5 schlechte digitale Gewohnheiten, die die meisten Menschen haben. Du auch?
Was sich hinter Doomscrolling, Soft-Houring, Virtue Signalling verbirgt – und wie du dein Onlineleben besser in den Griff bekommst.
Ich liege viel zu spät abends noch wach. Der Bildschirm des Laptops, den ich gekonnt auf meinem Bauch abgestellt habe, strahlt mir unermüdlich ins Gesicht. Eigentlich sollte ich längst schlafen – doch irgendetwas hält mich noch online. Hastig flitzen meine Pupillen von links nach rechts, von oben nach unten. Per Mausrad scrolle ich durch die Timeline von Twitter, das neuerdings X heißt: ein Politiker hat etwas zur Ukraine gesagt, irgendwer ist wütend, ein Experte malt schlimme Szenarien aus, Trump poltert mal wieder … eigentlich habe ich schon schlechte Laune. Aber aufhören kann ich irgendwie auch nicht.
Kennst du das?
Machen wir uns nichts vor: Die meisten von uns verhalten sich im Netz alles andere als rational. Stattdessen surfen wir immer der Nase nach und klicken eher unüberlegt umher, sodass wir am Ende mit Schlafmangel und Nerven einen hohen Preis bezahlen. Den Plattformen gefällt das, denn egal ob es den Nutzer:innen dabei gut geht oder nicht – solange Menschen aus irgendwelchen Gründen online sind, profitieren Facebook und Co.
Gut, dass es für diese fragwürdigen Verhaltensweisen schon neue Wörter gibt. Doomscrolling, also Weltuntergangsscrolling, ist nur eines davon. Anhand dieser Wörter kannst du dein eigenes Verhalten im Netz überprüfen und deine Onlinegewohnheiten verbessern.
Bitte scrolle jetzt weiter!
1. Wenn du nur noch schlimme Dinge im Internet siehst
… ist die Welt nicht notwendigerweise schlechter geworden.
Doch das Internet bietet generell eine enorme Zahl an Informationen, auch über negative Ereignisse. Eine Suchanfrage nach »Rotes Meer« und »Ölteppich« etwa ergibt 23.000 Treffer bei Google – weit mehr als ein einzelner Mensch konsumieren könnte, und das über ein lokales Einzelereignis. Bei »Klimawandel« und »Folgen« sind es gleich 28 Millionen.
Allein die Masse an Informationen über eine einzelne Katastrophe wirkt also schon »erdrückend«.
Dazu kommt, dass Menschen negative Informationen stärker wahrnehmen als positive.
Außerdem arbeiten nahezu alle Plattformen im Netz heute mit Algorithmen, die im Hintergrund von dem lernen, was du klickst, und dir mehr davon empfehlen, wovon sie glauben, dass du es lesen willst, und was dich stärker an die Plattform bindet. Klickst du ein paar Mal auf alarmierende Einschätzungen etwa über »Preisschocks«, begegnen dir zielsicher mehr und vor allem noch emotionalere und alarmierendere Geschichten rund um Inflation und Teuerungen. Kein Wunder, dass Doomscrolling
Wenn du online also nur noch schlimme Dinge siehst, liegt das vielleicht einfach daran, dass du in eine Teufelsspirale von negativen Informationen, Algorithmen und Negativitätseffekt geraten bist.
2. Wenn du darauf brennst, dass dir jemand online antwortet
… dann hast du eine starke
Onlinekommunikation unterscheidet sich grundlegend von echten Gesprächen, in denen Menschen beieinander sind, sich in die Augen sehen und langes Zögern als unhöflich gilt. Nur weil ein Account als online angezeigt wird, heißt das noch lange nicht, dass von dort auch zurückgeschrieben werden kann. Vielleicht ist irgendwo ein Messengertab in einem Browser noch offen. Vielleicht hat derjenige den Messenger aus Versehen kurz geöffnet und direkt wieder geschlossen. Die Situation am anderen Ende jeder Direktnachricht ist erst mal unbekannt.
Auch könnte die Nachricht zwar gesehen worden sein – aber man möchte nicht direkt antworten. Aber das ist doch dann auf jeden Fall unhöflich! Wieder falsch.
Menschen haben sehr unterschiedliche Onlineverhalten und
Fest steht nur eines: Wer online kommuniziert, macht dies notwendigerweise zeitversetzt und tut gut daran, nicht zu viel hineinzuinterpretieren, auch wenn vielleicht mal gar nichts zurückkommt. Denn Messenger sind keine Gespräche –
3. Wenn du im Netz schnell mal etwas »Gutes tun« willst
… ist das sicher nett gemeint. Das eigene Foto in Regenbogenfarben,
Dann wäre immer noch nicht viel gewonnen, weder für die LGBTQI-Community noch für die Klimaschutzbewegung oder gegen Rechtsextremismus. Denn symbolische Gesten in den sozialen Medien sind schnell wieder vergessen, wenn es nur dabei bleibt. Für echte Veränderungen sind Proteste und Spenden nach wie vor entscheidend. Und Aktivismus bedeutet auch 2024 mehr als nur ein Post zum aktuellen Trendhashtag, wie auch
Da kommt schnell die Vermutung hoch, dass es denjenigen gar nicht um die Sache geht – sondern nur um eine symbolische Geste, vielleicht um das eigene Gewissen zu erleichtern (weil man eben nicht mit auf der Demo war). Vielleicht soll auch nur der digitalen Öffentlichkeit versichert werden, dass man
Bei Unternehmen oder für Prominente dient das als günstiges Marketing mit einem anderen Begriff:
- So warb etwa der digitale Spiele-Hersteller Activision-Blizzard 2023 für LGBTQI-Rechte, Fairness und Gleichberechtigung, während
- Der Youtuber Jirard Khalil (The Completionist) war etwa jahrelang auch für seinen Einsatz für Demenzbetroffene bekannt. Bis 2023 herauskam, dass er für die Demenzforschung eingenommenes
Doch der Begriff Virtue Signalling ist nicht unumstritten. Denn er wird in den letzten Jahren nur zu gern als Kampfbegriff gegen Menschen missbraucht, die tatsächlich für eine Sache einstehen, online wie offline.
So ist Virtue Signalling als Begriff nützlich, um sich selbst auf politische Faulheit zu überprüfen – weniger aber, um zynisch andere damit zu beschuldigen.
4. Wenn du online emotional wirst
… dann wird es meist schnell unschön oder peinlich. Die Gründe dafür sind vielfältig – schließlich
Manche Netzbewohner:innen konfrontieren andere online ganz bewusst mit schockierenden Themen und Bildern. Diese meist jugendlichen
Wer darauf schockiert reagiert, wird als dünnhäutig verspottet oder persönlich angegriffen. Und diese Provokateur:innen kommen selten allein, sodass schnell eine vergiftete Gruppendynamik entsteht.
Verwandt mit ihnen sind diejenigen, deren einziges Ziel es ist, andere zu reizen und eine emotionale Reaktion zu provozieren. Die Forschung legt nahe, dass diese sogenannten
Und zudem spielen die Plattformen selbst dabei mit, dich zu provozieren. Neurowissenschaftlerin Molly Crockett etwa betont, dass Unternehmen wie Facebook und Co. längst herausgefunden haben, dass emotionalisierende Inhalte Menschen zu mehr und stärkeren Reaktionen verleiten. Und da die Algorithmen vor allem Reaktionen stärken sollen, die Menschen an Plattformen binden,
Was auch immer die Gefühle hochkochen lässt: Im schlimmsten Fall hat sich jemand nicht mehr im Griff und es folgt der sogenannte Internet Meltdown (englisch für Kernschmelze), also ein Stoß von Posts in den sozialen Medien voller ehrlicher Wut, Frust oder gefühlter Überforderung. Das ist in gewisser Weise sogar menschlich und kann auch zu einer kleinen Welle von Solidarität und Sympathie führen.
Doch das Internet ist nicht der richtige Ort, seine Emotionen ungebremst rauszulassen. Denn wer weiß schon, wer da mitliest und welche Konsequenzen das nach sich zieht, wenn etwa der Chef oder eine Personalabteilung bei einer Suche auf diese Episode stößt? Wer ungehemmt emotional wird, riskiert außerdem, aus der Situation heraus persönliche Informationen preiszugeben, die vielleicht besser privat geblieben wären.
Klüger wäre es, die Kanäle erst mal zu verlassen oder stumm zu schalten, die dich so aufgeregt haben. Auch dafür gibt es einen neuen Begriff,
5. Wenn du todmüde vor dem Bildschirm hängst
…
Früher war das ein wesentlich geringeres Problem, da müde Menschen meist daheim waren und wenig Dummes anstellen konnten. Heute verbindet das Internet jedoch auch spät in der Nacht mit der ganzen Welt – und ermöglicht so etwa nächtliches Onlineshopping aus dem Bauch heraus, die emotionale Kurznachricht an die frühere Beziehung oder das schnelle Teilen von Inhalten, die sich bei genauerem Lesen als unwahr herausstellen.
Besonders anfällig sind Menschen dafür in den Stunden, die eigentlich für tiefen Schlaf reserviert sein sollten: bei einem normalen Schlafrhythmus zwischen 1 und 3 Uhr nachts. Diese sogenannten Soft Hours verleiten die Übernächtigten dann zu digitalen Dummheiten, die sie am Folgetag oft bereuen.
Und warum schlafen Menschen nicht einfach? Diese Frage ist komplex.
Die Lösung lautet
… mache das Internet aus. Ja, es ist so einfach.
Denn nur einer profitiert wirklich von Doomscrolling, Virtue Signalling oder dem Surfen während der Soft Hours – die Plattformen selbst. Doch die neuen Wörter für fragwürdiges Onlineverhalten zeigen auch: Die digitale Welt ist nicht so wichtig, wie ihre Macher gerne tun.
Schenke ihr einfach etwas weniger Beachtung. Das wäre eine positive Gewohnheit, die auch ein neues Wort hat: JOMO (Joy of Missing Out),
Du willst ja, aber es ist nicht so einfach? Hier geht es lang:
Mit Illustrationen von Mirella Kahnert für Perspective Daily