Laborfisch made in Germany: Dieses Start-up lässt Käpt’n Iglo alt aussehen
Das Unternehmen Bluu Biosciences entwickelt in Lübeck Fisch, der Überfischung und Aquakulturen vergessen machen könnte. Unsere Gastautorin hat die Biowissenschaftlerin und Mitarbeiterin Frea Metha im Labor besucht.
Dass Fleisch heute nicht mehr zwangsläufig aus Tieren gemacht wird, daran haben wir uns gewöhnt: Burger sind aus Erbsen, Würstchen aus Soja oder Weizeneiweiß. Doch die pflanzlichen Ersatzprodukte sind in Form, Erscheinung und Geschmack noch sehr begrenzt, sie beschränken sich meist auf einfach formbare Lebensmittel – wie eben Wurst und Buletten.
Deshalb forschen Unternehmen längst an Laborfleisch: Echte tierische Zellen, die aber eben nicht am Skelett von Kuh und Schwein, sondern in der Petrischale gewachsen sind. Damit, so die Hoffnung, könnten später einmal auch komplexere und vielfältigere Fleischformen und -texturen machbar sein, und all das deutlich klima-, umwelt- und tierfreundlicher als im Stall. Vom Laborfilet bis zum Petripansen, der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.
Inzwischen hat die Industrie auch die Meere in den Blick genommen, die Pioniere in diesem Gebiet stammen vor allem aus Asien, wo Fisch und Meeresfrüchte traditionell wichtige Elemente der regionalen Küche sind. Doch mit erforscht auch das erste europäische Unternehmen die Möglichkeit, Speisefisch im Labor wachsen zu lassen. Unsere Gastautorin hat Frea Metha, die als Zellbiologin bei Bluu Biosciences arbeitet, im Labor in Lübeck besucht.
Lara Islinger:
Fisch und Fleisch im Labor herstellen: Warum sollten wir das machen?
Frea Metha:
Alternative Eiweißquellen sind sehr wichtig. Denn die Art und Weise, wie wir unsere Nahrung im Moment beziehen – und damit meine ich besonders tierische Produkte –, ist das Gegenteil von nachhaltig. Und in Zukunft wird die Nachfrage nach tierischen Produkten weiter steigen, besonders durch die wachsende urbane Mittelschicht in China und anderen Schwellenländern.
Ihr konzentriert euch bei Bluu Biosciences auf die Herstellung von kultiviertem Fisch. Ist Fisch nicht ohnehin nachhaltiger als Fleisch?
Frea Metha:
Um die Frage zu beantworten, muss ich erst mal ein Missverständnis aus dem Weg räumen: Oftmals wird Fisch als gesunde und nachhaltige Proteinquelle und damit als bessere Alternative zu Fleisch angepriesen. Das finde ich sehr problematisch. Solchen Behauptungen liegt meist die falsche Annahme zugrunde, dass man Nachhaltigkeit allein durch die Emission von Treibhausgasen bestimmen kann. Tatsächlich sind die bei Fisch niedriger. Aber bereits jetzt führt die anhaltende Überfischung dazu, dass die Boote immer länger auf dem Wasser bleiben müssen. Die Emissionen steigen also immer weiter, je leerer die Meere werden. Zudem riskieren wir, dass ein ganzes Ökosystem zusammenbricht. Wir sind gar nicht in der Lage vorherzusagen, welche Auswirkungen es hat, Andererseits können wir global nicht einfach so auf Fisch verzichten. Nach Einschätzungen der UN sind Fisch und Meeresfrüchte die primäre Proteinquelle für über eine Milliarde Menschen weltweit – besonders in Asien und Afrika.
Im März 2021 wurde bekannt, dass Bluu Biosciences ein Investment in Höhe von 7 Millionen Euro einholen konnte, um die Entwicklung von Laborfisch weiter voranzutreiben.In Zukunft könnte Laborfisch einmal gesünder und nahrhafter sein als das Original aus dem Meer, glaubt Frea Metha.Laborfisch kann überall »frisch« hergestellt werden – anders als gefangene Ware, die teilweise weit transportiert werden muss.
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Sind Aquakulturen bereits eine nachhaltige Alternative?
Frea Metha:
Leider nein. Zwar wird mittlerweile ungefähr genauso viel Fisch in Aquakulturen gezüchtet wie wild gefangen, aber auch diese Methode ist keineswegs nachhaltiger. Das größte Problem mit Aquakulturen ist, dass dort meist Fische gezüchtet werden, die selbst Fisch fressen – und als Futter wird fast ausschließlich wild gefangener Fisch verwendet. Mir bereitet das große Sorgen. Die Überfischung wird dadurch nur weiter verstärkt und wird auf lange Sicht zum Aussterben von Arten und dem Kollaps des Ökosystems führen. Zudem sind Aquakulturen aus gesundheitlicher Perspektive bedenklich. Wie bei allen Tieren, die auf engstem Raum gehalten werden, akkumulieren sich toxische Stoffe und es gibt ein hohes Risiko für Krankheiten. Dadurch steigt die Gefahr von Antibiotikaresistenzen in der Bevölkerung. So können wir nicht weitermachen.
Die Probleme von Aquakulturen sind auch einer der Gründe, warum Bluu Biosciences überhaupt existiert. Unser Gründer Sebastian Rakers hat vorher zur Vermeidung von Krankheiten im Zusammenhang mit Aquakulturen geforscht. Um die Fische untersuchen zu können, hat er Zellen entnommen und Zelllinien entwickelt, die wir heute für die Kultivierung verwenden.
Sprechen wir einmal über euer Unternehmen: Wie geht es, Fisch in der Petrischale zu züchten?
Frea Metha:
Der Herstellungsprozess von kultiviertem Fleisch und Fisch ist recht ähnlich. Der Schlüssel sind Stammzellen, die dem Tier gemeinsam mit Muskelzellen entnommen werden. Dazu muss es nicht getötet werden. Stammzellen sind in der Lage, sich massenhaft zu vermehren und frisches Gewebe zu bilden. Damit das klappt, schaffen wir im Labor die passenden Bedingungen. Unser Ziel ist es, den Zellen vorzuspielen, dass sie sich in einem Körper befinden und sich exponentiell vermehren sollen. Ab einem gewissen Punkt bringen wir dann die Zellen dazu, die Art von Gewebe herzustellen, die wir brauchen. Für die Kultivierung von Nahrungsmitteln sind das überwiegend Muskel- und Fettzellen. Bei diesem Prozess wächst sozusagen ein Stückchen Fischfilet.
Ist das nachhaltiger?
Frea Metha:
Es ist sehr effizient, weil wir nur die für den Konsum relevanten Zellen herstellen und nicht den Rest des Tieres, der normalerweise sowieso weggeworfen wird. Auch dadurch können wir Ressourcen sparen. Doch die Technologie steckt aktuell noch in den Kinderschuhen. Erste Ökobilanzmodelle weisen darauf hin, dass kultiviertes Fleisch im Moment noch mehr Energie verbraucht als die herkömmliche Herstellung. Es ist schwierig zu prognostizieren, was das für die Zukunft bedeutet.
Von anderen Unternehmen werden die Umwelt- und Klimabilanz von kultiviertem Fleisch sehr gut eingeschätzt. Mehr dazu erfährst du hier:
Gibt es weitere Vorteile gegenüber gefangenem Fisch oder solchem aus Aquakultur?
Frea Metha:
Eine Sache, die ich total faszinierend finde, ist, dass wir die Eigenschaften des Produktes nach unseren Vorlieben verändern können – zum Beispiel können wir die Produkte gesünder machen, indem wir sie mit weniger oder besserem, ungesättigten Fett versetzen. Es gibt neue Studien, die untersuchen, wie kultiviertes Fleisch mit Vitaminen oder anderen Stoffen angereichert werden kann.
Ein weiterer Vorteil ist, dass Fisch eigentlich ein geografisch limitiertes Produkt ist. Damit meine ich, dass er nur in Küstenregionen und der Nähe von Gewässern verfügbar ist. Ein Labor kann aber überall stehen. Wir können in Lübeck an der Kultivierung von Fisch arbeiten, der hier gar nicht heimisch ist – und genauso könnte das in Zukunft an allen möglichen Orten gehen, zum Beispiel auch in einer Wüstenregion.
Welche Zielgruppe habt ihr? Glaubst du, die Konsument:innen sind bereit für Fleisch und Fisch aus dem Labor?
Frea Metha:
Die Zielgruppe sind nicht Menschen, die schon vegan oder vegetarisch leben, sondern die durchschnittlichen Fleischesser:innen, die im Supermarkt einkaufen. Die wichtigsten Faktoren für Konsument:innen sind, dass die Produkte sicher sind, gut schmecken, sich wie erwartet verhalten und natürlich auch bezahlbar sind. Das ist äußerst schwierig zu erreichen, weil wir mit der stark subventionierten tierischen Landwirtschaft konkurrieren müssen. Der Prozess der Kultivierung ist im Moment auch noch sehr aufwendig. Aber wir sind auf einem sehr guten Weg.
Was ist deine Vision für die Zukunft und was wird der nächste Schritt für Bluu Biosciences sein?
Frea Metha:
Ich finde, wir leben gerade in einer sehr aufregenden Zeit, was die Kultivierung von Fisch und Fleisch betrifft. Wir machen viel schnellere Fortschritte, als ich es für möglich gehalten habe. Ich persönlich glaube, dass wir als Erstes Hybridprodukte auf dem Markt sehen werden, die aus pflanzlichen Bestandteilen und kultiviertem Fisch oder Fleisch zusammengesetzt sind. Einige Firmen haben bereits Pilotanlagen für eine solche Produktion eingerichtet. Auf lange Sicht bin ich der Überzeugung, dass Kultivierung mehr kann, als einfach nur herkömmliches Fleisch und Fisch zu ersetzen. Ich stelle mir vor, dass uns diese Technologie ein neues Modell der Lebensmittelproduktion bieten kann, wie wir weltweit Hunger und Krankheit bekämpfen können – und dabei weniger von Ausbeutung und Monopolen abhängig sind. Auch auf kulinarischer Ebene hat die Kultivierung viel Potenzial und könnte uns dazu bringen, unsere Esskultur weiterzuentwickeln.
Wie das?
Frea Metha: Im Prinzip beschränken wir uns auf die Tierarten, die wir jagen oder domestizieren konnten. Durch die Kultivierung ist es theoretisch möglich, Gewebe von jedem Lebewesen oder auch Kombinationen herzustellen, ohne diese zu verletzen. Die kulinarischen Möglichkeiten sind endlos! Das ist aber Zukunftsmusik. Aktuell konzentrieren wir uns darauf, Produkte herzustellen, die den aktuellen Bedarf decken.
Dieser Artikel ist Teil des journalistischen Projekts »Tu, was du für richtig hältst!«, das dir helfen soll, dein Verhalten mit deinen Idealen in Einklang zu bringen. Um mehr darüber zu erfahren und herauszufinden, wie groß die Lücke zwischen deinen Idealen und deinem Verhalten ist, klicke hier! Das Projekt erfolgt in Kooperation mit dem Wuppertal Institut (WI) und wird gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU).
Lara Islinger (sie/ihr) ist Aktivistin mit Schwerpunkt auf reproduktiver Gerechtigkeit und Abtreibung. In den letzten 2 Jahren arbeitete sie eng mit feministischen Organisationen und Kollektiven in Mexiko und den USA zusammen. Lara studiert Politikwissenschaft an der Universität Hamburg und hat die Redaktion von Perspective Daily im August und September 2017 als Praktikantin unterstützt.