So viel riskieren Journalisten für deine Nachrichten
Immer häufiger machen Terroristen, Mafiosi und manchmal auch Regierungen Jagd auf Journalisten. So versuchen Reporter, sich zu schützen.
Das Adrenalin steigt. Niemand auf der Ladefläche des Pick-ups sagt ein Wort, als der Kampfjet durch die Wolken bricht. Jetzt ist alles möglich. Die Fahrgäste ziehen die Köpfe ein. Sie wissen, dass die Luftwaffe des syrischen Machthabers Baschar Al-Assad diese Straße immer wieder bombardiert. In dem Fahrzeug sitzen junge Syrer mit Kalaschnikows, die einige Monate zuvor noch Ingenieurwesen oder Literatur studiert haben. Doch jetzt wollen sie kämpfen, gegen die eigene Regierung, in der nordsyrischen Stadt Aleppo.
»Was zur Hölle mache ich hier?«, fragt sich die US-amerikanische Journalistin Anna Therese Day, als sie sich mit den anderen auf dem Truck wegduckt. In diesem Moment verflucht sie ihre Entscheidung, aus den umkämpften Stadtteilen Aleppos berichten zu wollen. Sie ist 23 Jahre alt, nicht viel älter als die anderen Mitfahrer, und es ist ihr erster Einsatz als Kriegsreporterin in Syrien. Die Sekunden quälen. Als keine Bombe fällt, springen die Syrer um Day auf. Ihre Erleichterung bekommt eine Melodie und sie besingen aus voller Kehle ihr Überleben.
Das war im Sommer 2012. Dass diese »Kids«, wie Anna Therese Day die jungen Syrer in ihrer Erzählung nennt, heute alle noch am Leben sind, ist unwahrscheinlich. Genauso unvorstellbar war für die junge Amerikanerin zu dem Zeitpunkt, dass sie weitere 6 Jahre lang über
Heute ist Anna Therese Day mit ihren nur 29 Jahren bereits eine erfahrene Kriegsjournalistin. Noch vor dem Einsatz in Syrien berichtete sie 2011 aus dem
Es hätte auch schiefgehen können, damals im Pick-up, das weiß Anna Therese Day nur zu gut. Im Jahr 2012 wurden viele ihrer Kollegen in Syrien getötet,
Im Jahr 2017 wurden fast genauso viele Journalisten in Ländern ermordet, in denen kein Krieg herrscht, wie in Kriegsgebieten.
Gefahren für Journalisten haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Die Ursachen dafür sind aber nicht allein die Gewalt in
Für die Sicherheit fehlt das Geld
Zusammen mit Kollegen gründete Anna Therese Day das
Darin lernen die Teilnehmer nicht nur, wie man sich unter Beschuss oder bei Explosionen verhält, sondern auch, wie man sein eigenes Team schützen kann. Das Problem: Viele Medienorganisationen zahlen diese teuren Kurse für selbstständige Journalisten nicht und setzen sie für eine Zusammenarbeit auch nicht voraus.
Ein Dilemma, denn als der syrische Konflikt unübersichtlicher und blutiger wird, ziehen große Medienhäuser ihre trainierten Korrespondenten aus Syrien ab. Das Vakuum füllen Journalisten wie Day, die der Situation kaum gewachsen sind.
Die meisten von ihnen begannen ihre Karriere im sogenannten Arabischen Frühling. Sie sind junge, freie Journalisten, die euphorisch und neugierig vom Tahrir-Platz in Kairo zu berichten beginnen,
Ich war damals sehr naiv und dachte, dass ich genug Erfahrung habe, weil ich in anderen Konflikten gearbeitet hatte.
Nachdem sie bereits ein Jahr aus Syrien berichtet hat, absolviert Anna Therese Day endlich ein Training. »Ich hatte vor, direkt danach nach Syrien zurückzukehren. Doch bei der Abschlusszeremonie musste ich mich fast übergeben, weil mir plötzlich klar wurde, was alles hätte schiefgehen können. Und weil mir das Risiko bewusst wurde, das ich eingegangen war – nicht nur für mich, sondern auch für das syrische Team.«
Medienorganisationen weltweit sparen an Kosten. Wir wollen sicherstellen, dass sie ihre Sicherheitsstandards, die sie jahrzehntelang zur Verfügung gestellt haben, weiterentwickeln und diese auch für freiberufliche Journalisten geltend machen.
Zu den Standards zählen unter anderem ein Krisentraining, die nötige Ausrüstung in Form von Schutzwesten und Helmen sowie eine faire Bezahlung. Die Verantwortung, diesen Schutz einzufordern, liegt auch bei den Journalisten.
Journalisten als Beute
Doch selbst mit dem besten Sicherheitstraining waren Kriegsreporter nicht darauf vorbereitet, in Syrien zu Gejagten zu werden. Die Bilder von der Enthauptung des
Anna Therese Day kannte Foley und viele andere, die ein ähnliches Schicksal ereilte. Als sie beobachtete, wie mehr und mehr Journalisten von radikal-islamistischen Milizen gekidnappt wurden, wurde ihr klar:
Der Bote ist in Syrien zur Beute geworden.
