»Mit einem Grundeinkommen wäre die Pandemie für viele Menschen weniger bedrohlich«
Michael Bohmeyer hat mit seinem Verein in 7 Jahren fast 800 Grundeinkommen verlost. Was hat er in dieser Zeit gelernt?
Eigentlich ist die Idee gar nicht so verrückt. 1.000 oder 1.200 Euro monatlich aufs Konto, für jede:n, bedingungslos. Ein Grundeinkommen, das die Grundbedürfnisse sichert. Und doch polarisiert die Idee, weil sie an den Festen unseres Menschenbilds rüttelt: Begegnen wir einander mit wohlwollendem Vertrauen oder einem von Misstrauen geprägten Kontrollbedürfnis?
»Die Idee des Grundeinkommens berührt den Kern unseres Lebens«, meint Michael Bohmeyer, der den
Die Pandemie hat der Debatte um das Grundeinkommen neuen Anschub gegeben, auch Bohmeyers Verein hatte »großen Zulauf«. Er meint: Jetzt wäre ein guter Moment, um das Grundeinkommen einfach mal für ein halbes Jahr zu testen; auch um Kritiker:innen der Coronamaßnahmen etwas Wind aus den Segeln zu nehmen.
Im Interview verrät Bohmeyer, was er aus Gesprächen mit Gewinner:innen des Grundeinkommens gelernt hat, wie sich Gratisgeld auf unsere Beziehungen auswirkt und warum wir eigentlich nicht auf die Politik warten müssen, um das Ganze einfach mal auszuprobieren.
Michael Bohmeyer

Michael Bohmeyer gründete mit 16 Jahren sein erstes Start-up, mit Ende 20 betrieb er ein erfolgreiches IT-Unternehmen. Die Beteiligung daran brachte ihm eine Art Grundeinkommen, das sein Leben veränderte. Um herauszufinden, ob es auf alle Menschen diese Wirkung hat, gründete er den Verein »Mein Grundeinkommen«, der jeden Monat mehrere, per Crowdfunding finanzierte Grundeinkommen verlost.
Bildquelle: Lena MuchaDas andere Argument ist, dass konservative Politiker das Grundeinkommen benutzen könnten, um den Sozialstaat kahl zu schlagen. Einige sozialstaatliche Leistungen bräuchte man tatsächlich nicht mehr, weil die Leute mit dem Grundeinkommen schlicht mehr Geld hätten. Das heißt aber nicht, dass der ganze Sozialstaat abgeschafft würde. Das halte ich nicht für den richtigen Weg. Wenn es ein Grundeinkommen gäbe, müsste der Sozialstaat sich nicht mehr nur um Geld kümmern, sondern um Sachen, die er vielleicht viel besser kann: um Weiterbildung oder Integration.
Geld war meistens vorher schon da. Aber die Tatsache, dass du es einfach so kriegst, ohne dass du etwas dafür tun oder dich rechtfertigen musst, ohne dass es mit Schuld, Scham und Moral, oder wenigstens
Darauf basierend bin ich immer wieder überrascht, wie viele Lebensbereiche davon berührt sind – dass bedingungslose 1.000 Euro offenbar damit zu tun haben, wie wir Beziehungen führen. Dass Frauen überlegen, sich scheiden zu lassen; Leute mit ihrem Chef neu verhandeln, oder sagen, dass sie nun weniger auf Materielles achten und umweltbewusster werden.
Wir wissen aus der Verhaltensökonomie, dass Leute mit geschenktem Geld anders umgehen als mit erarbeitetem Geld – weil sie das Gefühl haben, die »Good Vibes«, das Karma, das mit der Schenkung einhergeht, weitergeben zu
Bei dem Geld, für das man geschuftet und geschwitzt hat, spürt man dagegen eine moralische Verfügungsgewalt und das Recht, es um jeden Preis verprassen zu können. Die Art und Weise, wie wir Geld auszahlen, ist extrem wichtig.
