»Radikalen Optimismus« verspricht mir Paul Masons deutscher Verlag mit der Lektüre seines Buches
Ein Plädoyer für einen neuen Humanismus soll es sein.
Der britische Journalist und Autor verbindet in seinem Buch Themen, deren Überschneidungen auf den ersten Blick nicht klar zu erkennen sind. Es geht um den Kollaps des Neoliberalismus, den Aufstieg von Trump, um Algorithmen außer Kontrolle – und vor allem darum, was Karl Marx zu alldem gesagt hätte. Doch was genau führt uns in die klare, lichte Zukunft? Und wie sieht sie aus?
Erst mal muss ich zugeben: Den »radikalen Optimismus«, den mir dein Verlag im Pressetext versprochen hat, habe ich nach der Lektüre von »Klare, lichte Zukunft« nicht gespürt. Aber immerhin bin ich einer Gewerkschaft beigetreten und habe endlich eine E-Mail an die
um mich über Möglichkeiten einer Mitgliedschaft zu informieren.
Sind das Reaktionen, auf die du gehofft hast, als du das Buch geschrieben hast?
Paul Mason:
Wenn du ein solches Buch schreibst, erwartest du nicht unbedingt einen sofortigen Effekt. Ich halte es da wie Beethoven mit seinem letzten Quartett – vielleicht ergibt es in 100 Jahren Sinn. In diesem Buch versuche ich zu sagen, dass wir es mit einer 3-fachen Krise zu tun haben: mit einem Wirtschaftssystem, das nicht funktioniert, einem politischen System, das in vielen Ländern an Zustimmung verliert, und einer Krise der Kontrolle über Technologie. Ich bin in erster Linie Journalist und kein Theoretiker, aber ich will, dass die Menschen diese Krise realisieren.
Ob du kritisch auf Überwachung und Datenschutz im Internet schaust, dich über den Erfolg der neuen Rechten sorgst oder dich die Stagnation der westlichen Ökonomien beunruhigt – mit meinem Buch will ich zeigen, dass diese Dinge zusammenhängen. Und sie haben damit zu tun, was ich in meinem Buch die »Krise des neoliberalen Selbst« nenne.
Du sprichst in deinem Buch vom Kollaps des Neoliberalismus. Ist es wirklich schon so weit?
Paul Mason:
Noch ist das neoliberale System nicht kollabiert. Schau dich um: Berlin ist voller privater Unternehmen. Was aber kollabiert ist, ist seine innere Logik. Das Mantra des deutschen Ordoliberalismus –
so viel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig – oder das der amerikanischen
–
der Markt löst seine eigenen Probleme – konnten den Kollaps von Lehman Brothers und die Finanzkrise nicht überleben. Auch jetzt, in Zeiten der Coronapandemie, funktioniert das nicht. Wir brauchen den Staat.
Ich komme aus einer Bergbaustadt im Norden Englands. Mein Vater hat schrecklich gelitten, nachdem er in den 80er-Jahren seine Arbeit verloren hatte. Er wurde depressiv – für ihn war es das Ende der Welt. Sein moralischer Code von Anstand, Zusammenarbeit und Solidarität wurde zerstört.
Die Generation nach ihm hat sich dann an die neuen Gegebenheiten angepasst. Sie lebte nach den Regeln,
Diesen Regeln zufolge bist du ein Held, wenn du auf dem Markt die billigsten Würstchen vom Großhändler kaufst und sie als Gourmetwürstchen von einem französischen Bauernhof in der Dordogne für ein Vielfaches verkaufst. In der Welt meines Vaters war das unanständig. Die Moral hatte sich geändert. Es dauerte rund 40 Jahre, die neoliberale Moral im Kopf der Menschen zu verankern. 40 Jahre, die Logik des Systems zu verinnerlichen – und dann werden die Fundamente von der Finanzkrise fortgerissen.
Diesen Bruch verbindest du in deinem Buch mit dem Aufstieg der neuen Rechten und ihren rassistischen, frauenfeindlichen und ethnisch-nationalistischen Ideen. Kannst du das etwas genauer erklären?