Sind Tiny Houses eine echte Alternative zur Mietwohnung?
Mit der Idee, unabhängig und auf kleinstem Raum zu wohnen, verbinden viele Menschen den Traum von einem besseren Leben. Doch Tiny Houses könnten auch im Kampf gegen Wohnungsnot und die Klimakrise helfen.
Es ist ein wolkenverhangener Nachmittag, als mich Alexander Plank über das Gelände der Zimmerei führt. Seine Begeisterung beim Erzählen steht in auffallendem Kontrast zum trüben Wetter. Unter der Woche unterrichtet der gelernte Schreinermeister, Raum- und Objektdesigner an einer Mittelschule in Regensburg. An den Wochenenden baut er hier, in der Werkstatt eines Freundes in dem kleinen Ort Walderbach zwischen dem Oberpfälzer und dem Bayerischen Wald, an Tiny Houses. Das Besondere: Seine Kund:innen werden von ihm angeleitet und packen mit an, so viel sie wollen.
Wir gehen an einem Fluss mit dem kleinen Wasserkraftwerk vorbei, das die Zimmerei mit Strom versorgt; am betriebseigenen Sägewerk, in dem Bäume aus den umliegenden Wäldern zu Holz verarbeitet werden; und durch eine große Halle, deren Boden zentimeterdick mit frischen Sägespänen bedeckt ist. Danach stehen wir wieder im Freien. Unter einer weißen, 4 Meter hohen Plane, auf der sich das Regenwasser der letzten Tage gesammelt hat, ist Planks aktuelles Projekt versteckt: Das neue Zuhause für eine Familie mit 2 kleinen Kindern. Seit 3 Monaten treffen sie sich hier jeden Samstag mit Plank, sägen, schrauben und kleben. Mittags essen sie gemeinsam unter freiem Himmel. »Inzwischen muss ich gar nicht mehr viel erklären. Alle wissen, was zu tun ist, und legen immer direkt los.« Bis Dezember wird ihr Tiny House fertig sein, schätzt Plank.
Etwas abseits der Halle stehen auf dem Gelände der Zimmerei bereits die sogenannten
Planks Konzept, Menschen in den Bau eines eigenen Tiny Houses aktiv einzubinden, stellt eher die Ausnahme dar. Doch die Wohnform an sich scheint immer mehr Menschen zu begeistern. Laut
Fahrzeug oder Gebäude? Vor dem Gesetz sind nicht alle Tiny Houses gleich
Trotzdem wird diese Wohnform gern als ein möglicher Baustein für die Lösung von 2 großen gesellschaftlichen Problemen gehandelt: der Klimakrise und der Wohnungsnot. Doch ist das wirklich so einfach? 4 Wände aus Holz zusammenzimmern und 2 Megaprobleme sind gelöst? Was ist dran am Hype um die kleinen Häuser? Und warum entscheiden sich Menschen überhaupt für ein Leben auf wenigen Quadratmetern?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, müssen wir einen Schritt zurückgehen und zunächst klären, worüber wir überhaupt sprechen. Tiny Houses sind weder ein besonders neues noch ein deutsches Phänomen. Die Bewegung entstand vermutlich in den 70er-Jahren in den USA, als sich Architekt:innen mit Gegenkonzepten zu immer größer werdenden Wohnhäusern beschäftigten. Von dort verbreitete sich der Trend über die ganze Welt. Je nachdem, wie weit der Begriff gefasst wird, kann auch ein ausgebauter Bauwagen als Tiny House verstanden werden, wie ihn beispielsweise
Eine einheitliche Definition gibt es in Deutschland bisher nicht, auch
Bei der Frage, welche Gesetze beim Bau von Tiny Houses beachtet werden müssen, wird es noch etwas komplizierter: Solange die Besitzer:innen damit auf der Straße unterwegs sind, greift das Straßenverkehrsrecht. Je nachdem, ob das Haus fest mit dem Trailer verbunden oder leicht abnehmbar ist, zählt es demnach als eigenständiges Fahrzeug oder nur als Ladung. In beiden Fällen darf das Haus nicht höher als 4 Meter und nicht schwerer als 3,5 Tonnen sein. Sobald das Haus auf einem Grundstück abgestellt und bewohnt wird, greifen das Baurecht und die jeweiligen
»Brauchen wir wirklich so viel Platz?«
Oft scheitern Tiny-House-Projekte genau an diesem Punkt. Wer mit dem Gedanken spielt, sich selbst ein Tiny House zu bauen oder zu kaufen, sollte deshalb die Suche nach einem geeigneten Grundstück vor alles andere stellen und rechtzeitig mit den Behörden vor Ort in Kontakt treten. Alexander Plank weiß um diese Schwierigkeiten und unterstützt seine Kund:innen neben dem Bau auch bei der Grundstückssuche und der Kommunikation mit den Kommunen. »Inzwischen bekommen wir sehr viele Anrufe von Privatleuten, die ihr Grundstück für Tiny Houses zur Verfügung stellen möchten oder die noch nach Gleichgesinnten suchen«, freut er sich. Ob dem Bauvorhaben zugestimmt wird, hänge aber ganz von der zuständigen Gemeinde ab. Hier müsse sich noch einiges ändern und die Genehmigungsverfahren erleichtert werden.
