Von 60 auf 8 Quadratmeter: Warum unsere Autorin in einem Van lebt und arbeitet
Das Leben im Van ist nicht romantisch, aber es entschleunigt. Wie es mit einem Vollzeitjob zusammenpasst und warum es sogar dir zugutekommen kann.
Als ich die Augenlider öffne, strahlt mir durch das Dachfenster ein gleißend blauer Himmel entgegen. Der Wind weht die Blätter eines Vogelbeerbaums sanft hin und her. Zwischen ihnen repariert eine fingernagelgroße Spinne gerade ihr Netz. Sie ist beige. Von draußen dringt das Vogelgezwitscher zu mir durch. Eine Fliege verfängt sich im Netz. Während ich richtig wach werde, verfolge ich interessiert das Geschehen durch das Glas wenige Zentimeter vor meinem Gesicht.
Die Natur scheint zum Greifen nahe. Das ist sie auch, denn ich befinde mich nicht in der Stadt. Ich schlafe nicht in 4 stabilen Wänden, sondern im Schatten einer Baumreihe in einem Campervan. Genau dort, wo ich ihn am Vorabend abgestellt habe. Für einen Moment genieße ich diese absolute Freiheit – dann meldet sich meine Blase zu Wort.
Notgedrungen schlage ich die wohlig warme Decke beiseite, um von überraschend kühler Luft empfangen zu werden. Wenige Sekunden später bin ich angezogen und hellwach. Meine Ausrüstung besteht aus Jogginghose, Pullover, Wanderschuhen, Klopapier, Hundekotbeutel, einem kleinen Spaten, einem Moskitonetz und einem gequälten Gesichtsausdruck.
Ich öffne die Tür meines Vans und stolpere nach draußen. Der Boden unter meinen Füßen ist etwas sumpfig. Hier muss irgendwo ein Wasserlauf langführen. Mit Blick auf den Laubwald laufe ich ein paar Hundert Meter, weg von der Straßenbucht, in der der Van geparkt ist. Zum Glück ist um diese Uhrzeit – 7 Uhr morgens – noch nicht so viel los. Im Schutz der Bäume hoffe ich auf etwas Privatsphäre. Doch ich werde, wie erwartet, nur von einem
Auch solche Situationen gehören zum Leben dazu, das ich seit einem halben Jahr führe. Dabei wird »Vanlife« in Reiseblogs und auf Instagram als romantisch angepriesen. Ob ich es bereue?
Wie mein Alltag im Van aussieht, wie das mit einem Vollzeitjob funktioniert, warum es sogar dir zugutekommen kann – das will ich dir in diesem Text erzählen.
Von 60 auf 8 Quadratmeter: Warum ich in einem Wohnmobil lebe
Auf dem Rückweg zu meinem Zuhause auf 4 Rädern denke ich mir: »Wieso tust du dir das eigentlich an?«
Nicht jeder Morgen ist so abenteuerlich wie der eingangs beschriebene. Aber fast jeder. Die Suche nach einem stillen Örtchen bestimmt maßgeblich meinen Tagesablauf. Die Öffnungszeiten von öffentlichen Raststätten, Besuche von Supermärkten oder zur Not auch der Ausflug in die Natur müssen gut geplant werden.
Seit Dezember 2022 leben mein Partner und ich in einem selbst ausgebauten Peugeot Boxer, Baujahr 2011. Wir sind zumeist in seiner Heimat, in Großbritannien, unterwegs. Er arbeitet als Bergführer und Kletterlehrer, ich in Vollzeit für Perspective Daily.

Für mich war es erst mal leicht, den Komfort und Platz einer Wohnung für das neue Leben auf 8 Quadratmetern aufzugeben. Wie viele Menschen wollte ich schon von klein auf die Welt bereisen. Mein Partner tickt ähnlich. Nun haben wir beide das große Glück, dass wir uns diesen Traum ermöglichen konnten. Wir leben in reichen und sicheren Ländern, haben Familien, die uns finanziell unterstützen können. Und es gibt einen Ort, an den wir zurückkehren können, wenn etwas schiefläuft, an dem wir mit offenen Armen empfangen werden – und an dem wir unseren Wohnsitz angemeldet haben für den ganzen Papier- und Versicherungskram. Auch Möbel und Dinge, die wir momentan nicht benutzen, sind dort sicher verwahrt.
