Warum die Massenproteste in Tschechien ein starkes Signal für die ganze EU sind
Ein Polit-Thriller treibt in Tschechien die Menschen auf die Straße. In den Hauptrollen: der Premierminister, ein vertraulicher Bericht der EU-Kommission und eine Bevölkerung, die sich nicht mehr für dumm verkaufen lassen will.
Die Bilder erinnern an eine Revolution. Zehntausende Menschen forderten vor einer Woche auf dem Prager Wenzelsplatz den Rücktritt von Premierminister Andrej Babiš. Die Veranstalter sprachen sogar von 120.000 Teilnehmern – sollte diese Zahl tatsächlich stimmen, wäre das gemessen an der Einwohnerzahl Tschechiens in etwa so, als würde in Deutschland eine Million Menschen gegen die Regierung auf die Straße gehen.
»Eine Million Augenblicke für die Demokratie« lautet auch das Motto der Proteste in unserem Nachbarland, die ihren Höhepunkt vermutlich am 23. Juni erreichen werden. Für diesen Tag hat die gleichnamige Initiative eine Großdemonstration auf der Letná-Höhe angekündigt, für die tschechische Demokratie ein äußerst symbolträchtiger Ort. Hier fanden schon im Jahr 1989 Massendemonstrationen statt – die damals zum Ende des kommunistischen Regimes beitrugen.
Aber worum geht es heute?
Wenn der tschechische Premierminister Andrej Babiš über sich und das Land spricht, das er regiert, klingt es manchmal, als wäre es ein und dasselbe:
Ich will hier ganz klar sagen: Tschechien wird kein Geld zurückgeben. Ich werde kein Geld zurückgeben. Ich habe keine europäischen oder tschechischen Gesetze gebrochen.
Andrej Babiš ist
Als die politische Karriere des gebürtigen Slowaken im Jahr 2013 so richtig an Fahrt aufnahm, bewies er ein feines Gespür für unterschiedliche Stimmungslagen in der Bevölkerung: den Wunsch, endlich an das Wohlstandsniveau
Anti-EU-Ressentiments hat Andrej Babiš von Anfang an gerne, fleißig und immer ein bisschen plump bedient, vor allem, wenn es um das Thema Migration ging. Dabei hat der ausgefuchste Unternehmer enorm vom EU-Beitritt Tschechiens profitiert: Agrofert und seine Tochterunternehmen gehören zu den ganz großen Empfängern von EU-Subventionen. Der Interessenkonflikt war programmiert, denn über die Vergabe der Fördergelder entscheidet: die Regierung.
Dass es mit der Vergabe von Fördermitteln nicht immer mit rechten Dingen zugegangen ist, beschreibt ein aktueller Bericht der EU-Kommission, der sich ausführlich mit der Causa Babiš beschäftigt und zu dem Schluss kommt: Fördergelder in Millionenhöhe wurden von Agrofert wohl unrechtmäßig eingestrichen und müssten eigentlich zurückgezahlt werden
Meinungsmache gegen die Bürokratie in Brüssel hat Andrej Babiš ins Amt geholfen, heute rütteln Massendemonstrationen an seiner Macht, die beklagen, dass EU-Fördergelder zweckentfremdet werden. Die Menschen haben verstanden, dass es hier auch um ihre Steuergelder geht. Für Europa ist es eine gute Nachricht, dass die Debatte differenzierter wird.
»Der wird uns nicht beklauen, der hat ja schon genug Geld« – mit diesem Gedanken im Kopf machten in der Vergangenheit viele Menschen ihr Kreuz bei Andrej Babiš und ANO. Dass diese Rechnung nicht aufgegangen ist, wird jetzt vielen klar. Für die Regierungen der Nachbarländer,
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