»Hallo, deine Zukunft sieht scheiße aus!«
Sie mobilisieren mit der Angst vor der Klimakrise und ihre Protestmittel sind nicht immer legal. Wir waren bei der ersten großen Aktion von »Extinction Rebellion« in Deutschland dabei – und haben ihnen eure Fragen gestellt.
Wer letzte Woche nicht zufällig in Berlin in eine Straßenblockade geraten ist oder sich mit Klimaprotesten beschäftigt hat, ist
Nach Fridays for Future ist Extinction Rebellion die zweite große internationale Bewegung, die Klimapolitik auf einen neuen Kurs bringen will. Allerdings nicht mit Schulstreiks – sondern mit massenhaftem zivilen Ungehorsam.
Mit dezentral organisierten Aktionen will Extinction Rebellion ein Bewusstsein für die drohende Klimakatastrophe schaffen. Die Dringlichkeit findet sich auch im Logo der Bewegung wieder: eine stilisierte Sanduhr, die sagen will, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt, um diesen Planeten zu retten. Straßenblockaden und eine gewisse Endzeitrhetorik sind die Markenzeichen der Bewegung, die im Jahr 2018 zuerst in Großbritannien auf sich aufmerksam machte.
Jetzt ist sie auch in Deutschland angekommen.
Gerade hat die Bewegung
Vergangene Woche haben wir eure Fragen an Extinction Rebellion gesammelt. Beantwortet hat sie uns Maximilian Hierhammer aus dem Presseteam des Berliner Ablegers der Bewegung, den wir im »Klima-Camp« getroffen haben. Während der Aktionswoche war das Camp die Basis der Rebellinnen und Rebellen. Hunderte Zelte hatten sie zwischen Bundeskanzleramt und Reichstag aufgebaut. Alles genehmigt, alles legal. Das gilt nicht für alle Aktionen von Extinction Rebellion.
Einige eurer Fragen haben wir auch mit in unsere Recherche genommen. Den Anfang macht Katharina, die gleich am ersten Aktionstag eine Idee davon bekommt, welche treibende Kraft hinter der Mobilisierung von Extinction Rebellion steckt. Währenddessen versucht Juliane bei der Blockade am Einkaufsboulevard Kurfürstendamm herauszufinden, wer da überhaupt den Alltag der Berliner stören will.
Wir wollen damit nicht spalten. Genau deshalb wollen wir eine
Wie die Angst vor dem Klimawandel Menschen auf die Straße treibt
von Katharina Wiegmann
Berlin, wach auf! Wir schwärmen aus!
Um 04:12 Uhr ploppt am Montag die erste Nachricht im Telegram-Infokanal von Extinction Rebellion auf. Über den Messengerdienst wird in den kommenden Tagen über kleine und große Aktionen informiert. Jetzt lautet die Aufforderung: Mach dich auf den Weg zur Siegessäule!
Ein paar Stunden später ist der Große Stern, ein Kreisverkehr mit 5 Zufahrtsstraßen im Berliner Tiergarten, dicht. Es ist der Auftakt für viele kleine und große Aktionen der Klimarebellen in Berlin. Gewaltloser ziviler Ungehorsam ist das strategische Mittel der Wahl von Extinction Rebellion, mit dem die Aktivistinnen und Aktivisten den Druck auf die Politik erhöhen wollen. »Für Klimaschutz wird schon seit 30 Jahren demonstriert – doch bisher ist das nicht ausreichend gehört worden«, erklärt Maximilian Hierhammer.
Du willst mehr darüber wissen, was ziviler Ungehorsam eigentlich ist – und wann es okay ist, die Regeln zu brechen? In diesem Text erfährst du mehr.
Als ich am Mittag an der Siegessäule ankomme, ist die Stimmung entspannt. Um den Platz kreisen Fahrradfahrer, aus einem Lautsprecher tönt elektronische Musik, auf den Stufen vor der Siegessäule blinzeln Menschen in die Sonne.
Es sind nicht sehr viele Menschen, die hier einen zentralen Verkehrsknotenpunkt blockieren, aber sie scheinen alle ganz genau zu wissen, warum sie hier sind – und wie sie ihrem Protest wirkungsvoll Ausdruck verleihen. Hebt jemand zu einem Sprechchor an, stimmen viele andere sofort textsicher ein. Es wird überhaupt viel gesungen; die Blockade von Extinction Rebellion hat ein ganz eigenes Repertoire an Liedern, die sich in den kommenden Tagen als Ohrwürmer festsetzen.
We are rising up, time has come to stir things up! Join the rebellion, join the rebellion!
Eine als Raubkatze kostümierte Frau schleicht auf allen Vieren um die Beine der Demonstrierenden, vor allem aber um die der anwesenden Journalistinnen. Gemeinsam mit einer als Schmetterling verkleideten Aktivistin posiert sie auf vielen Fotos, die in den kommenden Tagen von den Medien verbreitet werden.
Fast alle Kameras auf dem Platz richten sich am Montagmittag auf die »Arche Rebella«, eine Konstruktion aus hellen Holzbrettern mit Mast, die Assoziationen mit der Arche Noah weckt und auf das Artensterben aufmerksam machen will. Gegen 13 Uhr werden die Medienmenschen unruhig. Die Kapitänin erklimmt die Kommandobrücke: Carola Rackete ist da. Im Juni 2019 war sie wochenlang in den Schlagzeilen, als sie sich mit dem damaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini anlegte und das
Extinction Rebellion will eine dezentrale Bewegung sein, bei der einzelne Personen oder prominente Gesichter nicht zu sehr im Vordergrund stehen – aber es ist klar, dass Auftritte wie diese für die Öffentlichkeit sorgen, ohne die jeder Protest in der Bedeutungslosigkeit verpufft.
Rackete holt weit aus. Sie spricht von indigenen Völkern, vom Verschwinden des Tschad-Sees. Stellenweise entgleitet ihr der Vortrag ins Abstrakte, sie spricht vom »Albedo-Effekt«, der das Abtauen des Meereises in der Arktis durch die »Verminderung der Refraktion« noch verstärke. Während Rackete die wissenschaftlichen Fakten referiert, sieht es in manchen Momenten aus, als kämen ihr gleich die Tränen.
»Hallo, deine Zukunft sieht scheiße aus!« – Extinction Rebellion
Mir wird klar: Extinction Rebellion mobilisiert vor allem über Emotionen. Denn es gibt immer mehr
- Sagt die Wahrheit! »Die Regierung muss die Wahrheit über die ökologische Krise offenlegen und den Klimanotstand ausrufen. Die Dringlichkeit des sofortigen Kurswechsels muss von allen gesellschaftlichen Institutionen und den Medien kommuniziert werden.«
- Handelt jetzt! »Die Regierung muss jetzt handeln, um das Artensterben zu stoppen und die Treibhausgasemissionen
- Politik neu leben! »Die Regierung muss eine Bürger:innenversammlung für die notwendigen Maßnahmen gegen die ökologische Katastrophe und für Klimagerechtigkeit einberufen. Die Regierung muss nach deren Beschlüssen handeln.«
Die Forderungen sind bewusst breit gehalten. Maximilian Hierhammer, Mitglied des Presseteams, erklärt, warum das so ist:
Wir vermeiden, den Weg konkret vorzugeben. Das ist nicht der strategische Ansatz von ›Extinction Rebellion‹. Es gibt seit mindestens 30 Jahren Prognosen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder von uns könnte theoretisch wissen, wie das ablaufen muss. Wir sind dazu da, den Prozess anzuschieben, damit das jetzt passiert.
Als demokratische Bewegung sei es Extinction Rebellion wichtig, dass Klimaschutzmaßnahmen auch innerhalb der Gesellschaft erarbeitet werden, betont Maximilian Hierhammer – deshalb die Forderung nach einer Bürger:innenversammlung.
Wie soll das genau funktionieren? In diesem Artikel erfährst du mehr über Bürger:innenversammlungen (inklusive Selbstversuch):
Dabei wird Extinction Rebellion immer wieder
Zu Roger Hallam und seinen Äußerungen gebe es sehr unterschiedliche Meinungen innerhalb der Bewegung, erzählt Maximilian Hierhammer aus dem Berliner Team. Hallam habe wichtige Vorarbeit geleistet, die Strategien von Extinction Rebellion mitentwickelt – aber sein Beispiel zeige auch, »warum es nicht die eine Person geben sollte, die für Extinction Rebellion spricht. […] Roger Hallam ist einer von uns und kann sprechen, so wie ich gerade mit euch spreche.«
Wer blockiert (nicht)?
von Juliane Metzker
Und wie sieht es bei Extinction Rebellion aus?
Wie viele genau über die Woche an den vielen Aktionen teilnehmen, ist schwer zu sagen.
Die Aktion
Die meisten haben sich aber eher in warme Klamotten eingepackt, sitzen in Grüppchen am Boden vor einem Fast-Food-Restaurant. Auf der großen Kreuzung daneben fahren immer noch Autos, Busse und Lastwagen. Absperrgitter trennen die Demonstration von der Straße, dahinter stehen Polizistinnen und Polizisten. Mit dem Auftritt der Red Rebel Brigade baut sich langsam Spannung auf. Aus der Musikbox
Dies ist ein Notfall. Die Verantwortlichen haben uns im Stich gelassen. Deshalb müssen wir jetzt aufbegehren.
Mit ihren Kunstaktionen haben die Aktivistinnen und Aktivisten, die in roten Gewändern und mit weiß geschminkten Gesichtern schweigend durch die Menge schreiten, schon bei Londoner Blockaden für eindrucksvolle Pressebilder gesorgt.
Es geht weiter: Auf ein Signal setzen sich alle auf dem Platz hin.
Auf dem weiten Platz sehe ich klarer, wer da eigentlich protestiert. Obwohl Maximilian Hierhammer aus dem Presseteam von Extinction Rebellion im Interview erklärt: »Bei uns ist wirklich alles vertreten«, sind die meisten hier im Studierenden- oder Schüleralter. Ein paar Familien mit Kleinkindern und einige Aktivistinnen und Aktivisten im Rentenalter sind heute die Ausnahmen auf dem Kurfürstendamm.
»Wir werden das nicht mehr miterleben«, sei so ein Satz, den
»Wir werden das nicht mehr miterleben«
Würde er diese Frage an den Protestforscher Swen Hutter stellen, bekäme er vielleicht eine Antwort wie diese hier in der Berliner Morgenpost:
Maximilian Hierhammer nennt es »eine fatale Fehlannahme«, zu glauben, wer heute erwachsene Kinder habe, würde die Klimakrise nicht mehr miterleben. Er nennt die wissenschaftlich umstrittene Jahreszahl 2048, in dem die Meere leergefischt sein würden, und spricht von 60 Ernten, die uns laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen noch
Es gibt Klimaaktivisten in Berlin, die nicht bei den Blockaden von Extinction Rebellion mitmachen. Dazu gehört der Student Andrés Garcés, der sich bei Fridays for Future engagiert. An diesem Donnerstag ist auch er auf dem Kurfürstendamm und protestiert vor der ecuadorianischen Botschaft direkt neben der Blockade von Extinction Rebellion. Das Anliegen der knapp 40 Demonstranten, die in einem Kreis zusammenstehen:
Repression und Polizeigewalt betreffen weltweit viele Menschen. Das sollten auch die Klimarebellen in Deutschland reflektieren, findet Garcés, wenn sie, wie nach der Blockade am Potsdamer Platz, durch den Lautsprecher loben: »Wir danken der Berliner Polizei für den friedlichen Einsatz. Ihr wart super!«
Es überrascht wenig, dass es dazu unter den Rebellen verschiedene Meinungen gibt:
Ich persönlich verstehe die Kritik sehr gut. Aber ›Extinction Rebellion‹ macht das aus einem ganz speziellen Grund: Wir wollen, dass unsere Aktionen so niederschwellig wie möglich sind. Wir wollen, dass viele Menschen, die nicht politisiert sind und in ihrem Leben noch nie zivilen Ungehorsam durchgeführt haben, sich so wieder Handlungsoptionen beschaffen.
Die Mobilisierung von eher unerfahrenen Aktivistinnen und Aktivisten ist eine Stärke von Extinction Rebellion – gleichzeitig aber auch eine große Herausforderung. Nicht nur, dass lange Sitzblockaden und die kalten Nächte körperlich auszehren. Auch psychisch sind die Aktionen belastend. Das merke ich vor allem am Donnerstagabend, als nicht nur der Klimawandel emotionalisiert, sondern auch die Terroranschläge in Halle zum Thema werden. Ganz unüblich im Vergleich zur bisherigen Kommunikationsstrategie wird darüber auch in den Infochannels informiert und Hilfe für die angeboten, die reden wollen.
Wie geht es jetzt für »Extinction Rebellion« weiter?
Am Ende der Aktionswoche in Berlin war der massenhafte zivile Ungehorsam, mit dem Extinction Rebellion die Politik zum Handeln zwingen will, eher ein punktueller.
Neben den angemeldeten Demonstrationen blockierten viele Kleingruppen Kreuzungen und Brücken in einigen Stadtvierteln oder statteten Parteizentralen einen Besuch ab. Eine kleine Gruppe klebte sich mit Sekundenkleber an der Tür des Bundesumweltministeriums fest. Dort wurde es am Abschlusswochenende auch noch einmal voller – einige Aktivistinnen verbrachten die Nacht vor dem Ministerium, tagsüber spielten DJs und Bands, in offenen Versammlungen wurde über den Klimawandel diskutiert. Pünktlich zum Wochenanfang räumte die Polizei dann aber die Straßen.
Die Hauptstadt wurde also nicht lahmgelegt. Doch für die Klimarebellen dürfte es eine erfolgreiche Übung gewesen sein. Zumindest in Berlin ging die Strategie des gewaltlosen Protests auf, die dezentrale Organisation hat funktioniert, größere Konfrontationen mit der Polizei blieben aus. Dafür gab es gute Stimmung, Musik, Solidarität, die Erfahrung der eigenen
Am Sonntagabend war die Aktionswoche vorbei, viele der Klimarebellen reisten wieder ab Richtung Alltag. Doch manche scheinen das nicht zu wollen. Seit Sonntagabend gibt es eine neue Telegram-Gruppe. Sie heißt: »Noch mehr Actions«. Denn Extinction Rebellion ist noch lange nicht am Ziel: Auf die konkreteste Forderung nach einer Art Klimageneralversammlung mit Bürgerinnen und Bürgern reagierte die Politik bisher nicht.
Die Frage ist also nicht, ob die Rebellion weitergeht, sondern wo und wann.
Titelbild: Extinction Rebellion Germany - CC BY 3.0