Gelegenheitsjobs im Internet sind flexibel. Jetzt müssen sie auch noch sicher werden
Nebenbei für große Netz-Plattformen Essen auszufahren oder Taxifahrer zu spielen, kann sich lohnen. Wer davon leben muss, hat aber ein Problem.
Mein Freund Karl lebt in der Zukunft. Nicht weit, nur ein paar Jahre entfernt. Sein Geld verdient er mit Arbeit, die er im Internet findet. Jeden Tag aufs Neue. Um Aufträge zu bekommen, muss er billiger und besser sein als seine Konkurrenz. Hauptsächlich putzt er. Seit Kurzem macht er aber noch etwas Neues: Abends zieht er ab 22 Uhr los und sammelt Elektroroller ein. Die lädt er zu Hause auf und stellt sie frühmorgens in der Stadt wieder ab. Welche er einsammeln kann, erfährt er aus der App des Anbieters. Pro Roller bleiben ihm 2,80 Euro. Wenn eine der Plattformen ihn nicht mehr will, kann sie Karl einfach löschen. Sie muss ihn nicht feuern, denn er ist ja gar nicht dort
In den USA verschärft dies ohnehin prekäre Lebenssituationen bei Menschen, die ihr Haupteinkommen als Tagelöhner verdienen,
Was ist Plattformarbeit genau?
Das Leben meines imaginären Freundes Karl scheint auf den ersten Blick weit weg, ist es aber nicht. In einem Fall, der gerade in München vor Gericht steht, späht diese Zukunft bereits bedrohlich um die Ecke. Ein Mann vom Niederrhein hatte für eine Firma namens Roamler im Nebenjob Produktplatzierungen in Supermärkten fotografiert. Die Auftraggeber wollen wissen, ob die Filialen die Richtlinien korrekt umsetzen und können sich so eigenes Personal sparen, das verdeckt die Märkte abklappert. Mit 15–20 Stunden Aufwand pro Woche verdiente er etwa 1.700 Euro monatlich. Das lief ein Jahr gut, bis Roamler ihn nach einer Meinungsverschiedenheit über einen Auftrag einfach aus der App löschte. Plattformarbeiter wie er haben bislang meist keinerlei Garantien oder Schutz, Mindestlohn, Altersvorsorge, Krankenkasse –
Wissenschaftler versuchen seit Langem, das Phänomen Plattformarbeit zu packen: Was macht diese Form von Arbeit aus und wie problematisch ist sie wirklich? Der wichtigste Punkt dabei ist die Definition. Der »Crowdworking Monitor« des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales definiert den Begriff »Plattform« grob als eine technische Lösung, Angebot und Nachfrage in einem bestimmten Markt zusammenzubringen, mit der
Es gibt demnach 2 Grundarten von Plattformarbeit:
- »Cloudwork« kann ortsunabhängig erledigt werden,
- »Gigwork« ist ortsgebunden.
Beide unterteilen sich jeweils in Arbeit für eine Einzelperson und Arbeit, die ein Auftraggeber praktisch blind in eine Menschenmenge hineinwirft wie die Braut ihren Strauß nach der Trauung.
Auf Freelancer.com zum Beispiel können Texter oder Designer um Aufträge von Kunden bieten, klassische Cloudwork. Meist heißt das: Wer billiger ist und möglichst gut bewertet, gewinnt.
Eine Befragung der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass in Deutschland etwa 3% der Internetnutzer in der Plattformarbeit aktiv sind. Das klingt zunächst wie ein Randphänomen, aber
Ole Wintermann ist verantwortlich für die Studie der Bertelsmann-Stiftung. Er warnt vor Alarmismus und betont die Chancen der Digitalisierung. Viele Befragte schätzten vor allem die zeitliche Flexibilität der Plattformjobs. Allerdings sagt Ole Wintermann auch: »Wenn Plattformarbeit zukünftig an Dynamik gewinnt, dann bin ich mir sicher, dass wir vor allem im unteren Einkommensbereich bei den Plattformen eine Expansion erleben werden und eben nicht im hochpreisigen Bereich.«
Auf schwer überschaubaren Plattformen wie Amazon Mechanical Turk konkurrieren Arbeitskräfte in Deutschland mit anderen Clickworkern auf der ganzen Welt. Der Verdienst pro Aufgabe ist gering, Erfahrungsberichte aus den USA sprechen von effektiven Stundenlöhnen zwischen 1 und 2 US-Dollar.
Nicht nur bei Clickwork im Netz ist es so: Auch bei Gigwork, also der Erfüllung bestimmter Aufträge vor Ort, ist zwar flexible Arbeit für viele interessant, die Bedingungen aber eben oft schlecht. Auch Willkür kann ein Problem sein: wie bei dem Roamler-Arbeiter, der einfach gelöscht wurde und jetzt in Deutschland klagt. In den USA ist ähnliches passiert, als Uber-Fahrer »deaktiviert« wurden, weil sie zu wenig Aufträge angenommen hatten oder ihre Bewertungen unter ein bestimmtes Niveau gefallen waren. Das alles ruft nach klaren Regeln und mehr Transparenz.
Historischer Wegpunkt: Regulieren oder Kontrolle abgeben
In der Bertelsmann-Studie werden geführte Experteninterviews in diesem Punkt so zusammengefasst:
Wir befinden uns aktuell an einem historischen Punkt, an dem die Machtverhältnisse zwischen Auftraggebern und Plattformarbeitern noch veränderbar sind und die grundsätzliche Richtung noch offen ist, ob es durch aktives Gestalten ein nachhaltiges Modell digitaler Arbeit geben wird, oder ob sich das ausbeuterische Potenzial durch unkontrolliertes Sich-Selbst-Überlassen bewahrheitet […].
Plattformarbeiter wollen laut Studie mehr Absicherung, eine Eindämmung des unkontrollierten Preiswettbewerbs und sie wünschen sich eine Interessensvertretung, eine Art digitale Gewerkschaft. Ver.di und IG Metall akzeptieren inzwischen auch Plattformarbeiter als Mitglieder, hier werden sie »Solo-Selbstständige« genannt. Die Beschreibung umfasst allerdings recht unspezifisch alle Selbstständigen, die ohne weitere Angestellte ihre Arbeiten erledigen.
Die Lösungsansätze gehen in eine klare Richtung: Die Studie schlägt eine stärkere Kontrolle der Arbeitsbedingungen vor, Blicke in das Innenleben der undurchsichtigen Arbeitsverteiler. Eine Art TÜV soll Plattformen checken und zertifizieren. Die Politik könnte aber der großen Unsicherheit eine Art Sozialkasse für Digitalarbeiter entgegensetzen, vielleicht nach dem Vorbild der
Aber auch eine Grundsatzfrage steht, unabhängig von den Studien, im Raum: Sind Plattformen Arbeitgeber oder nur Vermittler von Arbeit?
Eine andere Idee aus den USA geht weiter und kann sofort umgesetzt werden. Was wäre, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst Plattformen gründeten?
Eigentum statt Tageslohn
Das ist die Idee von Trebor Scholz. Er lebt im Prinzip in der gleichen Zeit wie mein fiktiver Freund Karl, denn in den USA sind die Verhältnisse tatsächlich schon so wie am Anfang beschrieben. Trebor Scholz von der New Yorker New School ist Professor und bezeichnet sich selbst als Aktivist. Er erlebt, wie in den USA immer mehr Menschen ihren Hauptverdienst aus der unsicheren Plattformarbeit beziehen.
Wo Menschen Vollzeit in diesem Modell arbeiten, findet die wirkliche Ausbeutung statt. Diese Leute sollten Angestellte sein. Wer wie ein regulärer Taxifahrer arbeitet, sollte auch den gleichen Schutz wie reguläre Angestellte genießen.
Ein eigentlich altes Konstrukt ermöglicht es den Arbeitern in Scholz’ Idee, selbst für Verbesserungen zu sorgen:
Wir arbeiten mit 2.000 »Uber«-Fahrern in Kapstadt zusammen, die eine Genossenschaft gründen möchten. Es ist sehr schwer. Die gesamte brasilianische Genossenschaftsszene arbeitet auch an solchen Modellen. Wir unterstützen sie zusammen mit Gewerkschaften dabei. Aber für Einzelne ist das extrem komplex.
Die Form eignet sich nicht für alle Bereiche der Plattformarbeit, aber überall dort, wo es darum geht, konkrete Dienste oder Güter zu verkaufen, kann die Idee funktionieren.
Der Musikstreaming-Anbieter
Der virtuelle Marktplatz Fairmondo möchte eine faire Alternative zu Diensten von Amazon anbieten. Die Genossenschaft gehört den Mitarbeitern und Nutzern. Auf Fairmondo dürfen Verkäufer alles anbieten, von Büchern über Möbel bis hin zu Sportartikeln. Das Prinzip, nach dem Fairmondo funktioniert, nennt die Firma selbst »Genossenschaft 2.0«.
Etwas anders funktioniert
Für Trebor Scholz, dem Plattform-Professor aus New York, ist diese Form des Kapitalismus nachhaltiger als das Prinzip der Finanzierung von Start-ups über Risikokapital. Sie macht flexiblere Arbeit möglich und schränkt zugleich die Willkür der Firmen stark ein. Auch Ole Wintermann von der Bertelsmann-Stiftung findet das Modell zukunftsweisend: »Vielleicht ist es genau die richtige Lösung für das, was wir benötigen.« Ein Schritt aus der Plattform-Willkürherrschaft, wie sie mein Freund Karl erlebt, wäre das auf jeden Fall, denn auch Putzdienste ließen sich so organisieren. Für die Sammler von Elektrorollern wären bessere gesetzliche Bestimmungen dennoch nötig.
Titelbild: Robert Anasch - CC0 1.0