Es gab immer Kommunikation zwischen der Al-Qaida und Journalisten, weil wir
Ende 2017 galten laut Reporter ohne Grenzen (ROG) noch
»Die syrischen Journalisten, die immer noch aus dem Konflikt berichten, müssen die schwersten Verluste hinnehmen. Kein System schützt sie. Ich glaube leider, dass, wenn ich gekidnappt werden würde, mein Fall viel mehr Aufmerksamkeit erzielen würde als der eines syrischen Kollegen«, mutmaßt Anna Therese Day.
Zusammen mit dem Frontline Freelance Register fordert Day Medienorganisationen dazu auf, Verantwortung für freischaffende und lokale Journalisten in Krisenregionen zu übernehmen. Und sich im Falle eines Kidnappings genauso so sehr um ihre Freilassung zu bemühen, wie es bei fest angestellten, westlichen Korrespondenten der Fall wäre.
Der Fall Ján Kuciak
Klick. Klick. Klick. Fast jeden Tag im Büro scrollte der slowakische Journalist Ján Kuciak durch seine größten Schätze – Daten. Auf den ersten Blick unspektakuläre Excel-Tabellen, gefüllt mit brisanten Inhalten. Stoffe, aus denen die ganz große Enthüllung erst einmal zusammengeflickt werden muss. Es sind Auflistungen von EU-Agrarsubventionen an 2 italienische Familien, die in den 1990er-Jahren in die Slowakei ausgewandert waren und die offenbar Verbindungen zu der einflussreichen ’Ndrangheta-Mafia in Italien pflegen sollen.
Ende Februar wurden Kuciak und seine Freundin in ihrem Haus in Veľká Mača erschossen.
Die offengelegte Verbindung von Politik und Kriminalität führte zu den Massenprotesten,
Die Waffe, die wir als Journalisten haben, ist, dass wir Geschichten weitertragen und -recherchieren können.
Forbidden Stories ist ein von ROG angeschobenes Projekt, das Recherchen von ermordeten Journalisten weiterführt und eine ganz klare Botschaft sendet: Mord lohnt sich für Mafiosi oder Drogenkartelle nicht. Letztere machen vor allem in Mexiko Jagd auf Journalisten.
Eines der gefährlichsten Länder für Journalisten
Mexiko ist für Journalisten ähnlich gefährlich wie Syrien.
Dort starben im vergangenen Jahr 11 Medienschaffende, in Syrien waren es 12. Einige mexikanische Zeitungen teilten sogar nach Anschlägen auf ihre Journalisten und Redaktionen öffentlich mit,
Eine der größten Bedrohungen für Journalisten ist sicher
In einigen Fällen dürften Regierungen sogar ihre Finger mit im Spiel haben, wenn Journalisten ums Leben kommen. Denn nicht nur Kriminelle und Terroristen spionieren Journalisten aus, auch die staatliche Überwachung kann Reportern in einigen Ländern zum Verhängnis werden. Cyberspionage ist eine Bedrohung, für die ROG mehr Bewusstsein schaffen möchte: »Wir schulen Journalisten im Umgang mit Verschlüsselungstechnologie. Und versuchen sehr, darauf aufmerksam zu machen, dass man sich eben heutzutage nicht nur vor Gefahren wie Kriegsgewalt schützen muss, sondern auch vor Überwachung, die dazu führen kann, dass man selbst geortet wird«, sagt Dreyer.
Breaking News: Journalisten sind auch nur Menschen
Die 4 größten Bedrohungen für Kriegs- und Investigativjournalisten sind eine sich verschlechternde Medienwirtschaft, staatliche Überwachung, Kidnappings und die Straflosigkeit für Journalistenmörder. Für die Gefahren versuchen Organisationen und Journalisten, selbst Lösungen zu finden.
In den vergangenen Jahren setzten auch Medienunternehmen viel daran,
Die Kriegsreporterin Anna Therese Day wird nicht müde, auf die Fehler hinzuweisen, die zum Tod vieler Journalisten in Syrien geführt haben und damit auch die Berichterstattung massiv beeinflussten: »Mich überkommt ein Gefühl der Verbitterung, wenn ich an Syrien denke. Wir waren anfangs nicht angemessen ausgestattet und ausgebildet, um das Ausmaß dieser Geschichte und der Verbrechen zu erfassen, die sich ereigneten.«
Für die Zukunft hofft sie, dass die Branche aus diesen Fehlern lernt und dass auch die, die Medien rezipieren, die Grenzen der Journalisten erkennen. Denn ein größeres Bewusstsein dafür, dass hinter den Medien und der Berichterstattung Menschen stehen, die so einiges dafür riskieren, kann sicher nicht schaden.
Titelbild: wikicommons / Mstyslav Chernov - CC BY-SA 3.0