Seien wir ehrlich: So ein Vanleben musst du dir leisten können. Nicht die Kosten »im Betrieb«, die sind deutlich günstiger als die WG-Zimmer und Wohnungsmieten, die ich vorher an meinen Wohnorten Hamburg und Münster bezahlt habe. Es sind die Startkosten, sich ein Wohnmobil oder ein entsprechendes Auto und Zubehör zum Eigenausbau anzuschaffen. Später kommen dann noch die Werkstattkosten hinzu, wenn du dir ein älteres Fahrzeugmodell besorgst wie wir. Günstigeres Auto und dafür viele Reparaturkosten?
Doch zumindest in einem stimme ich der Schönmalerei zu: Für mich ist das Leben im Van ein Stück Freiheit und Unabhängigkeit, das in keine Geldsumme gefasst werden kann. Allerdings eine Freiheit, die du selbst mit Sinn und Leben füllen musst – das kann keine Lifestyle-Bloggerin und kein Social-Media-Influencer vorleben. Natürlich habe auch ich mich von ihnen inspirieren lassen. Doch letzten Endes war das Vanleben für mich eine praktische Antwort darauf, wie ich verschiedene Erwartungen und Wünsche an mein Leben unter Dach und Fach bringen konnte.
- Da ist zum einen mein Wunsch, unterwegs und möglichst mobil sein zu können. Ich möchte mit unterschiedlichen Menschen und Lebensrealitäten in Kontakt kommen, in verschiedenen Ländern vor Ort recherchieren können und trotzdem die Sicherheit eines geregelten Einkommens haben.
- Zum anderen möchte ich der Natur näher sein und mir keine Ausreden mehr geben, nicht rausgehen zu müssen (ja, ein Hund würde das auch hinbekommen). Eine Runde Klettern vor der Arbeit oder ein Feierabendschwimmen im Meer? Dafür musst du an den entsprechenden Orten sein.
- Und natürlich will ich einen Alltag mit meinem Partner haben. Der Lebensstil muss unseren beiden Jobs und Bedürfnissen gerecht werden. Er ist Brite, der Brexit hat uns also vor einige Herausforderungen gestellt.
Haben sich meine Erwartungen also erfüllt?
Ein ehrliches Fazit nach 6 Monaten: die Tücken und die schönen Seiten
Rückblickend haben mich der Eigenausbau des alten Lieferwagens und das Leben viel gelehrt –

In Schottland sind einige der
Vor lauter Enttäuschung darüber habe ich ein altes Hobby wiederbelebt:
Nur wenige halten sich nicht an die Regeln, doch die Konsequenzen müssen alle tragen. Wie sich der Frust ausdrückt? In immer mehr Park- und Campingverboten, mit Steinen versperrten Parkbuchten und lokalen Anwohner:innen, die einen morgens um 5 Uhr beim Vorbeifahren wachhupen.
Was mich aber wirklich am Vanleben überrascht hat, ist das:
- Es ist befreiend, auf kleinem Raum zu leben. Dann hast du nämlich auch nur das bei dir, was du wirklich benötigst. Vorher habe ich viel über Minimalismus gelesen, es aber nur so halbherzig ausprobiert und zum Aussortieren genutzt. Als ich mich von 60 auf 8 Quadratmeter reduziert habe, ging es ans Eingemachte. Nun kann ich so gut wie jeden Gegenstand auflisten, den ich dabeihabe, und sagen, an welchem Ort er liegt – von der Teetasse bis hin zu den Wollsocken und der Lichterkette. (Ich sage nicht, dass alles praktisch ist, was ich dabeihabe!) Alles ist in greifbarer Nähe und schnell aufgeräumt.
- Alltägliches dauert länger und braucht Planung: Vor der Arbeit noch die Spül- und Waschmaschine anstellen, schmutzige Schuhe und Regenjacken im Hausflur abstellen und eine heiße Dusche zum Entspannen? Das alles gibt es in unserem Van nicht. Geschirr muss direkt nach dem Essen mit Hand abgewaschen werden, sonst steht es im Weg herum. Fürs Wäschewaschen muss ich mich nach dem nächsten Waschsalon (oder einer Maschine auf einem Campingplatz) erkunden, währenddessen zuschauen und stets darauf achten, dass ich genügend Kleingeld habe. Schmutzige Schuhe müssen zügig gesäubert und nasse Kleidung getrocknet werden, sonst zieht die Feuchtigkeit in andere Sachen und der Dreck verteilt sich überall. Wir haben zwar eine Kaltwasser-Außendusche, die ist jedoch nur für Notfälle, da sie viel Wasser verbraucht. Stattdessen suchen wir strategisch nach Waschmöglichkeiten – das heißt in Schwimmbädern, an Raststätten, in Hostels und auch in Flüssen und Seen. Gleiches gilt für Abwasser-Ablasspunkte und Frischwasser-Auffüllmöglichkeiten. Das nimmt Zeit in Anspruch – aber immerhin gibt es dafür wenig aufzuräumen.