Auch Francesca Perniola betont, dass die Grundstücksfrage das A und O ist. Die 25-Jährige wohnt aktuell noch mit ihrem Partner in einer 2-Zimmer-Wohnung in Freising bei München. Beide arbeiten bei einem IT-Dienstleister,
Warum sie ihre Mietwohnung gegen etwas Kleineres tauschen möchten? Der finanzielle Aspekt sei der Hauptgrund für die beiden. »Ich wohne seit 7 Jahren in Mietverhältnissen, meist in 2-Zimmer-Wohnungen,
Perniola und ihr Partner planen, im Tiny House alt zu werden, und haben dementsprechend vorausschauend geplant. Auf eine Galerie, wie sie bei vielen Modellen als Schlafbereich genutzt wird, verzichten sie beispielsweise. Stattdessen ist die gesamte Wohnfläche auf einer Ebene. Falls sie irgendwann ein schöneres Grundstück finden oder in ein paar Jahren Lust auf etwas Neues haben, könnten sie sich zwar vorstellen, samt des Tiny Houses umzuziehen, meint Perniola. Doch »mobil« zu wohnen sei für sie nicht ausschlaggebend gewesen.
Neben dem finanziellen Aspekt sei ihr hingegen der Minimalismusgedanke immer wichtiger geworden. »Ich hatte früher sehr viel Kleidung, weil meine Mutter ein eigenes Geschäft führt und mir regelmäßig etwas geschenkt hat. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich dachte: Ich brauche die ganzen Klamotten doch gar nicht. Sie nehmen nur Platz weg und sind am Ende Müll, wenn ich sie nicht weiterverkaufen kann«, erzählt sie. Gemeinsam mit ihrem Partner habe sie dann auch in anderen Lebensbereichen angefangen, ihren Ressourcenverbrauch zu reduzieren, weniger Müll zu produzieren, in Unverpacktläden einzukaufen. »Irgendwann sind wir dann bei der Wohnungsfrage gelandet: Brauchen wir wirklich eine 2-Zimmer-Wohnung? Ein Tiny House ist funktional und hat eigentlich alles, was wir brauchen.«
Auch Alexander Plank bestätigt, dass bei vielen nicht nur finanzielle, sondern oft auch ökologische Überlegungen eine Rolle spielen. Seine Kund:innen kommen aus allen Altersgruppen und in ganz unterschiedlichen Familienkonstellationen. Gemein haben sie alle den Traum von einem einfacheren und nachhaltigeren Leben. Deshalb setzt Plank auf Holz aus der Region und für die Dämmung auf ökologisch unbedenkliche Holzwolle. Im September stellte er eines seiner Tiny Houses dem Klimacamp von Fridays for Future in Regensburg zur Verfügung.
Weniger Platz gleich weniger Konsum?
Sind Tiny Houses aber wirklich nachhaltiger als Mietwohnungen? Wie so oft lässt sich das nicht pauschal beantworten. Wenn Tiny Houses als Wohngebäude genutzt werden, müssen sie wie andere Häuser auch den Energiestandard eines Energiesparhauses (EH-70) erfüllen. Wie viel CO2 sich durch ein Tiny House einsparen lässt, hängt dann von der konkreten Bauweise und der Quadratmeterzahl ab. Tiny Houses sollen weniger Baumaterial sowie weniger Energie zum Heizen, Kühlen und für die Beleuchtung benötigen. Durch eine teilautarke Versorgung mit Solar- und Fotovoltaikanlagen sind weitere Einsparungen möglich.
Leider gibt es bisher wenig Forschung und damit konkrete Zahlen zu den Klimaeffekten von Tiny Houses gegenüber Mietwohnungen. Die beiden Ingenieurwissenschaftler Crawford und Stephan von der University of Melbourne konnten allerdings
Dazu kommt, dass der indirekte Ressourcenverbrauch von Personen vermutlich umso geringer ausfällt, je kleiner die Wohnfläche ist. Denn je weniger Platz zur Verfügung steht, desto weniger Gegenstände schaffen sich Menschen vermutlich an.
Der letzte Aspekt in Bezug auf die Nachhaltigkeit betrifft die für Tiny Houses benötigten Flächen: Auf der einen Seite ist der Flächenverbrauch pro Wohneinheit größer als bei mehrgeschossigen Gebäuden – trotz durchschnittlich geringerer Wohnfläche pro Kopf. Auf der anderen Seite werden durch das Aufstellen von Tiny Houses in der Regel keine neuen Flächen versiegelt. Schließlich stehen sie auf Rädern und werden höchstens mit sogenannten Schraub- oder Punktfundamenten im Boden verankert.
Wohnen im Tiny House ist im Idealfall also vergleichsweise günstig und nachhaltig. Ist es vorstellbar, dass wir in ein paar Jahren alle auf diese Wohnform umgestiegen sein werden?
Nein, meint Ricarda Pätzold, die am Deutschen Institut für Urbanistik
Lange Zeit galt das Mantra: Mehr Fläche ist immer besser. Je mehr Platz, desto größer die Wohnqualität. Kleine Wohnungen galten als ›Gefängnisse‹. Durch Corona hat das wieder voll durchgeschlagen, die Umkehr zum eigenen Haus mit Garten wurde gepriesen. Tiny Houses versuchen aber, ein anderes Denkmuster zu bedienen: Ist es nicht eher befreiend, keine 100 Quadratmeter putzen zu müssen? Zu viele Dinge zu besitzen, die gar nicht mehr zu überschauen sind, stellt auch eine Last dar.
Ein Großteil der Wohnungen in Immobilieninseraten sei immer noch auf Mutter, Vater und 1–2 Kinder ausgelegt. Obwohl solche Familienkonstrukte
Die Forscherin betont aber auch, dass längst nicht alle Menschen die Möglichkeit hätten, sich über Wohnqualität Gedanken zu machen – oft gehe es darum, überhaupt Wohnraum zu finden. Wohnen auf kleinem Raum ist nur dann erstrebenswert, wenn es selbstbestimmt und freiwillig passiert.
Für Alexander Plank ist klar, dass er in Zukunft noch vielen anderen Menschen dabei helfen will, ihren
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Titelbild: Alek Kalinowski - CC0 1.0