Was uns auch dazu führt, herauszufinden, warum der deutsche Sozialstaat heute bei den Leuten weder gute Erfahrungen auslöst noch effizient ist. Im internationalen Vergleich ist er sehr teuer, aber er macht wenig »gute Gefühle« pro Euro. Vielleicht könnte man mit den gleichen Euros mehr gutes Gefühl und Chancen für sozialen Aufstieg erreichen, wenn sie bedingungslos ausgezahlt würden.
Es ist fast lustig, dass wir davon am Anfang so beirrt waren. Aber das ist auch die schöne Lehre: Auf dem Papier betrachtet, passiert gar nicht so viel. Es ist weder das Faulenzer-Hippietum ausgebrochen, noch wurde die Revolution geübt. Die Gewinner sind ganz normale Leute geblieben, die zum Großteil ihren bisherigen Jobs nachgehen.
Vielleicht fehlt in unserer Gesellschaft einfach dieser kleine Kniff: dass der Alltag nicht mehr so ein Kampf und die Angst weg ist, ob man auch morgen noch überlebt. Dass das, was offensichtlich ohnehin da ist, garantiert da ist. Dann muss man sein Leben gar nicht so sehr verändern und die Veränderung passiert eher innen.

Wie ein Grundeinkommen unsere Beziehungen verändern könnte: »Es entsteht mehr Augenhöhe«
Diese Frauen waren immer von Armut bedroht und ihr Emanzipationskampf war sehr schwierig, weil ihnen die Gesellschaft bis heute Steine in den Weg legt. Durch das Grundeinkommen haben sie eine späte Genugtuung erfahren, eine Bestärkung, dass ihr Weg richtig war.
Das Grundeinkommen wird in feministischen Diskursen manchmal kritisiert. Gerade aus einer Position, die Gleichberichtigung erst dann verwirklicht sieht, wenn wir alle gleichermaßen Zugang zu Erwerbsarbeit haben. Aus dieser Perspektive bringt es nichts, einfach Geld auszuzahlen, da dann die Gefahr bestünde, dass Frauen zurück an den Herd gedrängt werden.
Es entsteht mehr Augenhöhe, wenn Menschen Grundeinkommen beziehen, sie sind dann weniger erpressbar. Frauen verdienen im Schnitt weniger und werden anders sozialisiert. Wenn sie mit einem Grundeinkommen Sicherheit, eine Verhandlungsmasse und Souveränität erhalten, dann können sie sich natürlich viel mehr für ihre Sache einsetzen.
Aber das heißt nicht, dass sie es auch tun. Das ist die neue Freiheit, die wir den Leuten zugestehen müssen: Es gibt Menschen, die sehr gerne Kinder haben und sich zu Hause um sie kümmern möchten. Ich möchte gerne in einer Welt leben, wo alle die Wahlmöglichkeit haben,
Durch das Grundeinkommen kehrt Ruhe ein. Vorher hast du dich die ganze Zeit um dich selbst gedreht, um deine Angst vor dem Mangel zu überwinden. Plötzlich ist der Pauseknopf gedrückt. Dadurch wird Gehirnkapazität frei – du drehst dich nicht mehr nur um dich, sondern kannst dich auch um andere kümmern. Dem Grundeinkommen wird manchmal vorgeworfen, dass es egoistisch macht, weil es ein individualistischer Ansatz ist. Aber das Gegenteil ist der Fall: Weil sich das Individuum nicht mehr bedroht fühlen muss, kann es zu seinem ursprünglichen Zustand zurückkehren und gemeinschaftlich, empathisch, liebevoll sein.
Das passiert auf unterschiedlichste Art und Weise und natürlich gibt es viele Leute, die sich ehrenamtlich in der Zivilgesellschaft engagieren. Das liegt aber vielleicht auch daran, was für Menschen wir mit »Mein Grundeinkommen« ansprechen.

»Der Sozialstaat ›bugfixt‹ das System, löst aber die soziale Frage nicht«
Wenn man diese Grundsätze auch nur ein bisschen verändert, dann stellt sich das Grundeinkommensgefühl nicht mehr ein. Im Prinzip unterscheiden sich die Konzepte nicht so sehr, am Ende gibt es immer eine Art von Steuer, die alle mehr bezahlen müssten. Aber gleichzeitig ist diese Steuererhöhung für den einzelnen Menschen nicht schlimm, weil ja auch allen ein Grundeinkommen ausgezahlt wird. Das würde dazu führen, dass die meisten Menschen nicht mehr Geld hätten, sondern etwa genauso viel wie heute – nur an den oberen und unteren Rändern gäbe es eine Umverteilung, je nachdem, wie hoch besteuert wird und wie hoch das Grundeinkommen ausfällt.
Das Grundeinkommen hat für mich nichts mit dem Sozialstaat zu tun. Der Sozialstaat soll die vom Kapitalismus verursachten sozialen Missstände reparieren; und zwar gerade so, dass die Leute weitermachen können. Der Sozialstaat »bugfixt« das System, löst aber die soziale Frage nicht. Er versucht, in der »Not« zu helfen, aber hilft erst dann, wenn die Not längst da ist. Und dann müssen die Leute ihre Not auch noch nachweisen.
»Es wäre im Prinzip eine große Steuerreform«
Ein Grundeinkommen ist ein fundamental anderer Weg. Es wäre wie eine monatliche Investition in alle Bürger. Stell dir jeden Menschen im Land als kleines Unternehmen vor, das jeden Monat 1.000 Euro Kredit bekommt – und damit einen Vertrauensvorschuss, denn ein Kredit ist nichts anderes. Die Bank gibt Geld, weil sie hofft, dass sie am Ende mehr herausbekommt. Das gibt es heute aber nur für diejenigen, die ohnehin schon Sicherheiten haben. Mit dem Grundeinkommen würde der Staat diesen Vertrauensvorschusskredit allen gewähren – und wenn es klappt, zahlen die Bürger diesen über höhere Steuern zurück. Wenn es nicht klappt, können sie das Geld behalten, müssen aber nicht erst ihre Bedürftigkeit nachweisen – sie haben das Geld ja schon. Es wäre im Prinzip eine große Steuerreform.
»Jetzt wäre ein guter Moment, das Grundeinkommen für ein halbes Jahr zu testen«
Es wird oft argumentiert, dass die Leute mit Grundeinkommen nicht mehr arbeiten würden. Beim finnischen Experiment kam aber heraus, dass die Leute nicht faul wurden, sondern dass sich die Arbeitszeit im Wesentlichen nicht verändert hat. Die Kritik in der Auswertung war aber, dass die Leute nicht noch mehr gearbeitet haben. Deshalb wurde das Experiment als Misserfolg verkauft.
Die Maßstäbe für Erfolg und Misserfolg hängen davon ab, welche politischen Akteure ein Grundeinkommen einführen und was sie damit verknüpfen.
Vielleicht wäre jetzt ein guter Moment, das Grundeinkommen für ein halbes Jahr zu testen. Ein halbes Jahr zahlt der Staat allen Menschen 1.000 Euro und gibt ihnen somit etwas, damit sie durch diese Krise kommen. Das wäre ein schönes Signal. Wir könnten viel über den Zustand unserer Gesellschaft lernen, wenn wir das mal ausprobieren.

»Etwas einfach so geschenkt zu bekommen, ist für viele ungewohnt«
Dafür braucht es Daten, sonst bleibt die Debatte auf einer moralischen Ebene. Wir können erst darüber sprechen, welchen Preis wir für ein Grundeinkommen zu zahlen bereit sind, wenn wir sehen, was es tatsächlich bringt. Ob Menschen dadurch – wie in Finnland – mehr Vertrauen in die Institutionen bekommen; ob der gesellschaftliche Zusammenhalt wächst, ob die psychische Gesundheit besser wird und die Leute zufriedener sind. Das alles wären erstrebenswerte Effekte, aber dass es sie gibt, müssen wir erst mal mit Zahlen belegen.
Es gibt die sogenannte Scarcity-Forschung. Sie hat herausgefunden, dass
Dann gibt es ganze Generationen, die mit der Selbsterzählung leben, dass sie im Schweiße ihres Angesichts das Land wieder aufgebaut hätten. Und jetzt sollen plötzlich alle ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen, wofür sie sich krummgemacht haben? Ich kann nachvollziehen, dass das zunächst ein Ungerechtigkeitsgefühl auslöst.