- Du passt dich der Natur an. Einfach so. Eine Erwartung von mir war, während des Vanlebens wieder mehr draußen zu sein, dadurch,
- Das Leben entschleunigt und fokussiert neu. Eigentlich hätte ich erwartet, dass mich das viele tägliche Planen und die kontinuierlichen Ortswechsel stressen würden. Und vielleicht klang es im Artikel bisher ein wenig so. Doch wenn ich ehrlich bin, ist genau das Gegenteil der Fall: Der langsame und sehr bewusste Alltag hat mein Leben
- Die Nomad:innen-Community ist herzerwärmend. Als Camper oder Vanlifer bist du niemals allein unterwegs. Es gibt so viele Menschen, die das gleiche oder etwas Ähnliches machen, und die vielen Begegnungen mit ihnen sind jedes Mal eine Freude. Da gibt es die Rentner:innen, die sich ihr Geld für einen VW Bus zusammengespart haben und nun ihre Heimat Großbritannien in Vollzeit bis ins Detail erkunden. Die Familien, die mit ihren Kindern wochenlang im kleinen, umgebauten 6-Sitzer unterwegs sind. Die Aussteiger:innen, die sich mit Saisonjobs über Wasser halten und ihre Hobbys wie das Klettern finanzieren. Die Influencer:innen, die bei aller Inszenierung vor allem eines wollen: Über das Leben, das sie lieben, erzählen und dafür werben. Alle, die ich bisher getroffen habe, teilen eine bestimmte Art: Sie sind ein hilfsbereiter, warmherziger, umweltbewusster Schlag Mensch mit einer Vorliebe für die Natur.

Einer der für mich größten Punkte, zu dem ich mir im Voraus viele Gedanken gemacht hatte, war jedoch: die Arbeit.
So funktioniert das Vanleben mit einem Onlinejob
Zurück im Van verstaue ich den Spaten unter dem Fahrersitz. Danach stelle ich den Wasserkocher auf den Gasherd, schnappe mir meinen Laptop und mache es mir auf dem Beifahrersitz gemütlich. Meistens ist die Aussicht okay, doch heute ist sie besonders schön. Ich blicke auf ein saftig grünes Feld, das vom Frühlingslicht getränkt ist und von einer wackelig verlaufenden Steinwand umrahmt wird. Dutzende weiße Punkte verstreuen sich über das Feld: Es sind Schafe mit weißem Wollkleid, schwarzen Köpfen und Beinen und kleinen Lämmchen im Schlepptau, die sich über die Wiesen jagen und gegenseitig rammen. Dahinter befindet sich ein kleiner Laubwald und eine Bergkette.
So, und jetzt arbeiten … irgendwie.
Ich starte unseren mobilen LTE-Router. Das Gerät läuft über eine eigene SIM-Karte und einen gebuchten Datentarif. Das Internet ist langsam, aber ausreichend für meine morgendlichen Aufgaben: die
Vollzeit im Van zu arbeiten ist eine Herausforderung. Es schränkt die Freiheiten ein, die das Vanleben uns gibt. Unter der Woche bin ich auf bestimmte Standorte angewiesen (leise, guter Empfang). Immer, wenn wir neu in einer Region sind, ist es unsere erste Aufgabe, diese funktionierenden Stellplätze zu finden. Und egal wie sonnig die Tage auch sein mögen, ich verbringe sie arbeitend im Van – manchmal auch in einem Café. Dann sind die tollen Landschaftsaussichten ab und an ebenso frustrierend wie motivierend, da ich gerade nicht dort unterwegs sein kann – während es mein Partner ist. Und obwohl ich hier natürlich tolle Menschen treffe und bereichernde Beziehungen knüpfe, vermisse ich auch meine Kolleg:innen in Deutschland.
Doch ich merke gleichzeitig, wie mich die Freiheit hier motiviert und mir viel bringt. Ich bin froh, dass mir das Perspective Daily als Arbeitgeber ermöglicht. Denn beim Vanleben einen Job auszuüben, den ich als sinnerfüllend wahrnehme, rundet meine Erfahrung ab. Ohne das könnte ich es nicht machen. Dafür nimmt der Beruf einen zu großen Teil meines Lebens ein.

Und es bleibt spannend: Im Herbst bin ich für 2 Monate in
Damit wäre ich auch an dem Punkt angekommen, warum mein Lebensstil sogar dir zugutekommen könnte. Denn ein Grund, wieso ich mich überhaupt dafür entschieden habe, ist: Ich will direkter mit Menschen in Kontakt kommen,
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily