Wie unsere Daten und künstliche Intelligenz für ein Comeback der Planwirtschaft sorgen
Handelsriesen von Amazon bis Alibaba haben längst verstanden, welches Potenzial in der Planwirtschaft steckt. Warum Regierungen jetzt nachziehen sollten – und wir so auch die Klimakrise lösen könnten.
Ende Juli war meine Nichte zu Besuch bei mir in Berlin. Sie kam, um an einer größeren
Damit hat sie wahrscheinlich recht.
Aber was könnte die Alternative sein? Meine Nichte zumindest sieht keine. Eine kommunistische Planwirtschaft wohl eher nicht. Deren Erfolgsbilanz sei bisher ja eher mager ausgefallen.
Doch nicht jeder schließt Planwirtschaft als Lösung für die Zukunft derart kategorisch aus.
Was die Planwirtschaft dem Kapitalismus voraus hat
Ausgerechnet der Gründer der chinesischen Mega-Handelsplattform Alibaba, Jack Ma, glaubt fest daran: Die Zukunft gehört der Planwirtschaft. Alibaba ist so etwas wie das
»Wenn wir Zugang zu allen Daten haben, finden wir die unsichtbare Hand des Marktes«, erklärt Jack Ma im Jahr 2016 bei einem Fachkongress. Big Data werde es ermöglichen, Marktkräfte zu planen sowie vorauszusehen und Wirtschaft letztendlich optimal zu gestalten.
Alle unsere vernetzten Geräte pumpen in Echtzeit Datenozeane über unsere ökonomischen Aktivitäten, unsere Nachfrage und unsere Wünsche heraus. Vernünftig ausgewertet, könnten diese Daten den Preismechanismus als einen Indikator für Angebot und Nachfrage imitieren.
Aber was kann die Planwirtschaft, was der Kapitalismus nicht kann?
Generell sprechen wir von Planwirtschaft, wenn die gesamte oder der größte Teil der Ökonomie eines Landes staatlich gelenkt wird. Wie in der DDR. Die Produktionsmittel, also Fabriken, Maschinen und Rohstoffe, gehörten hier dem Staat und nicht Einzelpersonen. Das hat – zumindest theoretisch – den Vorteil, dass für das Gemeinwohl gewirtschaftet wird und nicht für den Profit Einzelner.
Würde das in der Praxis tatsächlich so funktionieren, könnte das viele unserer Probleme lösen. Rein technisch wäre es derzeit ja durchaus möglich, die Klimakrise zu stoppen und nebenher noch den Hunger in der Welt zu beenden.
Vernünftig, also im Sinne des Gemeinwohls zu wirtschaften, sei innerhalb einer kapitalistischen Ordnung allerdings nicht oder nur stellenweise möglich, sagen Kapitalismuskritiker von Karl Marx bis heute. Unter anderem liegt das an dem Zwang, ständig wachsen zu müssen. Wie ein Fahrrad, das umfällt, wenn es nicht gefahren wird,
Sie beziehen sich dabei auf das sogenannte okunsche Gesetz, das den Zusammenhang zwischen Wachstum und Arbeitslosigkeit herstellt: Wächst die Wirtschaft, haben mehr Menschen Arbeit; schrumpft oder stagniert sie, steigt die Arbeitslosigkeit.
Wachstum ist aber kaum vereinbar mit den Maßnahmen, die nötig sind,
»Wenn das so einfach ist, warum hat das bisher in der Praxis nicht geklappt?«, würde meine nüchterne Nichte wohl fragen. Wie schlecht die Planwirtschaft der Sowjetunion funktionierte, macht ein Witz aus der damaligen Zeit deutlich:
Auf der Parteiversammlung einer
Einerseits sollte der Kommunismus mit den Mitteln der Planwirtschaft eine bessere Welt für alle schaffen. Andererseits haperte es schon an den Grundlagen, wie in diesem Fall an den Brettern für eine Scheune. Das liegt aber weniger daran, dass die Menschen in der Sowjetunion zu wenig Bäume hatten, um Bretter herzustellen, oder daran, dass sie zu faul waren, Bäume zu fällen.
Das zentrale Problem der Sowjetunion war die Unmöglichkeit, in großen Dimensionen zu planen.
Warum Planwirtschaft bislang nicht funktioniert hat
Der Wirtschaftsjournalist und Autor Paul Mason beschreibt das in seinem 2016 erschienenen Buch
Es fehlten schlicht die notwendigen Informationen darüber, wann welches Produkt hergestellt oder welche Dienstleistung erbracht werden muss oder kann. Planwirtschaften seien sehr schlecht darin, Informationen zu verarbeiten, urteilt auch der bekannte Historiker
In der Wirtschaftswissenschaft wird das als das Informationsproblem von Planwirtschaften bezeichnet: Die Interessen und Bedürfnisse von Wirtschaft und Menschen seien viel zu komplex, als dass sie eine zentrale Stelle begreifen oder gar planen könnte. Besser schaffe das der Markt, der dezentral und praktisch von allein funktioniere. Im Preis der Waren seien alle wesentlichen Informationen angelegt. Wenn mehr Schrauben oder Bretter gebraucht werden, steigt der Preis. Das merken schlaue Unternehmer, darum stellen sie mehr Schrauben und Bretter her. Und so bekommt jeder, was er braucht, und zwar – aufgrund des Wettbewerbs – immer zu einem angemessenen Preis.
Warum Amazon und Co. auf Planwirtschaft setzen
Doch inzwischen haben sich die technischen Bedingungen stark verändert. Wenn Jack Ma und andere von einer modernen Planwirtschaft sprechen, dann stellen sie sich keine zentralen Planungsbüros vor, vollgestopft mit Tausenden von Ordnern und einer langen Reihe von Telefonen. Sie denken an den Einsatz von Hochleistungsrechnern, die Unmengen von Daten verarbeiten und
Das funktioniert schon heute. Auch kapitalistische Unternehmen verlassen sich nicht auf die Beobachtung von Preisveränderungen, sondern nutzen datengestützte Marktforschung, um festzustellen, welche Sorten Zahnbürsten gebraucht werden, wie viele jeweils und zu welchem Zeitpunkt.
Tatsächlich gibt es innerhalb des Kapitalismus sehr gut funktionierende Planwirtschaften. Man könnte sogar sagen: Ohne Planwirtschaften gäbe es im Jahr 2019 gar keinen Kapitalismus.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist das finanziell wertvollste Unternehmen der Welt: der Onlineversandhändler
Amazon verkauft täglich Millionen von Waren, von Nasenspülsalz über CDs und Apps bis hin zu Fernsehern und Waschmaschinen. Dahinter steckt eine gewaltige Planungsmaschinerie, die alle möglichen plan- und unplanbaren Faktoren in ihre Rechnungen und Algorithmen miteinbezieht: die Geschwindigkeit von Flugzeugen, die Verfügbarkeit von Lkw, die richtige Route, das Wetter. Alles wird möglichst optimal aufeinander abgestimmt, sodass vom Tippen auf dem Touchpad bis zur Lieferung frei Haus nur wenige Tage, manchmal sogar nur Stunden vergehen.
Besonders beeindruckend ist die Logistik der riesigen Lagerhäuser des Unternehmens. Das Amazon-Warenlager in Graben bei Augsburg ist so groß wie 17 Fußballfelder. Waren werden dort nach einem speziellen System gelagert, das als chaotische Lagerhaltung bezeichnet wird: Artikel unterschiedlichster Art lagern gemeinsam in Boxen und können dennoch schnell gefunden und versendet werden.
Amazon verlässt sich dabei gerade nicht auf Preissignale, sondern auf gute Planung und die optimale Verarbeitung riesiger Datenmengen. Viele dieser Daten tragen wir selbst bei, indem wir klicken, kaufen und bewerten. Ein Rückgrat des Erfolges von Amazon ist sein Empfehlungssystem, das hilft, die Bedürfnisse von Konsumenten vorauszuahnen und zum Teil auch zu lenken. Das geht so weit, dass Amazon schon im Jahr 2013 ein Patent für antizipatorischen Paketversand angemeldet hat:
Das Ganze könnte auch schlicht ein PR-Gag sein. Aber völlig unwahrscheinlich ist die Idee nicht. Die Streamingplattform Netflix hat Vorhersagen so weit perfektioniert, dass 80% der Nutzerinnen und Nutzer Filme und Serien schauen, die ihnen von Netflix empfohlen wurden.
Ein weiteres Beispiel für eine höchst funktionale Planwirtschaft ist das Einzelhandelsunternehmen Walmart. Wäre Walmart ein Land, hätte es eine ähnliche Wirtschaftsleistung wie die Schweiz oder Schweden. Gemessen an der jährlich umgesetzten Geldmenge ist Walmarts Wirtschaft größer als die der Sowjetunion in Zeiten des Kalten Krieges, wie Leigh und Rozworski schreiben. Auch bei Walmart funktioniert die rechnergestützte Planwirtschaft effizient. Walmart lagert und vertreibt Produkte aus mehr als 70 Nationen und verteilt sie in etwa 11.000 Läden in 72 Ländern.
Hunderte riesiger Betriebe arbeiten intern als Planwirtschaften. Dagegen hat die Warenhauskette Sears in den Jahren 2013–2018 marktwirtschaftliche Prinzipien innerhalb der Firma eingeführt. Die Filialen der Kette wurden in kleine, miteinander konkurrierende Einheiten aufgespaltet, damit der Markt seine volle Wirkung entfalten kann. Das Ganze habe in einer Katastrophe geendet, berichten die Autoren Leigh und Rozworski. Am Ende hätten die Filialen einen spätsowjetischen Charme ausgestrahlt – inklusive leerer Regale und marodem Interieur.
In welche Richtung wir jetzt denken müssen
Soll ich meiner Nichte jetzt also vorschlagen, ihre Fridays-for-Future-Freunde zusammenzutrommeln und gemeinsam mit mir für einen neuen, digitalen Kommunismus zu kämpfen, von dem endlich alle profitieren – und nicht nur Konzerne wie Amazon oder Walmart?
Nein. Denn wir sind noch nicht so weit. Es ist ein Unterschied, ob ein großes Unternehmen oder eine National- oder sogar Weltwirtschaft planwirtschaftlich organisiert wird. Alibaba-Gründer Jack Ma denkt an einen Zeitraum von 30 Jahren – eine recht vermessene Prophezeiung, da gerade technische Sprünge nicht planbar sind.
Das heißt aber nicht, dass das Thema vom Tisch ist. Vielleicht entwickeln sich die großen Konzerne der
Das wäre aber noch nicht die Lösung, denn es wäre auch denkbar, dass ein autoritärer Staat dann die volle Kontrolle übernimmt. Unter dieser Prämisse wird die Planwirtschaft in China diskutiert.
Um das zu vermeiden, sollten Mittel und Wege gesucht werden, die Planwirtschaft mitsamt Big Data in den Dienst einer demokratischen Gesellschaft zu stellen. Ansätze dafür gibt es schon: Einen Vorschlag für die Vergemeinschaftung von Big Data macht das
Einen Ansatz zur Demokratisierung der Planwirtschaft dagegen liefern der Wirtschaftswissenschaftler Robin Hahnel und der Physiker Michael Albert mit dem Konzept der Participatory Economics. Hier gehören die Firmen der Gesellschaft, Entscheidungen werden demokratisch getroffen. Wohn- und Produktionsräte stimmen ihre Entscheidungen miteinander ab. Umwelt- und Sozialkosten könnten in die Preise von Waren mit einfließen; Schäden an Umwelt und der Gesellschaft würden somit von vornherein berücksichtigt – und wären keine Faktoren im Wettbewerb mehr.
Titelbild: Franki Chamaki - CC0 1.0