten I und II«) oder Afrika (»Qualität III«) exportiert.
- Mit Löchern oder Flecken: Sie wird der »Recycling-Qualität« zugeordnet und endet als Dämmmaterial, Putzlappen oder Brennstoff.
Geld für das Unternehmen bringt deine Jeans allerdings nur dann, wenn sie noch tragbar ist, sprich: der »Creme-Ware« oder den »Qualitäten I–III« zugeordnet wird. SOEX etwa macht laut eigenen Angaben rund 50% seines Umsatzes mit der »Creme-Ware«, die 6% der Sammelmenge ausmacht. Diese Ware wird vor allem in Deutschland oder Westeuropa verkauft. Die »Qualitäten I–III« werden zu geringeren Preisen nach Osteuropa oder in Länder des globalen Südens exportiert – eine weitere wichtige Einnahmequelle. Alles, was recycelt, besser gesagt:
Die Nachfrage nach getragener Kleidung in Deutschland ist gering, die Sammelmengen riesig. Das bedeutet: Ohne die Verbraucher im globalen Süden oder in der ehemaligen Sowjetunion wäre das Verwertungssystem hierzulande nicht finanzierbar. Ob das für alle Beteiligten nachhaltig gut ist? Darüber streiten NGOs und Branchenvertreter seit den 1990er-Jahren – ohne klares Ergebnis.
Gebrauchtkleidung in einem deutschen Sortierbetrieb
Was landet in den Sortierbetrieben? Dieses Schaubild zeigt dir ein durchschnittliches Sortierergebnis von Gebrauchtkleidung in einem deutschen Verwertungsbetrieb.
Was heißt hier eigentlich nachhaltig?
Eine Frage stellten mir die Kunden im Münchner Secondhandshop nie. Und auch den Mitstreitern für ein faires, nachhaltiges Münchner Konsumangebot, wie es »Transition München« unterstützen möchte, scheint sie nicht in den Sinn gekommen zu sein: Unter welchen Bedingungen wird Secondhandmode eigentlich produziert und verwertet, bevor sie schließlich im Laden landet?
Die Sortierung der Textilmassen erfolgt per Hand, in der Branche ist wenig automatisiert. Die Belegschaft der Betriebe, oft weiblich und unqualifiziert, hat einen körperlich herausfordernden Job. Der Containerinhalt wird stehend sortiert, die Belastung durch die staubintensive Ware ist hoch. Jedes Kleidungsstück wird einzeln begutachtet und nach unterschiedlichen Kriterien bewertet. In großen Sortierbetrieben entstehen bis zu 200–400 »Sorten«, also maßgeschneiderte Produkte für Abnehmer. Der Tariflohn beträgt in Deutschland 9,19 Euro pro Stunde.
Arbeit ist im Altkleiderbusiness ein großer Kostenfaktor. Einer der Gründe, warum immer mehr Sortierleistung in Ländern mit deutlich niedrigeren Löhnen
Das letzte Glied in der Kette: Secondhandshops
Zurück ins minimalistische Büro des Münchner Impact Hubs und zu den Secondhandverfechtern, mit denen ich über fairen und ökologischen Einkauf diskutiere. Ob ich die Nachhaltigkeit von Secondhand grundsätzlich infrage stelle? Nein. Secondhand ist und bleibt die beste Möglichkeit, sich ressourcenschonend einzukleiden und den

Und trotzdem ist Secondhand nicht gleich Secondhand. Diese Fragen solltest du dir beim Shopping gebrauchter Kleider stellen:
Der Kostendruck ist in der Branche deutlich spürbar. Was im regulären Einzelhandel gilt, gilt in der Secondhandbranche umso mehr: Je billiger, desto besser. Alle Secondhandhändler konkurrieren mit Preisen für Neuware, die durch Anbieter wie TK Maxx oder Primark
»Das bekomme ich neu genauso billig«, hörte ich oft in meinem Laden. »Ein T-Shirt kostet bei Primark 3 Euro, warum sollte ich für ein gebrauchtes 5 Euro bezahlen?«
Was du für mehr Nachhaltigkeit tun kannst
Es gibt gute Gründe, warum du die 5 Euro bezahlen solltest. An manchen Stellen sind die nämlich richtig gut investiert … Aber wo?
Fairwertung gibt die zuverlässigste Orientierung. Der Dachverband ist
Darüber hinaus kannst du ganz praktisch etwas tun: die eigenen Kleidungsstücke pflegen, möglichst wenig waschen, reparieren, Ungewolltes tauschen oder umnähen.
Außerdem gibt es viele Möglichkeiten, den Kleiderkreislauf direkt an deinem Wohnort zu schließen:
- Einige Hilfsorganisationen betreiben Shops, in denen Kleidung direkt vor Ort gespendet und sachkundig begutachtet werden kann. Hier kann auch nachgefragt werden, wem oder was die Erlöse zugutekommen.
- Und auch sie sind oft Mitglieder von Fairwertung: Gebrauchtwarenhäuser und Kleiderkammern von karitativen Organisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz oder der Caritas. Dort werden Spenden direkt vor Ort sortiert und für den Verkauf aufbereitet. Sie erfüllen außerdem einen doppelten sozialen Zweck, denn sie beschäftigen
- Unzählige kleinere inhabergeführte Läden bieten Kleidung an, die nach Kommissionsprinzip verkauft wird. Kleidung, die keinen neuen Besitzer findet, wird oft an Kleiderkammern gespendet.
- Auch die Sharing Economy hat Mode als Markt schon längst entdeckt: Gelegenheiten zum Kleidertausch gibt es sicher auch an deinem Wohnort.
»Nachhaltigkeit« wird im Marketing-Sprech vieler Unternehmen inflationär genutzt. Es kann alles bedeuten. Oder nichts. Am Ende kommt es immer darauf an, welches unternehmerische Handeln sich hinter dem großen Wort verbirgt – da ist die Secondhandbranche keine Ausnahme.
Titelbild: Becca McChaffie - gemeinfrei