Und natürlich gibt es die von Misstrauen geprägten Erzählungen über »faule Arbeitslose und Migranten, die kommen und den Sozialstaat unterwandern«, was bei genauerem Hinsehen so nicht stimmt. Aber es sind eben starke Erzählungen.
Im Kern drehen sie sich alle um Vertrauen oder Nicht-Vertrauen. Wenn man sein ganzes Leben gelernt hat, dass man sich alles erst verdienen muss, ist es überfordernd, wenn Geld plötzlich bedingungslos ausgezahlt wird.
Manchmal wollen unsere Gewinner und Gewinnerinnen das Geld auch gar nicht annehmen. Sie haben sich zwar bei uns angemeldet, aber etwas einfach so geschenkt zu bekommen, ist für viele ungewohnt. Sie haben das Gefühl, in der Schuld der Schenkenden zu stehen.
Und plötzlich ist das Geld da, der Ball liegt bei dir und du musst verwandeln. Das ist schrecklich für viele, weil die Ausreden wegfallen und sie plötzlich merken, dass es nicht am fehlenden Geld lag, sondern dass sie doch nicht so sehr wollten, was sie sich immer herbeigesehnt haben. Du wirst in die Eigenverantwortung hineingeworfen, das ist für viele ein schmerzhafter, aber wachstumsfördernder Prozess.
Du kannst das Geld ja zum Beispiel einfach weiterverschenken. Das Entscheidende ist, dass du es selbst machst; dass du die erlernte Hilflosigkeit überwindest und ein Gefühl der
Gibt es Bereiche, in denen du dir ähnliche selbstorganisierte Projekte wie »Mein Grundeinkommen« vorstellen könntest? Ideen, von denen du denkst: Das ist eine Zukunftsvision für unsere Gesellschaft, die wir unbedingt mal ausprobieren sollten?
Wir haben in der Politik traditionell 2 Pfade der Veränderung. Der eine ist, in die Parteipolitik einzusteigen und zu versuchen, im Klein-Klein den langen Marsch durch die Institutionen zu gehen und ständig Kompromisse zu verhandeln.
Dann gibt es den Pfad der Revolution: konfrontativ, kämpferisch und lautstark auf die Straße gehen und eine bessere Welt fordern; wissend, dass man von den Entscheidungsträgern nicht unbedingt gehört wird und die Revolution von unten wahrscheinlich nicht kommt.
Ein dritter Pfad wäre es, zu sagen: Wir nutzen das Internet und die dort vorhandenen Möglichkeiten zur Mobilisierung, um sofort an einer Utopie zu bauen, mit echtem Geld. So machen wir es mit unserem Verein. Nicht anklagend oder vorwurfsvoll – wir zeigen einfach, was geht.
Damit inspirieren wir Entscheidungsträger offenbar, sie hören uns zu, und was wir tun, hat einen Einfluss auf die Debatte. Ich glaube, das funktioniert in vielen Bereichen. Wir könnten uns bundesweit viel mehr direktdemokratisch organisieren und dafür die Mittel von Bürgerbegehren vor Ort nutzen.
Wir könnten mit jeder Form privater Umverteilung experimentieren und eine neue finanzielle Solidarität zwischen den Menschen schaffen. Theoretisch ließe sich das Grundeinkommen selbstständig von den Menschen einführen, denn es ist ja nichts weiter als ein Geldtransfer zwischen den Leuten. Wir schielen immer auf den Staat und sagen: Bitte nimm unser Geld und gib es uns wieder. Aber warum organisieren wir das eigentlich nicht selbst? Denkbar wäre es.
Transparenzhinweis: Katharina ist »Crowdhörnchen« beim Verein »Mein Grundeinkommen«. Sie zahlt monatlich 4 Euro in den Grundeinkommenstopf und einen Euro an den Verein.
Titelbild: Fabian Melber - copyright